NDR- Jauch und der Mord an Nemzow

Hier veröffentlichen wir externe Programmbeschwerden mit freundlicher Genehmigung der Beschwerdeführer. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die in den Beschwerden thematisierten Anliegen ausschließlich in der Verantwortung der jeweiligen Beschwerdeführer liegen und diese nicht automatisch die Meinung der Forenbetreiber wiederspiegeln.
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Maren
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NDR- Jauch und der Mord an Nemzow

Beitrag von Maren »

Herrn
Lutz Marmor - NDR Intendant
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg

Hamburg, 11.März 2015

Sehr geehrter Herr Marmor,

die „Jauch"-Sendung vom 8. März 2015, die wie alle Jauch-Sendungen unter Verantwortung des NDR produziert, kann man so nicht stehen lassen, was da am Sonntag Abend aus dem Gasometer in Berlin gesendet wurde.

1. In einem Einspieler werden "Zehn Morde - Zehn Todesfälle" mit Bildern der Opfer präsentiert, die quasi der russischen Führung angehängt werden, nur weil sie als Oppositionelle galten: "Erschossen, Erschössen, Erschossen...." Zwar wird eingeräumt (um sich einen weißen Fuß zu holen), daß Putin die Morde nicht persönlich angeordnet haben muß, dennoch sei er verantwortlich, aus welchen Gründen auch immer. Diese haltlose - durch nichts belegte - Diskriminierung der Gegenseite gipfelte in Jauchs Bemerkung, daß ja keine Freunde Putins zu den Opfern zähle.

Platzeck hat hier zu Recht angemerkt, daß diese Art Darstellung unvertretbar, d.h. zu suggestiv und schlicht sei, insbesondere auch, weil es an einer Differenzierung der Tatmotive fehle.
Dieser Auffassung ist rückhaltlos zuzustimmen: Es ist mit den Grundsätzen eines fairen Journalismus nicht vereinbar, Vermutungen und Spekulationen zu verbreiten, die so oberflächlich, undifferenziert und propagandaähnlich zusammengeschustert sind.

2. Jauch: "Dank an Garri Kasparov! Was er als Letztes gesagt hat, Herr Platzeck, das kommt ja sehr oft, die Hoffnung auf Destabilisierung Russlands: der Rubel soll runtergehen, das Öl soll möglichst billig werden, dann würde Russland im Innern erschüttert werden, dann würde Putin auch im Innern den Rückhalt verlieren und dann würde - in Anführungsstrichen - alles wieder gut.... Kann das so hinhauen?

Mit dieser Anmerkung stellt Günter Jauch distanzlos klar, um was es dem Westen in Rußland tatsächlich geht: um eine wirtschaftliche und politische Destabilisierung des Landes, vermutlich um - wie zu Jelzins Zeiten - Rußland leichter beeinflussen und plündern zu können.
Jauch hätte sich mindestens einschränkend mit dieser Zielsetzung befassen müssen, denn hier geht es um das Zufügen von Leid und Unglück gegen ein 200 Millionen-Volk. Er erweckt den Eindruck, als sei die Destablisierung Rußlands ein völlig legitimes Mittel des Westens.
Nach meiner Auffassung widerspricht dies dem Gebot der Unabhängigkeit und Sachlichkeit.

Die Regelung des Staatsvertrages: "Berichterstattung und Informationssendungen haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen, auch beim Einsatz virtueller Elemente, zu entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein."

3.Unsachlich und falsch ist auch der Hinweis: "Das ist Boris Nemzow: ein Familienmensch! Vier Kinder hat er - von drei Frauen." Daß er als verheirateter Mann nachts in Moskau mit einem Model unterwegs war, das jünger ist, als seine eigeneTochter, spricht aus meiner Sicht gegen den beschönigenden Versuch, ihn als "Familienmensch" zu porträtieren. "Sugarboy" käme einer korrekteren Charakterisierung näher.

4. Jauch hatte seinen Gast und Kreml-Gegner Koch in der Sendung zu den Korruptionsvorwürfen gegen dessen Person befragt. Allerdings hatte er nicht nachgehakt, offenkundig fehlten ihm Belege für seine Vorwürfe. So blieb an Koch der Verdacht der Korruption hängen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß damit der Tatbestand einer Verleumdung erfüllt ist, mindestens jedoch der Verstoß gegen die Grundsätze fairen Journalismus.

