Offener Brief an die ARD zur Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt
Verfasst: 19. März 2024, 10:02
Offener Brief an die ARD
An: gremienbuero-beschwerden‘ at ’ndr.de, publikumsservice‘ at ‚tagesschau.de
Betreff: Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt
Bitte reichen Sie diesen offenen Brief (auch) an Frau Petersohn (ARD-Studio Kiew) weiter.
Guten Tag, Frau Petersohn, guten Tag werte Damen und Herren,
im Folgenden nehme ich vorrangig Bezug auf ihren ARD-Tagesschau-Beitrag vom 19. Februar des Jahres, titelnd mit „Was geschah in Mariupol?“
Ende Februar 2022 kam der Krieg hinein nach Mariupol. In der südostukrainischen Halbmillionenstadt hatten sich die ukrainischen Streitkräfte verschanzt, um ihre Erfolgschancen durch die Benutzung menschlicher Schutzschilde zu erhöhen. Daran besteht kein Zweifel. Nach meinem Verständnis gehört es zu den wesentlichen Aufgaben des Journalismus, von einem Konflikt zu berichten. Ein Unding ist es, an diesem teilzunehmen. An einem Konflikt teilzunehmen, heißt, sich explizit für eine Konfliktpartei zu positionieren. Geschieht so etwas, dann ist es vorbei mit journalistischer Berichterstattung.
Ihr Zitat:
„Dann bringt Russland am 24. Februar 2022 den Krieg nach Mariupol und damit auch in Sosnowskiis Leben. Die Bewohner der Stadt leben über Wochen unter Dauerbeschuss der russischen Armee. Es gibt keinen Strom, kein Wasser, kein Gas. Die Menschen behelfen sich mit dem Allernötigsten.“ (1)
Das ist das gefühlsbeladene Gesamtbild zur Einstimmung des Rezipienten. Aus diesem picken Sie nachfolgend schwer zu überprüfende Einzelschicksale heraus, womit Sie ein emotionales Bild zeichnen, dem sich der Konsument schwer entziehen kann. Es bedarf einer hohen Medienkompetenz, die damit erzeugten Gefühle achtsam einzuordnen, sie von der (nüchternen) Sache zu unterscheiden. Eine Kompetenz, die man zuallererst von Journalisten erwarten dürfte. Im konkreten Fall ist es das Schicksal eines Kindes, das Bilder vom Krieg gezeichnet hat. Journalisten sollten immer zweifeln, aber gehen wir einmal davon aus, dass dieses Einzelschicksal real ist.
Vielleicht hat man sie ja auch auf das Thema gestoßen. Sie haben dieses dann also nicht in Eigeninitiative entwickelt, sondern es wurde explizit an Sie herangetragen. Dabei haben Sie etwas „vergessen“, Frau Petersohn. Sie haben die ukrainische Armee „vergessen“ und mit ihr die militanten Nationalisten des Asow-Bataillons, welche die Zivilisten Mariupols in Geiselhaft nahmen. Was übrigens als Kriegsverbrechen zu bewerten ist. Deshalb kam es in Mariupol zu militärischen Auseinandersetzungen, bei denen logischerweise Kampfhandlungen zweier Seiten zu registrieren waren. Zu schreiben: „Die Bewohner lebten unter Dauerbeschuss der russischen Armee“, ist eine einseitige Darstellung. Die auch nicht plausibel ist. Manipulative Berichterstattung ist selten plausibel. Dafür ist sie stets emotional.
Ihr Zitat:
„Die ukrainische Nichtregierungsorganisation Truth Hounds hat gemeinsam mit Human Rights Watch und SITU Research mühsam Beweise für das brutale russische Vorgehen gesammelt. Sie hat dazu Bewohner befragt, Hunderte Fotos, Videos und Satellitenbilder ausgewertet. Ihr Bericht ist erschreckend.” (1ii)
Mir kommt das alles sehr bekannt vor. Als es darum ging, legitime Regierungen in Syrien und Libyen zu stürzen, haben Sie — vielleicht nicht Sie persönlich, Frau Petersohn, aber ganz sicher Ihre damit befassten ARD-Kollegen — mit genau der gleichen Methode gearbeitet. Sagen wir es, wie es ist: Das ist keine journalistische Berichterstattung, sondern Kriegspropaganda. Hier die Wiederholung von einigen Ihrer bröckchenweise ausgelassenen Propaganda-Versatzstücke: „mühsam Beweise“, „brutale russische Vorgehen“, „Ihr Bericht ist erschreckend“. Solche stark emotional eingefärbten Meinungsäußerungen gehören nicht in einen Bericht dieser Art. Zumal gerade zuvor das Schicksal eines vom Krieg betroffenen Kindes instrumentalisiert wurde.
