Staatskunst und die griechische Krise

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Ben Nevis

Staatskunst und die griechische Krise

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Staatskunst und die griechische Krise - Jeffrey D. Sachs (Deutsche Übersetzung)
Statesmanship and the Greek Crisis - Project Syndicate

Jeffrey D. Sachs: Professor für Nachhaltige Entwicklung, Professor für Gesundheitspolitik und -management, Direktor des Earth Institute der Columbia University, Sonderberater des Generalsekretär der UN beim Thema Milleniumsziele
New York – Staatsschuldenkrisen, wie die in Griechenland, können nur durch unerschrockene Maßnahmen von Gläubiger und Schuldner gelöst werden. Der Schuldner braucht einen Neustart durch einen Schuldenschnitt; der Gläubiger muss einen Weg finden diesen zu gewährleisten ohne schlechtes Verhalten zu belohnen. Um einen Kompromiss finden zu können müssen beide Seiten ihre Bedürfnisse aussprechen. Folgend müssen ernsthafte Reformen und großer Schuldenerlass Hand in Hand gehen. Das ist der Grund warum Griechenland und Deutschland, als sein größter Gläubiger, einen neuen modus vivendi benötigen um die Verhandlungen weiterführen zu können.

Zum Beginn muss die griechische Regierung sich über die Notwendigkeit dringender Reformen im Klaren sein. Die Wirtschaft des Landes ist nicht einfach zusammengebrochen, sondern in ihrer jetzigen Struktur todgeweiht. Die Wurzeln des Problems Griechenlands reichen sehr viel tiefer als die Austeritätspolitik der letzten Jahre.

Zum Beispiel wurden 2013 von, in Deutschland ansässigen, Erfindern ungefähr 917 Patente pro 1 Millionen Einwohner eingereicht. In Griechenland ansässige Erfinder reichten im Kontrast dazu nur 69 Patente pro 1 Millionen Einwohner ein.

Wenn Griechenland den Wohlstand, der mit einer technologisch-fortgeschritten Wirtschaft des 21. Jahrhundert einhergeht, dann wird es sich den verdienen müssen, durch die Produktion innovativer Produkte die auf dem Weltmarkt konkurrieren können, genauso wie es Deutschland macht. Das ist wahrscheinlich eine Herausforderung für Generationen.

Deutschland muss, für seinen Teil, die Ungeheuerlichkeit des griechischen Kollaps anerkennen. Die griechische Wirtschaft ist seit 2009 um 25% geschrumpft, Arbeitslosenzahlen stehen bei 27%, mit einer Jugendarbeitslosigkeit von fast 50%. Als Deutschland mit vergleichbaren Bedingungen am Anfang der 1930er Jahre konfrontiert war, war es den Kreditgebern egal und die daraus hervorgehende Instabilität erlaubte den Aufstieg von Adolf Hitler. Nach dem 2. Weltkrieg wurden jedoch Deutschlands Schulden gesenkt um es fähig zum Wiederaufbau zu machen. Angesichts dieser Erfahrungen sollte Deutschland die Wichtigkeit eines Schuldenschnitts verstehen, wenn die Last der Erfüllung der Schulden unhaltbar wird.

Der Fall einem Land einen frischen, finanziellen Start anzubieten ist zugleich wirtschaftlich und moralisch. Das macht es für viele Bänker schwer zu verstehen, da ihr Wirtschaftssektor keine Moral kennt, sondern nur das Endergebnis. Auch Politiker neigen dazu, ihren moralischen Kompass nur auf die unerbittliche Jagd nach Stimmen zu kalibrieren. Die Suche nach einer effektiven und moralischen Lösung erfordert echte Staatskunst – etwas, dass es während der Euro-Krise viel zu selten gegeben hat.

Der griechische Premierminister Alexis Tsipras und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel haben nun die Gelegenheit in dieser Situation zu europäischen Staatsmännern zu werden. Seit der Wahl Tsipras im Januar haben deutsche Beamte selten ihren Zorn darüber, dass eine linke Emporkömmlingsregierung eines kleinen, bankrupten Landes es wagt eine der größten Wirtschaftsmächte der Welt herauszufordern, bei sich behalten. Finanzminister Schäuble, zum Beispiel, versuchte wiederholt Griechenland zum Verlassen der Eurozone zu provozieren.