Dies sind einige Punkte der Sendung, die gravierende journalistische Mängel aufweisen. Insgesamt handelt es sich aber - wie bei vielen anderen Sendungen auch - um eine typische Propaganda-Sendung, soweit man sie an den 10 Propaganda-Kriterien misst, die der Engländer Arthur Ponsonby vor nahezu hundert Jahren entwickelt hat.

Zu Ihrer Information und eigenen Überprüfung:

Die 10 Regeln der Kriegspropaganda
1. Wir wollen den Krieg nicht („Wir tragen nur Verantwortung und liefern Waffen")
2. Das gegnerische Lager trägt die alleinige Verantwortung („Rußland ist diktatorisch und autoritär")
3. Der Führer des Gegners hat dämonische Züge („Putin")
4. Wir kämpfen für eine gute Sache „Demokratie und Destabilisierung"
5. Der Gegner kämpft mit unerlaubten Waffen („Mit böser Propaganda und Separatisten")
6 Der Gegner begeht mit Absicht Grausamkeiten, bei uns handelt es sich um Versehen („Morde an Oppositionellen,
Ukrainer, Maidanern", wir sind nicht grausam)
7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners enorm („Die Sanktionen sind für die Russen empfindlich, für uns nicht")
8. Angesehene Persönlichkeiten, Wissenschaftler, Künstler und Intellektuelle unterstützen unsere Sache („Ina Ruck,
Kasparow, Jauch, Golineh Atai, Poroschenko, Obama, Tom Buhrow und Angela Merkel")
9. Unsere Mission ist heilig („Wir wollen überall Demokratie, Einfluß, Verantwortung")
10. Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, steht auf der Seite des Gegners („Putinversteher")

Mit freundlichen Grüßen
xxxxxxxxx
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Maren
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Re: NDR- Jauch und der Mord an Nemzow

Beitrag von Maren »

Ihre Zuschrift zur Sendung GÜNTHER JAUCH

Sehr geehrter Herr XXXXX,

vielen Dank für Ihren Brief vom 11. März 2015 an den Intendanten des Norddeutschen Rundfunks, Herrn Lutz Marmor, in dessen Auftrag ich Ihnen als zuständige Redakteurin für die Sendung GÜNTHER JAUCH antworten darf.

Sie schreiben, dass Sie die Sendung als „oberflächlich, undifferenziert, propagandaähnlich" und „mit den Grundsätzen eines fairen Journalismus nicht vereinbar" empfunden haben.

Erst einmal danken wir Ihnen, dass Sie sich intensiv mit der Sendereihe GÜNTHER JAUCH auseinandergesetzt haben.
Bei aller Kritik bitte ich Sie jedoch darum, nicht zu vergessen, dass Erfahrungen und politische Überzeugungen die Wahrnehmung eines strittigen Diskurses, wie wir ihn in dieser Sendung dargeboten haben, prägen.

Damit will ich Ihre Anmerkungen nicht leichtfertig vom Tisch wischen, allerdings spielen subjektive Empfindungen, Einstellungen und Sympathien eine entscheidende Rolle für die Beurteilung.
Journalismus verstehen wir als Bereitstellung von Information für die öffentliche Meinungsbildung.
Diesem Grundsatz sind wir gefolgt, ohne dabei zu erwarten, dass alle Zuschauer zu einer identischen Bewertung kommen. Die Sendung war ausgewogen mit Pro- und Kontrapositionen besetzt.

Auch wenn ich Ihre Kritik nicht teilen kann, darf ich Ihnen versichern, dass sie von der Redaktion sehr ernst genommen wird und in die redaktionelle Arbeit konstruktiv mit einfließen wird.

