„Nach mutmaßlichem Giftgas-Einsatz“

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Maren
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„Nach mutmaßlichem Giftgas-Einsatz“

Beitrag von Maren »

Programmbeschwerde: „Nach mutmaßlichem Giftgas-Einsatz“

http://www.tagesschau.de/multimedia/sen ... 19157.html

Sehr geehrte Rundfunkräte des NDR,

wieder ein Musterbeispiel tendenziöser und verzerrender Berichterstattung der Redaktion ARD-aktuell, unter absichtsvollem Verzicht auf journalistisch saubere Einordnung: der Tagesschau-Bericht vom 5.4. 17 über die Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats wegen der Giftgas-Toten nahe der Terroristenhochburg Idlib in Syrien.

Bereits der grafisch dargestellte Titel für die Hintergrund-Illustration der Studio-Meldung war manipulativ: „Nach mutmaßlichem Giftgas-Einsatz“ hieß es da. Damit wird bewusste, willentliche, verbrecherische Verwendung unterstellt. Dass es sehr viel plausiblere andere Erklärungen gibt, wird ausgeschlossen. Der sachlich und neutral formulierte Studiotext hebt die meinungsformende Wirkung der Grafik bedauerlicherweise nicht auf:

„Nach dem gestrigen Luftangriff in Syrien haben unabhängige Experten keinen Zweifel daran, dass die mindestens 72 Todesopfer durch Giftgas ums Leben kamen. Nach Weltgesundheitsorganisation und Ärzte ohne Grenzen zeigten die Betroffenen typische Symptome für einen Kontakt mit einem Nervenkampfstoff. Mit der Frage, wie das Giftgas freigesetzt wurde, befasste sich heute der UN-Sicherheitsrat.“

Vollends Schlagseite bekommt der Beitrag (Gesamtdauer: 2 Minuten, 24 Sekunden, von Sendezeit 0’20“ – 02’44“) aber erst infolge des Berichts des New-York-Korrespondenten Philipp Jahn. Die USA hätten gemeinsam mit Großbritannien und Frankreich (O-Ton:) „[...] eine Resolution eingebracht, die den Angriff verurteilt“ [...] Mit dieser vom Berichterstatter unkritisch übernommenen und nicht relativierten Formulierung des Syrien-Aggressors USA wird dessen „Anklägerin“ die mediale Bühne für ihre Show freigemacht. Die US-Botschafterin Nikki Haley bekommt eine halbe Minute (0’47“-1’17“) lang Gelegenheit, substanzlose Beschuldigungen gegen die syrische Regierung vorzutragen (die im Bericht wie gewöhnlich als „Regime“ verächtlich gemacht wird). Haleys haltlose Behauptung, Präsident Assad habe schon früher Giftgas in Aleppo einsetzen lassen, wird ebenfalls ohne korrigierenden Hinweis auf die historischen Fakten zitiert. Die erinnern jeden, der etwas mehr als ein journalistisches Kurzzeitgedächtnis anstrengt, an arabische Terroristen und deren Hintermänner im türkischen Geheimdienst – und eben nicht auf die syrische Armee.

Der stellvertretende russische UN-Botschafter deute „indirekt“ auf die „Rebellen“, erklärt Korrespondent Jahn anschließend und gibt dann in gerade mal 14 Sekunden dessen Aussage wieder: Die syrische Luftwaffe habe am 4. April einen großen militärischen Komplex der „Rebellen“ angegriffen. „Dort gab es eine Fabrik, wo chemische Waffen produziert wurden.“

Jahn berichtet weiter, eine Abstimmung über die Resolution habe nicht stattgefunden, und „[...] so blieb es beim Wortgefecht“. Bei einem Wortgefecht, von dem Jahn aber brav auch wieder nur den Part der US-Botschafterin referierte (21 Sekunden, 1’56“-2’17), darunter ihre ebenfalls nicht kommentierte Drohung: „[...] wenn die UN weiterhin ihre Pflicht verletzten, dann seien die USA gezwungen, eigene Maßnahmen zu ergreifen.“ Dass die USA-Vertreterin hier vor aller Welt und sicher nicht ohne Wissen und Wollen ihres Präsidenten einen weiteren Völkerrechtsbruch androht, war dem Korrespondenten Jahn und der ARD-aktuell-Redaktion in Hamburg ebenfalls keinen Hinweis wert. Zum krönenden Abschluss dieses Propagandastücks bekam auch US-Präsident Trump noch seinen Auftritt mit einer Tirade gegen Präsident Assad (2’18“-2’44“).

Was fehlte und wäre nötig gewesen, um dieser Sendung wenigstens einen halbwegs seriösen Anstrich zu verleihen? Richtig: die russische Sichtweise. So, wie Trump die US-amerikanische vortrug, hätte zu diesem Bericht auch eine ausführliche russische Stellungnahme gehört. Verfügbar war sie, nicht nur russische Nachrichtenagenturen verbreiteten sie:

"Die syrische Luftwaffe habe ein großes Munitionslager der Terroristen und eine Ansammlung militärischer Geräte ins Visier genommen, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau laut Nachrichtenagentur Tass mit. Das gehe aus den Aufnahmen der russischen Luftraumbeobachtungssysteme hervor. Auf dem Gebiet der Lagerstätte hätten sich Werkstätten befunden, in denen Geschosse mit chemischen Kampfstoffen produziert worden seien, hieß es weiter. Aus diesem großen Waffenlager seien Chemiewaffen an Kämpfer in den Irak geliefert worden. Rebellen hätten ähnliche Geschosse bereits in Aleppo eingesetzt."

