BR24 Rundschau Tendeziöse Berichterstattung NATO - Russland

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Maren
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BR24 Rundschau Tendeziöse Berichterstattung NATO - Russland

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Bayerischer Rundfunk
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Programmbeschwerde BR24 Rundschau 16.01.2022 18:30 Uhr
Einseitige, tendenziöse Berichterstattung bezüglich Russlands Forderung nach Sicherheitsgarantien und Stopp der NATO-Erweiterung nach Osten


Sehr geehrte Damen und Herren,

am 16.01.2022 18:30 Uhr sendeten Sie in Ihrem Format BR24 Rundschau einen Beitrag mit dem Titel „Hohe Erwartungen an Baerbock“. Dieser war einseitig und hinsichtlich der verwendeten Bilder und Gewichtung der Interviews propagandistisch tendenziös aufbereitet.

Der Beitrag begann mit einem Standbild, welches einen russischen Panzer mit einem riesigen Feuerball an der Mündung des Kanonenrohrs zeigte. Vor diesem bedrohlichen Bild leitete Ihre Moderatorin ein:

„Im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland haben die Diplomaten eine wahre Marathonwoche hinter sich. Der Erfolg lässt allerdings zu wünschen übrig, die Kriegsgefahr ist nicht gebannt. Eine schwierige Gefechtslage für die neue deutsche Außenministerin. Annalena Baerbock fliegt morgen in die Ukraine und dann weiter nach Moskau. Der Erwartungsdruck ist groß.“

Danach folgte ein Beitrag von Hans-Georg Sperl, mit Bildern von einer Militär-Eisenbahnverladung, danach Panzer bei einer Übung.

„Im fernen Sibirien wird russisches Militärgerät verladen, Raketenwerfer und Panzer, Vorbereitungen für das Manöver mit dem Namen Wostok 2022. Westliche Beobachter glauben jedoch, auch dieses Kriegsgerät könnte in Richtung ukrainische Grenze transportiert werden. Noch immer ist unklar, ob Kremlchef Putin die Ukraine tatsächlich angreifen würde. Die USA verhandeln inzwischen direkt mit Moskau, die Europäer sind außen vor. Eine schwierige Situation für Deutschlands Außenministerin Baerbock. Vor Ihrer Reise in die Ukraine und nach Moskau forderte Sie eine stärkere strategische Ausrichtung der EU, diese müsse souveräner werden.“

Danach folgte ein Originalton von Frau Baerbock und eine kurze Einblendung aus einer Pressekonferenz des russischen Außenministers Lawrow mit folgendem Kommentar aus dem Off: „Moskau wirft dem Westen vor, nach militärischer Überlegenheit zu streben. Der Kreml will unter anderem, dass die NATO keine weiteren ehemaligen Sowjetrepubliken wie die Ukraine in das Verteidigungsbündnis aufnimmt. Weiter zu Bildern einer NATO-Übung (welche jedoch nicht als solche gekennzeichnet wurden): Außerdem soll die NATO Ihre Truppen aus den östlichen Bündnisstaaten abziehen. Polen und die baltischen Staaten sind tiefst besorgt. Die NATO kann die russischen Forderungen kaum erfüllen, denn jede Nation, so NATO-Generalsekretär Stoltenberg, könne ihr Schicksal selbst bestimmen. Dieses Kernprinzip gehöre zum Fundament europäischer Sicherheit.“ (letzteres mit Originalvideo von Herrn Stoltenbergs Stellungnahme auf einer in Ihrem Beitrag nicht näher benannten Pressekonferenz).

