Offener Brief an die ARD zur Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt

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Maren
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Offener Brief an die ARD zur Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt

Beitrag von Maren »

Offener Brief an die ARD

An: gremienbuero-beschwerden‘ at ’ndr.de, publikumsservice‘ at ‚tagesschau.de
Betreff: Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt
Bitte reichen Sie diesen offenen Brief (auch) an Frau Petersohn (ARD-Studio Kiew) weiter.

Guten Tag, Frau Petersohn, guten Tag werte Damen und Herren,

im Folgenden nehme ich vorrangig Bezug auf ihren ARD-Tagesschau-Beitrag vom 19. Februar des Jahres, titelnd mit „Was geschah in Mariupol?“

Ende Februar 2022 kam der Krieg hinein nach Mariupol. In der südostukrainischen Halbmillionenstadt hatten sich die ukrainischen Streitkräfte verschanzt, um ihre Erfolgschancen durch die Benutzung menschlicher Schutzschilde zu erhöhen. Daran besteht kein Zweifel. Nach meinem Verständnis gehört es zu den wesentlichen Aufgaben des Journalismus, von einem Konflikt zu berichten. Ein Unding ist es, an diesem teilzunehmen. An einem Konflikt teilzunehmen, heißt, sich explizit für eine Konfliktpartei zu positionieren. Geschieht so etwas, dann ist es vorbei mit journalistischer Berichterstattung.

Ihr Zitat:

„Dann bringt Russland am 24. Februar 2022 den Krieg nach Mariupol und damit auch in Sosnowskiis Leben. Die Bewohner der Stadt leben über Wochen unter Dauerbeschuss der russischen Armee. Es gibt keinen Strom, kein Wasser, kein Gas. Die Menschen behelfen sich mit dem Allernötigsten.“ (1)


Das ist das gefühlsbeladene Gesamtbild zur Einstimmung des Rezipienten. Aus diesem picken Sie nachfolgend schwer zu überprüfende Einzelschicksale heraus, womit Sie ein emotionales Bild zeichnen, dem sich der Konsument schwer entziehen kann. Es bedarf einer hohen Medienkompetenz, die damit erzeugten Gefühle achtsam einzuordnen, sie von der (nüchternen) Sache zu unterscheiden. Eine Kompetenz, die man zuallererst von Journalisten erwarten dürfte. Im konkreten Fall ist es das Schicksal eines Kindes, das Bilder vom Krieg gezeichnet hat. Journalisten sollten immer zweifeln, aber gehen wir einmal davon aus, dass dieses Einzelschicksal real ist.

Vielleicht hat man sie ja auch auf das Thema gestoßen. Sie haben dieses dann also nicht in Eigeninitiative entwickelt, sondern es wurde explizit an Sie herangetragen. Dabei haben Sie etwas „vergessen“, Frau Petersohn. Sie haben die ukrainische Armee „vergessen“ und mit ihr die militanten Nationalisten des Asow-Bataillons, welche die Zivilisten Mariupols in Geiselhaft nahmen. Was übrigens als Kriegsverbrechen zu bewerten ist. Deshalb kam es in Mariupol zu militärischen Auseinandersetzungen, bei denen logischerweise Kampfhandlungen zweier Seiten zu registrieren waren. Zu schreiben: „Die Bewohner lebten unter Dauerbeschuss der russischen Armee“, ist eine einseitige Darstellung. Die auch nicht plausibel ist. Manipulative Berichterstattung ist selten plausibel. Dafür ist sie stets emotional.

Ihr Zitat:

„Die ukrainische Nichtregierungsorganisation Truth Hounds hat gemeinsam mit Human Rights Watch und SITU Research mühsam Beweise für das brutale russische Vorgehen gesammelt. Sie hat dazu Bewohner befragt, Hunderte Fotos, Videos und Satellitenbilder ausgewertet. Ihr Bericht ist erschreckend.” (1ii)


Mir kommt das alles sehr bekannt vor. Als es darum ging, legitime Regierungen in Syrien und Libyen zu stürzen, haben Sie — vielleicht nicht Sie persönlich, Frau Petersohn, aber ganz sicher Ihre damit befassten ARD-Kollegen — mit genau der gleichen Methode gearbeitet. Sagen wir es, wie es ist: Das ist keine journalistische Berichterstattung, sondern Kriegspropaganda. Hier die Wiederholung von einigen Ihrer bröckchenweise ausgelassenen Propaganda-Versatzstücke: „mühsam Beweise“, „brutale russische Vorgehen“, „Ihr Bericht ist erschreckend“. Solche stark emotional eingefärbten Meinungsäußerungen gehören nicht in einen Bericht dieser Art. Zumal gerade zuvor das Schicksal eines vom Krieg betroffenen Kindes instrumentalisiert wurde.

