Begriffsklärung "Annexion"

Hier veröffentlichen wir externe Programmbeschwerden mit freundlicher Genehmigung der Beschwerdeführer. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die in den Beschwerden thematisierten Anliegen ausschließlich in der Verantwortung der jeweiligen Beschwerdeführer liegen und diese nicht automatisch die Meinung der Forenbetreiber wiederspiegeln.
Gesperrt
Benutzeravatar
Maren
Beiträge: 7148
Registriert: 31. Januar 2014, 21:01
Wohnort: Bonn
Kontaktdaten:

Begriffsklärung "Annexion"

Beitrag von Maren »

Der Übersichtlichkeit halber wurde der Beitrag aus der Rubrik Leserbriefe in dieses Forum verschoben.

Gesendet: Sonntag, 22. November 2015
An: Zuschauerredaktion
Betreff: Begriffsklärung "Annexion"

Sehr geehrte Damen und Herren,

leider ist immer wieder in Ihren Programmen wie Tagesschau, heute wieder auf S. 108 im Teletext der Begriff "Annexion" zu lesen, wenn es um die Herstellung der Wiedervereinigung der Krim mit der Russischen Föderation geht.

Laut Duden-Definition handelt es sich bei einer Annexion um "gewaltsame und widerrechtliche Aneignung fremden Gebiets". Nach meinen – und doch wohl auch Ihren - Informationen treffen alle drei Charakteristika nicht zu:

1. Gewaltsam: Die Anberaumung, Durchführung und Auszählung der Abstimmung ist nach vielen übereinstimmenden Berichten völlig gewaltfrei verlaufen. Unter breiter Zustimmung und zur generellen großen Zufriedenheit der Krimbevölkerung. Nicht ein Schuss ist gefallen.

2. Widerrechtlich: Die Zustimmung (es war doch ein Plebiszit – oder irre ich mich??) der Bevölkerung, dass die Krim zu Russland gehören soll, lag bei über 80%. Insofern lief das ganze weit demokratischer ab als die Volkskammerabstimmung, die zum Anschluss der DDR und ihre anschließende Ausplünderung geführt hatte.

Wie Sie oder Ihr Rechercheverbund gewiss schon selbst herausgefunden haben, war die Krim in den 1960er Jahren von Nikita Chrustschow an die Ukrainische Volksrepublik zur Verwaltung übergeben worden, offenbar unter der als selbstverständlich angenommenen Voraussetzung, dass sowohl Russland als auch die ihm schon in der Vergangenheit wirtschaftlich und soziokulturell nahestehende Ukraine bis in die ferne Zukunft zur UdSSR gehören würden.

3. kann ein Gebiet Russland wohl kaum fremd sein, auf dem die Bevölkerungsmehrheit russisch und russischstämmig ist.

Ich möchte wirklich wissen, was in Sie gefahren ist, hier einen solchen Begriff immer wieder holzhammerartig zu missbrauchen. Stabilitätsstreben oder gar Friedenswillen kann man Ihren Schreibern und (Selbst-?) Zensoren wahrlich nicht unterstellen. Leider.

Weil der Begriff "Annexion" in diesem Zusammenhang irreführend und – so meine Meinung – volksverhetzend gegen die Russische Föderation eingesetzt wird, fordere ich Sie auf, seine Verwendung ab sofort zu unterlassen.

Sollten Sie zu Pkt. 1-3 wesentliche Anmerkungen haben, die in Ihren Augen den Begriff Annexion bezgl. der Krim rechtfertigen, bin ich gespannt.

Freundliche Grüße

XXXXXXXX

Die Zeit der Volksempfänger, da die Mehrheit der Bevölkerung nur den Ortssender empfangen konnte, istja vorbei – gepriesen sei die heutige Technik! U.a. von untenstehenden Portalen können Sie und andere "renommierte" Redaktionen offenbar noch etwas lernen. Die werden Sie ja kennen, stimmt's?


