Unkritische Tendenzberichterstattung über das Attentat in Ankara

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Maren
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Unkritische Tendenzberichterstattung über das Attentat in Ankara

Beitrag von Maren »

Programmbeschwerde: Unkritische Tendenzberichterstattung über das Attentat in Ankara (13.3.16)

Tagesschau.de Stand: 14.03.2016 09:57 Uhr

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,

ARD-aktuell ließ sich einen Tag nach dem Attentat in Ankara zu folgender hochkreativer Darstellung des gesamtpolitischen Hintergrundes herbei:

„Die Türkei sieht sich mehreren Bedrohungen seiner Sicherheit ausgesetzt. Zum einen ist das Land Teil der von den USA angeführten Koalition im Kampf gegen den IS im Irak und in Syrien. Zugleich kämpft sie gegen kurdische Extremisten im Südosten der Türkei. Dort ist es nach dem Ende der Waffenruhe im Juli zum schwersten Ausbruch von Gewalt seit den 90er-Jahren gekommen. In den vergangenen Monaten waren türkische Städte mehrfach Ziel von Anschlägen. Einige wurden nach offiziellen Angaben vom IS verübt. Aber auch lokale Islamistengruppen und linke Aktivisten waren an Attentaten beteiligt. (...)“

Bevor wir das im Detail kommentieren, sei hier zunächst eine weitere Meisterleistung der Qualitätskompanie Gniffke zitiert:

(...) „Die US-Regierung bekräftigte seine (sic!) "starke Partnerschaft mit unserem NATO-Verbündeten Türkei im Kampf gegen die gemeinsame Bedrohung des Terrorismus", erklärte Außenamtssprecher John Kirby. Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg verurteilte die Bluttat von Ankara. "Es kann keine Rechtfertigung für solch heimtückische Gewaltakte geben", erklärte er.“ (...)

Die beiden Zitate aus dem gleichen Bericht haben eines gemeinsam: Sie sind klassische Beispiele für einfältige und anbiedernde Hofberichterstattung.

ARD-aktuell liefert nun auch von dem Attentat die türkische Regierungslesart pur und hält diese Offerte offensichtlich für Journalismus. Das Echo des „Westens“, also unserer „Wertegemeinschaft“, wird gleichermaßen ungedämpft weitergetrötet.

Zitat 1, nach Problematik zerlegt:

„Die Türkei sieht sich mehreren Bedrohungen seiner Sicherheit ausgesetzt."

Hier fehlt ein klärender Hinweis, dass diese „Sicht“ nur vorgeblich ist und in Wahrheit die türkische Repressionspolitik gegenüber der kurdischen Minderheit im Land die „Sicherheitsprobleme“ verursacht. Der Satz ist türkische Propaganda pur. Zum einen ist das Land Teil der von den USA angeführten Koalition im Kampf gegen den IS im Irak und in Syrien.
Hier fehlt der Hinweis, dass die Regierung Erdogan nur formal der USA-geführten Koalition gegen den IS angehört und dass sie praktisch mit dem IS kollaboriert, ihn logistisch unterstützt, seinen Kämpfern Waffen liefert, ihnen Unterschlupf, medizinische Versorgung und Ruheräume in der Türkei gewährt und Schwarzmarktgeschäfte mit seinem in Syrien und Irak geraubten Öl macht.

"Zugleich kämpft sie gegen kurdische Extremisten im Südosten der Türkei."

Hier fehlt der Hinweis, dass es sich bei den „Extremisten“ um die PKK handelt. Es fehlt eine Erklärung, dass die PKK von den UN nicht mehr auf der Liste der als terroristisch geltenden Gruppen geführt wird. Unerwähnt bleibt, dass es sich bei dem „kämpfen im Südosten" um eine türkische Offensive handelt, um einen Angriff, nicht um eine Verteidigung; die propagandistische Absicht in diesen Verkürzungen ist unübersehbar.

Dort ist es nach dem Ende der Waffenruhe im Juli zum schwersten Ausbruch von Gewalt seit den 90er-Jahren gekommen.
„zum schwersten Ausbruch von Gewalt gekommen“ ist eine bodenlose Verfälschung der Ereignisse. Die Türkei hat eine militärische Offensive gestartet, weil sie die kurdischen Autonomiewünsche im Keim ersticken will. Das wird ein Regierungssprecher in Ankara natürlich so nicht sagen. ARD-aktuell hätte es erkennen lassen müssen.