Desweiteren: Truth Hounds ist eine ukrainische Organisation? Vielleicht. Doch warum hat sie dann einen englischsprachigen Namen? Woraus leiten Sie die Glaubwürdigkeit des Berichts und der Verfasser ab? Wie definieren Sie „Beweise“? Haben Sie das geprüft? Ist das für Sie alles tatsächlich plausibel?
„Seit Mariupol unter russischer Kontrolle steht, haben ukrainische Behörden und internationale Ermittler keinen Zugang mehr zu der Stadt.“ (1i)
Wer sind für Sie „internationale Ermittler“? Etwa die Organisation, auf deren Bericht Sie ihre Nachricht aufbauten? Aber was ist mit Ihnen, den Journalisten der ARD? Sind Sie denn unabhängig? Truth Hounds ist unabhängig? Finanziers von Truth Hounds sind unter anderem:
die US-Botschaft in der Ukraine: also das US-Außenministerium,
das US-Außenministerium direkt,
das NED: das National Endowment for Democracy, praktisch also die US-Regierung,
Freedom House: wesentlich finanziert durch die US-Regierung und außerdem durch George Soros Open Society Foundation, in kleinerem Maßstab durch Google, Facebook und den Rüstungskonzern BAE,
die International Renaissance Foundation: ein Projekt der Open Society Foundation von George Soros (2).
Damit ist Truth Hounds eine im Grunde aus Washington gesteuerte Organisation, eine ukrainische Agentur der US-Außenpolitik mit einer direkten Schnittstelle zur US-Botschaft in Kiew. Truth Hounds hat man zum Beispiel für Sie, ja Sie, Medien wie die ARD, ins Leben gerufen. Truth Hounds erzählt Geschichten, die zum Beispiel Sie, Frau Petersohn, weit verbreiten sollen. Geschichten, welche die Washingtoner Politik stützen. Und Washington ist praktisch direkt in den Ukraine-Konflikt verwickelt. Ohne den massiven Einfluss der USA und die massiv angewachsene Präsenz der NATO gäbe es keinen Krieg in der Ukraine (3 bis 34). Es gäbe auch nicht das derzeitige politische System in der Ukraine — das keinesfalls so demokratisch daherkommt, wie es uns Sie und Ihre Kollegen weiszumachen suchen (35 bis 41). Es gäbe letztlich auch keine russischen Soldaten in der Ukraine. Warum sollte Russland diesem Gemisch direkter US-Einflussnahme Zugang nach Mariupol gewähren?
Truth Hounds wird übrigens auch von der IPHR unterstützt. Ist die IPHR (International Partnership for Human Rights) unabhängig? Hallo, ARD-Mitarbeiter: Finanziers der IPHR sind unter anderem:
das US-Außenministerium direkt (siehe oben bei Truth Hounds),
das NED (siehe oben bei Truth Hounds),
die Open Society Foundation (siehe oben bei Truth Hounds),
die Europäische Union und weitere (42).
Noch einer der Beteiligten des Berichts ist SITU, eine weitere sogenannte Nichtregierungsorganisation (NRO) mit Sitz in New York, die sich unter anderem der Lügen zu den Ereignissen in Butscha „verdient“ gemacht hat (43). Oder können Sie, von der ARD, mir inzwischen die bereits mehrfach von Ihnen geforderten, sodann für Jedermann nachprüfbaren Beweise angeblicher russischer Kriegsverbrechen in Butscha vorlegen? Der von Ihnen nun aktuell thematisierte Bericht taugt — schon aus oben genannten Gründen — selbstredend ebenfalls mitnichten als Beweis für die Russland vorgeworfenen Straftaten.
Wenn Sie schon die Propaganda einer direkt am Krieg beteiligten Seite eins zu eins weitergeben, dann sollten Sie doch wenigstens darauf hinweisen, wer genau Ihnen die Propaganda zugesteckt hat. Oder haben Sie diese sich eigenverantwortlich besorgt? Ist dieser, Ihr Bericht, tatsächlich freiwillig und aus eigener Kreativität entstanden? Außerdem: Wo ist der korrespondierende Bericht der anderen, also der russischen Seite?
Dass es mit freier Berichterstattung in der Ukraine — nicht erst seit der russischen Intervention — so rosig nicht aussieht, dafür gibt es schließlich genug Belege (44 bis 58).
