Am 20. November 2014 stellten sich Vertreterinnen des Journalistinnenbundes im Haus der taz in Berlin die Frage:
Gibt es einen guten Boulevard?
Immer mehr öffentlich-rechtliche und kommerzielle Medien räumen dem Boulevard vermehrt Platz ein. Die Gesellschaft erwartet angeblich von den Medien zunehmend emotionalisierte Berichterstattung. Wie reagieren Medien im Zeitalter des Internet auf die Herausforderungen kürzerer Reaktionszeiten und beim Kampf um die Überbietung der Schlagzeilen?
Zum Thema "Nichts als Boulevard? Fernsehunterhaltung zwischen 'Quality Serien' und 'Trash TV'" sprach
Professorin Dr. Elisabeth Klaus, die eine
Lanze für den Boulevard brach und selbst Germanys Next Top Model einen positiven Touch verlieh, da ja dort inzwischen auch Migrantinnen teilnehmen dürften.
Dr. Hans-Jürgen Arlt, Publizist und Kommunikationswissenschaftler, hielt einen Vortrag unter dem Titel:
"BILD, The Sun, Kronen Zeitung – missratene Kinder von Öffentlichkeit und Ökonomie
Warum Kapitalismus gute Autos, aber schlechte öffentliche Informationen produziert."
Insbesondere die Thesen zur Aufmerksamkeitsökonomie waren bemerkenswert (auch die Verlinkung auf einen 18 Jahre alten
Heiseartikel), allerdings auf Grund der Zeit zu knapp abgehandelt. Der Honorarprofessor hatte zudem merkliche Probleme seine PP-Präsentation im Rücken, eine sinnvolle Strukturierung des Vortrages und das knappe Zeitbudget in Einklang zu bringen.
Eva Kohlrusch (Kolumnistin und ehemalige jb-Vorsitzende) zog in ihrem Vortrag
"Gefühlsmassagen – die Sucht nach Dramen und Inszenierungen im Boulevard" Bilanz über 50 selbsterlebte Jahre im Dienste des Boulevards.
Ab 18.00 Uhr fand eine Podiumsdiskussion und anschließende Gesprächsgruppen mit den Teilnehmerinnen Marion Horn (Chefredakteurin "Bild am Sonntag"), Ines Pohl (Chefredakteurin "taz"), Christiane Stürenberg (ehemals MDR,Redaktionsleiterin "Focus TV") und Juliane Leopold - (Chefredakteurin "Buzzfeed")
Verstörend für mich war, dass taz-Chefredakteurin Ines Pohl allen Ernstes behauptete, die
taz sei ein linkes Boulevardblatt.
Unter Boulevardisierung versteht man „den Wandel von Medieninhalten, -formaten und Präsentationsformen im Zuge verstärkter Unterhaltungsorientierung“. Diese bedient sich der Mittel der Intimisierung, Personalisierung und Skandalisierung. Quelle: G. Bentele, H.-B. Brosius, O. Jarren (Hrsg.): Lexikon Kommunikations- und medienwissenschaft. Wiesbaden 2013, Seite 33
Bislang stand die taz laut
Satzung im Verdacht, sich publizistischer Ziele für Demokratie, Verteidigung der Menschenrechte, der Interessen der Schwachen sowie dem Kampf gegen Rassismus, Frauenunterdrückung, Diskriminierung und Faschismus zu widmen.
Innerhalb der Podiumsdiskussion verteidigte auch Ines Pohl den Boulevardjournalismus mit den Worten: Bouleverd muss weh tun.“ Dabei war es einst die taz, die am 50. Geburtstag der BILD 2002 titelte „50 Jahre Bild – Jetzt reichts!“, um so gegen den Boulevardjournalismus des Blattes zu protestieren.
Buzzfeed ist eine User-orientierte Mischung aus Blog, Nachrichtenticker und Online-Magazin und ist auf das Aufspüren viraler Internet-Hits spezialisiert. Laut Chefredakteurin
Juliane Leopold werden auf Buzzfeed mit sehr einfacher Sprache, kurze klare Ansagen transportiert, die jederzeit von unterwegs in Gänze rezipiert werden können.
Die Währung sind klicks und dark social. “Dark Social” meint jeglichen sozialen Traffic, der seinen Ursprung nicht auf den traditionellen sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook hat.
Buzzfeed wurde aus der Runde ein feministisches Format bescheinigt – meine Suche nach Indizien dafür dauert noch an.
Christiane Störenberg (MDR, Pro7) plauderte schon mal aus dem Nähkästchen und erzählte, dass die erste Frage der Programmchefs vor Ausstrahlung von Formaten: „Gibt es Opfer?“ wäre. Opfer meint in dem Zusammenhang Geprellte, Geschädigte, Verletzte, Betrogene. Schön sei es auch, wenn die Opfer weinten. Beim MDR können die Opfer gerne 60+ sein, bei Pro7 entsprechend jünger. Mit ernsteren Themen könne man die Zuschauer nicht zur Primetime belasten, eine richtig gute
Reportage über Ebola wurde demnach am 20.11.2014 von 00:55 Uhr - 01:30 ausgestrahlt.
Reportagen über Kobane interessiere niemanden.
Meine Irritation steigerte sich, als dann die Frage aufkam, wie „wir denn künftig die Leute informieren wollen“ wenn die sich so gar nicht für Informationswürdiges interessieren.
Als ich mich entschloss der Einladung des Journalistinnenbundes zu folgen hatte ich die Hoffnung, dass sich um eine kritische Veranstaltung handelt. Die unsäglichen Wulff-Storys vom Bobby-Car bis zur angeblichen Rotlichtvergangenheit der Präsidentengattin noch im Hinterkopf, die kürzlich stattgefundenen Konfrontation mit der Exfrau des GDL-Chefs gerade verdaut, die Deutung der Körpersprache Putins mehrfach öffentlich-rechtlich alimentiert und jahrelange Wetten-Dass-Abgesänge in der ganzen Tiefe des deutschen Blätterwaldes ertragen – es muss doch mehr Raum geben für Relevantes!
Ich hatte da echt auf die Frauen gehofft.
Die besondere Verantwortung von Journalistinnen angesichts der zunehmenden Boulevardisierung der Medien kam während dieser Veranstaltung nicht zur Sprache. Es waberte eine große Zufriedenheit mit dem eigenen Dasein durch den Raum - die gegenseitige Beweihräucherung unterstrich diesen Eindruck.
Eine Journalistin eines öffentlich-rechtlichen „kritischen“ Nachrichtenmagazins fragte mich einst in klagendem Ton: „Warum ist Ihnen das alles so wichtig? Sie könnten in der Zeit doch so viel Schönes machen.“
Fazit: Das Medienlabor des Journalistinnenbundes war für mich verlorene Zeit und wird mich für alle Zeiten daran erinnern, "Schöneres zu machen" als da noch einmal als Gast teilzunehmen.
Der
Tagesspiegel berichtete.
Ergänzungen nach Informationslage möglich.