Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihre Antwort.
Ich habe bez. der Auswirkungen der Syrien-Sanktionen und zur Forderung deren Aufhebung auch die Bundesregierung, namentlich die CDU und die SPD angeschrieben. Die Antwort, bisher ausschließlich von der SPD, ist ein ähnliches Drumherum reden, anstatt offen und ehrlich zuzugeben, dass es eine Binsenweisheit ist, dass Sanktionen vor allem immer die Zivilbevölkerung treffen.
Die SPD schreibt mir:
"Sehr geehrter Herr XXXXXX, vielen Dank für Ihre E-Mail, die uns am 11.12.2015 erreicht hat. Fluchtursachenbekämpfung ist Teil der SPD Politik. Es geht um umfassende und nachhaltige Maßnahmen. Sigmar Gabriel und Frank Walter Steinmeier haben dies jüngst betont. Sie können das hier nachlesen:
https://www.spd.de/aktuelles/detail/new ... 0/11/2015/ Richtig ist, dass die Weltgemeinschaft gefordert ist, dass die Nahrungsmittelversorgung erhalten bleibt und Heizung im Winter möglich ist. Die Sanktionen betreffen v.a. Finanzen und andere Güter, aber auch Öl. Sie können sich auch noch an das Auswärtige Amt wenden, die für diplomatische Verhandlungen zuständig sind."
Außer den 500 000 Kindern sind bei den Iraksanktionen auch noch schätzungsweise eine Million erwachsener Iraker
das Opfer dieser brutalen und rücksichtslosen Sanktionen geworden, die Albright zugibt, als wäre sie eben mal beim Falschabbiegen erwischt worden.
Ein weiteres Beispiel diesbezüglich, neben den Syrien- und Iraksanktionen, sind die Iransanktionen.
Die Iran-Sanktionen treffen die Falschen - Warum Embargos ihr Ziel verfehlen
Die Sanktionen gegen den Iran sind ein brutaler Angriff auf die Zivilbevölkerung, während die Tyrannen sich unbeeindruckt zeigen. Der Westen unterzieht die Iraner damit einer moralisch verwerflichen Kollektivstrafe, meint der Politologe Ali Fathollah-Nejad.
(...) Sanktionen gegen Iran faszinieren westliche Politiker, die sie als Zaubermittel der Zivilisation gegen die Barbarei begreifen. Wer sie ablehnt, wird als Kumpan des Tyrannen gebrandmarkt, dessen Zähmung er offensichtlich ablehne.
(...) Doch Widerrede ist angebracht. Zunächst einmal gilt es mit dem Mythos der gezielten Sanktionen aufzuräumen. Denn in Wahrheit haben wir es mit einem umfassenden Finanz- und Handelsembargo zu tun, das die gesamte iranische Wirtschaft lähmt und worunter die ganze Bevölkerung leidet. Haben wir uns je gefragt, wie es ist unter diesen Sanktionen zu leben? Wie es ist, wenn Lebenshaltungskosten unaufhörlich steigen, wenn die eigene Währung nicht mehr viel wert ist, wenn selbst lebenswichtige Medikamente zur Mangelware werden, dafür aber Korruption und wirtschaftliche Not grassieren?" (...)
http://www.deutschlandradiokultur.de/di ... _id=229239
Die Bilder, als in Teheran nach Bekanntgabe des Abschlusses des iranischen Atomabkommens mit der stufenweise
Aufhebung der Sanktionen die Menschenmassen auf die Straßen strömten und in Hupkonzerten der Autokorsos
durch die Stadt fuhren, läßt ungefähr erahnen, wie diese Sanktionen diese Menschen malträtierten. Fast alle Sanktionen des Westens nehmen billigend in Kauf, dass die
Zivilbevölkerung direkte Opfer werden, ganz egal, ob dass die Irak-Sanktionen waren, die Iran- oder Syrien-Sanktionen sind. Hinzu kommt außerdem noch, dass durch Unterbrechung von Finanzströmen die syrischen Gastarbeiter keine Möglichkeit mehr haben, ihren im Lande zurückgebliebenen Familien weiterhin existenzsicherndes Geld nach Hause zu überweisen.