Ihr Zitat (Hervorhebung durch Autor):
„Was genau während der monatelangen Belagerung geschah und wie das Leben für Ukrainerinnen und Ukrainer seit der völkerrechtswidrigen Annexion Mariupols ist, lässt sich kaum sagen.“ (1iii)
Wieso? Holen Sie sich doch einfach eine Akkreditierung bei den russischen Behörden und fahren Sie hin. Warum tun Sie das nicht? Warum benötigen Sie den Bericht einer nicht unabhängigen „humanitären Organisation“?
Sie sorgen sich um das Leben der „Ukrainerinnen und Ukrainer“ — tatsächlich? Gibt es in Mariupol nur „Ukrainerinnen und Ukrainer“? Interessiert Sie nicht das Leben aller Bewohner dieser Stadt, völlig unabhängig davon, wo sie sich selbst ethnisch oder national sehen? Meine Frage ist polemisch, denn Sie wissen, warum Sie das so geschrieben haben. Denn sie möchten einen Gedanken in den Köpfen der Menschen ausschließen. Nämlich den, dass die meisten Bewohner von Mariupol sich überhaupt nicht als unter Besatzern in einer „annektierten“ Stadt verstehen.
Ihr ständig wiederholter wilder Ritt über „völkerrechtswidrige Annexionen“ erinnert mich ein weiteres Mal an die völkerrechtswidrige Annexion großer Teile Syriens durch die US-Militärs. Damit lenke ich nicht vom Thema ab. Denn das Thema ist Ihre Doppelbödigkeit, die bei der ARD.
Wo sind Ihre emotionsgeschwängerten Berichte von Verbrechen der ukrainischen Armee und Geheimdienste? Gibt es dazu nichts? Wollen Sie nicht oder dürfen Sie nicht?
Und wie so oft in Ihrer Berichterstattung fehlt noch etwas. Etwas über das man Ihre Nachricht einer Erstprüfung unterziehen könnte: Und das ist die Quelle. Bemühen Sie sich nicht, ich reiche die Quelle nach, hier ist sie: https://www.hrw.org/sites/default/files ... 224web.pdf (59).
Die Schwächen dieses Berichts, „Printed in the United States of America“ (59i) sind offensichtlich. Die Hauptschwäche haben Sie, Frau Petersohn, am Anfang ihres Textes wiedergegeben. Hier noch einmal das relevante Zitat (Hervorhebung durch Autor):
„Dann bringt Russland am 24. Februar 2022 den Krieg nach Mariupol und damit auch in Sosnowskiis Leben. Die Bewohner der Stadt leben über Wochen unter Dauerbeschuss der russischen Armee […].“ (1iv)
Die heftigsten Kämpfe in Mariupol fanden im Zentrum und den Industriegebieten im Norden und in Hafennähe statt. Und nein, die russischen Streitkräfte kämpften dort nicht mit Zivilisten. Doch der Bericht der „Wahrheitssucher“ (zu deutsch für „Truth Hounds“) hat es doch tatsächlich geschafft, das ukrainische Militär weitgehend aus den Wohngebieten Mariupols „wegzuzaubern“. Die Geschichtsklitterung in dieser Erzählung macht aus einem erbitterten Häuserkampf eine stumpfe, militärisch völlig sinnlose Bombardierung von Wohngebieten durch russische Truppen.
Aber diesen, mit Verlaub, Schwachsinn verkaufen Sie — nicht ganz ungeschickt — an Ihr Publikum. Sie desinformieren ganz gezielt, in dem sie den Bericht einer US-geführten Organisation zur Hand nehmen, der behauptet, innerhalb Mariupols hätten sich keine ukrainischen Truppen verschanzt gehalten und für Zivilisten wäre der Weggang aus dem Kampfgebiet durch das russische Militär blockiert worden (50ii). Noch einmal: Das ist nicht nur aufgrund der Parteilage der Quelle unglaubwürdig, es ist auch von der Logik her Blödsinn.
Brechen Sie, Frau Petersohn, auch regelmäßig in Tränen aus, wenn Sie vom zunehmenden ukrainischen Beschuss russischer, rein ziviler (!) Infrastruktur zum Beispiel in Donezk und Belgorod hören? Der inzwischen mindestens hunderte zivile Opfer gefordert hat. Können Sie sich vorstellen, dass in Donezk und Mariupol auch weiterhin einige Tausend, vielleicht sogar Zehntausend Ukrainer gemeinsam und friedlich mit ihren russischen Nachbarn zusammen leben? Oder ziehen Sie sich dann darauf zurück, dass Berichte über den Terror ukrainischer Streitkräfte gegen Zivilisten in diesen Städten nicht prüfbar wären? Donezk wurde bereits von ukrainischen Truppen beschossen, als Russland noch gar nicht militärisch in den Konflikt eingegriffen hatte. Jetzt rede ich nicht von der Doppelmoral bei der ARD, sondern ganz speziell von der Ihren.