* http://www.free21.org
* http://www.hintergrund.de
* http://www.publikumskonferenz.de
* http://www.imi-online.de
* http://www.rtdeutsch.com
* http://www.jungewelt.de
* http://www.german-foreign-policy.com
* http://www.weltnetz.tv
* http://www.nachdenkseiten.de
Benutzeravatar
Maren
Beiträge: 7148
Registriert: 31. Januar 2014, 21:01
Wohnort: Bonn
Kontaktdaten:

Re: Begriffsklärung "Annexion"

Beitrag von Maren »

Im Auftrag von ard-aktuell_zuschauerpost@tagesschau.de
Gesendet: Donnerstag, 7. Januar 2016 14:52
Betreff: Antwort: Begriffsklärung "Annexion"


Sehr geehrter Herr XXXXXXXX,

vielen Dank für Ihre Nachricht.

Bitte entschuldigen Sie, dass wir jetzt erst antworten. Aufgrund der Vielzahl von Zuschriften, die uns derzeit erreichen, war dies leider nicht früher möglich.

Zu dem von Ihnen angesprochenen Themenkreis haben sich zahlreiche renommierte Wissenschaftler bereits umfänglich geäußert, u.a. der Völkerrechtler Claus Kreß, Direktor des Instituts für Friedenssicherungsrecht der Uni Köln, der international als Experte des völkerrechtlichen Gewaltverbots gilt. Auch er bezeichnet die Übernahme der Krim durch Russland als Annexion: "Tatsächlich haben russische Soldaten auf der Krim ihre Stützpunkte ohne die hierzu erforderliche Zustimmung der Ukraine verlassen, um ukrainische Militärstellungen und Hafeneinfahrten zu blockieren. Damit hat Russland gegen das Abkommen über die Schwarzmeerflotte verstoßen. Die Verwendung von im Ausland stationierten Truppen im Widerspruch zu einem Truppenstationierungsabkommen hat die Uno-Generalversammlung 1974 ausdrücklich als "Akt der Aggression" bezeichnet."

Das vollständige Interview mit Prof. Kreß können Sie hier nachlesen:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/k ... 61400.html

Nicht nur Völkerrechtler, sondern auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat die Annexion der Krim als eine völkerrechtswidrige Handlung Russlands verurteilt, wie Sie in der Zusammenfassung bei Wikipedia nachlesen können:
"Am 27. März 2014 nahm die Generalversammlung der Vereinten Nationen auf Antrag von Kanada, Costa Rica, Deutschland, Litauen, Polen und der Ukraine eine Resolution an, in der das Referendum vom 16. März für ungültig erklärt wurde. Sie bestätigte die Einheit der Ukraine und forderte alle Staaten, internationalen Organisationen und Sonderorganisationen auf, keine Änderung des Status der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol anzuerkennen und alle Handlungen oder Geschäfte zu unterlassen, die als Anerkennung eines solchen geänderten Status ausgelegt werden könnten. Die Resolution bezieht sich dabei ausdrücklich auf den Vorrang des in der UN-Charta festgeschriebenen Grundsatzes der territorialen Unversehrtheit aller Mitgliedsstaaten, das Budapester Memorandum von 1994 und den ukrainisch-russischen Freundschaftsvertrag vom Mai 1997." (https://de.wikipedia.org/wiki/Krimkrise)

Die am 14.09.2015 abgehaltenen Wahlen auf der Krim wurden schließlich nach russischem Recht durchgeführt, eine unabhängige Kontrolle bspw. durch die OSZE gab es nicht: http://www.dw.com/de/wahlen-auf-russisc ... a-17915528

Insofern ist die Redaktion davon überzeugt, von einer "Annexion" sprechen zu können.

Anmerkungen wie Ihre helfen uns, die eigene Arbeit immer wieder zu überprüfen und noch besser zu werden. Wir würden uns freuen, wenn Sie uns als kritischer Begleiter unserer Nachrichtenangebote erhalten blieben.

Mit freundlichen Grüßen
Publikumsservice ARD-aktuell
Gesperrt

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 9 Gäste