Dabei folgen fast alles westlichen Sanktionen einem perfiden, zynischen und menschenverachtenden Kalkül:
Die Bevölkerung soll dadurch in eine ausweglose Situation gebracht werden, um sich dann in ihrer Verzweiflung gegen die eigene Führung aufzulehnen und diese dann nach Möglichkeit stürzt. Dass die Bevölkerung davor in großer Zahl in's Ausland flieht, steht dabei weniger auf dem Plan der Sanktionierer.
Sie schreiben mir:
"Wie groß die Auswirkungen der verhängten Sanktionen auf die Zivilbevölkerung sind, lässt sich schwer einordnen und kann nur in einer gesonderten Reportage mit hohem zeitlichen Aufwand von vor Ort thematisiert werden."
Das ist richtig und diese Reportagen gibt es. Ich lese gerade das 2015 erschienen Buch "Flächenbrand" von Karin Leukefeld und sie spricht auch mit Menschen, die die Auswirkungen dieser Sanktionen aus erster Hand kennen.
Ich zitiere aus dem Vorwort ihres Buches:
"Ende Februar 2011 hatte ich viele Interviews in Damaskus gemacht und junge Leute gefragt, warum sie nicht, wie in Tunesien oder Ägypten auf die Straße gingen. Anfang März bot ich dazu dem deutschen Hörfunk Reportagen an.
Eine Redakteurin zeigte Interesse: "Gerne, wenn schön hintergründig mit Schwerpunkt: Was hat Syrien anders gemacht, warum gibt es dort keine Revoltuionsanzeichen der jungen Generation, wie unterscheidet sich die demokratische Lage in Syrien von der in anderen Ländern" Das war am 16.3.2011.
Ich schrieb das Manuskript und schickte es am 23.3.2011 zu. Postwendend erhielt ich diese Nachricht: "Ich denke mich trifft der Schlag!! Sie schicken mir einen Beitrag über "ach wie schön ist Syrien" wo doch alles an allen Ecken und Kannten brennt. Also, das kann ich nun wirklich nicht gebrauchen. Mit paste und copy finden Sie zwei Agenturmeldungen, die die Lage wohl ziemlich gut beurteilen. Was sollen wir also nun mit Ihrem Beitrag machen?" Der Beitrag wurde abgesagt."
So geht man mit den Reportagen mit einer wahren Syrien-Expertin um. Auch die ganze Wahrheit über die verhängten Sanktionen wollen unsere Mächtigen nicht hören und dem leistet auch ARD-aktuell Folge.
Bereits 2012 fragte ARD-aktuell: „Wie lange hält Assads Wirtschaft das durch?“ und weiter: „Jetzt geht es Syriens Wirtschaft schlecht. 30 Prozent der Menschen lebten schon vor dem Volksaufstand von nicht viel mehr als einem Euro am Tag. Die Inflation galoppiert. Lebensmittel sind doppelt so teuer, Diesel und Importe knapp. Strom wird selbst in Damaskus drei Stunden abgeschaltet, anderswo länger“.
Meine Kritik, dass bei Berichten über die katastrophale Versorgungslage der syrischen Zivilbevölkerung auch auf die Existenz der Sanktionen hingewiesen werden muss, halte ich hiermit aufrecht und erneuere sie. Zumindest ein Hinweis auf die Existenz der Sanktionen muss erfolgen.
Nun möchte ich die Gelegenheit nutzen und noch kurz etwas Generelles zur Syrienberichterstattung schreiben.
Seit der "Operation Northwoods, der "Operation Mongoose" oder dem "Tonkin-Zwischenfall" kann mich so schnell nichts mehr erschüttern, aber was seit 2011 sich in Syrien und drumherum abspielt und abgespielt hat, hat mir nun doch fast die Sprache verschlagen.
Mehrere Einzelheiten waren mir schon bekannt, aber seitdem ich das Buch "Flächenbrand" lese und mich vermehrt mit den Einzelheiten des Syrienkrieges auseinandersetze, umso unglaublicher wirkt das alles auf mich.
