Zweite Programmbeschwerde zur Skripal-Berichterstattung der ARD

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Maren
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Zweite Programmbeschwerde zur Skripal-Berichterstattung der ARD

Beitrag von Maren »

Norddeutscher Rundfunk
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Herrn Marmor
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Zweite Programmbeschwerde zur Berichterstattung über den angeblichen Giftgasanschlag auf den Ex-Doppelagent Sergej Skripal, ARD Tagesschau am 30.03.2018

Sehr geehrter Herr Marmor,

ergänzend zu unserer Beschwerde zur Tagesschau-Sendung am 15.03.2018 möchten wir erneut Beschwerde einlegen gegen Ihre Berichterstattung über den angeblichen Giftgasanschlag auf den ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal.

In der Tagesschau am 30.03.2018 berichteten Sie falsch, dass Botschafter mehrerer Länder in das Innenministerium in Moskau einbestellt worden wären. Für die Gespräche mit Botschaftern anderer Länder ist natürlich das Außenministerium zuständig. Offenbar sind Ihnen die diplomatischen Gepflogenheiten ganz unbekannt. Das Ergreifen spiegelbildlicher Maßnahmen, wie es Russland zur Zeit tut, ist auf diplomatischem Parkett weltweit Standard. Nicht derjenige, der reagiert, ist schuld an der Spirale der Verschlechterung diplomatischer Beziehungen, sondern derjenige, der mit den Ausweisungen von Diplomaten beginnt.

Sie ließen den deutschen Botschafter in Moskau, Herrn von Fritsch, zu Wort kommen damit, dass Moskau berechtigte Fragen bisher unbeantwortet ließ. Leider kommentierten Sie diesen Satz nicht. Um welche Fragen geht es denn konkret? Darum, die unbewiesene Schuldzuweisung zu bestätigen? Eigentlich gäbe es mehr unbeantwortete Fragen aus Richtung London, als aus Richtung Moskau (siehe dazu auch unten zur Unterschlagung von Begleitinformationen).

https://publikumskonferenz.de/blog/2018 ... n-koennen/
https://publikumskonferenz.de/blog/2018 ... n-sollten/

Die britische Seite hielt sich bislang nicht an die Regeln der OPCW für einen solchen Fall, verweigerte die Übergabe einer Probe der gefundenen Spuren des Nervengiftes an Russland, gewährte der russischen Seite keinen Zugang zu der russischen Staatsbürgern Julia Skripal, und forderte die Solidarität der EU-Staaten mittels einer 6-seitigen nichtssagenden Präsentation ein.

Die russische Zeitung Kommersant veröffentlichte eine Kopie der vorgenannten Präsentation: https://www.kommersant.ru/docs/2018/UK_Briefing.pdf

Jeder seriöse Politiker hätte sich von einer solchen Präsentation veralbert gefühlt, aber leider haben die meisten EU-Politiker wie auch unser Außenminister Maas es offensichtlich nicht nötig, bei einer Sache wo es um Krieg oder Frieden gehen könnte, mal etwas genauer hinzusehen. Dann hätte man ganz nebenbei auch feststellen können, dass neben fehlenden Beweisen oder Indizien auch eine Menge anderer unbewiesener Anschuldigungen in der Präsentation enthalten sind. Wenn nun die russische Seite laut Tagesschau vom 30.03.2018 von einer anti-russischen Verschwörung spricht, ist das sehr gut nachvollziehbar angesichts der Reaktion der EU-Staaten auf Grundlage einer solchen Präsentation.

Wir nehmen Bezug auf unsere Programmbeschwerde vom 15.03.2018 und möchten nochmals darauf hinweisen, dass sich interessante Einordnungen finden lassen unter der Quelle: https://www.craigmurray.org.uk/
Herr Murray war britischer Botschafter in Usbekistan und hat unter anderem mit dem Leiter der die ersten Untersuchungen führenden Forschungsstation Porton Down gesprochen.

An Ihrer Tagesschau-Berichterstattung kritisieren wir erneut und weiterhin Unterschlagungen von wichtigen Begleitinformationen (Wiederholung aus unserer Programmbeschwerde vom 15.03.2018):

In Ihrer Berichterstattung fehlte bisher völlig, dass Vorräte von sowjetischen chemischen Kampfstoffen auch in anderen ehemaligen Republiken der Sowjetunion gelagert waren, wie z. B. in Usbekistan, in Georgien und in der Ukraine. Die „Nachdenkseiten“ haben dazu recherchiert:

„Das Gift, das angeblich in Salisbury zum Einsatz kam, soll ein Nervengift aus der sogenannten „Nowitschok-Reihe“ sein, die in den 70ern und 80ern in der Sowjetunion entwickelt wurde und später in zahlreichen Varianten produziert wurde. Es ist aktenkundig, dass neben den Nachfolgestaaten der Sowjetunion auch die USA Zugang zu Stoffen der „Nowitschok-Reihe“ hatten - z.B. im Jahre 1999, als Experten der US-Behörden eine Forschungseinrichtung der Sowjets in Usbekistan außer Betrieb nahmen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass neben den USA auch Staaten wie Israel und ganz sicher auch Großbritannien sich Kenntnisse über das C-Waffen-Programm der Sowjets beschafft haben.“ (Quelle: Nachdenkseiten)