Desweiteren: Truth Hounds ist eine ukrainische Organisation? Vielleicht. Doch warum hat sie dann einen englischsprachigen Namen? Woraus leiten Sie die Glaubwürdigkeit des Berichts und der Verfasser ab? Wie definieren Sie „Beweise“? Haben Sie das geprüft? Ist das für Sie alles tatsächlich plausibel?

„Seit Mariupol unter russischer Kontrolle steht, haben ukrainische Behörden und internationale Ermittler keinen Zugang mehr zu der Stadt.“ (1i)


Wer sind für Sie „internationale Ermittler“? Etwa die Organisation, auf deren Bericht Sie ihre Nachricht aufbauten? Aber was ist mit Ihnen, den Journalisten der ARD? Sind Sie denn unabhängig? Truth Hounds ist unabhängig? Finanziers von Truth Hounds sind unter anderem:

die US-Botschaft in der Ukraine: also das US-Außenministerium,
das US-Außenministerium direkt,
das NED: das National Endowment for Democracy, praktisch also die US-Regierung,
Freedom House: wesentlich finanziert durch die US-Regierung und außerdem durch George Soros Open Society Foundation, in kleinerem Maßstab durch Google, Facebook und den Rüstungskonzern BAE,
die International Renaissance Foundation: ein Projekt der Open Society Foundation von George Soros (2).

Damit ist Truth Hounds eine im Grunde aus Washington gesteuerte Organisation, eine ukrainische Agentur der US-Außenpolitik mit einer direkten Schnittstelle zur US-Botschaft in Kiew. Truth Hounds hat man zum Beispiel für Sie, ja Sie, Medien wie die ARD, ins Leben gerufen. Truth Hounds erzählt Geschichten, die zum Beispiel Sie, Frau Petersohn, weit verbreiten sollen. Geschichten, welche die Washingtoner Politik stützen. Und Washington ist praktisch direkt in den Ukraine-Konflikt verwickelt. Ohne den massiven Einfluss der USA und die massiv angewachsene Präsenz der NATO gäbe es keinen Krieg in der Ukraine (3 bis 34). Es gäbe auch nicht das derzeitige politische System in der Ukraine — das keinesfalls so demokratisch daherkommt, wie es uns Sie und Ihre Kollegen weiszumachen suchen (35 bis 41). Es gäbe letztlich auch keine russischen Soldaten in der Ukraine. Warum sollte Russland diesem Gemisch direkter US-Einflussnahme Zugang nach Mariupol gewähren?

Truth Hounds wird übrigens auch von der IPHR unterstützt. Ist die IPHR (International Partnership for Human Rights) unabhängig? Hallo, ARD-Mitarbeiter: Finanziers der IPHR sind unter anderem:

das US-Außenministerium direkt (siehe oben bei Truth Hounds),
das NED (siehe oben bei Truth Hounds),
die Open Society Foundation (siehe oben bei Truth Hounds),
die Europäische Union und weitere (42).

Noch einer der Beteiligten des Berichts ist SITU, eine weitere sogenannte Nichtregierungsorganisation (NRO) mit Sitz in New York, die sich unter anderem der Lügen zu den Ereignissen in Butscha „verdient“ gemacht hat (43). Oder können Sie, von der ARD, mir inzwischen die bereits mehrfach von Ihnen geforderten, sodann für Jedermann nachprüfbaren Beweise angeblicher russischer Kriegsverbrechen in Butscha vorlegen? Der von Ihnen nun aktuell thematisierte Bericht taugt — schon aus oben genannten Gründen — selbstredend ebenfalls mitnichten als Beweis für die Russland vorgeworfenen Straftaten.