In den vergangenen Monaten waren türkische Städte mehrfach Ziel von Anschlägen. Einige wurden nach offiziellen Angaben vom IS verübt. Aber auch lokale Islamistengruppen und linke Aktivisten waren an Attentaten beteiligt. (...)“
Hier fehlt der Hinweis, dass diese Anschläge mit dem terroristischen Einsatz des türkischen Militärs – es handelt sich in der Tat um blanken Terror einer skrupellosen Spezialtruppe – gegen die Kurden im Südosten des Landes nichts zu tun haben und ihn ohnehin nicht rechtfertigen könnten.

Eine Gesamtbewertung nehmen wir am Schluss dieser Beschwerde vor. Hier erst noch
Zitat 2, nach Problematik zerlegt:

(...) „Die US-Regierung bekräftigte seine (sic!) "starke Partnerschaft mit unserem NATO-Verbündeten Türkei im Kampf gegen die gemeinsame Bedrohung des Terrorismus", erklärte Außenamtssprecher John Kirby.

Hier fehlt jeder Versuch einer Objektivierung und Relativierung. Die „starke Partnerschaft“ hatte vor wenigen Tagen ihren Ausdruck darin gefunden, dass Washington das Regime Erdogan mit scharfen diplomatischen Mitteln von dessen Versuchen abbringen musste, sein Militär auf syrisches Gebiet vorrücken zu lassen. Auch gibt es erhebliche Spannungen zwischen den USA und Ankara, seit die türkische Luftwaffe ein russisches Kampfflugzeug völkerrechtswidrig über Syrien abschoss.

Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg verurteilte die Bluttat von Ankara. "Es kann keine Rechtfertigung für solch heimtückische Gewaltakte geben", erklärte er.“ (...)

Hier wird nicht einmal ansatzweise merklich, wie überflüssig diese „Information“ ist, wie rein propagandistischen Zwecken gewidmet. Dass der NATO-Vormann heuchlerisch moralisiert, da die Drohnenangriffe und anderen völkerrechtswidrigen Bombardements der „transatlantischen Verteidungsorganisation“ nicht minder heimtückische und durch nichts zu rechtfertigende Gewaltakte darstellen, das hätte zumindest den Verzicht auf diese einseitige verbale Widerwärtigkeit erfordert.

Und hier nun unsere Gesamtbegründung für die vorliegende Beschwerde:

ARD-aktuell liefert in typischer PR-Diktion Regierungspropaganda, ohne auch nur einen Versuch gemacht zu haben, distanziert zu berichten und die Sprücheklopferei der Kriegstreiber in Washington und Ankara auf ihren objektiven Informationsgehalt zu reduzieren. Ein solcher- auch handwerklich schlechter - Journalismus ist mit wohlverstandenem Auftrag und Ziel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht in Einklang zu bringen.

Höflich grüßen

Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer
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Maren
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Re: Unkritische Tendenzberichterstattung über das Attentat in Ankara

Beitrag von Maren »

Stellungnahme ARD-aktuell:
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Maren
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Re: Unkritische Tendenzberichterstattung über das Attentat in Ankara

Beitrag von Maren »

Programmbeschwerde vom 14. März 2016/ NDR-Stellungnahme v. 31.3.16 - Ankara-Attentat

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Stellungnahme des NDR hat uns in keiner Weise zufriedenstellen können:

Wir hatten gesagt: "ARD-aktuell ließ sich einen Tag nach dem Attentat in Ankara zu folgender hochkreativen Darstellung des gesamtpolitischen Hintergrundes herbei: „Die Türkei sieht sich mehreren Bedrohungen seiner Sicherheit ausgesetzt. Zum einen ist das Land Teil der von den USA angeführten Koalition im Kampf gegen den IS im Irak und in Syrien. Zugleich kämpft sie gegen kurdische Extremisten im Südosten der Türkei. Dort ist es nach dem Ende der Waffenruhe im Juli zum schwersten Ausbruch von Gewalt seit den 90er-Jahren gekommen. In den vergangenen Monaten waren türkische Städte mehrfach Ziel von Anschlägen. Einige wurden nach offiziellen Angaben vom IS verübt. Aber auch lokale Islamistengruppen und linke Aktivisten waren an Attentaten beteiligt....."