Anschließend zu Bildern vom Treffen des NATO-Russland-Rats: „Beim ersten Treffen des NATO-Russland-Rats seit über zwei Jahren gab es keine politische Annäherung, kein Durchbruch. Sollte der Westen sich zu wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland durchringen, hätten vor allem die Deutschen mit dem Gaspipeline-Projekt Nordstream2 ein Problem, im Kriegsfall wäre das Energieversorgungsprojekt [kurze Pause] erledigt.“

Bei 2:30 Minuten dann weiter Ihre Moderatorin: „In diesem bedrohlichen Konflikt bitten wir Dr. Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik um eine Einordnung. Was ist für Sie die entscheidende Erkenntnis nach dieser diplomatischen Marathonwoche, Herr Kaim?“

Markus Kaim antwortete, dass nun ganz deutlich geworden sei, „dass Russland nun kein strategischer Partner mehr sei für den Westen.“ Danach referierte er komplett die Positionen, welche bereits NATO-Generalsekretär Stoltenberg geäußert hatte. Kaim erläuterte sogar noch ausführlicher als Herr Stoltenberg, dass die europäische Sicherheits-Architektur in Gefahr wäre, weil Russland eine weitere NATO-Osterweiterung ablehnt.

„Der entscheidende Punkt ist, dass Russland bei der Gestaltung der europäischen Sicherheitsordnung und bei der Bewältigung von Konflikten in der europäischen Nachbarschaft Russland kein Partner mehr sein kann aus genau den genannten Gründen die im Vorbericht angesprochen worden sind. Es verfolgt völlig andere Ordnungsvorstellungen als Europa, die NATO und die USA. Und diese Ordnungsvorstellungen sind inkompatibel. Zugleich hat der Befund etwas Erlösendes, weil - es schafft eine neue Lage, man kann sich keinen Illusionen mehr hingeben über das Wesen der russischen Außenpolitik. Und das ist ’ne neue Grundlage für die deutsche Russland-Politik.“

Frage der Moderatorin: „Das heißt die deutsche Außenpolitik muss sich auf dieser Basis neu aufstellen? Bundesaußenministerin Baerbock spricht ja immer von einer Diplomatie mit Härte, was heißt das jetzt konkret?“

Herr Kaim: „Ja das ist wirklich die entscheidende Frage, das klingt erst mal so wie aus dem Poesiealbum der Diplomatie, das muss erst mal ausbuchstabiert werden bei Ihrem Moskaubesuch, was das Moment der Härte ist. Das Moment der Diplomatie ist glaube ich klar, und da sind die Hebel der deutschen Politik und der europäischen Politik überschaubar, aber sie sind dennoch sehr schmerzhaft. Ein Stichortwort ist bereits genannt worden, Nordstream2 ist ein Projekt was innerhalb Europas hochgradig strittig ist und auch innerhalb der Koalition hochgradig strittig ist. Da wird die entscheidende Frage sein, ob man das Hebel nutzbar machen wird. Der zweite große Bereich ist eine weitere Ausweitung von Sanktionen, sollte es zu einer Eskalation in der Ukraine kommen. Und das dritte wäre tatsächlich die Frage einer gemeinsamen Verteidigung und Abschreckung gegenüber Russland, weil - ein Befund ist ja genauso bedrückend, dass sich Europa nicht länger auf den Schutz der USA verlassen kann, zumindest nicht auf Ewigkeit. Dementsprechend müssen eigene verteidigungs- und sicherheitspolitische Anstrengungen von Europa ausgehen.“

Frage der Moderatorin: „Noch zwei Sätze dazu. Wie kann denn Europa wieder ins Spiel kommen? Im Moment verhandeln ja die USA mit Russland über den Kopf von Europa hinweg.“

Herr Kaim: „In der Tat, das ist letztlich der bedrückendste Befund der vergangenen Woche, dass Europa nicht am Verhandlungstisch gesessen hat. Und auch weiter nicht sitzen wird. Trotz der Tatsache, dass es letztlich um die sicherheitspolitische Ordnung Europas gehen wird und das ist insofern nur eine Wiederholung des Bekannten, weil die Europäer nicht mit geeinter Stimme sprechen. Das ist vor allen Dingen gegenüber Russland deutlich geworden, wo es doch sehr unterschiedliche Stimmen gibt, zum Beispiel Polen, zum Beispiel Frankreich, und zum Beispiel der Bundesrepublik.“