Weiterhin fehlte in Ihrer Berichterstattung völlig, dass Russland Großbritannien aufforderte, sich an die Regeln der OPCW für die Aufklärung eines solchen Vorfalls mit angeblicher Chemiewaffen-Anwendung zu halten. In dem durch die OPCW-Regeln (internationales Recht) vorgegebenen Prozedere steht eben nicht, dass man erst einen Staat des Chemiewaffeneinsatzes beschuldigt, und vielleicht irgendwann mal eine forensische Untersuchung macht, sondern umgekehrt, dass man zuerst gemeinsam eine Untersuchung macht, wobei dafür zunächst erst einmal 10 Tage vorgesehen sind.

Weiterhin fehlte in Ihrer Berichterstattung, dass Großbritannien die Übergabe von Proben der Spuren des angeblichen Kampfstoffes an Russland bisher verweigert. Genug Reste davon müssen ja gefunden worden sein, wenn man innerhalb von nur einem Tag eine chemische Analyse machen konnte, welche eine angeblich so zweifelsfreie Zuordnung des Falls zu Russland zulässt. Im britischen Labor muss man wohl genau gewusst haben, wonach man sucht, um so schnell zum Ergebnis zu kommen.

Weiterhin fehlte in Ihrer Berichterstattung, dass das Timing für den Anschlag so gewählt ist, dass Russland nur maximalen Schaden daraus nehmen kann. Unmittelbar vor den Präsidentenwahlen in Russland und kurz vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft. Kann wirklich jemand glauben, dass die Russen so bescheuert sind, sich ein solch schlechtes Timing anzutun, noch dazu mit einem offiziell begnadigten und ausgetauschten Ex-Agenten, welcher keine relevanten Informationen und Kontakte mehr hat?

Weiterhin fehlte in Ihrer Berichterstattung, in welcher Art im britischen Unterhaus über den Fall debattiert wurde. Eine der wenigen Mahnungen zur Mäßigung kam von Jeremy Corbyn, dieser wurde mit lautstarkem Geschrei der anderen Abgeordneten an der Fortsetzung seiner Rede gehindert. In dem im britischen Unterhaus üblichen, emotional aufgeladenem Politik-Theater können komplizierte Analysen und ausgewogene Bewertungen nicht zustande kommen. Vielmehr wurde dort einfach nur das verstärkt, was von britischen Geheimdiensten an einzelne Politiker und an die Presse lanciert wurde.

Weiterhin fehlt in Ihrer Berichterstattung, dass der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, einschätzte dass das von britischen Behörden schnell behauptete Motiv des angeblich russischen Anschlags - Rache für Schmach in der Vergangenheit – nicht einer näheren Überprüfung standhält.

Und hier noch Wertungen des Autors zu Ihrer Berichterstattung:

Die Unschuldsvermutung als wichtiger Bestandteil der modernen Justiz wird im Fall Russland regelmäßig ins Gegenteil verkehrt.

Auch weiterhin stellen Sie Russland als Auslöser eines neuen kalten Krieges dar, unbeachtet dessen, dass Russland nur reagiert auf den Aktionismus seitens anderer Staaten.

Die britische Regierung betreibt aktiv Kriegspropaganda, indem Sie die Bedingungen für den Beginn eines Krieges herbeiredet, anstatt sich in diesem Fall erst einmal um die Einhaltung der OPCW-Regeln für den Umgang mit einem solchen Fall zu bemühen. Die ARD beteiligt sich mit ihrer Berichterstattung an dieser Kriegspropaganda.

Im § 8 Abs. 3 des NDR-Staatsvertrages heißt es noch immer:

"Ziel aller Informationssendungen ist es, sachlich und umfassend zu unterrichten und damit zur selbständigen Urteilsbildung der Bürger und Bürgerinnen beizutragen."

Der Wahrheitspflicht nachzukommen heißt, vollständige Informationen zu geben. Vollständigkeit heißt wiederum nichts wegzulassen, was wichtig ist. Entlastendes wie Belastendes sind gleichermaßen darzustellen (BHG, NJW 1997, 1148). Fehlende Sendezeit oder zeitlicher Informationsdruck sind dem gegenüber unbeachtlich. (hier: Hahn/Vesting, Beck‘scher Kommentar zum Rundfunkrecht, Seite 450, Randnotiz 57)

Aus Transparenzgründen werden wir diese Programmbeschwerde sowie die Antwort der Programmverantwortlichen auf der Webseite des Vereins http://forum.publikumskonferenz.de/ veröffentlichen.


Mit freundlichen Grüßen

Jens Köhler
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Maren
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Re: Zweite Programmbeschwerde zur Skripal-Berichterstattung der ARD

Beitrag von Maren »

Sehr geehrter Herr Köhler,

da der Antwortbrief von Herrn Marmor an Sie wieder zurückkam, übersende ich ihn nun per E-Mail.

Mit freundlichen Grüßen

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