ARD - Tenzenziöser Sprachgebrauch

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Maren
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ARD - Tenzenziöser Sprachgebrauch

Beitrag von Maren »

Programmbeschwerde

Sendungen ARD-aktuell (Tagesschau) am 21.10. 2015, u.a. um 16.00 Uhr und 17.00 Uhr

Sehr geehrter Herr Marmor,

in der o.a. Sendung und in weiteren Sendungen der Tagesschau wurde im Bericht über einen Kurzbesuch des syrischen Präsidenten Assad in Moskau anstelle sachlicher Titulierung die Formel "Machthaber Assad" verwendet.

Eine derartige Benennung ist – legt man die Ansprüche des NDR-Staatsvertrages als Maßstab zugrunde – weder sachlich noch objektiv. Sie entspricht dem Niveau ideologisierender Propagandisten. Auch der Vergleich mit seriösen ausländischen Medien zeigt, dass es sich bei der Wortwahl um unteres Niveau handelt. In der französischen Presse werden Politiker wie Putin oder Assad sachlich mit Vor- und Nachnamen genannt. Bei "Euro-News" berichtet man über "Präsident" Assad und "Präsident" Putin. (Für diese Medien gibt es in Syrien auch keine "gemäßigten Rebellen", sondern dort heißen sie korrekt "al Nusra Front, Ableger von Al Kaida".)

Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Assad ist im Vorjahr trotz der bedrückenden Situation in seinem Land unter drei Kandidaten mit über 80-Prozent-Mehrheit zum Präsidenten gewählt worden. Der Westen bestritt den demokratischen Charakter der Wahl, weil nicht alle Syrer wählen konnten (wegen der Invasion des IS und Besetzung weiter Teile des Landes) und weil Personen nicht wahlberechtigt waren, die in den letzten 10 Jahren nach Syrien gekommen waren.

Bezeichnenderweise spielen bei ARD-aktuell vergleichbare Einwände im Hinblick z. B. auf die Ukraine keine Rolle. Dort konnten die meisten Ostukrainer wegen der Terror-Aktionen ihrer Regierung gegen sie zwar auch nicht wählen; trotzdem betitelt die Tagesschau den Oligarchen Poroschenko als Staatspräsident. Notabene: Bei den vorjährigen Wahlen in Lettland ließ ARD-aktuell ebenfalls keine Bedenken erkennen, obwohl 7 Prozent der Bevölkerung wegen ihrer russischen Wurzeln von der Wahl ausgeschlossen waren.

Setzt man diese Vergleichsmaßstäbe an, muss der Syrer Assad selbst nach unseren Demokratie-Kriterien als demokratisch gewählt gelten. Ein gewähltes Staatsoberhaupt mit der Bezeichnung „Machthaber“ verächtlich zu machen und dem Publikum zu suggerieren, es handle sich um einen Diktator (was im Fall Assads in den TS- und TT-Sendungen mittlerweile schon manisch-chronisch geschieht) ist als eine grobe Verletzung der staatsvertraglichen Verpflichtung zu objektiver und wahrheitsgemäßer Berichterstattung anzusehen. Fälschung und Lüge bedürfen nicht immer ganzer Sätze, es reicht, wie in dem hier beklagten Fall, die Wahl eines einzigen irreführenden, suggestiven, ungerechtfertigten Begriffs oder eines Schmähworts.

Wir fordern Sie auf, den Regelverstoß festzustellen, den Rundfunkrat darüber zu unterrichten und dafür zu sorgen, dass sich redaktionelle Fehlverhalten dieser Art nicht mehr wiederholen.

Mit freundlichen Grüßen

Volker Bräutigam
Friedhelm Klinkhammer
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Maren
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Re: ARD - Tenzenziöser Sprachgebrauch

Beitrag von Maren »

Betreff: Ihre E-Mail vom 22. Oktober 2015
Sehr geehrter Herr Klinkhammer,
sehr geehrter Herr Bräutigam,

in Ihrer E-Mail vom 22. Oktober 2015 kritisieren Sie die Formulierung "Machthaber Assad", die in verschiedenen Ausgaben der "Tagesschau" am 21. Oktober 2015 verwendet wurde. Ich habe die Chefredaktion von ARD-aktuell um eine Stellungnahme gebeten, die ich Ihnen im Anhang weiterleiten möchte.

