Sehr geehrte Damen und Herren Rundfunkräte,
bei Programmbeschwerden über unterdrückte bzw. unterlassene Nachrichten in den Sendungen der ARD-aktuell erklärt dessen Vorsitzende Ursula Thümler neuerdings den NDR Rundfunkrat für unzuständig:
„... haben wir Ihre Kritik zur Kenntnis genommen und sie an die zuständige Redaktion im NDR weitergeleitet. Der Rundfunkrat ist darüber hinaus nicht befugt, in die Programmgestaltung des NDR einzugreifen oder auf die auf Basis anerkannter journalistischer Grundsätze getroffene Themenwahl Einfluss zu nehmen. Nach § 18 Absatz 2 des NDR-Staatsvertrages kann der Rundfunkrat nur solche Beiträge im Wege einer Beschwerde überprüfen, die bereits gesendet oder veröffentlicht wurden, da zum einen eine Kontrolle des Programms vor der Ausstrahlung nicht zulässig ist und zum anderen die tatsächlichen Inhalte Gegenstand der Programmkontrolle sind."
Mit Verlaub, dieser abenteuerlichen Rechtfertigung einer faktischen Arbeitsverweigerung (mutmaßlich aufgrund einer wachsenden Zahl von Programmbeschwerden) ist entschieden zu widersprechen.
Das machen wir hier mal schön der Reihe nach.
„Jeder hat das Recht, sich mit Eingaben und Anregungen zur Programmgestaltung an den Rundfunkrat sowie an den Intendanten zu wenden“,
heißt es in §13 des NDR Staatsvertrags. Unter „Eingabe“ ist eine „...an eine Behörde oder Volksvertretung gerichtete Bitte oder Beschwerde“ zu verstehen. (
https://de.wikipedia.org/wiki/Eingabe). Auch „Programmbeschwerden“ sind also per definitionem eine Eingabe. Logisch, nicht?
Der NDR-Staatsvertrag, ein Werk mit Gesetzeskraft, schreibt knapp und eindeutig vor:
„(§5) Der NDR hat den Rundfunkteilnehmern und Rundfunkteilnehmerinnen einen objektiven und umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und länderbezogene Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben.“
Abermals wollen wir die Logik bemühen: „Umfassend“ heißt, dass wichtige Informationen nicht unterdrückt bzw. einfach weggelassen werden dürfen. Denn, und das ist wunderhübsch in diesem Vertrag dargelegt:
"(§8) Ziel aller Informationssendungen ist es, sachlich und umfassend zu unterrichten und damit zur selbständigen Urteilsbildung der Bürger und Bürgerinnen beizutragen.“
Dass Nachrichtenunterdrückung nicht sonderlich zur selbständigen Urteilsbildung der Bürger beiträgt, dürfte unstreitig sein. Eine Beschwerde darüber, dass einzelne Sendungen aufgrund ihrer Unvollständigkeit bzw. unterdrückter Nachrichten eine Rechtsverletzung darstellen, einen Verstoß gegen den Programmauftrag des NDR, ist deshalb nicht nur zulässig, sondern aus staatsbürgerlicher Sicht geradezu geboten.
Wenden wir uns nun der spannenden Frage zu, ob der Rundfunkrat auch für die Beschwerden über Nachrichtenunterdrückung zuständig ist. Die Vorsitzende behauptet, das Gremium sei dazu nicht befugt, denn seine Kontrollaufgabe beschränke sich auf "tatsächlich gesendete Inhalte". Mit anderen Worten: Was nicht gesendet worden sei, dürfe der Rundfunkrat auch nicht kontrollieren.
Soll er ja auch gar nicht. Er soll nicht kontrollieren, was nicht gesendet wurde, sondern er soll kontrollieren, dass und warum etwas nicht gesendet wurde. Wie aber macht man das dieser Rundfunkratsvorsitzenden begreiflich?
