„Es geschehen bei den Intensivstationen seltsame, unverständliche Dinge“

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Maren
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„Es geschehen bei den Intensivstationen seltsame, unverständliche Dinge“

Beitrag von Maren »

„Es geschehen bei den Intensivstationen seltsame, unverständliche Dinge“

In einem Interview unter diesem Titel auf welt.de vom 16.5. sagt Prof. Schrappe nicht weniger, als daß die politisch Verantwortlichen bewußt gelogen hätten, als sie über die Lage auf den Intensivstationen sprachen:

»Der Medizinprofessor und Gesundheitsökonom Matthias Schrappe, 65, war von 2007 bis 2011 stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrates Gesundheit. Er hat die Corona-Politik der Bundesregierung seit April 2020 kritisch begleitet. Zusammen mit neun weiteren Wissenschaftlern veröffentlicht er an diesem Sonntag ein brisantes Papier: Dieses legt Manipulationen in offiziellen Statistiken, Subventionsbetrug und zweifelhafte Verwendung von Fördermitteln nah.

WELT: Herr Schrappe, nach anderthalb Jahren Corona ist klar, dass die Pandemie einen Dreh- und Angelpunkt hatte: Es war die Angst, die Krankenhäuser könnten es nicht schaffen. Nach Ihren Recherchen hatte das groteske Konsequenzen. Welche?

Matthias Schrappe: Diese Angst gab es, und sie wurde politisch transportiert. Nach unseren Auswertungen kam sie in der Befürchtung, kein Intensivbett mehr zu bekommen, besonders drastisch zur Geltung. Die irrationalen und die kostspieligen Konsequenzen spiegeln das Divi-Intensivregister (Divi = Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, d. Red.) wider oder auch die Bundestagsdebatten. Nun steht fest: Die Angst vor knappen Intensivkapazitäten oder der Triage war unbegründet.

Und es steht weiter fest, dass das vielen Entscheidern während des gesamten Pandemieverlaufs bewusst gewesen sein muss. Die Bundesregierung nahm immerhin eine halbe Milliarde Euro in die Hand, um den Aufbau zusätzlicher Intensivbettenkapazitäten zu finanzieren. Nach unseren Recherchen scheinen diese Betten aber nicht existent zu sein. Sie sind offensichtlich niemals geschaffen worden oder wurden beantragt, obwohl es keine Pflegekräfte dafür gab.

WELT: Wie passt das zusammen mit dem Satz aus den Krankenhäusern – „Wir arbeiten am Anschlag“?

Schrappe: Auch auf den Höhepunkten aller drei Wellen waren nie mehr als 25 Prozent der Intensivbetten mit Covid-Patienten belegt. Deutschland hat europaweit die meisten Intensivbetten und steht auch weltweit an der Spitze. Man kann über das deutsche Gesundheitssystem so ziemlich alles sagen – nur nicht, dass wir nicht genügend stationäre und intensivmedizinische Kapazitäten haben.

Wir sind in jeglicher Hinsicht Europa- oder sogar Weltmeister. Wir haben die längste Liegedauer, die höchste Krankenhausdichte, die höchste Zahl von Intensivbetten pro 100.000 Einwohner, wir haben mehr als dreimal mehr Intensivbetten als Frankreich mit 7000 Betten. Wir haben zusätzlich 11.000 Betten als Notfallreserve, die wir freilich nie aufgebaut und nie in Betrieb genommen haben. Wir ängstigen uns auf hohem Niveau.

Lesen Sie hier die Stellungnahme des Forscherteams um Matthias Schrappe im Wortlaut.

WELT: Die Notfallreserve wurde nie aufgebaut?

Schrappe: So ist es. Die Mittel dafür sind dennoch geflossen. Nach dem Krankenhausentlastungsgesetz wurden für jedes neu aufgestellte Intensivbett 50.000 Euro zur Verfügung gestellt. Das Geld wurde auch bis zum 31. Dezember abgerufen. Es dürfte geflossen sein…

WELT: Es geht ja nicht nur um Betten. Es braucht auch die Pflegekräfte dazu. Es heißt, die hätten gefehlt, und ihre Zahl sei sogar zurückgegangen.