Frage der Moderatorin: „Ihr Fazit noch in zwei Sätzen. Wie gefährlich ist die Lage aus Ihrer Sicht?“

Herr Kaim: „Also ich gehe nicht davon aus von einer unmittelbar bevorstehenden Militärinvasion der russischen Seite in die Ukraine. Die Sanktionen, die dann in Gang kommen würden, wären so schmerzhaft, dass Russland davon nichts gewinnen würde. Vor allem würde sie eine Reihe von Staaten nahezu in die Arme der NATO treiben, Finnland hat das bereits angedeutet, Schweden hat das bereits angedeutet. Also aus russischer Sicht wäre so eine Politik völlig kontraproduktiv. Entscheidend scheint mir zu sein, dass man mit dieser Eskalation Druck und einen Hebel auf die ukrainische Politik hat.“

Ihre Moderatorin bedankte sich bei 6:10 Minuten „ganz herzlich für die Einordnung“. Das Interview zur „Einordnung“ hat also über 3:30 Minuten gedauert.

3:30 Minuten lang haben Sie Ihre Zuschauer mit Wertungen vollgestopft und ihnen gesagt was sie gefälligst über diesen herbeigeredeten Konflikt zu denken haben. Sie haben Ihren Zuschauern keine Chance gelassen, sich selbst eine Meinung zu bilden z. B. anhand einer dafür erforderlichen Gegenüberstellung unterschiedlicher Positionen.

Sie haben sich im Beitrag allerdings in folgende Widersprüche begeben:

1. Anfangs des Beitrags haben sie mittels Bilder und Wortbeiträgen eine Bedrohungslage inszeniert, als ob in der Ukraine die russischen Panzer bereits schießen und Verstärkung aus Sibirien auch schon unterwegs sei. Es sei eine „schwierige Gefechtslage“ für Frau Baerbock, gerade so als ob Frau Baerbock in Kiew und Moskau einen bereits laufenden Krieg besprechen müsste. Bei Herrn Kaim klang das dann schon anders, er gehe nicht von einem unmittelbar bevorstehenden Krieg in der Ukraine aus.

2. Sie haben die Äußerungen von Herrn Stoltenberg, wonach die Freiheit der Bündniswahl Teil des Fundamentes der europäischen Sicherheit sei, nicht eingeordnet, obwohl dieser Punkt geradezu nach Einordnung schreit. Denn die vielzitierte „Freiheit der Bündniswahl“ ist kein völkerrechtliches Prinzip und hat schon Garnichts mit dem Fundament europäischer Sicherheit zu tun, sondern ist nichts mehr und nichts weniger als eine Formulierung im NATO-Bündnisvertrag. Das „Fundament der europäischen Sicherheit“ besteht eher aus den Vereinbarungen im Rahmen der OSZE.

3. Herr Kaim teilte mit, dass „die Ordnungsvorstellungen“ der russischen Außenpolitik „inkompatibel“ seien mit den „Ordnungsvorstellungen des Westens“. Dass diese Sicht der Stiftung Wissenschaft und Politik sich allein an geopolitischen Zielen des transatlantischen NATO-Bündnisses orientiert, war zu erwarten. Damit hat Herr Kaim sich allerdings dahingehend geoutet, dass ihm offenbar geltendes Völkerrecht einfach egal ist. Denn dazu gehört zum Beispiel die Charta der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

In der Charta steht unter anderem: „Kein Land darf seine eigene Sicherheit festigen zu Lasten der Sicherheit eines anderen Landes“.

