Programmbeschwerde zur Berichterstattung über Betrug in den Pflegeeinrichtungen

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Maren
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Programmbeschwerde zur Berichterstattung über Betrug in den Pflegeeinrichtungen

Beitrag von Maren »

Programmbeschwerde zur Berichterstattung über Betrug in den Pflegeeinrichtungen

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,

ein paar Tage vor der der rechtlichen Klarstellung, dass das BKA auf zum Teil verfassungswidriger Grundlage agiert, versuchte die Behörde in typischer Public Relation-Manier vom rechtlichen Problem abzulenken und auf die eigene Unentbehrlichkeit hinzuweisen. Und wie immer reagierten die Mainstream-Medien, incl ARD-aktuell, prompt und unterstützend. ARD-aktuell brachte zwischen dem 16. und 18. April in allen seinen Formaten, sowohl in der Tagesschau als auch im Internet, vom BKA initiierte Berichte über Betrügereien in der ambulanten Pflege. Zitate aus tagesschau.de, die in gleicher Weise auch in den TV-Sendungen angeboten wurden (Hervorhebungen von uns):

„ ... haben Kranken- und Pflegekassen sowie Sozialämter zuletzt jährlich deutlich über 20 Milliarden Euro für die Patientenversorgung ausgegeben. Teile dieses Geldes sind allerdings in kriminelle Kanäle geflossen, schätzt das Bundeskriminalamt (BKA). ... geht die Behörde davon aus, dass vor allem russische Pflegedienste systematisch und organisiert in diesem System betrügen. ... die Behörde hat in erster Linie russische Pflegedienste im Verdacht. ... liegen interne Dokumente vor, in denen das BKA unter anderem folgendes Fazit zieht: "Beim Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen durch ambulante Pflegedienste, die mehrheitlich von Personen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion geführt werden, handelt es sich um ein bundesweites Phänomen."

Weiter heißt es in den Dokumenten: "In Einzelfällen sind Informationen bekannt, laut denen die Investition in russische, ambulante Pflegedienste ein Geschäftsfeld russisch-eurasischer Organisierter Kriminalität ist."

Die vertraulichen Berichte selbst kann das BKA nicht kommentieren. Schriftlich teilt es aber Grundsätzliches mit:

"Insbesondere den kommunalen Sozialhilfeträgern sowie den gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, also letztlich der Allgemeinheit, entstehen beträchtliche finanzielle Schäden. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns gemeinsam mit den Polizeibehörden der Bundesländer mit diesem Phänomen befassen und Straftaten aufklären." Aktuellen Schätzungen zufolge liegt der so entstandene Schaden bei jährlich mindestens einer Milliarde Euro. ... Bundesweit laufen Dutzende Ermittlungsverfahren."

Die Hervorhebungen machen kenntlich, was wir in diesen Berichten vor uns haben: distanz- und kritiklose Wiedergabe von Spekulationen, Mutmaßungen und Schätzungen des Bundeskriminalamts, einer längst selbst auch nicht mehr vollkommen unverdächtigen Geheimpolizei. Diese „Nachrichten“ von ARD-aktuell wurden ersichtlich nicht eigenständig überprüft, es erfolgte keine Kontrolle ihres Wahrheitsgehalts. Weder wurde nachgefragt, wieviele staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen Pflegedienste tatsächlich eingeleitet wurden. Noch, in welchem Mengenverhältnis einheimische und ausländische Pflegedienste im Visier der Ermittler sind. Es wird nur von „dutzenden Ermittlungsverfahren“ berichtet. Es ist demnach noch nicht enmal eine einzige Anklage erhoben worden. Auf Basis bloß spekulativer Behauptungen einer Behörde betreibt ARD-aktuell reinsten Verlautbarungsjournalismus, wie ein Regierungsorgan das eben so macht.

Und wie selbstverständlich wird wieder die antirussische Karte gezogen. Unbedacht und unerwähnt bleibt, dass mehr als zwei Millionen ‚Russischsprachige‘ sich ins geeinte Deutschland integriert haben und nun unter Generalverdacht stehen, (der erste Schritt zur pegida-vergleichbaren Hetze gegen andere Bevölkerungsteile).

Einige der "Russischstämmigen" haben möglicherweise ein Unternehmen zur Betreuung von pflegebedürftigen Deutschen aufgemacht, insbesondere wegen der im Pflegebereich gesetzlich begünstigten Ausbeutungspotentiale von billigen ausländischen Arbeitskräften. Ein „Vorteil“, den in dieser Branche allerdings nicht nur „Russen“ nutzen. Manche der privaten Pflegedienste betreiben ihr Unternehmen in äußerst fragwürdiger Weise. Aber andere als „russische“ Betrüger in diesem Geschwäftszweig (es gibt solche Schwarzen Schafe fraglos auch in anderer Nationalität) werden mit keinem Wort genannt.