Wenn Sie schon die Propaganda einer direkt am Krieg beteiligten Seite eins zu eins weitergeben, dann sollten Sie doch wenigstens darauf hinweisen, wer genau Ihnen die Propaganda zugesteckt hat. Oder haben Sie diese sich eigenverantwortlich besorgt? Ist dieser, Ihr Bericht, tatsächlich freiwillig und aus eigener Kreativität entstanden? Außerdem: Wo ist der korrespondierende Bericht der anderen, also der russischen Seite?

Dass es mit freier Berichterstattung in der Ukraine — nicht erst seit der russischen Intervention — so rosig nicht aussieht, dafür gibt es schließlich genug Belege (44 bis 58).

Ihr Zitat (Hervorhebung durch Autor):

„Was genau während der monatelangen Belagerung geschah und wie das Leben für Ukrainerinnen und Ukrainer seit der völkerrechtswidrigen Annexion Mariupols ist, lässt sich kaum sagen.“ (1iii)


Wieso? Holen Sie sich doch einfach eine Akkreditierung bei den russischen Behörden und fahren Sie hin. Warum tun Sie das nicht? Warum benötigen Sie den Bericht einer nicht unabhängigen „humanitären Organisation“?

Sie sorgen sich um das Leben der „Ukrainerinnen und Ukrainer“ — tatsächlich? Gibt es in Mariupol nur „Ukrainerinnen und Ukrainer“? Interessiert Sie nicht das Leben aller Bewohner dieser Stadt, völlig unabhängig davon, wo sie sich selbst ethnisch oder national sehen? Meine Frage ist polemisch, denn Sie wissen, warum Sie das so geschrieben haben. Denn sie möchten einen Gedanken in den Köpfen der Menschen ausschließen. Nämlich den, dass die meisten Bewohner von Mariupol sich überhaupt nicht als unter Besatzern in einer „annektierten“ Stadt verstehen.

Ihr ständig wiederholter wilder Ritt über „völkerrechtswidrige Annexionen“ erinnert mich ein weiteres Mal an die völkerrechtswidrige Annexion großer Teile Syriens durch die US-Militärs. Damit lenke ich nicht vom Thema ab. Denn das Thema ist Ihre Doppelbödigkeit, die bei der ARD.

Wo sind Ihre emotionsgeschwängerten Berichte von Verbrechen der ukrainischen Armee und Geheimdienste? Gibt es dazu nichts? Wollen Sie nicht oder dürfen Sie nicht?

Und wie so oft in Ihrer Berichterstattung fehlt noch etwas. Etwas über das man Ihre Nachricht einer Erstprüfung unterziehen könnte: Und das ist die Quelle. Bemühen Sie sich nicht, ich reiche die Quelle nach, hier ist sie: https://www.hrw.org/sites/default/files ... 224web.pdf (59).

Die Schwächen dieses Berichts, „Printed in the United States of America“ (59i) sind offensichtlich. Die Hauptschwäche haben Sie, Frau Petersohn, am Anfang ihres Textes wiedergegeben. Hier noch einmal das relevante Zitat (Hervorhebung durch Autor):

„Dann bringt Russland am 24. Februar 2022 den Krieg nach Mariupol und damit auch in Sosnowskiis Leben. Die Bewohner der Stadt leben über Wochen unter Dauerbeschuss der russischen Armee […].“ (1iv)

Die heftigsten Kämpfe in Mariupol fanden im Zentrum und den Industriegebieten im Norden und in Hafennähe statt. Und nein, die russischen Streitkräfte kämpften dort nicht mit Zivilisten. Doch der Bericht der „Wahrheitssucher“ (zu deutsch für „Truth Hounds“) hat es doch tatsächlich geschafft, das ukrainische Militär weitgehend aus den Wohngebieten Mariupols „wegzuzaubern“. Die Geschichtsklitterung in dieser Erzählung macht aus einem erbitterten Häuserkampf eine stumpfe, militärisch völlig sinnlose Bombardierung von Wohngebieten durch russische Truppen.

Aber diesen, mit Verlaub, Schwachsinn verkaufen Sie — nicht ganz ungeschickt — an Ihr Publikum. Sie desinformieren ganz gezielt, in dem sie den Bericht einer US-geführten Organisation zur Hand nehmen, der behauptet, innerhalb Mariupols hätten sich keine ukrainischen Truppen verschanzt gehalten und für Zivilisten wäre der Weggang aus dem Kampfgebiet durch das russische Militär blockiert worden (50ii). Noch einmal: Das ist nicht nur aufgrund der Parteilage der Quelle unglaubwürdig, es ist auch von der Logik her Blödsinn.

