Programmbeschwerde zur Rentenberichterstattung von ARD-aktuell

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Maren
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Programmbeschwerde zur Rentenberichterstattung von ARD-aktuell

Beitrag von Maren »

Programmbeschwerde zur Rentenberichterstattung von ARD-aktuell

Kurz erklärt: Wie sicher ist die Rente?
24.11.2016, Sarah Walzer, SWR

"Der Lebensstandard wird sinken"
Stand: 25.11.2016 14:30 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Behauptung, es gebe ein demografisch bedingtes Rentenproblem, das nur mittels Beitragserhöhungen oder Leistungsabsenkungen zu lösen sei, ist eine Lüge. Sie kann sich nur dank tatkräftiger Mitwirkung der Staats- und der korporierten Massenmedien am Leben halten, ihr wichtigster Verbreiter ist ARD-aktuell. Ständige Wiederholung macht sie zwar nicht faktisch wahr, aber sie blockiert einen breiten gesellschaftlichen Diskurs: darüber, dass das gegenwärtige Rentenproblem gewollt ist und über lange Jahre absichtlich herbeigeführt wurde.

Unsere Programmbeschwerde richtet sich konkret gegen den jüngsten ARD-aktuell-Beitrag zur Stabilsierung des Lügengebäudes. Wieder einmal berichtet die Redaktion unvollständig, einseitig und desinformativ über das Problem der Rente, ganz im Sinne der Bertelmannstiftung und der kommerziellen Versicherungs-Lobby. Unterschlagen werden, wie gewohnt, gegenläufige Informationen, die für eine umfassende Darstellung erforderlich wären und dem Publikum ein angemessenes Verständnis der komplexen Problematik erst ermöglichen würden.

Sachkundige Analysen lässt ARD-aktuell weitgehend außer Betracht, beispielhaft steht dafür der Umgang mit der Untersuchung der DGB-Gwerkschaft ver.di: https://wipo.verdi.de/++file++582ebf38f ... -Alter.pdf

Auf Tagesschau.de zeigt sich das in populistisch-flottem, oberflächlichem Qualitätsjournalistendeutsch:

„1995 finanzierten vier Arbeitnehmer einen Rentner. Heute sind es nur noch drei. Weil sich diese Entwicklung weiter fortsetzt, fragen sich viele junge Menschen: Wie sicher ist die Rente? Denn um das heutige Niveau zu halten, müsste der Staat massiv zuschießen.“

DerSozialwissenschaftler E. Scheunemann stellt angesichts dieser plakativen Simpelei einige sehr berechtigte Fragen:

"Und warum wird hier nicht gesagt, dass das deutsche BIP zwischen 1995 und 2015 von knapp 1,9 Billionen Euro auf über 3 Billionen Euro gestiegen ist - also viel schneller als der Anteil der Rentner an der Gesamtgesellschaft oder auch nur in Relation zur Erwerbsbevölkerung? Warum wird nicht gesagt, dass unsere Gesellschaft auch in den 1950er, 60er, 70er etc. Jahren gealtert ist -.....Warum wird nicht gesagt, dass dann, wenn aus den Zuwächsen (BIP-Wachstum) immer mehr in Richtung der Gruppe der Rentner umverteilt wird, alle immer mehr bekommen .... Und welches denk- und moralfähige Wesen könnte etwas dagegen haben, dass alle, in absoluten Größen gerechnet, immer mehr bekommen - auch dann, wenn der prozentuale Anteil, den die Arbeitenden in Form von Rentenbeiträgen oder Steuerzahlungen für die Rentenkassen zahlen, relativ steigt? Denk- und Moralfähige haben nichts dagegen, andere schon. Also solche zum Beispiel, die sagen, dass 25 Prozent für die gesetzliche Rente viel zu viel seien, 18 Prozent für die gesetzliche Rente und sieben Prozent für private, an Profitmaximierung interessierte Rentenversicherer aber völlig okay.“

Alternative Modelle zur Finanzierung einer guten Rente und einer gerechten, auskömmlichen Versorgung im Alter gibt es nicht nur als abgesicherte Konzepte der Sozialwissenschaft, sondern als gelebte Praxis auch in einigen Nachbarländern (Stichworte: Schweizer Modell, skandinavisches Modell). Nur unsere Neocons in Berlin und die ihnen gefügig folgenden Mainstream-Medien (MM) verhindern eine Dkussion über grundlegende Änderungen und Verbesserungen des deutschen Rentensystems. Hierzulande ist der Dienst an den Profitinteressen der Versicherungswirtschaft diskursleitend, und daran wirkt ARD-aktuell nach Kräften mit.

