ARD - Falschmeldung - Tsipras schürt Zweifel an Reformwillen

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Maren
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ARD - Falschmeldung - Tsipras schürt Zweifel an Reformwillen

Beitrag von Maren »

Norddeutscher Rundfunk
Intendanz
Herrn Marmor
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg



Programmbeschwerde


Sehr geehrter Herr Marmor,

hiermit erheben wir Beschwerde gegen den Tagesschau-Beitrag vom 22.07.2015, „Tsipras schürt Zweifel an Reformwillen“ von Ralph Sina (WDR), wegen grober Falschdarstellung und der Verbreitung unbewiesener Behauptungen.

So würden angeblich bei EU-Kommission und der Eurogruppe alle Alarmglocken läuten und sie würden sich laut Ihres Beitrages die Frage stellen, ob Athen schon wieder mit einer Reform-Verzögerungstaktik beginne und internationale Griechenland-Geldgeber und EU hoffen angeblich, dass Tsipras nicht erneut den Fehler mache, Reformen zu verschleppen.

Sämtliche Behauptungen bleiben ohne Belege.

EU-Kommission und EZB bestätigten einmütig, dass sich die griechische Regierung an den vereinbarten Zeitplan halte und zwar genau in der Form, wie dieser beim Eurogipfel beschlossen wurde. Tsipras hat sich, wie wir wissen, bislang an alle getroffenen Vereinbarungen gehalten.

Bis zum 15. Juli 2015 hatte die griechische Regierung die geforderten Reformen im Steuer- und Rentensystem verabschiedet. Am 22.07.2015 wird in Athen planmäßig über Reformen im Justiz- und Bankenwesen abgestimmt. Die Sonderabgabe auf Agrardiesel und weitergehende Reformen im Rentensystem sind für einen späteren Zeitpunkt vereinbart.

Der vorläufige Zeitplan für die Verhandlungen mit Griechenland für ein ESM-Programm :
- Ab 22. 07.2015 Verhandlungen in Athen
- Bis 07.08.2015 Einigung über das „Memorandum of Understanding“
- 10.08.2015 – 16.08.2015 Nationale Verfahren für das ESM-Programm
- 17./18.08.2015 Erste ESM-Zahlung an Griechenland
- 20.08.2015 Große Rückzahlung an Gläubiger, die nicht von Brückenfinanzierung abgedeckt werden

Wie aus EU-Politikerkreisen verlautbart, begründeten technische Korrekturen an den Beschlüssen keine Verstöße gegen die Gipfelbeschlüsse, wie auch die EU-Kommission ausdrücklich festgestellt hat. Es ist unstrittig, dass Griechenland sich bisher an seinen Teil der Abmachungen gehalten hat, um die notwendigen Verhandlungen über ein ESM-Programm zügig beginnen zu können.

Warum diese Fakten einem ARD-Korrespondenten vor Ort in Brüssel nicht geläufig sind, erscheint uns angesichts der frei verfügbaren Quellen unerklärlich.

Eine weitere Passage innerhalb des Beitrages von Ralph Sina thematisiert nebulös und an dieser Stelle komplett themenfremd, dass Yannis Varoufakis in einem CNN-Interview Fehler zugegeben habe. Neben der Irrelevanz dieser Meldung sticht zum wiederholten Male eine unsaubere Übersetzung der Aussage Varoufaks ins Auge.

Im Beitrag der Tagesschau heißt es: „und für eine ganze Reihe dieser Fehler sei er selber verantwortlich.“
Das Original von Varoufakis gibt diese Zuspitzung „ganze Reihe“ nicht her: “I hold myself responsible for a number of them” lautet Varoufakis Aussage im Original. Korrekt übersetzt hätte es heißen müssen: “für einige von diesen“ / „für mehrere davon“ / „für etliche davon“.

Abgesehen von der unsauberen Übersetzung: Welche Schlüsse soll der Rezipient aus der Information zu „einer ganzen Reihe“ von eingestandenen Fehlern des ehemaligen Finanzministers ziehen, wenn diese unmittelbar nach der Fehlinformation auftaucht, dass „Athen schon wieder mit einer Reform-Verzögerungstaktik beginne"?