Brechen Sie, Frau Petersohn, auch regelmäßig in Tränen aus, wenn Sie vom zunehmenden ukrainischen Beschuss russischer, rein ziviler (!) Infrastruktur zum Beispiel in Donezk und Belgorod hören? Der inzwischen mindestens hunderte zivile Opfer gefordert hat. Können Sie sich vorstellen, dass in Donezk und Mariupol auch weiterhin einige Tausend, vielleicht sogar Zehntausend Ukrainer gemeinsam und friedlich mit ihren russischen Nachbarn zusammen leben? Oder ziehen Sie sich dann darauf zurück, dass Berichte über den Terror ukrainischer Streitkräfte gegen Zivilisten in diesen Städten nicht prüfbar wären? Donezk wurde bereits von ukrainischen Truppen beschossen, als Russland noch gar nicht militärisch in den Konflikt eingegriffen hatte. Jetzt rede ich nicht von der Doppelmoral bei der ARD, sondern ganz speziell von der Ihren.

Was Ihr Bericht tut, ist zu spalten. Er schürt den Hass auf alles russische. Daran sind Sie, Frau Petersohn, also direkt beteiligt. Und deshalb, weil Ihre Aversion gegen Russen so groß ist, glauben Sie, die Ukrainer lieben zu müssen. Was sie nicht wirklich tun. Sie sind „nur“ im Krieg. Russen gehören für Sie nicht nach Mariupol, richtig? Passend dazu Ihr Schlusssatz (Hervorhebung durch Autor):

„Sie erzählen die Geschichte seiner geliebten Stadt Mariupol, mit seinen ukrainischen Bewohnerinnen und Bewohnern. Geschichten vor dem Angriffskrieg. Und Geschichten im Angriffskrieg.“ (1v)


Das könnte man durchaus auch als Rassismus durchgehen lassen, finden Sie nicht auch?

Zumal nicht nur mehr als 40 Prozent der Mariupoler Einwohner ethnische Russen sind (und waren), sondern auch fast 90 Prozent der Einwohner russisch als ihre Muttersprache ansehen (60). Sie unterschlagen, bewusst oder aus Unwissenheit, wie russisch Mariupol nicht nur ist, sondern es historisch schon immer war.

Ob Sie das nun vorsätzlich tun oder nicht, ändert nichts daran, dass Sie reale oder angebliche Einzelschicksale für eine Agenda instrumentalisieren, die den Hass auf alles Russische schürt. Ein Paradebeispiel ist Ihr prominent verbreiteter Bericht — falsch, Ihre Erzählung — von der Vergewaltigung einer ukrainischen Frau (Galina) im Vorjahr, den Sie abschließen mit (Hervorhebung durch Autor):

„Trotzdem möchte Galina nicht aufgeben. Ihr ist es wichtig, dass die Welt von der Brutalität russischer Soldaten in der Ukraine erfährt.“ (61)

Galina ist das wichtig? Ihnen ist es wichtig! Weil eine solche Erzählung Ihre Hass produzierende und spaltende Agenda stützt. Eine Agenda, die nicht nach Gerechtigkeit ruft, sondern die Weiterführung des Krieges zum Ziel hat. Gibt es tatsächlich keine innere Stimme, die Sie warnt, dass da etwas nicht gut ist? Aussagen wie die Obige scheinen Sie außerdem als Versatzstücke für den Mehrfachgebrauch anzuwenden (Hervorhebung durch Autor):

„Dovhan [also nicht Galina, siehe oben] und die Frauen, denen sie hilft, haben ein Ziel. «Wir wollen, dass diese Verbrecher bestraft werden», erzählt sie uns. Ihr ist es wichtig, dass die Welt von der Brutalität russischer Soldaten in der Ukraine erfährt. Die westlichen Partner sollen verstehen, welche Verbrechen russische Soldaten verübten.“ (62)


So ich bereits von Doppelbödigkeit sprach, erinnere ich mich erneut an die Berichterstattung der ARD zu den Kriegen in Libyen und Syrien, in denen nicht sauber zu prüfende Opfererzählungen benutzt wurden, um nach Strafe, also nach Gewalt und Krieg zu rufen. Bei Ihnen, bei der ARD, hat sich nichts zum Guten verändert. Es ist alles nur noch schlimmer geworden.