Was Ihr Bericht tut, ist zu spalten. Er schürt den Hass auf alles russische. Daran sind Sie, Frau Petersohn, also direkt beteiligt. Und deshalb, weil Ihre Aversion gegen Russen so groß ist, glauben Sie, die Ukrainer lieben zu müssen. Was sie nicht wirklich tun. Sie sind „nur“ im Krieg. Russen gehören für Sie nicht nach Mariupol, richtig? Passend dazu Ihr Schlusssatz (Hervorhebung durch Autor):
„Sie erzählen die Geschichte seiner geliebten Stadt Mariupol, mit seinen ukrainischen Bewohnerinnen und Bewohnern. Geschichten vor dem Angriffskrieg. Und Geschichten im Angriffskrieg.“ (1v)
Das könnte man durchaus auch als Rassismus durchgehen lassen, finden Sie nicht auch?
Zumal nicht nur mehr als 40 Prozent der Mariupoler Einwohner ethnische Russen sind (und waren), sondern auch fast 90 Prozent der Einwohner russisch als ihre Muttersprache ansehen (60). Sie unterschlagen, bewusst oder aus Unwissenheit, wie russisch Mariupol nicht nur ist, sondern es historisch schon immer war.
Ob Sie das nun vorsätzlich tun oder nicht, ändert nichts daran, dass Sie reale oder angebliche Einzelschicksale für eine Agenda instrumentalisieren, die den Hass auf alles Russische schürt. Ein Paradebeispiel ist Ihr prominent verbreiteter Bericht — falsch, Ihre Erzählung — von der Vergewaltigung einer ukrainischen Frau (Galina) im Vorjahr, den Sie abschließen mit (Hervorhebung durch Autor):
„Trotzdem möchte Galina nicht aufgeben. Ihr ist es wichtig, dass die Welt von der Brutalität russischer Soldaten in der Ukraine erfährt.“ (61)
Galina ist das wichtig? Ihnen ist es wichtig! Weil eine solche Erzählung Ihre Hass produzierende und spaltende Agenda stützt. Eine Agenda, die nicht nach Gerechtigkeit ruft, sondern die Weiterführung des Krieges zum Ziel hat. Gibt es tatsächlich keine innere Stimme, die Sie warnt, dass da etwas nicht gut ist? Aussagen wie die Obige scheinen Sie außerdem als Versatzstücke für den Mehrfachgebrauch anzuwenden (Hervorhebung durch Autor):
„Dovhan [also nicht Galina, siehe oben] und die Frauen, denen sie hilft, haben ein Ziel. «Wir wollen, dass diese Verbrecher bestraft werden», erzählt sie uns. Ihr ist es wichtig, dass die Welt von der Brutalität russischer Soldaten in der Ukraine erfährt. Die westlichen Partner sollen verstehen, welche Verbrechen russische Soldaten verübten.“ (62)
So ich bereits von Doppelbödigkeit sprach, erinnere ich mich erneut an die Berichterstattung der ARD zu den Kriegen in Libyen und Syrien, in denen nicht sauber zu prüfende Opfererzählungen benutzt wurden, um nach Strafe, also nach Gewalt und Krieg zu rufen. Bei Ihnen, bei der ARD, hat sich nichts zum Guten verändert. Es ist alles nur noch schlimmer geworden.
Kritiklos und distanzlos — wofür Sie auch noch abgeklatscht und befördert werden, Frau Petersohn (63) — machen Sie sich die Aussagen einer Kriegspartei zu eigen. Haben Sie, Frau Petersohn, jemals den Versuch gewagt, Vergewaltigungs- und Kastrationsopfer ukrainischer Militärs und Sicherheitskräfte aufzufinden? Das Potenzial dafür ist dort auf jeden Fall vorhanden, nicht erst seit 2022 (64, 65). Journalismus zeichnet sich unter anderem dadurch aus, ausgewogen zu sein. Das geht Ihnen leider völlig ab und so geht das, was Sie tun, auch nicht als Journalismus durch.
Die Ignoranz zu diesem offenen Brief wie auch eine inhaltsleere, aus dem Schubkasten gezogene Antwort werden mich nicht enttäuschen. Die Enttäuschung hat bereits stattgefunden.