Auszug aus dem NDR-Staatsvertrag, Programmauftrag, § 8, Abs. 3:

Berichterstattung und Informationssendungen haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen,... zu entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein. Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen.

Bei Berichten über Betrügereien in der Pflege gehörte zu den anerkannten journalistischen Grundsätzen, die Angaben einer Regierungsbehörde auf Faktentreue und objektiven Gehalt zu überprüfen, erst recht, wenn es sich bei dem Hinweisgeber um eine Behörde handelt, die, wie die anderen Geheimdienste auch, längst keinen Ruf mehr zu verlieren hat. Weil ausdrücklich nur von „Verdacht“ die Rede war und die Behörde selbst lediglich „Einschätzungen“ liefert, ein „Fazit“ zieht und „davon ausgeht“, im übrigen aber „nicht kommentieren kann“, hätte es zu den journalistischen Grundsätzen gehört und gemäß Staatsvertragsaufgabe auf Wahrheit geprüft werden müssen, was an Konkretem hinter der antirusissische Heißluft des BKA steht. Die bloße Bezugnahme der Tagesschau auf „vertrauliche Berichte“ einer geheimdienstlichen Behörde entspricht nicht der Verpflichtung zur Sachlichkeit, die der Staatsvertrag ausdrücklich verlangt. Die Redaktion hätte zumindest nachfragen müssen, welche weiteren Verdächtigen es gibt, wieviele Anklagen erhoben wurden, wieviele Verurteilungen vorliegen, wer die Beschuldigten sind. Stattdessen wurde nur ein Schwall von Vermutungen und allgemeinen Verdächtigungen vorgebracht.

Zu den anerkannten journalistischen Grundsätzen hätte es gehört, das Thema rational einzuordnen: Abrechnungs- und Steuerbetrug sind in unserer Gesellschaft gang und gäbe. Ein „geschätzter“ (!) Schadensumfang von 1 Mrd Euro ist, gemessen am Gesamtschaden, den dieser Form der Kriminalität unserem Gemeinwesen zufügt, nur die Spitze des Eisberges..

Mit unabhängiger und um Objektivität bemühter Berichterstattung hatte ARD-aktuell auch in diesem Fall wieder einmal nichts am Hut.

Wir stellen einen groben Verstoß gegen die Bestimmungen des Staatsvertrags fest und bitten um Überprüfung.

Höflich grüßen

Volker Bräutigam + Friedhelm Klinkhammer
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Maren
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Re: Programmbeschwerde zur Berichterstattung über Betrug in den Pflegeeinrichtungen

Beitrag von Maren »

Russische Pflegedienste - Programmbeschwerde vom 21.4.2016

Hier: Stellungnahme des Herrn Dr. Gniffke vom 9.5.2016
2016 05 10_ Betrug Pflegeeinrichtungen_geschwärzt.pdf
(5.81 MiB) 705-mal heruntergeladen
Die Ausführungen des Herrn Dr. Gniffke sind nicht geeignet, ihn vom Vorwurf des Programmverstoßes zu entlasten.

Zugegeben wird, dass der Beitrag auf einseitig abgeschriebene Darstellungen des BKA , der Springerpresse und des BR beruhen. Dies ist deswegen besonders zu verurteilen, weil Behauptungen übernommen wurden, die – ohne sie im geringsten geprüft zu haben - kriminelle Verdächtungen gegenüber einem Teil der russisch-stämmigen Bevölkerung anfachen. Im Klartext nennt man das wohl: Verstärken fremdenfeindlicher Vorurteile durch ARD-aktuell,man könnte es
auch als strafbare Volksverhetzung bezeichnen.

Herr Gniffke ist sich dessen auch klar, denn er räumt später ein, dass die Unregelmäßigkeiten in den Pflegediensten letztlich nicht auf die "russische Kriminalität", sondern auf die mangelnde Kontrolle der Pflegeorganisationen zurückzuführen sind. Damit hat er sich zusammen mit Springer, dem BR und dem BKA aber in den Dienst der typisch deutschen Fremdenfeindlichkeit gestellt.

Auch der Vorwurf der Instrumentalisierung durch das BKA ist berechtigt. Dem BKA ging es vor dem zu erwartenden Urteil vorsorglich um die Verbesserung des Eigen-Images. Zur Kompensation – das weiß hierzulande jeder – bieten sich immer Russenvorbehalte an, egal, welche Sachverhalte dem zugrundeliegen. Und genau diese Erwartungshaltung und diesen Reflex hat ARD-aktuell bedient. Im übrigen beziehen wir uns auf die Programmbeschwerde vom 21.4.2016.

F.Klinkhammer/V. Bräutigam
25.5.2016
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