Als Intendant schließe ich mich der Sichtweise von Herrn Dr. Gniffke an.

Mit freundlichen Grüßen

Lutz Marmor

ARD-Vorsitzender
Intendant des Norddeutschen Rundfunks
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg
Dateianhänge
Stellungnahme.pdf
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Maren
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Re: ARD - Tenzenziöser Sprachgebrauch

Beitrag von Maren »

Betreff: Programmbeschwerde "Machthaber" Assad

NDR-Rundfunkrat
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg


Programmbeschwerde vom 22.10.2015

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir sind mit der Antwort des Intendanten vom 6.11.2015 nicht einverstanden und bitten um Prüfung, ob gegen die Richtlinie gemäß § 11e 1(3)+d des RStV verstoßen wurde (Verbot der Meinungsäußerung in Tagesschau-Nachrichten, Gebot der Unparteilichkeit).

Zunächst einmal bemängeln wir, dass Chefredakteur Dr.Gniffke und Intendant Marmor es unterlassen haben, sich mit unseren Argumenten auseinanderzusetzen, vermutlich vom Gefühl der Unbelangbarkeit eines führenden Medienvertreters geleitet (s. Thomas Meyer "Die Unbelangbaren", edition Suhrkamp, 2015).

Wir hatten auf die Usancen anderer europäischer Medien hingewiesen, die den mit dem Begriff "Machthaber" zum Ausdruck kommenden Gesinnungsjournalismus im Gegensatz zu Herrn Gniffke nicht zulassen. Die Anrede „Herr Machthaber“ ist nun mal auf internationalem Parkett nicht üblich, und für eine seriöse, um Objektivität und Abstand bemühte TV-Nachrichtensendung ist das normativ. Auch geht Herr Gniffke mit keinem Wort auf die Parallelen bei den Wahlen in der Ukraine und Estland ein, auf die wir in unserer Programmbeschwerde hingewiesen hatten.

Im übrigen hat Herr Dr. Gniffke offensichtlich noch nicht bemerkt, dass die Sprachregelungen in seiner eigenen Redaktion kunterbunt durcheinander gehen. So kommt nicht einmal im Beitrag über die Amnesty-Berichterstattung vom 5.11.15 der Begriff "Machthaber" oder "Diktator" vor (dort wird lediglich der Name Assads verwendet, ohne Wertungszusatz ). Im Bericht über die Bombardierung von Palmyra heisst sogar korrekterweise "Präsident Bashar al-Assad". Erfreulich daran ist immerhin, dass nicht alle Journalisten von ARD-aktuell dem Gesinnungsjournalismus ihres Chefs zu folgen bereit sind.

Ob die Wahlen in Syrien frei und geheim waren, hat nicht ARD-Aktuell zu entscheiden. Dass "die Opposition" die Wahlen boykottierte, nimmt einer Wahl nicht ihre Legitimität. Ebenso nicht, dass in den von Terroristen beherrschten Landesteilen naturgemäß eine Wahl unmöglich war. Natürlich kann ein Chefredakteur eine wertende Meinung zu diesen Wahlen haben. Doch darf seine persönliche Einschätzung nicht einfach als quasi normativ gelten und in eine Informationssendung einfließen, weil sie dort manipulative Wirkung entfaltet. Offenkundig sind dem ARD-Chefredakteur selbst die Grundregeln des seriösen Journalismus aus dem Gedächtnis geraten.

Dass eine regierungsnahe Stiftung sich als konformistischer Thinktank erweist, ist ebenfalls kein Argument. Gniffkes Aussage: "andere machen es auch so" ist ein Armutszeugnis ersten Ranges. Der Begriff "Machthaber" ist negativ konnotiert, seine Verwendung mit einer Wertung verbunden; Wertungen haben im seriösen Nachrichtenjournalismus nichts zu suchen. ARD.aktuell hat sachliche, wertungsfreie Nachrichten zu liefern. Bewertungen sind Sache des Zuschauers, gegebenenfalls eines Kommentators, nicht aber der Redaktion.

Die Regelungen des Rundfunkstaatsvertrages sind in dieser Beziehung eindeutig. In Nr.1(3)d der Richtlinien §11e RStV heisst es:
"Die Sendungen der Tagesschau dürfen keine Meinungsäußerung der Redaktion enthalten".

Der Begriff "Machthaber" ist eine eindeutige Meinungsäußerung über den syrischen Präsidenten Assad, wie Herr Gniffke in seiner Erwiderung ja auch unzweifelhaft zu erkennen gibt.

Außerdem wird gegen die Richtlinie §11e Nr.1 (3) verstoßen, wonach die ARD bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung zu berücksichtigen hat. Selbst wenn Herr Gniffke Herrn Assad nicht mag, darf er sich nicht dazu hinreissen lassen, seine Meinung abfällig in den Nachrichten zum Ausdruck kommen zu lassen.

Wir bitten Sie, das Ergebnis Ihrer Prüfung in den wesentlichen Punkten zu begründen. Nach unserer Auffassung haben Beschwerdeführer hierauf einen Anspruch.

Mit freundlichen Grüßen

F.Klinkhammer
V. Bräutigam
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Maren
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Re: ARD - Tenzenziöser Sprachgebrauch

Beitrag von Maren »

NDR-Rundfunkrat
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Nachtrag zu unseren Beschwerden:

„Machthaber Assad“ (22.10.15),
"Syrer flüchten vor Assad" (8./9.10.2015, 1.11.2015)
"Diskussion um Zukunft Syriens" (5.12.2015)


Sehr geehrte Damen und Herren,

bevor sich Ihr Gremium abschließend mit unserer Beschwerde wegen der propagandistischen, nachrichtenjournalistisch illegitimen, weil die Programmrichtlinien des Rundfunk-Staatsvertrages sowie des NDR-Staatsvertrages verletzenden Verwendung des Wortes „Machthaber“ als Titel für den syrischen Präsidenten Assad beschäftigt, erlauben wir uns, noch ein Dokument vorzulegen, das die demokratische Legitimation des Präsidenten belegt, die ihm ARD-Chefredakteur Gniffke selbstherrlich abspricht.

Gemäß dieser im Juli durchgeführten Umfrage hat Assad in Syrien weit mehr Rückhalt bei der Bevölkerung als alle Oppositionsgruppen zusammen. Die Untersuchung wurde in Syrien selbst von dem seriösen britischen Institut ORB-International vorgenommen, einem Konsortialmitglied des US-Meinungsforschungsinstituts Gallup, spezialisiert auf empirische Meinungsforschung in den Krisengebieten der Welt.

Die Quintessenz der Umfragen und Studien:

"The poll found that 35 percent of Syrians saw the Assad government as best representing them (20% chose the current government and 15% chose Bashar al-Assad). By comparison, the level of the support for the opposition forces was substantially weaker: • Al-Nusra, 9%
• FSA, 9%
• “Genuine” rebels, 6%
• ISIS, 4%
• National Coalition/transitional government, 3%. The sum of support for the opposition forces, 31 percent, was less than the total support for Assad and his government.

Die Details der Untersuchung entnehmen Sie bitte dem Link.
ORB-International muss als weit zuverlässigere, um objektive Daten bemühte Institution betrachtet werden als der fraglos schlagseitige „Adopt A Revolution“-Verein, auf den sich ARD-aktuell-Chefredakteuer Gniffke unter Verletzung aller journalistischen Grundsätze und Anstandsregeln permanent zur Rechtfertigung der einäugigen Tagesschau-Berichterstattung beruft. Wir ersuchen darum, die hier vorgelegten Daten bei Behandlung unserer Beschwerde über die Tagesschau-Berichte auf Basis der getürkten „Adopt A Revolution“-Umfragen zu berücksichtigen.

Wir bitten um Hinzunahme zu den jeweiligen Beschwerdevorgängen.

Mit freundlichen Grüßen
Volker Bräutigam &n Friedhelm Klinkhammer
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