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Anwendung von Rechtsvorschriften im NDR

Verfasst: 2. März 2019, 19:26
von Maren
Hinweis: Dieses Schreiben an MP Weil, welches nie beantwortet wurde, datiert auf den 26.05.2017 und wurde nachträglich eingepflegt um eine Verlinkung zu ermöglichen.


Anwendung von Rechtsvorschriften im NDR

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

bei der Wahrnehmung des Rechts auf Eingaben gegen die Berichterstattung der ARD-aktuell ist es zu einem Dissens gekommen, der weder vom NDR-Rundfunkrat noch von Ihrer Rechtsaufsicht zufriedenstellend gelöst wurde. Deswegen wenden wir uns unbeschadet der von uns nicht beantwortbaren Zuständigkeitsfrage an Sie; Ihr Mitarbeiter in der Staatskanzlei – Christian Rohrbach – hatte sich einer entsprechenden Nachfrage verweigert.

Das Prozedere für Eingaben ist im NDR-Staatsvertrag und in der Geschäftsordnung des NDR-Rundfunkrates geregelt.

§ 13 NDR-StV: "Jeder hat das Recht, sich mit Eingaben und Anregungen zur Programmgestaltung an den Rundfunkrat sowie an den Intendanten oder die Intendantin [...] zu wenden."

§ 7 GO des RR: "Eingaben, die gemäß § 13 NDR-Staatsvertrag an den Rundfunkrat gerichtet werden, leitet der oder die Vorsitzende des Rundfunkrates dem Intendanten oder der Intendantin mit der Bitte um Äußerung binnen eines Monats gegenüber dem oder der Eingebenden zu, sofern der oder die Vorsitzende nicht eine unmittelbare Behandlung des Vorgangs im Rundfunkrat oder den Ausschüssen für geboten hält. Gleichzeitig mit der Abgabe an den Intendanten oder die Intendantin übersendet der oder die Vorsitzende des Rundfunkrates dem oder der Eingebenden eine Abgabenachricht mit dem Hinweis, dass er oder sie das Recht hat, sich erneut an den Rundfunkrat zu wenden, wenn er oder sie seine oder ihre Eingabe durch die zu erwartende Stellungnahme des Intendanten oder der Intendantin nicht als erledigt ansieht."

Die 37jährige Praxis betr. diese Festlegungen bestand darin, Kritik am Programm nach § 7 – wenn sie als Eingabe oder Beschwerde ersichtlich war - vom Rundfunkrat in letzter Instanz prüfen und ihn darüber entscheiden zu lassen. Das galt für tatsächlich gesendete einzelne Beiträge ebenso wie für die grundsätzliche Kritik an der Berichterstattung über bestimmte sich wiederholende Programmverstöße. Auch Beschwerden über das Weglassen bzw. Unterdrücken wesentlicher Informationen wurden selbstverständlich als Eingaben nach § 7 im Rundfunkrat behandelt und beschieden.

Als der Programmbeirat der ARD im Sommer 2014 die Ukraine-Berichterstattung ungewöhnlich deutlich kritisierte, sich aber keine Korrekturen abzeichneten, nahmen Kritik und Beschwerden aus dem breiten Publikum über die ARD-aktuell-Berichterstattung massiv zu. Die NDR-Rundfunkräte (58 Mitglieder) konnten kaum Schritt halten, die Bearbeitungsdauer der jeweiligen Beschwerden wuchs auf ein halbes Jahr und mehr. Im Dezember 2016 beklagte Chefredakteur Dr. Gniffke in einem Gastvortrag an der Universität Hamburg, dass die ARD-aktuell-Redaktion im Durchschnitt 8.000 Kommentare bei Facebook, 2.000 Kommentare auf meta.tagesschau.de, 300 Kritik-Mails sowie eine förmliche Programmbeschwerde pro Tag erhalte.

Allein mit den Mails und Programmbeschwerden beschäftigen sich laut Dr. Gniffke drei Redakteure in Vollzeit. Vier weitere Redakteure kümmern sich im Schichtbetrieb um die Social-Media-Auftritte der Tagesschau, und vier Assistenten betreuen die Plattform Meta-Tagesschau. Diesen Publikumsservice richtete die Redaktion erst 2015 ein, als die ARD immer massiver wegen ihrer Russland- und Kriegsberichterstattung (Ukraine, Syrien, Irak, schließlich Jemen) kritisiert wurde.

Die Konsequenz aus der regen "demokratischen Teilhabe" des Publikums: Es wurde nicht, wie erhofft und zu erwarten war, das Programm verbessert, sondern es wurden die internen Folgen dieser Publikumsteilhabe kurzerhand beschränkt. Der Vorstand des Rundfunkrats beantwortet Beschwerden über Fälle von Nachrichtenunterdrückung nun mit der simplen Floskel, das Unterdrücken wichtiger Nachrichten könne seit dem 1.1.2017 nicht mehr Gegenstand von Beschwerden sein, weil der Rundfunkrat keine Befugnis habe, über den Auswahlprozess von Nachrichten durch ARD-aktuell zu befinden.