Am vorliegenden Beitrag zeigt sich erneut dieser Gleichschritt von ARD-aktuell und herrschenden Funktionseliten. Das „Informations“angebot der Redaktion ist weit entfernt davon, auf die tatsächlichen Probleme auch im Interesse der zukünftigen Rentenbezieher einzugehen. Nicht einmal der Fakt, dass die gegenwärtigen und vor allem die künftigen Rentner den bedeutendsten Anteil an der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu leisten haben, bewegt dieses Institut zu versachlichender Informationsarbeit.

Dass ARD-aktuell systematisch und einseitig nur Stimmen zu Wort kommen lässt, die das Märchen vom Rentenrisiko propagieren, wird auch am Interview mit dem "Experten" Ragnitz des IFO-Instituts deutlich. Dieses Institut, nach Vereinsrecht gestaltet, wird zu zwei Dritteln aus Steuermitteln finanziert, der Rest kommt aus sogenannten Drittmitteln, die zumeist aus öffentlichen Aufträgen an Privatfirmen stammen. Eine unabhängige und neutrale Quelle sprudelt hier ganz gewiss nicht, alleinige Bezugnahme auf IFO ist lediglich Ausdruck von Einseitigkeit und regierungsfrommem Konformismus.

Die Berichterstattung der ARD-aktuell über die Rentenproblemtik ist propagandistisch, einseitig, ein Verstoß gegen die Programmrichtlinien.

Dort heisst es u.a.:"Die ARD hat bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit der Programme und Angebote zu berücksichtigen".

Die ARD-aktuell-Berichterstattung über die Rente erfüllt diese gesetzliche Verpflichtung nicht.

F. Klinkhammer und V.Bräutigam
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Maren
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Re: Programmbeschwerde zur Rentenberichterstattung von ARD-aktuell

Beitrag von Maren »

Stellungnahme von ARD-aktuell zu der E-Mail der Herren F. Klinkhammer und V. Bräutigam vom
27.11.2016 zur Berichterstattung über die Rentenpolitik


In ihrer Programmbeschwerde vom 27.11.2016 kritisieren die Herren Klinkhammer und Bräutigam die Berichterstattung von ARD-aktuell zur Rentenpolitik insbesondere vom 24. und 25.11.2016 als unvollständig, einseitig und propagandistisch. Sie werfen der Redaktion vor, in einem Beitrag mit dem Titel „kurz erklärt: Wie sicher ist die Rente“ für das „Nachtmagazin" gegenläufige Informationen zu unterschlagen, die für eine umfassende Darstellung der Problematik erforderlich wären. Zudem kritisieren sie ein lnterviewauftagesschau.de mit dem IFO-Experten Ragnitz, dessen Unabhängigkeit sie anzweifeln. Vorgeworfen wird ARD-aktuell auch noch, alternative Lösungsvorschläge z. B. der Gewerkschaften zu ignorieren.

ARD-aktuell hat sich daraufhin die Berichterstattung noch einmal angesehen und nimmt wie folgt Stellung:
Die Berichterstattung am 24. und 25.11.2016 über die Rentenpolitik war geprägt durch die Bera-tungen im Koalitionsausschuss zu dem Thema. Im Vordergrund stand die aktuelle Berichterstattung über die Beschlüsse bzw. das Rentenkonzept von Sozialministerin Nahles. Dabei wurden aber auch hintergründige Aspekte berücksichtigt: Wie ist das Rentenniveau langfristig zu sichern? Wie ist die Beitragshöhe zu bremsen? Wie muss eine sinnvolle Altersvorsorge aussehen?

Beispielhaft dafür sind die „Tagesthemen" vom 24.11.2016: In einem Beitrag werden drei Men-schen vorgestellt, denen bei Erreichen des Renteneintrittsalters Altersarmut drohen könnte, sollte es bei der derzeitigen Entwicklung im Rentensystem bleiben. Anschließend geht es in einem Ge-spräch mit unserem Korrespondenten Arnd Henze in Berlin um die Koalitionsrunde vom Abend und deren Beratungen:
http://www.tagesschau.de/multimedia/sen ... -4869.html