Dies ist das Prinzip der unteilbaren Sicherheit. Und dieses völkerrechtlich verankerte Prinzip wird wie die Sicherheit Europas durch die kontinuierliche NATO-Osterweiterung in den Dreck getreten. Es geht bei der NATO-Osterweiterung nicht um Sicherheit, sondern um die immer weiter an die russischen Grenzen vorgeschobene Stationierung von US-Truppen und offensiven Waffensystemen. Wie würden sich denn die USA verhalten, wenn Russland auf Kuba Mittelstreckenraketen installieren würde, welche auf die USA gerichtet sind?

4. Sie haben dem Interview mit Herrn Kaim zwei Drittel der Zeit Ihres Gesamtbeitrags gewidmet und damit seine „Einordnung“ sehr stark gewichtet. Wie Sie die Wichtung der Bestandteile Ihrer Beiträge vornehmen, bleibt grundsätzlich Ihre Angelegenheit. In diesem Fall kennzeichnet es allerdings durchaus das Nichtvorhandensein von Unabhängigkeit Ihrer Berichterstattung.

Die Informationsstelle Militarisierung e.V. beschreibt die Stiftung Wissenschaft und Politik wie folgt (Auszug): „Die Stiftung mit ihren mehr als 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus unterschiedlichsten Bereichen finanziert sich zu einem großen Teil aus Bundesmitteln: im Haushaltsjahr 2006 bekam sie über 9 Millionen Euro aus dem Etat des Bundeskanzleramts. Daneben dienen Unternehmen – darunter auch Großbanken, Energie- und Rohstoffkonzerne sowie Unternehmen, die teilweise in der Rüstungsbranche tätig sind – als Förderer und Drittmittelgeber für die SWP.“ (Quelle: IMI Informationsstelle Militarisierung e.V.).

Zusammenfassung:

Wenn man Herrn Kaims Worten Glauben schenken will, hat die egoistische Engstirnigkeit der NATO zumindest eines bereits erreicht: Sie hat die EU-Europäer noch ein Stück weiter weggedrängt von ihrem großen europäischen Nachbarn Russland. Ganz entsprechend der Ziele der führenden NATO-Macht USA, ganz entsprechend der Wünsche eines Teils der Finanziers und Drittmittelgeber des Arbeitgebers von Herrn Dr. Kaim.

Dass damit auch Interessen von EU und Deutschland beeinträchtigt werden, wie z.B. die Sicherheit von Energie- und Rohstofflieferungen, Themen wie dem durch die USA einseitig gekündigten Atomabkommen mit dem Iran, oder die Kooperation beim Thema Cybersicherheit (wo die USA und Russland erst vor wenigen Tagen einen gemeinsamen konkreten Erfolg vorzuweisen hatten). All dies kam in Ihrem einseitigen Beitrag nicht vor, ganz zu schweigen von den möglichen Folgen der aggressiven NATO-Egomanie für den Frieden in Europa.

viewtopic.php?f=30&t=3308#p9920

Mit Ihrer Berichterstattung verstießen Sie gegen Teile des Bayerischen Rundfunkgesetzes sowie des Staatsvertrages zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland.

https://www.br.de/unternehmen/inhalt/or ... tz100.html
https://www.br.de/unternehmen/inhalt/or ... g-100.html

Bayerisches Rundfunkgesetz – BayRG

Art. 4
Programm und Werbung

(1) Die Sendungen des Bayerischen Rundfunks dienen der Bildung, Unterrichtung und Unterhaltung.
Sie sollen von demokratischer Gesinnung, von kulturellem Verantwortungsbewusstsein, von Menschlichkeit und Objektivität getragen sein (…). Der Bayerische Rundfunk hat den Rundfunkteilnehmern einen objektiven und umfassenden Überblick über das internationale, das nationale und das bayerische Geschehen in allen Lebensbereichen zu geben.

(2, Punkt 9)
Die Redakteure sind bei der Auswahl und Sendung der Nachrichten zu Objektivität und
Überparteilichkeit verpflichtet.

