z.Hd. Intendantin Dr. Yvette Gerner
Diepenau 10
28195 Bremen
Programmbeschwerde gegen die Sendung Rabiat: Besser leben ohne Kinder?
Mo., 22.08.22 | 23:35 Uhr Das Erste, produziert von https://sendefaehig.com
Weiterhin bis August 2023 verfügbar unter:
https://www.daserste.de/information/rep ... r-100.html
Sehr geehrte Frau Dr. Gerner,
hiermit lege ich Programmbeschwerde gegen die Sendung Rabiat: „Besser leben ohne Kinder?“ ein. Die Sendung, produziert von der Firma sendefähig GmbH, vermittelt zwar vordergründig den Eindruck, einen ausgewogenen Beitrag hinsichtlich des Für und Wider der Elternschaft geben zu wollen, scheitert aber im Laufe des Beitrages an diesem Versuch, was am Ende sogar bei dem sogenannten "Regretting Motherhood" – wenn vielleicht auch nicht gewollt, kindswohlgefährdend sein könnte.
Die 37jährige Autorin Katja Döhne, selbst kinderlos, interviewt am Anfang zwei bekennende Antinatalisten. Die Kunstlehrerin und Autorin Verena Brunschweiger und den Philosophen Dr. Karim Akerma.
Brunschweiger will nach eigenen Angaben andere von der Idee überzeugen, ebenfalls keine Kinder zu bekommen. Um den Klimawandel zu stoppen, sei es das beste Mittel, sich nicht fortzupflanzen. Dies wird im Begleittext auch noch mit einer Studie aus Schweden untermauert, ohne sie allerdings sauber wissenschaftlich als Quelle zu benennen.
Im Interview ergreift die Autorin aufgrund ihrer eigenen Lebensumstände sogar in gewisser Weise Partei für die in Ansätzen schon fast verhaltensauffällige antinatalistische Prägung von Frau Brunschweiger. Dies gipfelt insbesondere darin, als die Autorin eine Studie anspricht, wonach bei der Schwangerschaft das Gehirn schrumpfen soll und Frau Brunschweiger unreflektiert im Beitrag sagen kann, dass sie Fakten der Wissenschaft benennt.
Sobald von Studien und wissenschaftlichen Fakten die Rede ist, hat aber eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt die Aufgabe, strenggenommen sogar die Pflicht, wissenschaftlich exakt zu argumentieren. Dazu gehört insbesondere sich mit den Studien inhaltlich auseinanderzusetzen. Der Autorin hätte dann aber auf alle Fälle entgegnen müssen, dass diese Aussage zwar stimmt, aber es erklärbare Gründe dafür gibt und Leistungsfähigkeit des Gehirns der werdenden Mutter nicht leidet. Eine einfache Recherche im Netz hätte gereicht, um einen Beitrag von Dr. Erika Barba-Müller, Neurowissenschaftlerin, Psychologin und Psychotherapeutin am Centre Pí i Molist in Barcelona zu finden, der die komplexen Zusammenhänge beschreibt und auf keinen Fall einen Zusammenhang zwischen Schrumpfung des Gehirns und kognitiven Fähigkeiten der Schwangeren herstellt. Im Gegenteil, in einem Beitrag unter http://www.dasgehirn.info heißt es dazu wie folgt:
Akerma hat sich auch bewusst gegen Kinder entschieden. Der Philosoph aus Hamburg ist einer der wenigen Männer in der Antinatalisten-Bewegung. Für ihn ist es eine Frage der Moral. Wer ein Kind auf die Welt bringt, der schenke dem neuen Menschen auch alles Schlechte, was ein Leben mit sich bringen könne. Dies hat der Philosoph auch in einem Interview hervorgehoben und argumentiert zumindest aus seiner antinatalistischen Sicht wissenschaftlich sauber.„Die Umbauprozesse während einer Schwangerschaft ähneln übrigens denen in der Pubertät. Auch hier steigt der Pegel der Sexualhormone an und die Gehirnsubstanz reduziert sich. Wir vermuten deshalb, dass die Umbauten im Gehirn in der Schwangerschaft ähnlich wie in der Pubertät einer Art Feintuning der Gehirnverbindungen dienen könnte. Die neuronalen Netzwerke spezialisieren sich und werden effizienter – kognitive Fähigkeiten gehen dadurch nicht verloren.“
Gegen die Darstellung dieser persönlichen Lebenseinstellungen der beiden Antinatalisten ist nicht unbedingt etwas einzuwenden, insbesondere weil hier noch ein konträres und lebensbejahendes Gegenbild von jungen Klimacamp-Aktivisten gegenübergestellt wird. Fast hat man schon den Eindruck, als passt es der Autorin gar nicht so richtig ins redaktionelle Bild, dass junge Studenten ihr Engagement damit begründen, dass Sie sich für das Klima insbesondere deshalb einsetzen, weil sie für die nächsten Generationen eine lebenswerte Umwelt erhalten wollen. Und selbstverständlich auch irgendwann eigene Kinder haben wollen.