Achtungsvoll, Peter Frey
Quellen und Anmerkungen: https://peds-ansichten.de/2024/02/ard-t ... th-hounds/
An: gremienbuero-beschwerden‘ at ’ndr.de, publikumsservice‘ at ‚tagesschau.de
Betreff: Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt
Bitte reichen Sie diesen offenen Brief (auch) an Frau Petersohn (ARD-Studio Kiew) weiter.
Guten Tag, Frau Petersohn, guten Tag werte Damen und Herren,
im Folgenden nehme ich vorrangig Bezug auf ihren ARD-Tagesschau-Beitrag vom 19. Februar des Jahres, titelnd mit „Was geschah in Mariupol?“
Ende Februar 2022 kam der Krieg hinein nach Mariupol. In der südostukrainischen Halbmillionenstadt hatten sich die ukrainischen Streitkräfte verschanzt, um ihre Erfolgschancen durch die Benutzung menschlicher Schutzschilde zu erhöhen. Daran besteht kein Zweifel. Nach meinem Verständnis gehört es zu den wesentlichen Aufgaben des Journalismus, von einem Konflikt zu berichten. Ein Unding ist es, an diesem teilzunehmen. An einem Konflikt teilzunehmen, heißt, sich explizit für eine Konfliktpartei zu positionieren. Geschieht so etwas, dann ist es vorbei mit journalistischer Berichterstattung.
Ihr Zitat:
„Dann bringt Russland am 24. Februar 2022 den Krieg nach Mariupol und damit auch in Sosnowskiis Leben. Die Bewohner der Stadt leben über Wochen unter Dauerbeschuss der russischen Armee. Es gibt keinen Strom, kein Wasser, kein Gas. Die Menschen behelfen sich mit dem Allernötigsten.“ (1)
Das ist das gefühlsbeladene Gesamtbild zur Einstimmung des Rezipienten. Aus diesem picken Sie nachfolgend schwer zu überprüfende Einzelschicksale heraus, womit Sie ein emotionales Bild zeichnen, dem sich der Konsument schwer entziehen kann. Es bedarf einer hohen Medienkompetenz, die damit erzeugten Gefühle achtsam einzuordnen, sie von der (nüchternen) Sache zu unterscheiden. Eine Kompetenz, die man zuallererst von Journalisten erwarten dürfte. Im konkreten Fall ist es das Schicksal eines Kindes, das Bilder vom Krieg gezeichnet hat. Journalisten sollten immer zweifeln, aber gehen wir einmal davon aus, dass dieses Einzelschicksal real ist.
Vielleicht hat man sie ja auch auf das Thema gestoßen. Sie haben dieses dann also nicht in Eigeninitiative entwickelt, sondern es wurde explizit an Sie herangetragen. Dabei haben Sie etwas „vergessen“, Frau Petersohn. Sie haben die ukrainische Armee „vergessen“ und mit ihr die militanten Nationalisten des Asow-Bataillons, welche die Zivilisten Mariupols in Geiselhaft nahmen. Was übrigens als Kriegsverbrechen zu bewerten ist. Deshalb kam es in Mariupol zu militärischen Auseinandersetzungen, bei denen logischerweise Kampfhandlungen zweier Seiten zu registrieren waren. Zu schreiben: „Die Bewohner lebten unter Dauerbeschuss der russischen Armee“, ist eine einseitige Darstellung. Die auch nicht plausibel ist. Manipulative Berichterstattung ist selten plausibel. Dafür ist sie stets emotional.
Ihr Zitat:
„Die ukrainische Nichtregierungsorganisation Truth Hounds hat gemeinsam mit Human Rights Watch und SITU Research mühsam Beweise für das brutale russische Vorgehen gesammelt. Sie hat dazu Bewohner befragt, Hunderte Fotos, Videos und Satellitenbilder ausgewertet. Ihr Bericht ist erschreckend.” (1ii)
Mir kommt das alles sehr bekannt vor. Als es darum ging, legitime Regierungen in Syrien und Libyen zu stürzen, haben Sie — vielleicht nicht Sie persönlich, Frau Petersohn, aber ganz sicher Ihre damit befassten ARD-Kollegen — mit genau der gleichen Methode gearbeitet. Sagen wir es, wie es ist: Das ist keine journalistische Berichterstattung, sondern Kriegspropaganda. Hier die Wiederholung von einigen Ihrer bröckchenweise ausgelassenen Propaganda-Versatzstücke: „mühsam Beweise“, „brutale russische Vorgehen“, „Ihr Bericht ist erschreckend“. Solche stark emotional eingefärbten Meinungsäußerungen gehören nicht in einen Bericht dieser Art. Zumal gerade zuvor das Schicksal eines vom Krieg betroffenen Kindes instrumentalisiert wurde.