Kritiklos und distanzlos — wofür Sie auch noch abgeklatscht und befördert werden, Frau Petersohn (63) — machen Sie sich die Aussagen einer Kriegspartei zu eigen. Haben Sie, Frau Petersohn, jemals den Versuch gewagt, Vergewaltigungs- und Kastrationsopfer ukrainischer Militärs und Sicherheitskräfte aufzufinden? Das Potenzial dafür ist dort auf jeden Fall vorhanden, nicht erst seit 2022 (64, 65). Journalismus zeichnet sich unter anderem dadurch aus, ausgewogen zu sein. Das geht Ihnen leider völlig ab und so geht das, was Sie tun, auch nicht als Journalismus durch.

Die Ignoranz zu diesem offenen Brief wie auch eine inhaltsleere, aus dem Schubkasten gezogene Antwort werden mich nicht enttäuschen. Die Enttäuschung hat bereits stattgefunden.

Achtungsvoll, Peter Frey


Quellen und Anmerkungen: https://peds-ansichten.de/2024/02/ard-t ... th-hounds/
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Maren
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Re: Offenee Brief an die ARD zur Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt

Beitrag von Maren »

Antwort von Tibet Sinha, Redaktionsleiter beim Westdeutschen Rundfunk. Schwerpunkt seiner derzeitigen Aufgaben liegt in der Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt.

https://peds-ansichten.de/2024/03/frage ... ariupol-2/
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Maren
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Re: Offener Brief an die ARD zur Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt

Beitrag von Maren »

Replik des Autors:

Sehr geehrter Herr Sinha,

danke ebenfalls an Sie für die Antwort auf meinen offenen Brief. Auch dafür, dass Sie das Schreiben an die Redakteure in Ihrem Verantwortungsbereich weitergeben. Was diesen eine weitere Möglichkeit anbietet, andere Sichten auf aktuelle Themen einzunehmen. Auch diese, meine folgende Replik, ist als offener Brief verfasst.

Bevor ich im Weiteren auf Ihre Kritik antworte, unterbreite ich Ihnen einen Vorschlag. Diskutieren wir, Sie wie auch ich, die sehr kontrovers betrachteten Themen auf der Sachebene und halten uns zurück bei vor allem emotionalen Wertungen. Mir liegt nicht daran, die angeschriebenen Adressaten, also im konkreten Fall Sie, bloßzustellen. Weil es dann natürlich schwierig wird, Kritik auch als solche, und damit sachdienlich, einzuordnen.

In der Sache konnte ich drei Kritikpunkte Ihrerseits erkennen, die Sie selbst als „wilde Vorwürfe“ abqualifizierten. Gehen wir diese durch.

1. „Butscha? Kein Kriegsverbrechen!“


Hierzu ist zu sagen, dass ich diese Behauptung überhaupt nicht geäußert habe, auch nicht sinngemäß. Es ist also eine Unterstellung Ihrerseits. Nicht nur das. Der mir unterstellten Behauptung geben sie auch einen abwertenden Spin, eben mit „wilde Vorwürfe“. Weder behauptete ich, dass in Butscha russische Soldaten Kriegsverbrechen begangen hätten, aber auch der anderen, der ukrainischen Seite, warf ich das nicht vor. Nirgends lesen Sie außerdem bei mir, dass ich feststellte, in Butscha hätte es keine Kriegsverbrechen gegeben.

Die Frage, die ich wiederholt an Ihren Sender gerichtet habe, ist eine ganz andere: Wo sind die zweifelsfreien, tatsächlich unabhängig und unvoreingenommen ermittelten und von unabhängiger Seite geprüften Belege, dass russische Soldaten die diesen vorgeworfenen Taten tatsächlich begangen haben? Was in diesem Zusammenhang unter unabhängig und unvoreingenommen zu verstehen ist, muss ich Ihnen sicher nicht erklären. In einem demokratischen Rechtsstaat, den Sie ja in der Ukraine sehen, sollte das eine Selbstverständlichkeit sein.