Schrappe: Dieses Argument kann man nachvollziehen. Aber wir sind dem nachgegangen; und nach den Daten der Bundesagentur für Arbeit ist es niemals zu einem Rückgang der Pflegekräfte gekommen, sondern zu einer erheblichen Aufstockung von 43.000 Pflegekräften allein im Jahr 2020. November und Dezember sind da noch nicht mit einberechnet. Irgendwo müssen die ja gelandet sein.

WELT: Waren das Intensivspezialisten? Es könnten auch Altenpfleger gewesen sein.

Schrappe: Richtig, aber auch dort ist bis heute die Rede vom Pflegemangel. Es gibt auch den Einwand, es sei hausintern kein Geld für Pflegekräfte da gewesen. Aber da muss die Frage erlaubt sein, was mit den Fördermitteln geschah, die 2020 geflossen sind. Insgesamt handelt es sich um mehr als zehn Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die gesamte Krankenhausversorgung in Deutschland kostet jährlich etwa 70 Milliarden Euro. Die Hilfsmittel waren unter anderem gedacht als Ausgleich für entgangene Operationen.

Da wurden also Pflegekräfte bezahlt, die nichts zu tun hatten. Warum hat man nicht die Chance genutzt, sie anderweitig einzusetzen? Warum hat man nicht die Gelegenheit genutzt, die Kräfte zu qualifizieren oder wieder anzulernen? Warum konnte Fachpersonal aus anderen Abteilungen in solch einer nationalen Notsituation nicht zumindest unter Anleitung auf Intensivstation arbeiten? Man hätte außerdem Wahl-Operationen verschieben müssen…

Schrappe: Unsere Zahlen zeigen: Gemessen an der Sieben-Tage-Melderate sind nirgendwo sonst auf der Welt so viele Covid-Kranke auf Intensivstation behandelt worden wie bei uns. Hinzu kommt: Ende April 2021 wurden 61 Prozent der Covid-Patienten in Krankenhäusern auf Intensivstationen behandelt. In der Schweiz waren es nur 25 Prozent, in Italien elf Prozent. Auch da sind wir weltweit die Nummer eins.

Erkranken Bundesbürger schwerer als die übrigen Menschen in Europa? Oder könnte es sein, dass manche Krankenhäuser sich in Erlösmaximierung versuchen? Oder ist es für manche Krankenhäuser einfacher, Corona-Patienten sofort auf die Intensivstation zu bringen, obwohl sie noch nicht intensivmedizinisch betreut werden müssen? Die Zahlen sind auffällig, und sie werfen Fragen auf…

WELT: Es hieß, die Intensivstationen füllten sich mit jüngeren Corona-Patienten. Von 30- bis 40-Jährigen ist die Rede.

Schrappe: Die Zahlen dazu lieferten die Verantwortlichen von RKI (Robert-Koch-Institut, d. Red.) und Divi erst Anfang Mai. Jetzt steht fest: Diese Altersgruppe macht keine drei Prozent aller Covid-Patienten auf Intensivstation aus.

Aber nicht nur die Datenlücken sind problematisch. Es wird auch nicht sorgfältig mit den Zahlen umgegangen. Es sind nicht nur 10.000 Intensivbetten seit Sommer verschwunden, sondern man hat offensichtlich retrospektiv die Zahlen vom letzten Sommer korrigiert.

WELT: Das ist eine starke Behauptung…

Schrappe: Wir haben die Zahlen seit Sommer regelmäßig dokumentiert. Wenn wir diese Daten mit den heutigen Zahlen im Divi-Archiv vergleichen, sind da plötzlich nicht mehr in der Spitze knapp 34.000 Betten gemeldet, sondern nur noch rund 30.000. Man hat rückwirkend systematisch eingegriffen, sodass überall 3000 Betten weniger verzeichnet sind. Das ist anrüchig, weil diese Zahlen politische Konsequenzen hatten. Die Betten stehen in Krankenhausbedarfsplänen, und diese Betten werden finanziert…«

https://www.corodok.de/es-intensivstationen-dinge/
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