Soweit die Tass. Aber diese Nachrichtenagentur ist für Dr. Gniffkes Qualitätsjournalisten aufgrund obrigkeitlicher Weisung bekanntlich tabu.

Schlimmer noch: Auch journalistisches Plausibilitätsdenken ist offenkundig in Hamburg-Lokstedt nicht mehr gefragt. Die syrischen Streitkräfte und Präsident Assad haben vor Jahr und Tag ihre Chemiewaffenbestände freiwillig unter internationaler Kontrolle vernichten lassen und den USA damit den von Washington vorgeschobenen Kriegsgrund genommen. Die Syrer sind dank russischer Unterstützung seit Monaten militärisch auf der Erfolgsstraße beim Kampf gegen die internationale Terroristenbande in Syrien. Die Verantwortlichen in Syrien müssten doch vollkommen den Verstand verloren haben, wenn sie sich mit einem Gasangriff international angreifbar machten, nur um 70 Menschen umzubringen, die zumeist auch nur Zivilisten waren.

Bei Idlib starben 72 Unglückliche an Giftgas, wobei als Ereignisursache tödlicher Zufall nicht, wie bei ARD-aktuell geschehen, praktisch ausgeschlossen werden durfte. Es gab dort zwei Tage lang umfangreichste Berichterstattung unter beweisloser Beschuldigung der Syrer. Als kürzlich im Jemen bei einem saudischen Kriegsverbrechen mehr als 140 Menschen in voller Absicht mit einem Bombenhagel auf einen Marktplatz umgebracht wurden, berichtete ARD-aktuell darüber kein einziges Wort.

Aber berufsethische Grundsätze und moralische Erwägungen sind in Hamburg-Lokstedt mittlerweile offenbar ebenso tabu wie Plausibilitätsdenken, Völkerrechtsverständnis und die strikte Orientierung an staatsvertraglichen Vorgaben: Umfassende, um Neutralität und Vollständigkeit bemühte Berichterstattung sowie die Wahrung journalistischer Grundsätze. Einer deren wesentlicher ist es, der jeweils kritisierten Seite angemessen Gehör zu widmen.

Volker Bräutigam, Friedhelm Klinkhammer
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Maren
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Re: „Nach mutmaßlichem Giftgas-Einsatz“

Beitrag von Maren »

Von: gremienbuero@ndr.de
Betreff: Ihre Programmbeschwerde vom 06.04.2017 / "Nach mutmaßlichem Giftgas-Einsatz"

Ihre Programmbeschwerde vom 06.04.2017

Sehr geehrter Herr Bräutigam, sehr geehrter Herr Klinkhammer,

ich bestätige den Eingang Ihrer o.g. Beschwerde.

Gemäß § 7 der Geschäftsordnung des NDR Rundfunkrates ist zunächst dem Intendanten des Norddeutschen Rundfunks die Möglichkeit einzuräumen, zu Beschwerden Stellung zu nehmen. Ich habe Ihr Anliegen daher an Herrn Lutz Marmor weitergeleitet mit der Bitte, Ihnen innerhalb eines Monats eine Antwort zukommen zu lassen.

Sollte die Antwort des Intendanten Sie nicht zufriedenstellen, können Sie sich erneut an den Rundfunkrat wenden.

Mit freundlichen Grüßen

Ursula Thümler
Vorsitzende NDR Rundfunkrat
_____________________________
NORDDEUTSCHER RUNDFUNK
Gremienbüro
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg
Tel. (040) 4156-3506
Fax (040) 4156-3452
E-Mail: gremienbuero@ndr.de
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Maren
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Re: „Nach mutmaßlichem Giftgas-Einsatz“

Beitrag von Maren »

Von: l.marmor@ndr.de
Betreff: Ihre E-Mail vom 6. April 2017

Sehr geehrter Herr Klinkhammer,
sehr geehrter Herr Bräutigam,

in Ihrer o. g. E-Mail kritisieren Sie erneut die Syrien-Berichterstattung von ARD-aktuell.

Ich habe die verantwortliche Redaktion gebeten, zu Ihrer Kritik Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme finden Sie im Anhang.
Stellungnahme_Giftgaseinsatz_geschwärzt.pdf
(1.41 MiB) 857-mal heruntergeladen
Aus meiner Sicht liegt kein Verstoß gegen die Programmgrundsätze des NDR oder sonstige Vorschriften vor. Durch die Übersendung dieser Stellungnahme bringe ich dies zum Ausdruck.

Mit freundlichen Grüßen

Lutz Marmor

Intendant des Norddeutschen Rundfunks
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Maren
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Re: „Nach mutmaßlichem Giftgas-Einsatz“

Beitrag von Maren »

Sehr geehrte Rundfunkräte

nach erneuter Prüfung nehmen wir unsere Eingabe im Bezug auf die Frage des "mutmaßlichen Giftangriffs" zurück. Insoweit ist die NDR-Stellungnahme vertretbar.

Zum folgenden Abschnitt, ab:

"Vollends Schlagseite bekommt der Beitrag (Gesamtdauer: 2 Minuten, 24 Sekunden, von Sendezeit 0’20“ – 02’44“) aber erst infolge des Berichts des New-York-Korrespondenten Philipp Jahn..... "


hat das Duo Gniffke/Marmor keine Stellungnahme abgegeben. Ob die Eingabe insoweit als berechtigt angesehen wird, vermögen wir aufgrund der bisher gezeigten Renitenz des Anstalts-Duos nicht anzunehmen.

Vorsorglich fordern wir deshalb den Rundfunkrat auf, sich mit der Eingabe zu befassen.

F. Klinkhammer, V. Bräutigam
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