Ihr Sender, der WDR, Herr Sinha, wusste aber bereits am 4. April 2022, dass es nur „die Russen“ gewesen sein können (1). Welche Ermittlungen mit dem oben geforderten Anspruch an eine solche Untersuchung rechtfertigten diese Ihre Behauptung? Mehrfache, ganz konkrete Anfragen, nicht nur von meiner Wenigkeit gestellt, an die ARD-Tagesschau zu den seriösen, gerichtsfesten, nach demokratischen Rechtsnormen zusammengetragenen Beweisen für das „Massaker von Butscha“ blieben stets unbeantwortet. Darüber hinaus hat meine eigene, aktive Suche nach solchen Ermittlungen samt Beweisen nie etwas ergeben, schon gar nicht beim Sender ARD.

Wir können hier weiter kommen, in dem Sie mir Ihre Quellen herüber reichen. Dann schauen wir gemeinsam, ob diese Quellen die geforderten Normen erfüllen, um russische Kriegsverbrechen in Butscha zu beweisen. Sie und ich müssen sich darüber im Klaren sein, dass, wenn dies nicht der Fall ist, jede Behauptung über russische Kriegsverbrechen in Butscha einer Verleumdung gleichkommt. Und gleichzeitig Hassgefühle gegen das Opfer der Verleumdung bei den Menschen erweckt. Weil das so ist, sind Verleumdungen auch strafrechtlich relevant. Journalistische Verantwortung berücksichtigt das. Was in einem demokratischen Rechtsstaat gar nicht geht, ist, mit dem Mittel der Beweislastumkehr zu hantieren.

2. „Akkreditierung für Russland? Holt man sich einfach mal so ab!“

Ja, ich schrieb:

„Holen Sie sich doch einfach eine Akkreditierung bei den russischen Behörden und fahren Sie hin. Warum tun Sie das nicht?“

Das ist ein „wilder Vorwurf“? Vielleicht bin ich ja wirklich naiv. Gut, ich korrigiere das:

Holen Sie sich eine Akkreditierung bei den russischen Behörden und fahren Sie hin. Warum tun Sie das nicht?

Sollte das nicht umsetzbar sein, klären Sie mich bitte auf, was dem entgegen steht. Nach meiner Kenntnis ist es westlichen Journalisten keinesfalls verboten, sich Akkreditierungen zu besorgen und nach Mariupol zu reisen. Dann objektiv aus dieser Stadt zu berichten, ist natürlich eine ganz andere Hausnummer. Denn mein Eindruck ist recht stark, dass Sie, die Journalisten und Redakteure bei den öffentlich-rechtlichen Sendern zu „Haltungsjournalismus“ verpflichtet sind. Das ist kein „wilder Vorwurf“.

Ende Januar des Jahres waren Ihre Kollegen vom ZDF in Mariupol. Vielleicht haben Jene nicht so „einfach“ eine Akkreditierung bekommen, aber bekommen haben sie diese. Es ist also möglich. Warum ich hier den Begriff „Haltungsjournalismus“ einwerfe, hat mit eben den ZDF-Berichten von dort zu tun. Das ZDF musste sich nämlich vorwerfen lassen, russische Propaganda betrieben zu haben. Worauf man sich genötigt sah, Armin Coerpers Berichte für den Zuschauer vorzubewerten, ein journalistisches Unding (2).

Allein Coerpers Formulierung „die Stadt [Mariupol] funktioniert“, erzeugte einen Aufschrei in den Massenmedien, einen Aufschrei gleich einem Strom, einen den ich Gleichstrommedien vorwerfe. Tatsächlich aber hat Armin Coerper zumindest den Versuch gewagt, eine gewisse Unvoreingenommenheit in seinen Berichten zum Tragen kommen zu lassen (3).

3. „Frau Petersohn? Spaltet, schürt Hass auf alles russische und ist rassistisch!“

Was denken Sie, Herr Sinha, was Aussagen wie die folgenden bewirken (Hevorhebung durch Autor)?