Bevor wir das im Detail kommentieren, sei hier zunächst eine weitere Meisterleistung der Qualitätskompanie Gniffke zitiert:

(...) „Die US-Regierung bekräftigte seine (sic!) "starke Partnerschaft mit unserem NATO-Verbündeten Türkei im Kampf gegen die gemeinsame Bedrohung desTerrorismus", erklärte Außenamtssprecher John Kirby. Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg verurteilte die Bluttat von Ankara. "Es kann keine Rechtfertigung für solch heimtückische Gewaltakte geben", erklärte er.“ (...)

Sie sind klassische Beispiele für einfältige und anbiedernde Hofberichterstattung Ard-aktuell liefert nun auch von dem Attentat die türkische Regierungslesart pur und hält diese Offerte offensichtlich für Journalismus. Das Echo des „Westens“, also unserer„Wertegemeinschaft“, wird gleichermaßen ungedämpft weitergetrötet.

Dr. Gniffke:
"Im konkreten Fall ging es jedoch nicht darum, das Verhältnis zwischen der Türkei und den USA detailliert zu beleuchten, sondern es ging lediglich um die Zusammenfassung und Darstellung von internationalen Reaktionen auf den Anschlag. Über die Kritik der USA an der Türkei, zum Beispiel in Bezug auf die Pressefreiheit, hatte tagesschau.de erst knappe zehn Tage vorher berichtet, und dabei ebenfalls US-Außenamtssprecher Kirby...“

Bewertung:
Dr. Gniffke lenkt ab. Auf die eingeschränkte Pressefreiheit hatten wir gar nicht verwiesen. "Die Türkei sieht sich mehreren Bedrohungen seiner Sicherheit ausgesetzt" ist eine distanzlose Formulierung, die auch nicht den Tatsachen
entspricht. Die Bedrohung geht von der Türkei aus, denn das Unterlaufen des Kampfes gegen den IS bedroht sowohl den syrischen Staat als auch den Erfolg der US-Mission. Mit dem innertürkische Militäreinsatz bedroht Sultan Erdogan die Kurden, nicht sich selbst. Hier hätte es zumindest heissen müssen; "Die Türkei behauptet, mehreren vermeintlichen Bedrohungen... ausgesetzt zu sein". Die Formulierung "zugleich kämpft sie im Südosten des Landes gegen kurdische Extremisten..." ist verharmlosend: Erdogan hat im türkischen Parlament angekündigt, die PKK "vernichten" zu wollen, das hat eine andere Qualität als der neutralisierende Begriff „kämpfen". Der ARD-aktuell-Hinweis auf lokale "Islamistengruppen und linke Aktivisten" ist falsch und lenkt von der Vernichtungsstrategie gegen die PKK ab. Insofern
muss Gniffke sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er mit seinen Nachrichten das Geschäft Erdogans betreibt (nicht zum ersten Mal!).

Auch die anderen Einwände in unserer Programmbeschwerde sind nicht widerlegt: Die undistanzierte Wiedergabe der
Propagandaäußerungen von Kerby und Stoltenberg sind in Form und Diktion vergleichbar mit früheren Verlautbarungen des Politbüros der Sowjetunion und seiner Medien. Dass es nur auf die Zusammenstellung internationaler Reaktionen angekommen sei, ist ein typisches Argument von Propagandisten. Dr. Gniffke tut sol, als sei er nicht in der Lage, die Bedeutung der Sprache auf die Beeinflussung von Menschen einzuschätzen.

Wir fassen zusammen:
ARD-aktuell liefert Regierungspropaganda, ohne auch nur einen Versuch gemacht zu haben, distanziert zu berichten und die Sprücheklopferei der Kriegstreiber in Washington und Ankara auf ihren objektiven Informationsgehalt zu reduzieren. Ein solcherauch „handwerklich“, also grammatikalisch und orthografisch schlechter Journalismus ist mit wohlverstandenem Auftrag und Ziel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht in Einklang zu bringen.

Es liegt mithin ein Staatsvertragsverstoß vor.

Mit höflichen Grüßen
F. Klinkhammer und V. Bräutigam
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