Desweiteren: Truth Hounds ist eine ukrainische Organisation? Vielleicht. Doch warum hat sie dann einen englischsprachigen Namen? Woraus leiten Sie die Glaubwürdigkeit des Berichts und der Verfasser ab? Wie definieren Sie „Beweise“? Haben Sie das geprüft? Ist das für Sie alles tatsächlich plausibel?
„Seit Mariupol unter russischer Kontrolle steht, haben ukrainische Behörden und internationale Ermittler keinen Zugang mehr zu der Stadt.“ (1i)
Wer sind für Sie „internationale Ermittler“? Etwa die Organisation, auf deren Bericht Sie ihre Nachricht aufbauten? Aber was ist mit Ihnen, den Journalisten der ARD? Sind Sie denn unabhängig? Truth Hounds ist unabhängig? Finanziers von Truth Hounds sind unter anderem:
die US-Botschaft in der Ukraine: also das US-Außenministerium,
das US-Außenministerium direkt,
das NED: das National Endowment for Democracy, praktisch also die US-Regierung,
Freedom House: wesentlich finanziert durch die US-Regierung und außerdem durch George Soros Open Society Foundation, in kleinerem Maßstab durch Google, Facebook und den Rüstungskonzern BAE,
die International Renaissance Foundation: ein Projekt der Open Society Foundation von George Soros (2).
Damit ist Truth Hounds eine im Grunde aus Washington gesteuerte Organisation, eine ukrainische Agentur der US-Außenpolitik mit einer direkten Schnittstelle zur US-Botschaft in Kiew. Truth Hounds hat man zum Beispiel für Sie, ja Sie, Medien wie die ARD, ins Leben gerufen. Truth Hounds erzählt Geschichten, die zum Beispiel Sie, Frau Petersohn, weit verbreiten sollen. Geschichten, welche die Washingtoner Politik stützen. Und Washington ist praktisch direkt in den Ukraine-Konflikt verwickelt. Ohne den massiven Einfluss der USA und die massiv angewachsene Präsenz der NATO gäbe es keinen Krieg in der Ukraine (3 bis 34). Es gäbe auch nicht das derzeitige politische System in der Ukraine — das keinesfalls so demokratisch daherkommt, wie es uns Sie und Ihre Kollegen weiszumachen suchen (35 bis 41). Es gäbe letztlich auch keine russischen Soldaten in der Ukraine. Warum sollte Russland diesem Gemisch direkter US-Einflussnahme Zugang nach Mariupol gewähren?
Truth Hounds wird übrigens auch von der IPHR unterstützt. Ist die IPHR (International Partnership for Human Rights) unabhängig? Hallo, ARD-Mitarbeiter: Finanziers der IPHR sind unter anderem:
das US-Außenministerium direkt (siehe oben bei Truth Hounds),
das NED (siehe oben bei Truth Hounds),
die Open Society Foundation (siehe oben bei Truth Hounds),
die Europäische Union und weitere (42).
Noch einer der Beteiligten des Berichts ist SITU, eine weitere sogenannte Nichtregierungsorganisation (NRO) mit Sitz in New York, die sich unter anderem der Lügen zu den Ereignissen in Butscha „verdient“ gemacht hat (43). Oder können Sie, von der ARD, mir inzwischen die bereits mehrfach von Ihnen geforderten, sodann für Jedermann nachprüfbaren Beweise angeblicher russischer Kriegsverbrechen in Butscha vorlegen? Der von Ihnen nun aktuell thematisierte Bericht taugt — schon aus oben genannten Gründen — selbstredend ebenfalls mitnichten als Beweis für die Russland vorgeworfenen Straftaten.
Wenn Sie schon die Propaganda einer direkt am Krieg beteiligten Seite eins zu eins weitergeben, dann sollten Sie doch wenigstens darauf hinweisen, wer genau Ihnen die Propaganda zugesteckt hat. Oder haben Sie diese sich eigenverantwortlich besorgt? Ist dieser, Ihr Bericht, tatsächlich freiwillig und aus eigener Kreativität entstanden? Außerdem: Wo ist der korrespondierende Bericht der anderen, also der russischen Seite?
Dass es mit freier Berichterstattung in der Ukraine — nicht erst seit der russischen Intervention — so rosig nicht aussieht, dafür gibt es schließlich genug Belege (44 bis 58).