Mit freundlichen Grüßen
xxxxxxx


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Maren
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Re: NDR- Jauch und der Mord an Nemzow

Beitrag von Maren »

Herrn
Lutz Marmor - persönlich -
Intendant Norddeutscher Rundfunk
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg

2.April 2015

Sehr geehrter Herr Marmor,

auf meine Programmbeschwerde vom 11.3.2015 bekam ich am 27.3.2015 die Mitteilung einer Schreiberin aus der NDR-Talk-Redaktion. Unabhängig davon, daß sie sich an keiner Stelle mit den von mir dargestellten Fakten auseinandersetzt, hätte sie als Mitarbeiterin erkennen müssen, daß mein Anliegen mehr ist als eine Unmutsäußerung eines Zuschauers.

Ausdrücklich hatte ich auf die Normen des Staatsvertrages hingewiesen. Das erfordert eine entsprechende
Behandlung durch die vorgesehen Institutionen.

Ich erwarte, daß Sie und der Rundfunkrat meine Ausführungen entsprechend des § 19 NDR Staatsvertrages
behandelt.

Der Mitarbeiterin würde ich an Ihrer Stelle zu ein wenig mehr Professionalität im Umgang mit
den Zuschauern raten. Schon aus Image-Gründen.

Mit freundlichen Grüßen
xxxxxx

Originalschreiben liegen vor.
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Maren
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Re: NDR- Jauch und der Mord an Nemzow

Beitrag von Maren »

Antwort vom Rundfunkrat des NDR


Ihre Programmbeschwerde vom 11.03.2015 über die Sendung „Günther Jauch" vom 08.03.2015
mit dem Titel „Puttns Russland - auf dem Weg zur Diktatur?"

Sehr geehrter Herr XXXXXX,

der Rundfunkrat des Norddeutschen Rundfunks hat sich in seiner Sitzung am 29.05.2015 abschließend mit Ihrer Beschwerde und Ihrer Kritik an der Sendung befasst. Dabei wurde auch die zuständige Redaktion einbezogen. Dem vorangegangen war eine ausführliche Beratung im Programmausschuss am 12.05.2015 mit einer Beschlussempfehlung an den Rundfunkrat.
Zunächst hat der NDR Rundfunkrat bedauert, dass die Redaktion auf Ihre Beschwerde aufgrund eines Kommunikationsfehlers inhaltlich nicht angemessen reagiert hat. Er hat der Redaktion empfohlen, trotz der hohen Anzahl von Zuschauerreaktionen künftig noch differenzierter auf einzelne Zuschriften einzugehen.

Zu Ihrer inhaltlichen Kritik hat das Gremium festgestellt, dass die Sendung stark polarisiert und sehr unterschiedliche Reaktionen bei den Zuschauerinnen und Zuschauern ausgelöst hat. Dies ist im Übrigen häufig der Fall, wenn das Thema „Russland" im Mittelpunkt der Diskussion steht. In seiner Talksendung hat Herr Jauch die Äußerung „wer sich Putin zum Feind macht, lebt gefährlich" als Frage in die Runde gegeben. Er hat bewusst eine provokante Gesprächsführung mit zum Teil suggestiven Fragestellungen gewählt, um die nach Auffassung des Rundfunkrates ausgewogen ausgewählten Gesprächspartner zu einer kontroversen Diskussion anzuregen.

Seine persönliche Meinung hat er dabei jedoch nicht einfließen lassen. Nach Auffassung des NDR Rundfunkrates hat
die ehemalige Leiterin des ARD-Studios in Moskau, Ina Ruck, in der Sendung festgestellt, dass die in dem Einspieler dokumentierten Morde bisher nicht aufgeklärt worden seien. Eine Schuldzuweisung haben die Gremienmitglieder nicht erkennen können.
Hinsichtlich des von Ihnen beanstandeten Gesprächs mit Herrn Koch ist der Rundfunkrat der Auffassung, dass es dem Moderator gestattet sein muss, spontan Themen aufzugreifen, die aktuell in der Öffentlichkeit diskutiert werden.
Auch hier kann das Gremium Ihrer Argumentation nicht folgen.

Im Ergebnis seiner Beratung hat der NDR Rundfunkrat festgestellt, dass ein Verstoß gegen die Grundsätze der Programmgestaltung gemäß §§5 und 8 NDR-Staatsvertrag nicht vorliegt und weist Ihre Programmbeschwerde als unbegründet zurück.

Mit freundlichen Grüßen
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