„Die Bewohner lebten unter Dauerbeschuss der russischen Armee.“

„Die ukrainische Nichtregierungsorganisation Truth Hounds hat […] mühsam Beweise für das brutale russische Vorgehen gesammelt. […] Ihr Bericht ist erschreckend.“

„Was genau während der monatelangen Belagerung geschah und wie das Leben für Ukrainerinnen und Ukrainer seit der völkerrechtswidrigen Annexion Mariupols ist, lässt sich kaum sagen.“

„Die Bewohner der Stadt leben über Wochen unter Dauerbeschuss der russischen Armee […].“

„Sie erzählen die Geschichte seiner geliebten Stadt Mariupol, mit seinen ukrainischen Bewohnerinnen und Bewohnern.“

„[…] Ihr ist es wichtig, dass die Welt von der Brutalität russischer Soldaten in der Ukraine erfährt.“

„[…] Ihr ist es wichtig, dass die Welt von der Brutalität russischer Soldaten in der Ukraine erfährt.“

Dass zum Schluss zweimal zitiert wird, ist kein Fehler meinerseits, sondern ich fand das Zitat in zwei unterschiedlichen Artikeln. Außerdem zitiert Frau Petersohn dort niemanden, sondern sie interpretiert. Insgesamt sind es drei Beiträge von Frau Petersohn, aus denen ich die Zitate entnahm und welche mich überhaupt maßgeblich dazu bewegten, den vorherigen offenen Brief zu verfassen. Noch einmal meine Frage: Was denken Sie, was diese Aussagen bewirken?

Denken Sie, Herr Sinha, tatsächlich, dass Botschaften wie diese nichts mit den Menschen machen? Wollen Sie mir wirklich erzählen, dass die über solche Aussagen geweckten Emotionen keinen Hass gegen Russen wecken? Wie nennt man den entfachten Hass auf eine andere Ethnie?

4. Noch etwas zu Mariupol

Bevor ich diesen weiteren offenen Brief in Angriff nahm, habe ich mich — wie ich es in solchen Fällen stets tue — kurz mit Ihrer Biografie befasst und auch mit den Verantwortlichkeiten, die Sie bei der ARD inne haben und hatten. Auch glaube ich in etwa Ihr Selbstverständnis zum Zustand der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zu kennen (4). Zumindest in der Vergangenheit waren Sie wohl auch für das Format Weltspiegel verantwortlich. Und in diesem Zusammenhang stieß ich eher zufällig auf einen Weltspiegel-Beitrag, auf den genau das hier aufgeworfene Thema zutrifft.

Vor kurzem wurde ein ukrainischer Dokumentarfilm mit dem Oscar prämiert, von dem behauptet wird, „der Welt die Wahrheit gezeigt zu haben“ (5). Auch mit einem Inhalt, dessen Botschaft die ARD-Redaktion emotional schon vor zwei Jahren vollumfänglich teilte und auch beim Weltspiegel bewarb (6). Sie lässt diese Aussage einer Kriegspartei unkommentiert so stehen.

Der Titel des Filmes lautet „20 Tage in Mariupol“ und nimmt für sich in Anspruch, den Überlebenskampf der Zivilbevölkerung zu thematisieren. Ein Film, dessen Einleitung sich in der Weise abspielt, dass dem Zuschauer suggeriert wird, russische Panzer hätten ein Krankenhaus — also eines in dem sich Kranke und Ärzte statt Militärs befinden — eingekesselt, um es gleich zu beschießen. Die Bilder können das nicht belegen, einzig die durch die Filmmacher erzeugte Atmosphäre — dunkle, düstere Stimme und ein ebenso düster untermalender Ton samt passendem Licht und Kameraführung — erreichen beim Zuschauer ein Gefühl (!), das Gesagte als wahr hinzunehmen. Aber die gezeigten Fakten geben das nicht her.

Für solche manipulativen Methoden gibt es einen Begriff, den man bei der ARD stets empört zurückweist. Vom Beginn an habe ich mir zehn Minuten angeschaut, fünf weitere Minuten stichprobenartig. Ob die restlichen 75 Minuten im gleichen Stil weitergelaufen sind? Wenn dem so war, ist es nichts weiter als ein Propagandaschinken, Partei nehmend, emotionalisierend. Dann ist es kein Dokumentarfilm (7).

Für was bekam dieser auch vom Weltspiegel beworbene „Dokumentarfilm“ tatsächlich einen Oscar?