Tsipras Antwort auf diese Provokationen waren klar und konsequent: Griechenland muss in der Eurozone bleiben und dazu braucht es einen frischen, finanziellen Start. Am 5. Juli hat das griechische Volk seinem jungen und charismatischen Anführer mit einem klaren „Nein“ gegen die unzumutbaren Anforderungen der kreditgebenden Ländern, den Rücken gestärkt. Diese Entscheidung wird eines Tages als Sieg für Europa über die, die eher die Eurozone verstümmeln wollten als Griechenland einen Neustart in der Eurozone zu zu billigen, angesehen werden.

Beim wahrscheinliche Treffen zwischen Tsipras und Merkel diese Woche in Brüssel könnten die Einsätze nicht höher sein. Die wirtschaftlichen Kosten dieser auswegslosen Situation waren katastrophal für Griechenland und stellen eine große Bedrohung für Europa dar. Das Scheitern der Verhandlungen löste eine Bankenpanik aus, welche Griechenlands Wirtschaft paralysierte und seine Banken an den Rand der Zahlungsunfähigkeit trieben. Wenn die Banken überhaupt wiederbelebt werden können, dann müssen sie in den nächsten Tagen gerettet werden.

Wenn Tspiras und Merkel sich bloß als Politiker treffen, dann werden die Ergebnisse katastrophal sein. Die griechischen Banken werden in den Ruin getrieben, was die Kosten für eine Rettung Griechenlands und der Eurozone unerschwinglich hoch treiben würde. Wenn die zwei Anführer sich jedoch als Staatsmänner treffen, dann werden sie Griechenland, die Eurozone und den verstockten, europäischen Geist retten. Mit dem Versprechen eines großen Schuldenerlass für Griechenland und einer Annäherung zwischen Griechenland und Deutschland wird das Vertrauen in die Wirtschaft zurückkehren. Einlagen werden wieder nach Griechenland zurückfließen. Die Wirtschaft wird wieder zum Leben erweckt.

Tsipras muss Merkel versichern, dass Griechenland auf eigenen Beinen stehen möchte und nicht ein ewiger Patient Europas sein möchte. Um ein solches Ergebnis zu sichern müssen starke Reformen und ein Schuldenerlass über einen vereinbarten Zeitraum eingeführt werden, wobei jede Partei zu den eigenen Verpflichtungen steht, genauso wie es die andere auch tut. Glücklicherweise ist Griechenland ein Land voller Ausnahmetalente, die fähig sind neue, wettbewerbsfähige Wirtschaftszweige von Grund auf aufzubauen, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu lässt.

Merkel muss nun eine Haltung einnehmen, die das genaue Gegenteil der Haltung ist, die ihr Finanzminister bis heute verfolgt. Schäuble ist unzweifelhaft einer der höchsten Politiker in Europa, aber seine Strategie um die Eurozone zu retten, durch die Ausschließung Griechenlands, war fehlgeleitet. Merkel muss nun eintreten um Griechenland als Teil der Eurozone zu retten – und das bedeutet, dass die Schuldenlast des Landes erleichtert werden muss. Jede andere Handlung wird einen irreparablen Bruch zwischen Europas Reichen und Armen, Mächtigen und Schwachen schaffen.

Manche – vor allem die immer-zynischen Bänker – meinen, dass es zu spät für Europa sich selber zu retten. Ist es nicht. Viele einflussreiche Führer und Bürger in Europa sehen den Markt als Ort, der von moralischen Erwägungen und der Notwendigkeit die wirtschaftliche Not zu lindern bedingt wird, an. Das ist von einem unschätzbaren Wert. Es macht es möglich für Merkel Griechenland einen Neuanfang anzubieten, denn es ist das richtige, was jetzt zu tun ist und weil es mit Deutschlands eigener Erfahrung und Geschichte übereinstimmt.

Die Idee einer ethischen Herangehensweise an die Krise in Griechenland könnte für die Leser von Wirtschaftszeitungen absurd klingen und viele Politiker halten sie für naiv. Jedoch können sich die meisten europäischen Bürger sich dieser Herangehensweise als sinnvolle Lösung anschließen. Europa erhob sich aus den Trümmern des 2. Weltkriegs aufgrund der Visionen von Staatsmännern; nun steht es am Rand des Zusammenbruchs aufgrund täglicher Eitelkeiten, Korruption und Zynismus der Bänker und Politiker. Es ist Zeit, dass die Staatskunst zurückkehrt – für das Wohl der heutigen und zukünftigen Generationen in Europa und der Welt.
Vielen dank an den Übersetzer!
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