Beschwerde über die angeblichen Enthüllungen von „Bellingcat“

Hier veröffentlichen wir externe Programmbeschwerden mit freundlicher Genehmigung der Beschwerdeführer. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die in den Beschwerden thematisierten Anliegen ausschließlich in der Verantwortung der jeweiligen Beschwerdeführer liegen und diese nicht automatisch die Meinung der Forenbetreiber wiederspiegeln.
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Maren
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Beschwerde über die angeblichen Enthüllungen von „Bellingcat“

Beitrag von Maren »

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich erhebe Programmbeschwerde wegen der Berichterstattung über die angeblichen Enthüllungen von „bellingcat“, dass Russland nach dem Absturz der MH17 Satellitenfotos gefälscht habe.

Meine Kritik bezieht sich auf den Internet-Auftritt, die TT-Sendung und den Kommentar des Medienmagazins „Zapp“, alle vom 1. Juni.

Im Internet-Text der Tageschau vom 1. Juni heißt es:
„Die Recherchegruppe Bellingcat hat nun nachgewiesen, dass die Fotos manipuliert worden sind.“
Bitte klären Sie in Ihrem Gremium, wie sich dieser Satz vereinbaren lässt mit der journalistischen Sorgfaltspflicht.
Die Aussage steht im Indikativ, wird als Faktum präsentiert. Dabei stützen sich die Autoren hier nur auf eine einzige Quelle. Das ist an und für sich schon unbefriedigend, umso mehr, als diese Quelle bereits in der Vergangenheit aufgefallen ist durch Falschbehauptungen, deren Objektivität und Unabhängigkeit also von seriös arbeitenden Redaktionen unbedingt in Zweifel zu ziehen ist. (siehe z.B. eine Kritik von Richard Lloyd und Ted Postol vom Massachusetts Institute of Technology)

Wo bleibt hier die journalistische Sorgfaltspflicht?
Wo wird kritisch hinterfragt, wo nachvollziehbar gemacht, dass „bellingcat“ tatsächlich eine vertrauenswürdige Quelle ist?
Und warum wird hier nicht einmal nachträglich der Versuch unternommen, diese Aussagen zu verifizieren wie es z.B. hier geschah oder auch hier.
Selbst der Spiegel hat sich von seinem ähnlich forschen Auftritt rasch distanziert.

Bitte klären Sie außerdem, wie sich die Formulierung in der TT-Ausgabe vom 1. Juni „verdichten sich die Hinweise“ rechtfertigt. Welche mannigfaltigen anderen Hinweise auf russische Foto-Fälschungen haben die Autoren denn herangezogen bei der Recherche für diesen Artikel? Im Bericht selbst werden keine weiteren erwähnt, was nahelegt, dass es keine gibt. Dann aber wäre die Formulierung stark irreführend.

Wie man das Thema journalistisch sauber präsentiert, zeigen übrigens Ihre Kollegen vom BR.

Dort sind alle Angaben relativiert und als Erkenntnisse Dritter kenntlich gemacht - gleich in der Überschrift durch den Zusatz „offenbar“, dann in der Nachricht mit „will herausgefunden haben“, „heißt es in dem Bericht“ und durchgängig durch die Verwendung indirekter Rede. So geht seriöse Berichterstattung. Warum schafft das die Tageschau nicht?

Wie Ihr angeblich medienkritisches Magazin „Zapp“ das Thema aufbereitet, ist ein einziger Schlag ins Gesicht für aufmerksame Mediennutzer.

Nur dadurch, dass man den Artikel mit „Kommentar“ überschreibt, ist nicht zu rechtfertigen, dass man eins zu eins angebliche Analysen einer angeblich „unabhängigen“ Recherchegruppe als Fakten und Wahrheit übernimmt wie hier geschehen: „Ihnen ist dadurch der Nachweis gelungen, dass die Bilder sind nicht wie vom russischen Verteidigungsministerium behauptet am 17. und 18. Juli entstanden sind, sondern Tage, wahrscheinlich Wochen vorher.“

Weil die obskure Laien-Truppe „billingcat“, die schon in der Vergangenheit aufgefallen ist durch falsche Behauptungen, von gefälschten Bildern spricht, übernimmt das Bastian Berbner als „Nachweis“ für Russlands Trickserei.
Das Fazit des Autors lautet gar hymnisch:
„Die Bellingcat-Rechercheure haben die Aufklärung dieses Verbrechens in der Öffentlichkeit so weit vorangetrieben wie niemand sonst. Wie Staatsanwälte haben sie aus Fakten ein dichtes Netz gesponnen, das kaum mehr Zweifel zulässt.“
Mir ist unerklärlich, wie ein Autor gestützt auf die zweifelhaften Angaben einer einzigen Quelle dazu kommen kann, „bellingcat“ und ihrer „Foto-Analyse“ ein solch blendendes Zeugnis als Chefaufklärer auszustellen.

Meiner Ansicht nach schädigen Autoren und Redaktionen mit solch schlampiger Herangehensweise dem Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und das in Zeiten, in denen er ohnehin unter Beschuss steht („Lügenpresse“).

Ich bitte das Gremium, sich mit den genannten Fällen zu befassen und seiner Aufgabe nachzukommen, zu gewährleisten, dass die Redaktionen ihrem Auftrag gemäß berichten.

Mit freundlichen Grüßen
xxxxxxx
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Maren
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Re: Beschwerde über die angeblichen Enthüllungen von „Bellingcat“

Beitrag von Maren »

Ihre Programmbeschwerde vom 05.06.2015 über die Berichterstattung von ARD-aktuell am 01.06.2015 über Enthüllungen des investigativen Recherchenetzwerks „Bellingcat"

Sehr geehrte Frau XXXXXXX,

ich bestätige den Eingang Ihrer o.g. Beschwerde.
Gemäß § 7 der Geschäftsordnung des NDR Rundfunkrates ist zunächst dem Intendanten des Norddeutschen Rundfunks die Möglichkeit einzuräumen, zu Beschwerden Stellung zu nehmen.
Ich habe Ihr Anliegen daher an Herrn Lutz Marmor weitergeleitet mit der Bitte, Ihnen innerhalb von vier Wochen eine Antwort zukommen zu lassen.

Sollte die Antwort des Intendanten Sie nicht zufriedenstellen, können Sie sich erneut an den Rundfunkrat wenden, der sich dann mit Ihrer Beschwerde befassen wird.

Mit freundlichen Grüßen

Dagmar Pohl-Laukamp
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