Schwieriger wird es schon bei der Darstellung von einer 22-jährigen Frau, die sich sterilisieren lassen will. Dies wird im Beitrag zusammen mit dem 36-jährigen Dominik, der sich aus voller Überzeugung bereits mit 22 Jahren sterilisieren lassen hat, positiv konnotiert.
Warum hat die Autorin nicht auch Personen interviewt, die es nach Jahren bereut haben, sich sterilisieren zu lassen? Hier bleibt der Vorwurf, dass damit der Sterilisationswunsch einer 22-jährigen als völlig normal manifestiert werden soll. Was insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich bei Rabiat um ein Sendeformat handelt, was sich hauptsächlich an ein junges Publikum wendet, besonders kritikwürdig ist.
Dieser Vorwurf wird auch dadurch bekräftigt, dass es ein ausführliches Interview mit der Ärztin gab, die den irreversiblen Eingriff der Sterilisation einer 22-jährigen Frau als Selbstverständlichkeit darstellt, es sogar noch als Ausdruck eines modernen und gesellschaftlich anzustrebenden Lebensmodels erklärt.
Alleine die Tatsache, dass es nur ganz wenige Ärzte in der Bundesrepublik gibt, die diesen Eingriff an jungen Frauen vornehmen, hätte geradezu eine Position eines Arztes, der Sterilisationen an unter 30jährigen ablehnt, für einen ausgewogenen Bericht geradezu zwangsläufig abverlangt, zumal es die derzeitige Mehrheitsmeinung der Ärzteschaft ist. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Radio Bremen einen gesetzlichen Auftrag der ausgewogenen Berichterstattung hat, und sich der Beitrag insbesondere an Jugendliche wendet, sollte bei solchen Themen eine außerordentliche Sorgfaltspflicht an den Tag gelegt werden.
Dies sieht der Rundfunkrat letztendlich genauso.
So heißt es auf Seite 2, der Entschließung des Rundfunkrats von Radio Bremen zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland:
Vor diesem Hintergrund möchte ich zu meinem Hauptkritikpunkt an der Sendung kommen:„Das Einordnen und Aufzeigen von Zusammenhängen in kritischen Sachbeiträgen und die Bewertung von Standpunkten in – als solchen erkennbaren – Meinungsbeiträgen können den eigenständig urteilsfähigen Bürger eine willkommene Anregung sein bei ihrer Positionsbestimmung. So wirken öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten auftragsgemäß als „Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung“ (§ 26 Abs. 1 Medienstaatsvertrag) .
Die alleinerziehende Mutter Franziska Burkhardt aus Weimar, die mit ihrem Kind oft überfordert war, gibt vor laufender Kamera zu, dass sie bereut, ein Kind bekommen zu haben. Sie gehört der Bewegung "Regretting Motherhood" an und stellt ihre eigene Mutterrolle auch in Theaterperformance infrage. Die offensichtlich auch in psychischer Hinsicht überforderte Mutter darf dann zusammen mit der Autorin im Kinderzimmer ihrer Tochter darüber berichten, dass Sie mit ihrer Mutterschaft überfordert ist und dass sie es bereut, Mutter geworden zu sein.