Ihr Zitat (Hervorhebung durch Autor):
„Was genau während der monatelangen Belagerung geschah und wie das Leben für Ukrainerinnen und Ukrainer seit der völkerrechtswidrigen Annexion Mariupols ist, lässt sich kaum sagen.“ (1iii)
Wieso? Holen Sie sich doch einfach eine Akkreditierung bei den russischen Behörden und fahren Sie hin. Warum tun Sie das nicht? Warum benötigen Sie den Bericht einer nicht unabhängigen „humanitären Organisation“?
Sie sorgen sich um das Leben der „Ukrainerinnen und Ukrainer“ — tatsächlich? Gibt es in Mariupol nur „Ukrainerinnen und Ukrainer“? Interessiert Sie nicht das Leben aller Bewohner dieser Stadt, völlig unabhängig davon, wo sie sich selbst ethnisch oder national sehen? Meine Frage ist polemisch, denn Sie wissen, warum Sie das so geschrieben haben. Denn sie möchten einen Gedanken in den Köpfen der Menschen ausschließen. Nämlich den, dass die meisten Bewohner von Mariupol sich überhaupt nicht als unter Besatzern in einer „annektierten“ Stadt verstehen.
Ihr ständig wiederholter wilder Ritt über „völkerrechtswidrige Annexionen“ erinnert mich ein weiteres Mal an die völkerrechtswidrige Annexion großer Teile Syriens durch die US-Militärs. Damit lenke ich nicht vom Thema ab. Denn das Thema ist Ihre Doppelbödigkeit, die bei der ARD.
Wo sind Ihre emotionsgeschwängerten Berichte von Verbrechen der ukrainischen Armee und Geheimdienste? Gibt es dazu nichts? Wollen Sie nicht oder dürfen Sie nicht?
Und wie so oft in Ihrer Berichterstattung fehlt noch etwas. Etwas über das man Ihre Nachricht einer Erstprüfung unterziehen könnte: Und das ist die Quelle. Bemühen Sie sich nicht, ich reiche die Quelle nach, hier ist sie: https://www.hrw.org/sites/default/files ... 224web.pdf (59).
Die Schwächen dieses Berichts, „Printed in the United States of America“ (59i) sind offensichtlich. Die Hauptschwäche haben Sie, Frau Petersohn, am Anfang ihres Textes wiedergegeben. Hier noch einmal das relevante Zitat (Hervorhebung durch Autor):
„Dann bringt Russland am 24. Februar 2022 den Krieg nach Mariupol und damit auch in Sosnowskiis Leben. Die Bewohner der Stadt leben über Wochen unter Dauerbeschuss der russischen Armee […].“ (1iv)
Die heftigsten Kämpfe in Mariupol fanden im Zentrum und den Industriegebieten im Norden und in Hafennähe statt. Und nein, die russischen Streitkräfte kämpften dort nicht mit Zivilisten. Doch der Bericht der „Wahrheitssucher“ (zu deutsch für „Truth Hounds“) hat es doch tatsächlich geschafft, das ukrainische Militär weitgehend aus den Wohngebieten Mariupols „wegzuzaubern“. Die Geschichtsklitterung in dieser Erzählung macht aus einem erbitterten Häuserkampf eine stumpfe, militärisch völlig sinnlose Bombardierung von Wohngebieten durch russische Truppen.
Aber diesen, mit Verlaub, Schwachsinn verkaufen Sie — nicht ganz ungeschickt — an Ihr Publikum. Sie desinformieren ganz gezielt, in dem sie den Bericht einer US-geführten Organisation zur Hand nehmen, der behauptet, innerhalb Mariupols hätten sich keine ukrainischen Truppen verschanzt gehalten und für Zivilisten wäre der Weggang aus dem Kampfgebiet durch das russische Militär blockiert worden (50ii). Noch einmal: Das ist nicht nur aufgrund der Parteilage der Quelle unglaubwürdig, es ist auch von der Logik her Blödsinn.
Brechen Sie, Frau Petersohn, auch regelmäßig in Tränen aus, wenn Sie vom zunehmenden ukrainischen Beschuss russischer, rein ziviler (!) Infrastruktur zum Beispiel in Donezk und Belgorod hören? Der inzwischen mindestens hunderte zivile Opfer gefordert hat. Können Sie sich vorstellen, dass in Donezk und Mariupol auch weiterhin einige Tausend, vielleicht sogar Zehntausend Ukrainer gemeinsam und friedlich mit ihren russischen Nachbarn zusammen leben? Oder ziehen Sie sich dann darauf zurück, dass Berichte über den Terror ukrainischer Streitkräfte gegen Zivilisten in diesen Städten nicht prüfbar wären? Donezk wurde bereits von ukrainischen Truppen beschossen, als Russland noch gar nicht militärisch in den Konflikt eingegriffen hatte. Jetzt rede ich nicht von der Doppelmoral bei der ARD, sondern ganz speziell von der Ihren.
Was Ihr Bericht tut, ist zu spalten. Er schürt den Hass auf alles russische. Daran sind Sie, Frau Petersohn, also direkt beteiligt. Und deshalb, weil Ihre Aversion gegen Russen so groß ist, glauben Sie, die Ukrainer lieben zu müssen. Was sie nicht wirklich tun. Sie sind „nur“ im Krieg. Russen gehören für Sie nicht nach Mariupol, richtig? Passend dazu Ihr Schlusssatz (Hervorhebung durch Autor):
„Sie erzählen die Geschichte seiner geliebten Stadt Mariupol, mit seinen ukrainischen Bewohnerinnen und Bewohnern. Geschichten vor dem Angriffskrieg. Und Geschichten im Angriffskrieg.“ (1v)
Das könnte man durchaus auch als Rassismus durchgehen lassen, finden Sie nicht auch?
Zumal nicht nur mehr als 40 Prozent der Mariupoler Einwohner ethnische Russen sind (und waren), sondern auch fast 90 Prozent der Einwohner russisch als ihre Muttersprache ansehen (60). Sie unterschlagen, bewusst oder aus Unwissenheit, wie russisch Mariupol nicht nur ist, sondern es historisch schon immer war.
Ob Sie das nun vorsätzlich tun oder nicht, ändert nichts daran, dass Sie reale oder angebliche Einzelschicksale für eine Agenda instrumentalisieren, die den Hass auf alles Russische schürt. Ein Paradebeispiel ist Ihr prominent verbreiteter Bericht — falsch, Ihre Erzählung — von der Vergewaltigung einer ukrainischen Frau (Galina) im Vorjahr, den Sie abschließen mit (Hervorhebung durch Autor):
„Trotzdem möchte Galina nicht aufgeben. Ihr ist es wichtig, dass die Welt von der Brutalität russischer Soldaten in der Ukraine erfährt.“ (61)
Galina ist das wichtig? Ihnen ist es wichtig! Weil eine solche Erzählung Ihre Hass produzierende und spaltende Agenda stützt. Eine Agenda, die nicht nach Gerechtigkeit ruft, sondern die Weiterführung des Krieges zum Ziel hat. Gibt es tatsächlich keine innere Stimme, die Sie warnt, dass da etwas nicht gut ist? Aussagen wie die Obige scheinen Sie außerdem als Versatzstücke für den Mehrfachgebrauch anzuwenden (Hervorhebung durch Autor):
„Dovhan [also nicht Galina, siehe oben] und die Frauen, denen sie hilft, haben ein Ziel. «Wir wollen, dass diese Verbrecher bestraft werden», erzählt sie uns. Ihr ist es wichtig, dass die Welt von der Brutalität russischer Soldaten in der Ukraine erfährt. Die westlichen Partner sollen verstehen, welche Verbrechen russische Soldaten verübten.“ (62)
So ich bereits von Doppelbödigkeit sprach, erinnere ich mich erneut an die Berichterstattung der ARD zu den Kriegen in Libyen und Syrien, in denen nicht sauber zu prüfende Opfererzählungen benutzt wurden, um nach Strafe, also nach Gewalt und Krieg zu rufen. Bei Ihnen, bei der ARD, hat sich nichts zum Guten verändert. Es ist alles nur noch schlimmer geworden.
Kritiklos und distanzlos — wofür Sie auch noch abgeklatscht und befördert werden, Frau Petersohn (63) — machen Sie sich die Aussagen einer Kriegspartei zu eigen. Haben Sie, Frau Petersohn, jemals den Versuch gewagt, Vergewaltigungs- und Kastrationsopfer ukrainischer Militärs und Sicherheitskräfte aufzufinden? Das Potenzial dafür ist dort auf jeden Fall vorhanden, nicht erst seit 2022 (64, 65). Journalismus zeichnet sich unter anderem dadurch aus, ausgewogen zu sein. Das geht Ihnen leider völlig ab und so geht das, was Sie tun, auch nicht als Journalismus durch.
Die Ignoranz zu diesem offenen Brief wie auch eine inhaltsleere, aus dem Schubkasten gezogene Antwort werden mich nicht enttäuschen. Die Enttäuschung hat bereits stattgefunden.
Achtungsvoll, Peter Frey
Quellen und Anmerkungen: https://peds-ansichten.de/2024/02/ard-t ... th-hounds/