Die Ratsvorsitzende Frau Thümler antwortet seither so:

„... haben wir Ihre Kritik zur Kenntnis genommen und sie an die zuständige Redaktion im NDR weitergeleitet. Der Rundfunkrat ist darüber hinaus nicht befugt, in die Programmgestaltung des NDR einzugreifen oder auf die auf Basis anerkannter journalistischer Grundsätze getroffene Themenwahl Einfluss zu nehmen. Nach § 18 Absatz 2 des NDR-Staatsvertrages kann der Rundfunkrat nur solche Beiträge im Wege einer Beschwerde überprüfen, die bereits gesendet oder veröffentlicht wurden, da zum einen eine Kontrolle des Programms vor der Ausstrahlung nicht zulässig ist und zum anderen die tatsächlichen Inhalte Gegenstand der Programmkontrolle sind."

Unsere Entgegnung hierzu:

"Mit Verlaub, dieser abenteuerlichen Rechtfertigung einer faktischen Arbeitsverweigerung (mutmaßlich aufgrund einer wachsenden Zahl von Programmbeschwerden) ist entschieden zu widersprechen. [...] 'Jeder hat das Recht, sich mit Eingaben und Anregungen zur Programmgestaltung an den Rundfunkrat sowie an den Intendanten zu wenden', heißt es in §13 des NDR Staatsvertrags. Unter „Eingabe“ ist eine „...an eine Behörde oder Volksvertretung gerichtete Bitte oder Beschwerde“ zu verstehen. (https://de.wikipedia.org/wiki/Eingabe). Auch „Programmbeschwerden“ sind also per definitionem eine Eingabe. Logisch, nicht?

Der NDR-Staatsvertrag, ein Werk mit Gesetzeskraft, schreibt knapp und eindeutig vor:
'(§5) Der NDR hat den Rundfunkteilnehmern und Rundfunkteilnehmerinnen einen objektiven und umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und länderbezogene Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben.' Abermals wollen wir die Logik bemühen: „Umfassend“ heißt, dass wichtige Informationen nicht unterdrückt bzw. einfach weggelassen werden dürfen. Denn, und das ist wunderhübsch in diesem Vertrag dargelegt: '(§8) Ziel aller Informationssendungen ist es, sachlich und umfassend zu unterrichten und damit zur
selbständigen Urteilsbildung der Bürger und Bürgerinnen beizutragen.'

Dass Nachrichtenunterdrückung nicht sonderlich zur selbständigen Urteilsbildung der Bürger beiträgt, dürfte unstreitig sein. Eine Beschwerde darüber, dass einzelne Sendungen aufgrund ihrer Unvollständigkeit bzw. unterdrückter Nachrichten eine Rechtsverletzung darstellen, einen Verstoß gegen den Programmauftrag des NDR, ist deshalb nicht nur zulässig, sondern aus staatsbürgerlicher Sicht geradezu geboten.......Die Vorsitzende behauptet, das Gremium sei dazu nicht befugt, denn seine Kontrollaufgabe beschränke sich auf "tatsächlich gesendete Inhalte". Mit anderen Worten: Was nicht gesendet worden sei, dürfe der Rundfunkrat auch nicht kontrollieren. [...] Eine Programmbeschwerde über einen Fall von Nachrichtenunterdrückung kann, das sagt die Logik, nur bezogen sein auf eine oder mehrere zurückliegende, bereits ausgestrahlte Sendungen, in denen das Fehlen einer an sich notwendigen Information aufgefallen und nachweisbar ist. Adressaten der Beschwerde sind Intendant und/oder Rundfunkrat, so steht es im Staatsvertrag.
Der sagt:
'(§18,2) Der Rundfunkrat überwacht die Einhaltung der Programmanforderungen'
Also, hat er, wie oben vermerkt, auch die Frage der Vollständigkeit der Informationen zu überwachen (dass ein „objektiver und umfassender Überblick“ gegeben wird). Der Rundfunkrat hat, anders als seine Vorsitzende fälschlich darlegt, sogar noch weitergehende Aufgaben und Rechte:
'(§18) Er kann feststellen, dass einzelne Sendungen gegen diese Anforderungen verstoßen, und den
Intendanten anweisen, einen festgestellten Verstoß nicht fortzusetzen oder künftig zu unterlassen.'
[...] Das Ziel einer Programmbeschwerde wegen Nachrichtenunterdrückung ist, dass der Rundfunkrat
korrigierend eingreift und Wiederholungsfälle ausschließt. Nachrichtenunterschlagung ist eine besonders üble Form von Manipulation, eindeutig ein Verstoß gegen den Programmauftrag und gegen die Programmrichtlinien. Dies zu ignorieren bzw. die Zuständigkeit des Rundfunkrates dafür mit spitzfindigen und abwegigen Behauptungen zu bestreiten, ist eine Missachtung des Eingaberechts der Rundfunkteilnehmer. [...]"


Frau Thümler hierauf:

"....jede Zuschrift, die den Rundfunkrat erreicht, wird im Rahmen der Geschäftsführung der Vorsitzenden des Rundfunkrates auf ihren Inhalt hin überprüft und sodann einer entsprechenden Bearbeitung zugeführt. Im vorliegenden Fall monieren Sie, dass über etwas nicht berichtet worden sei. Nach Prüfung Ihrer Zuschrift wurde Ihre E-Mail der zuständigen Redaktion übersandt. Ein förmliches Beschwerdeverfahren gemäß § 7 der Geschäftsordnung des Rundfunkrates wird nicht eingeleitet. § 13 NDR Staatsvertrag unterscheidet zwischen Anregungen und Beschwerden. In diesem Fall handelt es sich um die Anregung, dass die Programme des NDR sich mit einem von Ihnen genannten Thema befassen sollten/befasst haben müssten. Dies ist – auf die Bezeichnung der Zuschrift oder auf den Willen des Autors kommt es insoweit nicht an – eine Anregung, die als solche auch behandelt wurde."

Dazu merkten wir an: Wäre diese restriktive Auffassung des Rundfunkrates korrekt, dann hieße das für die Tagesschau-Berichterstattung (konstruiertes Beispiel): Falls sie die Information verschweigt, Kanzlerin Merkel habe ihren Amtsverzicht angekündigt, dann könnte gegen diesen Fall von Nachrichtenunterdrückung nicht einmal Beschwerde mit Aussicht auf Behandlung im Rundfunkrat erhoben werden. Die Willkürlichkeit solcher Rechtsauslegung ist nicht zu leugnen, die Selbstkastration nicht zu bestreiten, die der Rundfunkrat hier an seiner eigenen Kompetenz vornimmt, nur um sich Arbeit zu ersparen. Die Beschwerde wird vom Rundfunkratsvorsitzenden bzw. dem Intendanten einfach in eine »Anregung« umgedeutet, die es erlaubt, den Vorgang dilatorisch zu behandeln; die Chefredaktion ARD-aktuell, obgleich doch vom Beschwerdeführer aufs Korn genommen, wird ermächtigt, die Beschwerde selbst zu beantworten (d.h. mit einem weitgehend automatisierten Schreiben als unbegründet zurückzuweisen).

Ein Tätigwerden in der Sache lehnt der Rundfunkrat glattweg ab. Dieser juristische Taschenspielertrick - nach mehr als dreißig Jahren einer zumindest formal den Anstand wahrenden Praxis - zur Bewältigung der anschwellenden Beschwerdeflut sei "mit der Rechtsaufsicht des Landes Niedersachsen abgestimmt", beschied die Rundfunkratsvorsitzende Thümler.

Interessant in diesem Fall die Haltung der Rechtsaufsicht des Landes Niedersachsen: Offensichtlich lässt sie sich unkritisch für problematische Bedürfnisse der NDR-Institutionen instrumentalisieren und ist bereit, sich an entsprechender Kungelei zu beteiligen. Wir können uns nicht vorstellen, dass dies dem Verständnis einer unparteiischen Amtsführung entspricht, schon gar nicht, wenn wir das weitere Verhalten des Vertreters der Rechtsaufsicht in Betracht ziehen. Obwohl wir - für jeden erkennbar - kritisiert hatten, dass der Rundfunkrat das Verfahren nach § 7 der GO formal nicht einhält, warf Ihr Mitarbeiter uns vor, staatliche Stellen "wiederholt aufgefordert zu haben, auf inhaltliche (!) Entscheidungen des Vorstands des NDR-Rundfunkrates einzuwirken". Damit war für uns klar:

Der Mann ist in einfachsten Rechtsfragen nicht firm und unterscheidet nicht einmal zwischen "inhaltlichen" und "formalen" Beschlüssen eines Rundfunkrates. Wir erklären uns das so: Herr Rohrbach war 17 Jahre NDR-Redakteur, wechselte nach der Wahl Chr. Wulffs in dessen Ministerial-Bürokratie und landete mit Blick auf seine "erziehungswissenschaftlichen Kenntnisse " im Amt der Rechtsaufsicht. Eine Köpenickiade der besonderen Güte. Wir wollen diese Geschichte nicht vertiefen, sie ist vielmehr Ihr Problem. Uns geht es hier darum, dass Sie das Verfahren des Rundfunkrates einer ernsthaften rechtlichen Prüfung unterziehen lassen und uns begründet mitteilen, zu welchem Ergebnis sie geführt hat.

Mit freundlichen Grüßen

F. Klinkhammer, V. Bräutigam (26.05.2017)