§ 3
Allgemeine Grundsätze

Die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das ZDF, das Deutschlandradio und alle Veranstalter bundesweit ausgerichteter privater Rundfunkprogramme haben in ihren Angeboten die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, die sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung sind zu achten. Die Angebote sollen dazu beitragen, die Achtung vor Leben, Freiheit und
körperlicher Unversehrtheit, vor Glauben und Meinungen anderer zu stärken.

§ 6
Sorgfaltspflichten

(1) Berichterstattung und Informationssendungen haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen, auch beim Einsatz virtueller Elemente, zu entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein. Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen.

§ 26
Auftrag

(1) Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern. Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. (…)
(2) Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.

Aus Gründen der Transparenz werden wir diese Programmbeschwerde sowie die Antwort der Programmverantwortlichen auf der Webseite des Vereins https://forum.publikumskonferenz.de/ veröffentlichen.

Mit freundlichen Grüßen


Jens Köhler
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Maren
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Re: BR24 Rundschau Tendeziöse Berichterstattung NATO - Russland

Beitrag von Maren »

Sehr geehrter Herr Köhler,

vielen Dank für Ihre Programmbeschwerde vom 17.01.2022 über die in ihrer Wahrnehmung „einseitige“ und „tendenziöse“ Russland-Berichterstattung in der BR24 Rundschau vom 16.01.2022. Als Programmdirektor Information des Bayerischen Rundfunks antworte ich Ihnen zuständigkeitshalber gerne.

Ich bedaure, dass Ihnen unsere Berichterstattung an dieser Stelle missfallen hat, komme nach einer Prüfung des Vorgangs aber zu anderen Schlüssen als Sie. Der Beitrag stellt die zum Sendungsdatum aktuelle Lage im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine völlig wertfrei dar. Die Positionen beider Seiten werden deutlich, dass die Lage an der russisch-ukrainischen Grenze bedrohlich war und noch immer ist, steht außer Frage. Den Begriff „schwierige Gefechtslage“ hat die Moderatorin nicht in einem militärischen Sinne verwendet, sondern als politischen Begriff für die Umschreibung der diplomatischen Mission von Bundesaußenministerin Baerbock. Da diese Doppeldeutigkeit in der Tat missverständlich ist, wäre hier eine alternative Formulierung möglicherweise aber geeigneter gewesen. Ihre Kritik an der fehlenden Einordung des Zitats von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kann ich nicht nachvollziehen. Im Beitrag wird nicht behauptet, dass die „Freiheit der Bündniswahl“ ein völkerrechtliches Prinzip ist. Dennoch sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich im Abschlussdokument des KSZE-Gipfels vom November 1990 die 35 Unterzeichnerstaaten einschließlich der damaligen Sowjetunion zum „Recht der Staaten, ihre sicherheitspolitischen Dispositionen frei zu treffen“ bekannten. Insofern kann ich hier keinen Fehler erkennen.

Kernelement Ihrer Kritik ist das rund dreieinhalbminütige Interview mit dem Leiter der Forschungsgruppe „Sicherheitspolitik“ der Stiftung Wissenschaft und Politik, Herrn Dr. Markus Kaim. Es ist in unserer Hauptnachrichtensendung üblich, täglich ein Gespräch zu einem aktuellen Thema einzuplanen. Herr Kaim erklärte darin sehr anschaulich die völlig unterschiedlichen ordnungspolitischen Vorstellungen Russlands und des Westens sowie seine Einschätzung, dass Russland kein strategischer Partner mehr für die EU sein könne. Dies ist eine Einordnung eines externen Experten, der als Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik, als Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich sowie an der Hertie School of Governance Berlin über große Reputation im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik verfügt.