Das „Nachtmagazin“ berichtet ebenfalls mit einer Schalte zu Arnd Henze und zeigt anschließend den Beitrag „kurz erklärt: Wie sicher ist die Rente?“. Dieses Format erhebt nicht den Anspruch, Lösungsansätze umfassend vorzustellen. Das wäre in knapp zwei Minuten auch gar nicht möglich.
Stattdessen sollen anhand von Schlüsselbegriffen wie z. B. Umlageverfahren, Standardrente, Bei-tragssatz und Rentenniveau die Funktionsweise der Rentenversicherung erklärt und eine Antwort auf die Frage „Wie sicher ist die Rente?“ gefunden werden. Mit diesem Format soll gerade auch ein jüngeres Publikum angesprochen werden. Außer im „Nachtmagazin" werden die Stücke der Reihe „kurz erklärt“ zudem im Internet und den Sozialen Netzwerken veröffentlicht. Die darin vorge-stellten Zahlen und Fakten sind unstrittig, die Quellen sind die Rentenversicherung und das Statistische Bundesamt.
https://www.tagesschau.de/multimedia/ku ... e-227.html

Auf tagesschau.de war es möglich, das Thema noch vielfältiger anzugehen. So wurden in einem „FAQ“ grundlegende Aspekte ausführlich behandelt:
https://www.tagesschau.de/inland/faq-rente-101.html

Vor dem Treffen der Großen Koalition wurden die Grundprobleme in einem ausführlichen Autoren¬beitrag vorgestellt. Und selbstverständlich kommen hier neben Politikern auch Vertreter der Ar¬beitgeberseite und der Gewerkschaften mit ihren Vorstellungen zu Wort:
https://www.tagesschau.de/inland/rente- ... s-101.html

Am Tag nach der Koalitionsrunde wurde der von den Petenten kritisierte Wirtschaftsforscher Joachim Ragnitz zu den Ergebnissen befragt. Es handelt sich hier um ein Interview, naturgemäß kommt hierbei nur eine Seite zu Wort. Das IFO Institut für Wirtschaftsforschung ist eine angesehene wissenschaftliche Einrichtung und Mitglied der Leibnitz-Gemeinschaft. Aus Sicht von ARD-aktuell gibt es keinen Zweifel daran, dass es sich bei Herrn Ragnitz um einen anerkannten und unabhängi¬gen Experten handelt, dessen Ausführungen zur Rentenpolitik als relevant zu bewerten sind.
Weitere Interviews zum Thema Rente aus der letzten Zeit zeigen die Breite der bei ARD-aktuell zu Wort kommenden Fachleute:

Mit Bundesarbeitsministerin Nahles in den „Tagesthemen" vom 04.10.2016:
http://www.tagesschau.de/inland/nahles-tt-101.html

Mit dem Wirtschaftswissenschaftler Klaus F. Zimmermann auftagesschau.de:
https://www.tagesschau.de/inland/rente348.html

Mit dem Sozialforscher Florian Blank, der auf tagesschau.de eine Stärkung der Rentenversicherung fordert:
https://www.tagesschau.de/inland/interv ... g-101.html

Und mit dem Statistik-Experten Gerd Bosbach ein älteres Interview, das die Frage der Genauigkeit der demographischen Analysen bezweifelt:
https://www.tagesschau.de/inland/demogr ... ell02.html

Aus allen diesen Beispielen ergibt sich, dass ARD-aktuell über die Rentenpolitik und ihre Probleme sowie über Lösungsansätze in den unterschiedlichsten Ausspielwegen auf vielfältige, formatgerechte Art berichtet hat, sowohl aktuell als auch hintergründig. Alle relevanten Positionen sind zu Wort gekommen, die grundlegenden Probleme sind korrekt dargestellt worden.

Dr. Kai Gniffke
06.12.2016
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Maren
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Re: Programmbeschwerde zur Rentenberichterstattung von ARD-aktuell

Beitrag von Maren »

Programmbeschwerde vom 27.11.2016 / "Rentenberichterstattung"

Sehr geehrte NDR-Rundfunkräte,

die Stellungnahme des Chefredakteurs Dr. Gniffke ist eine blanke Zumutung: Wir kritisierten detailliert und begründet zwei konkret benannte Beiträge im Rahmen der - generell unzulänglichen - Berichterstattung über die Rentenentwicklung, und was passiert?