Eine Programmbeschwerde über einen Fall von Nachrichtenunterdrückung kann, das sagt die Logik, nur bezogen sein auf eine oder mehrere zurückliegende, bereits ausgeführte Sendungen, in denen das Fehlen einer an sich notwendigen Information aufgefallen und nachweisbar ist. Adressaten der Beschwerde sind Intendant und/oder Rundfunkrat, so steht es im Staatsvertrag. Der sagt:
„(§18,2) Der Rundfunkrat überwacht die Einhaltung der Programmanforderungen“
also, hat er, wie oben vermerkt, auch die Frage der Vollständigkeit der Informationen zu überwachen (dass ein „objektiver und umfassender Überblick“ gegeben wird). Der Rundfunkrat hat, anders als seine Vorsitzende fälschlich darlegt, sogar noch weitergehende Aufgaben und Rechte:
„(§18) Er kann feststellen, dass einzelne Sendungen gegen diese Anforderungen verstoßen, und den Intendanten anweisen, einen festgestellten Verstoß nicht fortzusetzen oder künftig zu unterlassen.“
Ein konstruiertes Beispiel: Stellen wir uns einen Zwischenfall im Bundestag vor: Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder hat sich an ukrainischen Vorbildern orientiert und dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann eine geschallert. ARD-aktuell hat den Vorfall staatsfromm verschwiegen, weil Ohrfeigen Misshelligkeiten in der Großen Koalition offenbaren würden. Der Pseudologik Ihrer Frau Vorsitzenden Thümler gemäß wäre der Rundfunkrat für eine Beschwerde „Nachrichtenunterdrückung!“ aber gar nicht zuständig, denn der „Inhalt“ (Kauder watscht Oppermann) ist nicht berichtet, nicht gesendet worden. Was wäre davon wohl zu halten? Hätte ARD-aktuell (in unserem konstruierten Beispiel) erst fälschlich berichten müssen, Kauder habe dem Oppermann nicht nur eine, sondern gleich zweie geknallt, und es läge dann keine Nachrichtenunterdrückung, sondern eine Falschnachricht vor, müsste der Thümler-Logik zufolge der Rundfunkrat eine Beschwerde darüber dann aber behandeln, denn der „Inhalt“ wäre ja gesendet gewesen?
Nun erlauben wir uns angesichts dieser erschütternd verqueren Gedankenführung nur noch die Nachfrage: Und was ist, wenn in unserem konstruierten Fall nicht nur der Volker Kauder den Thomas Oppermann gewatscht, sondern der Oppermann den Kauder zurückgewatscht hat, die Tagesschau aber nur über die Kauderwatsche berichtet und die Information über die Oppermannwatsche unterdrückt hat? Proklamiert der NDR-Rundfunkrat im Falle einer Programmbeschwerde wegen partieller Nachrichtenunterdrückung dann seine Halbzuständigkeit? Anders gefragt: Kann ein öffentlich bestelltes Aufsichtsgremium wie der NDR Rundfunkrat seine Arbeitsverweigerung noch aberwitziger begründen als die Vorsitzende Thümler es hier probiert?
Das Ziel einer Programmbeschwerde wegen Nachrichtenunterdrückung ist, dass der Rundfunkrat korrigierend eingreift und Wiederholungsfälle ausschließt. Nachrichtenunterschlagung ist eine besonders üble Form von Manipulation, eindeutig ein Verstoß gegen den Programmauftrag und gegen die Programmrichtlinien. Dies zu ignorieren bzw. die Zuständigkeit des Rundfunkrates dafür mit spitzfindigen und abwegigen Behauptungen zu bestreiten, ist eine Missachtung des Eingaberechts der Rundfunkteilnehmer. Noch mehr: Es ist eine Verhöhnung des Publikums.
Treiben wir also, wie im Umgang mit Ihnen offenbar nörtig, den Formalismus auf die Spitze. Um unsere Beschwerde in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des § 18 zu bringen, erweitern wir unsere Ausführungen vom 27.12.16:
„Die Sendungen "Tagesschau", "Tagesthemen" und "Tagesschau.de" haben gegen das Gebot der im Programmauftrag vorgesehenen umfassenden Berichterstattung deswegen verstoßen, weil über die Mitteilung des Landeskriminalamtes nicht berichtet wurde. Mit dem Unterdrücken dieser Nachricht wird verhindert, dass die Zuschauer sich ein Bild darüber machen können, mit welcher Doppelzüngigkeit in Deutschland mit dem Thema "Rechtsradikalismus" umgegangen und in welchem Umfang hier mit zweierlei Maß gemessen wird.“
Ihren Anspruch auf gründliche Haarspalterei werden wir ab sofort immer berücksichtigen, einen entsprechenden Textbaustein formulieren und ihn bei erwartbaren Fällen von Nachrichtenunterschlagung künftig standardmäßig in unseren Beschwerden dagegen einsetzen.
F. Klinkhammer, V. Bräutigam