Zudem ist Herr Kaim nur einer von zahlreichen wissenschaftlichen Expertinnen und Experten, die wir in unserem Programmangebot in Fernsehen, Hörfunk und Online im Zuge des Ukraine-Konfliktes regelmäßig befragen. Zwei weitere Gesprächspartner aus der jüngeren Zeit sind etwa Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln (am 20.1.2022 im Format „Possoch klärt“ für BR24 Digital) sowie Professor Carlo Masala vom Institut für Politikwissenschaft an der Bundeswehr Universität München (am 27.1.2022 Thema des Tages in BR24 Radio). Da jeder Experte einen eigenen, individuellen Blick auf die Ukraine-Krise hat, kann ich Ihren Eindruck, wir würden den Zuschauerinnen und Zuschauern sagen „was sie gefälligst (…) zu denken haben“ nicht nachvollziehen.
Ihr Vorwurf, der BR verstoße mit der von ihnen kritisierten Berichterstattung gegen das Bayerische Rundfunkgesetz, entbehrt jeder Grundlage.

Freundliche Grüße

Thomas Hinrichs
Programmdirektor Information
Bayerischer Rundfunk

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Maren
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Re: BR24 Rundschau Tendeziöse Berichterstattung NATO - Russland

Beitrag von Maren »

Bayerischer Rundfunk
Programmdirektion Information
Thomas Hinrichs
Floriansmühlstraße 60 | Haus 11
80939 München


Unsere Programmbeschwerde vom 17.01.2022 über den BR24 Rundschau Beitrag am 16.01.2022 / 18.30 Uhr,
Ihre E-Mail vom 03.02.2022



Sehr geehrter Herr Programmdirektor Hinrichs,

mit Ihrer Antwort bestätigen Sie unseren Vorwurf der Einseitigkeit. Ihre Sichtweise zum kritisierten Thema ist leider insgesamt einseitig. Dies zeigt sich zum Beispiel an Ihrem Verweis auf einen einzelnen Satz der OSZE-Charta von Paris von 1990. Völkerrecht ist aber nun mal nicht dafür geeignet, sich je nach bündnispolitischer Präferenz einzelne Sätze daraus herauszupicken.

Erstens ist die Charta von Paris von 1990 in der Zwischenzeit mehrmals ergänzt worden, zweitens haben Sie den von Ihnen zitierten Satz aus dem damaligen Kontext gerissen.

Der ganze Abschnitt las sich damals wie folgt:
"Die beispiellose Reduzierung der Streitkräfte durch den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa wird - gemeinsam mit neuen Ansätzen für Sicherheit und Zusammenarbeit innerhalb des KSZE-Prozesses - unser Verständnis von Sicherheit in Europa verändern und unseren Beziehungen eine neue Dimension verleihen. In diesem Zusammenhang bekennen wir uns zum Recht der Staaten, ihre sicherheitspolitischen Dispositionen frei zu treffen."
Der Kontext war damals eine bis dahin beispiellose Reduzierung der Streitkräfte in Europa, das war etwas ganz anderes als die kontinuierliche NATO-Osterweiterung.