Es war also ein Kamerateam der US-amerikanischen Associated Press (AP), der weltweit größten Nachrichtenagentur, mit Sitz in New York, welches eine Geschichte von der russischen Bombardierung einer Geburtsklinik produziert hat. AP hat auch den Film mitproduziert. Aber die Geschichte dieser Bombardierung wirkt, so wie sie erzählt wurde, wie eine Inszenierung (a1, a2, 8)! Und auch die von der New York Times veröffentlichte Fotoserie kann nicht belegen, dass da gerade ein in Betrieb befindliches Krankenhaus bombardiert worden war (9).

Selbst als eine ukrainische Bloggerin, die für den Streifen in verschiedenen Rollen — ohne, dass sie selbst das wollte — gefilmt wurde, richtig stellte, dass in den gezeigten Szenen von einem angeblich gerade erfolgten (sic!) Luftangriff griffige Indizien dazu fehlten, juckte das die „Qualitätspresse“ in keiner Weise. Die Frau, Marianna Vishegirskaya, die wesentlich die Propaganda des Filmes (wahrscheinlich unwissentlich) mitgestaltete, „leugnete“ nun laut „Qualitätsmedien“ eben oder wurde zu dieser Aussage gezwungen (10).

AP selbst konnte nicht den Verdacht aus der Welt schaffen, dass die Bloggerin auch zu ihren Aussagen gegenüber den AP-Mitarbeitern mehr oder weniger genötigt worden sein könnte, wie diese später selbst sagte. So wie Erstere sich bei der Behauptung über die Bombardierung der Klinik lediglich auf die Aussagen zweier ukrainischer Militärs (einen Polizisten und einen Soldaten) stützte (11).

Die eigene Beobachtung der behaupteten Krankenhaus-Bombardierung, also die der ukrainischen Reporter im Dienste von AP, stellte sich so dar:

„Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich AP-Reporter in einem anderen Teil von Mariupol. Sie hörten deutlich ein Flugzeug und dann zwei Explosionen. Sie gingen in den 12. Stock eines nahe gelegenen Gebäudes, wo sie zwei große Rauchschwaden in der Ferne in Richtung des Krankenhauses filmten. Es dauerte dann etwa 25 Minuten, bis sie das Krankenhaus erreichten.“ (11i)

und weiter:

„Am 9. März sagte er [einer der Filmer von AP], er habe ein Flugzeug und unmittelbar danach zwei Bomben gehört. Auch Vishegirskaya [die Bloggerin] sagt in dem am Freitag veröffentlichten Interview, sie habe deutlich zwei Explosionen gehört.“ (11ii)

Doch selbst im Film sagt Vishergirskaya dem Team von AP:

„Ich habe nicht mit eigenen Augen gesehen, von woher es geflogen ist, von wo, was und in welche Richtung. Wir wissen es nicht. […] Es gibt viele Gerüchte, aber in Wirklichkeit können wir nichts sagen.“ (11iii)

Das deckt sich mit dem, was die Bloggerin im Interview einen Monat später äußerte (12). Die zur Verfügung stehenden Filmaufnahmen der Ereignisse in und um diese Klinik werfen eine ganze Reihe weiterer Fragen auf (13). Noch einmal: Die Zerstörungen sind zweifellos real, aber die erzählte Geschichte ist es nicht.

Das alles hat die Macher des „Dokumentarfilms“ nicht davon abgehalten, die wirkmächtigen Szenen mit Marianna Vishegirskaya (im Film etwa ab Minute 50) einzuarbeiten und niemand hat offenbar ein Problem damit, dass hier die Regeln, welche eigentlich für einen Dokumentarfilm gelten sollten, grob verletzt wurden (7i). „Dokumentarfilm“ wirkt also als die attraktive Hülle, in der sich ein hässlicher Angriff auf das emotionale Bewusstsein der Menschen versteckt, um den Hass auf alles Russische zu verstetigen.

Wie gesagt, gehe ich davon aus, dass Sie, Herr Sinha, den Weltspiegel nicht mehr mitverantworten. Aber da ich Ihnen gerade schreibe, bitte ich Sie, auch dieses Thema an die nunmehr Verantwortlichen weiterzuleiten.

Freundliche Grüße,

Peter Frey

Bitte bleiben Sie schön achtsam, liebe Leser.

Anmerkungen und Quellen: https://peds-ansichten.de/2024/03/frage ... ariupol-3/
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