Die Fehler, die Varoufakis in seinem Interview eingestanden hat, haben den Charakter des Revue passieren lassen und sind in ihrem Kontext in keinster Weise kompatibel mit dem beanstandeten Beitrag.

Das völlig anlasslose Orakeln im letzten Absatz, welches eine baldige Schuldenerleichterung ohne Reformen in weiter Ferne sieht, sowie schlussendlich die absurde Drohkulisse, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel erst dann diskutieren werde, wenn Athen vor allem mit unpopulären Reformen überzeuge, verstört durch völlige Ignoranz gegenüber der bislang zuverlässig (!) geleisteten Anstrengungen Griechenlands und blendet wiederholt gänzlich empathiebefreit das Leid eines Großteils der griechischen Bevölkerung aus.

Ihre Berichterstattung wiederspricht in eklatanter Weise Programmgrundsätzen, schürt auch weiterhin Misstrauen und Ressentiments gegenüber unseren europäischen Partnerland Griechenland und ist willkommene Stichwortgeberin für Gexit-BefürworterInnen aller politischen Lager.

Innerhalb der Kommentarspalten von Tagesschau.de finden sich vermehrt Opfer defizitärer Berichterstattung.
Foristen können dort unbehelligt durch moderative Interventionen von faulen, betrügerischen und unzuverlässigen Griechen schwadronieren und es offenbart sich - für alle sichtbar - das ganze verstörende Ausmaß der Folgen tendenziöser Informationspolitik.

Desinformation schlägt sich vermehrt in Hass und in irrationaler Zustimmung für Repressionen gegen andere Nationen nieder, fördert Rassismus, spricht niedere Instinkte an und gefährdet Demokratie und solidarisches Zusammenleben.

Es ist an der Zeit, dass sowohl Programmverantwortliche als auch Kontrollgremien bestimmte Arbeitsweisen von Redaktionen und Korrespondenten auf den Prüfstand stellen, um nicht in den Verdacht zu geraten, entgegen der Vorgaben des Rundfunkstaatsvertrages und damit auch entgegen des gesetzlichen Auftrages zu handeln.

Präventiv sei angemerkt, dass weder die Beschwerde noch das gezogene Fazit des Beschwerdeführers in irgendeiner Weise die Programmautonomie öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten tangieren. Es wird lediglich DAS Informations- und (Willens-)Bildungsangebot eingefordert, welches den Anforderungen des Rundfunkstaatsvertrags entspricht.

Wir bitten um zügige und gemäß journalistischen Standards transparent zu erfolgende Korrektur an exakt der Stelle, an welcher die Falschmeldungen verbreitet wurden.

Zum Zwecke der Transparenz werden wir diese Beschwerde sowie die Antwort der Programmverant-wortlichen auf der Webseite des Vereins http://forum.publikumskonferenz.de/ veröffentlichen.


Mit freundlichen Grüßen


i. A. Maren Müller
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20150712-eurosummit-statement-greece_DE.pdf
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Maren
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Re: ARD - Falschmeldung - Tsipras schürt Zweifel an Reformwillen

Beitrag von Maren »

Weiterleitung an den WDR.
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Maren
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Re: ARD - Falschmeldung - Tsipras schürt Zweifel an Reformwillen

Beitrag von Maren »

Antwort vom Intendanten des WDR auf unsere Programmbeschwerde.
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2015-08-26 Bescheid TB PB- Publikumskonferenz Z2797 Ralph Sina.pdf
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Maren
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Re: ARD - Falschmeldung - Tsipras schürt Zweifel an Reformwillen

Beitrag von Maren »

Auch wenn der Intendant, oder wer auch immer die Antwortschreiben auf Publikumsanliegen formuliert, sich wortreich dem hinreichend begründeten Sachverhalt entzieht, so erschließt sich dem geneigten Besucher dieser Seite sicherlich auf dem ersten Blick, um was es dem Beschwerdeführer konkret ging.

Dass die Griechenland-Berichterstattung fast aller deutscher Medien größtenteils unterirdisch und von Feindseeligkeit geprägt war, haben bereits wichtige Persönlichkeiten aus Politik, Medien und Wirtschaft beklagt. Um nur einige zu nennen: Frau Prof. Gesine Schwan, der Journalist Harald Schumann, der Wirtschaftsexperte Heiner Flassbeck, sowie der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring haben Fehlinformationen und Mythen aufgedeckt und gleichzeitig die traurigen Realitäten auf den Punkt gebracht.

Beispiele und Beweise für die einseitige und tendenziöse Berichterstattung in den deutschen Mainstream-Medien sind jederzeit abruf- und überprüfbar. (siehe Artikel im Tagesspiegel zur Rufmordkampagne gegen Varoufakis, Pressemitteilung der griechischen Regierung nach der Konferenz in Riga, in welcher darauf hingewiesen wird, dass der Finanzminister Ziel einer Medienkampagne geworden sei, Jauch und Stinkefinger, diplomatische Beschwerde der griechischen Republik gegen eine sarkastische und beleidigende Äußerung des Ministers Schäuble, die Schlammschlacht auf Politikerebene (Lagarde, Juncker, Schulz, Gabriel, Tusk, etc.), Hetze in Focus und BILD, sowie als unterste Schublade sogar Rassismus in der Springer-Gazette Die Welt.)

Alle diese skandalösen Vorkommnisse sind den Redaktionen bestens bekannt und nur komplett abgefeimte Ignoranten könnten diese Offensichtlichkeiten ernsthaft in Frage stellen.

Nähme man in den öffentlich-rechtlichen Anstalten die Vorgaben des Rundfunkstaatsvertrages ernst, käme es zu deutlich wahrnehmbaren Abgrenzungen gegenüber dem Mainstream, es würde insgesamt mit mehr Neutralität und Feingefühl berichtet werden und man würde deutlich mehr den Vergleich zur internationalen Presse wagen. Mitstreiter mit Wohnsitz im Ausland berichten darüber, dass die Berichterstattung zu Griechenland in Frankreich - und ganz besonders in den angelsächsischen Ländern - eine ganz andere sei als in Deutschland und sind durchweg irritiert von der hier vorherrschenden Berichterstattung.

Warum sich die Anstalten des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkes kollektiv genötigt sahen, seit dem Wahlsieg der Partei Syriza Anfang des Jahres, in das allgemein vorherrschende Griechenlandbashing einzustimmen, wird wohl deren Geheimnis bleiben.

In fast allen Antwortschreiben (aller Anstalten) auf Programmbeschwerden wird Offensichtliches mit einer Vehemenz abgestritten, dass man eigentlich nur noch von Realitätsverlust sprechen kann. Fakt ist, dass Parteilichkeit zu Ungunsten von Syriza, Abhängigkeit von politischen Mehrheitsverhältnissen, mangelnde Objektivität gegenüber der Standpunkte anderer Konfliktparteien sowie mangelnde Vielfalt der Meinungen deutlich erkennbar waren. Ausgewogenheit innerhalb der Berichterstattung zu Griechenland war in Summe ebensowenig erkennbar, wie die Bereitstellung seriös überprüfbarer Fakten. Wenn es in den Redaktionen neuerdings Usus ist, dass Verweise auf ominöse Spin Doctoren als seriöse Information durchgehen, dann läuten bei uns die "Alarmglocken". Unter diesen Umständen kann künftig ALLES ohne Angaben von Quellen erzählt werden. DAS ist keine Berichterstattung im Sinne des Pressekodex und des Rundfunkstaatsvertrages.
"Tatsache ist, dass Ralph Sina im Vorfeld mit Mitarbeitern der EU-Kommission gesprochen hatte, die nicht namentlich genannt werden wollten."
Korrespondenten, die lediglich in schwarz-weiß oder Freund-Feind-Kategorien unterwegs sind, arbeiten nicht journalistisch und haben im Sendebetrieb öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten nichts verloren. Für die Abdeckung der Skandal- und Kampagnenberichterstattung haben wir in Deutschland bereits genügend andere Medien.

§11 Rundfunkstaatsvertrag
"Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen."


Wir betrachten die Angelegenheit, auch mit Verweis auf die redaktionelle Anmerkung, als abgeschlossen.

Heute wird in Griechenland gewählt und die Hoffnung, dass diese Wahl medial fair begleitet und im Anschluss möglichst unsüffisant kommentiert und berichtet wird, stirbt zuletzt.
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