Solch eine konzertierte Aktion von Großbritannien, Frankreich, den USA, Deutschland, der Türkei, Saudi Arabien, Katar und weiteren Akteuren sprengt fast mein Vorstellungsvermögen. Karin Leukefeld beschreibt ausführlich, wie seit 2011 Russland, immer wieder auch zusammen mit China versucht, eine Friedenslösung im Syrienkrieg zu erreichen. Der syrische Präsident Baschar al Assad ist oftmals zur Kooperation bereit. Die Unterstützung der UN-Sondergesandten, zuerst Kofi Annan, dann Lakhdar Brahimi, kommen zusätzlich noch mit dazu. Doch vor allem Großbritannien und Frankreich, aber auch noch andere, haben diese Ansätze zur friedlichen Beilegung dieses Krieges eiskalt sabotiert und hintertrieben. Die entnervte Aufgabe Annans und Brahimis waren unter anderem die Folge. 2012 wurde auch der Vorschlag des russischen UN-Gesandten Witali Tschurkin bekannt, wo es um einen "eleganten Abgang" Assads ging.
Darauf wurde ebenfalls nicht eingegangen. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Leukefeld selbstverständlich auch die syrische Führung kritisiert. Die Lage, wie Karin Leukefeld sie Anfang 2011 in Syrien beschreibt, deckt sich auch mit anderen Stimmen von vorort, während die westlichen Länder längst den Sturz Assads beschlossen hatten.
Diese brüskierten ihre eigenen Botschafter vorort.
Hierzu ein weiterer Auszug aus dem Buch, Seite 22:
"Die Brüskierung des französischen Botschafters bildete offenbar keine Ausnahme. Ali Haidar, in Syrien seit 2012 Minister für nationaleVersöhnung, erklärte mir Ende 2014: "Bevor das hier alles begann und bevor ich der Regierung angehörte, habe ich Kontakt zu den meisten Botschaftern hier gehabt. Damals haben die Botschafter gute und reale Informationen an ihrer Regierungen weitergeleitet. Die meisten Botschafter waren überrascht als ihre Aussenministerien diesen Schwenk vollzogen, obwohl ihnen ja die Berichte aus den Botschaften hier vorlagen. Ich kenne einen europäischen Botschafter, der geweint hat, als seine Regierung ihn abzog. Das waren seine Worte."
Erfreulich, dass die Berichterstattung von ARD-aktuell auch mal reale Berichte für die Gebührenzahler bereit hat:
https://www.tagesschau.de/ausland/chris ... n-101.html
Folgender Zusatz wäre auch noch schön gewesen:
12.10.2015
"(Rom) Der melkitische griechisch-katholische Erzbischof von Aleppo, Jean-Clement Jeanbart,
lobte im Schweizer Fernsehen die russische Militärintervention in Syrien zugunsten von Staatspräsident Baschar al-Assad. Der Erzbischof sprach von einer „Quelle der Hoffnung für die Christen des Landes“. Wladimir Putins Entscheidung helfe „der Sache der Christen“, so der katholische Erzbischof. Die Christen würden „neue Hoffnung und neues Vertrauen schöpfen“. Rußlands Präsident „löse das Problem“.
Nun freue ich mich auf die freien Tage, um Leukefelds Buch zu Ende lesen zu können und den Film "Ukrainian Agony" des Kriegsreporters Mark Bartalmei anschauen zu können, der in der ARD genauso gezeigt werden müßte, wie der Film "Zerissene Ukraine" von der mehrfach preisgekrönten Golineh Atai.
Das Ergebnis von neun Monaten Aufenthalt mitten im Bürgerkriegsgebiet.
Als hoffnungsloser Optimist habe ich ein ganzes Bündel an Hoffnungen, auch für das kommende Jahr:
Frieden in Syrien; möglichst viele Menschen mögen sich das Buch von Karin Leukefeld oder eines von Peter Scholl-Latour kaufen; möglichst viele Menschen schauen sich "Ukrainian Agony" an und ARD-Aktuell gelangt wieder zu der Zeit zurück, als ich es bewußt der Heute-Sendung des ZDF vorgezogen habe, weil es objektiver berichtete.
Mit freundlichen Grüßen,
XXXXXXXX
z.K.
Hr. Lutz Marmor
Ständige Publikumskonferenz der öffentl.-rechtl. Medien