Wir erhalten keine konkrete Stellungnahme, sondern werden zugeschüttet mit unzähligen Beiträgen, die früher einmal von ARD-aktuell gesendet wurden, zwar zum Thema, aber nicht in irgend einer Weise tauglich, unsere Kritik zu widerlegen. Das übliche Nebelkerzen-Werfen von ARD-aktuell, Ausdruck arroganter Unaufrichtigkeit. Mit keinem Wort geht dieser Chefreakteur exakt auf unsere Beschwerde ein: Kein Wort darüber, warum nicht einordnend in den Nachrichten darauf Bezug genommen wird, dass das deutsche BIP zwischen 1995 und 2015 von knapp 1,9 Billionen Euro auf mehr als 3 Billionen Euro gestiegen ist, viel schneller als der Anteil der Rentner an der Gesamtgesellschaft, und dass damit absichtlich ein wesentlicher Faktor bei Beurteilung der Rentenentwicklung außer Betracht blieb. Nicht anders verhält es sich mit der ignorierten Relation zum Einkommen der Erwerbsbevölkerung...keine Begründung dafür, warum fast ausschließlich Verfechter von Rentenkürzungen unter den „Experten" zu Wort kommen und keine Experten, die deren Thesen und Vorschläge widerlegen könnten.

Dass der Gniffke-Truppe keine Zweifel an der Einseitigkeit des "Experten" Ragnitz kommen, zeigt das höchst fragwürdige intellektuelle Niveau der „Flaggschiff“-Besatzung und liefert die Bestätigung unserer Kritik an der einseitigen Berichterstattung über Rententhemen.

Ministerin Nahles als Zeugin für die "Breite der Berichterstattung" zu nenen, ist wahrlich nicht nur ein schlechter Witz. Schändlich, dass sich ein Journalist zur Rechtfertigung der eigenen Parteilichkeit auf die im Zweifel opportunistischen Äußerungen einer Berufspolitikerin beruft, die ihre Aufgabe nicht etwa in der Entwicklung eines Rückwegs in ein einst gesundes Rentensystem sieht, sondern sich als Kompromisslerin zwischen nicht vereinbaren sozialen Gegensätzen versteht, die sich zwischen der Geld- und Wirtschaftselite einerseits und der lohn-bzw. rentenabhängigen Bevölkerungsmehrheit andererseits aufgetan haben; ein Kompromisslerin, deren hauptsächliche Aktivität das politische Einknicken vor den Interessen der Wirtschaftskartelle besteht. Sie ist ja geradezu Symbolfigur der Rentenkürzer-Garde ihrer Partei geworden.

Klaus W. Zimmermann, ein anderer „Experte", meint, dass eine Weiterbeschäftigung der Älteren notwendig sei, inklusive der Rente ab 67 und später sogar ab 70.

Der Sozialforscher Florian Blank ist zwar ein Experte, der vom herrschenden Renten-Verschlechterungs-Diskurs abweicht. Er ist aber eine Ausnahme-Erscheinung in der Berichterstattung von ARD-aktuell. Indem die Redaktion ihn in seiner Außenseiter-Funktion darstellt, macht sie sich zugleich doch zum Transporteur der „herrschenden Meinung". Zum letzten Mal übrigens hörte man von Blank vor mehr als einem Jahr. ARD-aktuell tut so, als gäbe es nicht unzählige andere Fachleute, die Alternativen zum gegenwärtigen Rentensystem und seiner inhärenten Garantie weitverbreiteter Altersarmut entwickelt haben, als gäbe es nicht zahlreiche höherwertige und im Ausland praktzierte Rentenmodelle mit größerem Anspruch auf Gerechtigkeit und Zuverlässigkeit... (Beispiele: Skandinavische Rentenmodelle, Schweizer Rentensystem)

Den Mathematiker Bosbach hier aufzuführen, zeigt, wie schwach ARD-aktuell in ihrer Argumentation ist. Den erwähnten Beitrag gab es vor vier Jahren. Bosbach maßte sich allerdings nicht an, "Rentenexperte" zu sein, sondern äußerte sich als Statistiker.

Fazit: Der hiesige Rentendiskurs wird von der Gniffke-Truppe nur selektiv und unter größter Rücksichtnahme auf neoliberale, neokonservative Interessen begleitet, entgegen dem Informationsanspruch der Rentenbezieher und der Öffentlichkeit insgesamt. Die Redaktion leistet der politischen Elite im Land Helotendienste, den Programmauftrag jedoch erfüllt sie nicht.

Wir bleiben bei unserem Vorwurf des Richtlinienverstoßes.

F.klinkhammer, V. Bräutigam
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