Abgesehen davon wurde durch die OSZE der Sicherheitsbegriff weiterentwickelt, im Dokument von Istanbul von 1999 und im Dokument von Astana 2010. Im Dokument von Istanbul war bereits das Prinzip der unteilbaren Sicherheit beschrieben, unter anderem, dass kein Staat seine Sicherheit festigen darf zu Lasten eines anderen Staates. Im Dokument von Astana ist das Prinzip der unteilbaren Sicherheit im Abschnitt 3 beschrieben wie folgt:
“3. Die Sicherheit jedes Teilnehmerstaats ist untrennbar mit der Sicherheit aller anderen verbunden. Jeder Teilnehmerstaat hat das gleiche Recht auf Sicherheit. Wir bekräftigen das jedem einzelnen Teilnehmerstaat innewohnende Recht, seine Sicherheitsvereinbarungen einschließlich von Bündnissen frei zu wählen oder diese im Laufe ihrer Entwicklung zu verändern. Jeder Staat hat auch das Recht auf Neutralität. Jeder Staat wird diesbezüglich die Rechte aller anderen respektieren. Sie werden ihre Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten festigen. Innerhalb der OSZE kommt keinem Staat, keiner Staatengruppe oder Organisation mehr Verantwortung für die Erhaltung von Frieden und Stabilität in der OSZE-Region zu als anderen, noch kann einer/eine von ihnen irgendeinen Teil der OSZE-Region als seinen/ihren Einflussbereich betrachten. Wir werden unter Berücksichtigung völkerrechtlicher Verpflichtungen sowie der legitimen Sicherheitsanliegen anderer Staaten nur solche militärischen Fähigkeiten aufrechterhalten, die mit den individuellen oder kollektiven legitimen Sicherheitserfordernissen vereinbar sind. Wir bekräftigen ferner, dass alle OSZE-Prinzipien und -Verpflichtungen gleichermaßen und ausnahmslos für jeden Teilnehmerstaat gelten, und wir betonen, dass wir untereinander und gegenüber unseren Bürgern für ihre volle Umsetzung einstehen werden. Wir betrachten diese Verpflichtungen als unsere gemeinsame Errungenschaft und somit als unmittelbare und berechtigte Anliegen aller Teilnehmerstaaten.”
Wenn die NATO oder deren Fürsprecher in deutschen Redaktionsleitungen aus diesem aktuellen OSZE-Dokument eine Berechtigung der NATO herauslesen, sich immer mehr nach Osten auszudehnen, dann ist deren Leseverständnis ganz offensichtlich nur sehr selektiv ausgeprägt.

Das Kernelement unserer Kritik war nicht nur das lange Interview mit Herrn Kaim an sich, sondern dessen außerordentliche Überbewertung in Ihrem Beitrag. 60% der Sendezeit des Beitrags war mit den einseitigen Wertungen und Beurteilungen von Herrn Kaim ausgefüllt. Darauf, dass die Stiftung Wissenschaft und Politik durchaus nicht als unabhängig gelten kann laut der Informationsstelle für Militarisierung, sind Sie in Ihrer Antwort gar nicht eingegangen. Das wird auch nicht besser dadurch, dass Herr Kaim zusätzlich durch die von Ihnen genannten anderen Auftraggeber bezahlt wird.

Ebenso sind Sie nicht auf unseren Vorwurf eingegangen, dass Herr Kaim mit einem Teil seiner Wertungen einfach das Völkerrecht ignorierte. Stattdessen bekräftigen Sie geradezu in Ihrer Antwort die Unterschiede in den “ordnungspolitischen Vorstellungen” des Westens und Russlands. Von welchen “ordnungspolitischen Vorstellungen” des Westens schreiben Sie denn? Von dem, was im NATO-Bündnisvertrag geschrieben steht? Es ist doch ganz logisch, dass sich Russland nicht nach dem NATO-Bündnisvertrag richtet, sondern nach dem Völkerrecht, siehe oben im Abschnitt 3 des OSZE-Dokuments von Astana. Dieses Dokument spielte natürlich in der Parallelwelt von Herrn Kaim keine Rolle, und Sie haben sich auch nicht die Mühe gemacht zu recherchieren. Somit hatten Ihre Zuschauer keine Chance die Situation auf Basis von Fakten selbst zu beurteilen.

Sie meinen, Sie haben nicht gegen den bayrischen Rundfunkstaatsvertrag verstoßen. Dazu behalten wir jedoch unsere zuvor mitgeteilte Sichtweise bei. Außerdem haben Sie mit Ihrem Beitrag gegen den Medienstaatsvertrag verstoßen:

III. Abschnitt
Besondere Bestimmungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
§ 26
Auftrag

(1) Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern. Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. (…)

(2) Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.

Wir verlangen aus den oben beschriebenen Gründen, dass sich der bayrische Rundfunkrat mit unserer Programmbeschwerde und unserem Antwortschreiben befasst.

Mit freundlichen Grüßen

Jens Köhler
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Re: BR24 Rundschau Tendeziöse Berichterstattung NATO - Russland

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Antwort vom Rundfunkrat des BR:
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