Man stelle sich nur einmal vor, was mit der Psyche des 8jährigen Kindes passiert, wenn es durch Zufall diese Sendung sieht und es dadurch feststellen muss, eigentlich von der leiblichen Mutter nicht geliebt zu werden?
Wieso beteiligt sich eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt an so eine die kindswohlgefährdende Aktion?
Letztendlich gibt die Autorin auch noch in einer Berliner Seniorenunterkunft einen Einblick und fragt kinderlose Senioren, inwieweit sie es bereuen, kinderlos geblieben zu sein. Von einer Ausnahme abgesehen, scheinen alle mit diesem Schicksal glücklich zu sein.
An dieser Stelle endet die Sendung ohne aber auf andere Lebenswirklichkeiten unser Gesellsaft einzugehen. So ist es für mich völlig unverständlich, wieso die Autorin in ihrem Beitrag nicht die kulturellen Vielfallt im Sendegebiet im Hinblick auf das Thema der Sendung „Besser leben ohne Kinder?“ abbildet.
Erfahrungsgemäß ist es ja durchaus nicht unüblich, dass Menschen mit Migrationsgeschichte besonders kinderlieb sind und sich dies auch in der Anzahl der Kinder qualitativ widerspiegelt.
Wieso hat sich die Autorin ausschließlich auf die deutsche Mehrheitsgesellschaft konzentriert und sich nicht mit den Beweggründen von nichtdeutschen Bewohnern im Sendegebiet auseinandergesetzt? Immerhin steht nach dem Selbstbild des Senders Diversity als wichtiges Thema im Zentrum des gesellschaftlichen Diskurses und ist wesentliches Element der Strategie von Radio Bremen. In diesem Kontext verfolgt Radio Bremen das Ziel, das Programm und den Sender so bunt zu gestalten, wie die Welt um uns herum ist.
Und auch Sie als Intendantin haben betont: „Wir machen Programm für alle im Radio Bremen-Land. Diversity gehört für uns zu den zentralen Themen.“
Abschließende sei noch angemerkt, dass ich als dreifacher Familienvater sicherlich nicht ganz unbefangen die Sendung angeschaut habe und wirklich persönlich nicht verstehen kann, weswegen Menschen sich bewusst gegen Kinder entscheiden.
Viel weniger aber kann ich verstehen, wenn es eine einseitige Parteinahme von Beiträgen Ihres Senders gibt, bei der die Gefahr besteht, dass junge Zuschauer eher zur Kinderlosigkeit ermutigen werden könnten. Zumindest besteht die hier die Möglichkeit, dass dies bei mangelhaft vorgetragener wissenschaftlicher Tiefe bei angeführten Studien passieren kann. Hier sollte zukünftig ein besonderes Augenmerk gelegt werden und Sätze wie „Neue Studien belegen …“ nur geäußert werden sollten, wenn sie mit konkreter Quellenangabe versehen sind.
Insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in Deutschland ist auch nicht nachzuvollziehen, wieso eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt einen Beitrag in Auftrag gibt, der- wenn auch nur subtil- eher Partei für die Kinderlosigkeit ergreift. Die sinkende Zahl der Menschen im jüngeren Alter und die gleichzeitig steigende Zahl älterer Menschen verschieben den demografischen Rahmen in bisher nicht gekannter Art und Weise. Jede zweite Person in Deutschland ist heute älter als 45 und jede fünfte Person älter als 66 Jahre.
Wäre es nicht im Sinne des gesetzlichen Sendeauftrages und einer gesellschaftlich gesunden Überzeugung, junge Menschen eher zum Kinderkriegen zu ermutigen?
Mit freundlichen Grüßen
Torsten Küllig
Titelbild der Sendung: