Der ideale Einzeltäter

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Maren
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Der ideale Einzeltäter

Beitrag von Maren »

Gedanken eines Polit-Laien am Tage nach dem Ereignis

von Benjamin Kradolfer

So hören wir hier in Europa also auch wieder einmal von einer Schiesserei in den USA! Es soll ja Leute geben, die dort leben und behaupten, solcherlei gäbe in dem Land fast jeden Tag. Allerdings handelt es sich diesmal ausnahmsweise nicht um ein sog. mass-shooting (davon hören wir hier – gefühlt – immerhin alle 150 bis 210 Tage), nein: nur ein einziger wurde ins Visier genommen in Butler Pennsylvania, und das war nun halt einer der beiden Hauptdarsteller im laufenden Präsidentschafts-Wahlkampf. Also laufen auch bei uns mal wieder wegen eines einzelnen Schusses alle Drähte und Kanäle heiss und posaunen die Sensation, wie es sich gehört, in die Wohnstuben und Schlafzimmer dieser immer schiesswütigeren Welt. (Und als bedürfte es in diesem spezielle Falle noch eines Beweises dafür, dass überhaupt geschossen wurde, gab's sogar gleich eine Fotografie der fliegenden Kugel zu bewundern...)

Und wieder einmal sind alle öffentlich auftretenden Berichterstatter und Kommentatoren umgehend und unumstösslich davon überzeugt (zumindest vorläufig), dass es wieder nur mal ein Einzeltäter war. Und wieder einmal wird es gegen diesen keinen Prozess geben, und er wird auch für einen allenfalls doch noch angestrengten Hintermänner-Prozess weder den Ermittlern noch der Anklage noch der Verteidigung als Zeuge zur Verfügung stehen. Wieder einmal also wird sich niemand daran stören, dass die Justiz eines Rechtsstaates der vorbildlichen westlichen Welt kaum etwas zu sagen hat zu dem unerhörten Verbrechen, denn wieder einmal wurde der deklarierte Verbrecher umgehend in aller Öffentlichkeit ins Jenseits befördert. Wir erinnern uns: Das war schon so in den 1990er Jahren bei der Reihe islamistischer Attentate, ein jedes Mal, wo sich die Attentäter nicht selbst in die Luft gesprengt haben; und auch ein gewisser Oswald genoss seinerzeit nur ein paar wenige Stunden des Ruhms, in denen er sein „I'm only the patsy!“ in den öffentlichen Raum rufen konnte, bevor ein gewisser Ruby ihm vor aller Augen ein für alle Mal das Maul stopfte. Da wiederholt sich also schon wieder unverzüglich das eine und das andere altbekannte Muster.

Auch die klammheimliche Freude über diese innovative Wahlkampf-Methode oder das Bedauern darüber, dass die Kugel ihr Ziel verfehlt hat, überraschen so wenig wie die Beteuerung, eigentlich sei das Opfer für die Eskalation, die sich nun gegen es gerichtet habe, selbst verantwortlich – so sieht die Dinge halt gern, wer die Demokratie am liebsten hochleben lassen und politische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen ausfechten will, ohne sich um die besseren Argumente bemühen zu müssen.

Und unter vorgehaltener Hand kursieren nun natürlich auch wieder mal so unumgänglich wie unverzüglich Hunderte, wenn nicht Tausende Verschwörungstheorien, unter denen die zu beweisende Wahrheit wieder einmal auf ewig so unauffindbar bleiben wird wie die berühmte Nadel im Heuhaufen. Noch zeigen sich die serösen, für unsere öffentliche Wahrnehmung Zuständigen besonnen und tun so, als gäbe es im Volke kein hin-und-her-Geraune, solange sie nur alle zusammen bloss eine einzige gültige Wahrheit verkünden; aber es darf damit gerechnet werden, dass das Phänomen „Verschwörung“ und dazu gehörige „Theorien“ sich alsbald als geeignetes Thema erweisen werden, die Schlagzeilen- und Auflagesteigerungs-Dauer dieses Ereignisses noch eine Weile zu verlängern.

Tatsächlich halte ich ja in diesem Staate USA, der in zweierlei Hinsicht – wer weiss es nicht schon längst? – nun wirklich einfach einsame Weltspitze ist: einerseits in der überaus dichten Streuung von hochtechnologisiertem Tötungsgerät nicht nur über die ganze Welt hin, sondern auch in einer Vielzahl privater US-Haushalte daheim, und andererseits in der Auslöschung von historischem Gedächtnis und realistischer Weltwahrnehmung durch unentwegte PR-Politik, die zu ihren Zwecken zu allem, aber wirklich allem bereit ist (Motto: „Und sie gingen hin einen jeden Tag und schufen sich die Welt nach ihren Bildern, und so herrschten sie über sie für alle Zeit“) – tatsächlich also halte ich in diesem Lande und so auch bei bei dieser seiner neuerlichen Welt-Sensation einfach wieder mal alles für möglich, aber wirklich alles: das Nächst- und das Fernstliegende, das Wahrscheinlichste und das Unwahrscheinlichste, das Denk- und auch das Undenkbare, simplen Wahlkampft-Theatertrick, klassisches Polit-Komplott oder auch schlichte Abrechnung im kriminellen Millieu etc etc., und mag mir deswegen gar nicht erst den Kopf zerbrechen, um so etwas Unmögliches wie faktische „Wahrheit“ zu erlangen: Das Ereignis sei, wie es sei – so wie so und in jedem Falle ist es nur ein weiteres zum Himmel schreiendes Symptom dafür, dass etwas faul ist im Staate Dänemark – äh: also Sie verstehen schon, und zwar ziemlich grundlegend, so fundamental faul, dass es mit reiner PR-Politik garantiert nicht wieder herzurichten ist, eher im Gegenteil. Denn erfahrungsgemäss wird das Geschwätz in Politik und Medien jedwede drohende Gefahr, die sie selbst mit heraufbeschworen haben, eher noch weiter eskalieren als auch nur ein bisschen mildern, und zwar nicht nur dort, in der Neuen Welt, sondern auch hier bei uns in der Alten. Es ist, als wären diese Gesellschaften Körper, von oben bis unten längst voll mit Metastasen jeder denkbaren Krebsform, und jedes aufbrechende Geschwür wurde und wird sofort mit hoch-karzinogenen Strahlen behandelt.

Bloss in Bezug auf die kursierende Einzeltäter-These macht mich neben dem oben Angedeuteten auch noch die folgende Überlegung skeptisch: Allgemein bekannt ist ja, dass das politische und gesellschaftliche Klima in den USA aktuell zum Zerreissen gespannt ist, und dass in dem aufgeheizten Lande jede Menge ideologisch überhitzter Gemüter und mit selbstherrlichen Allmachtsfantasien vollgestopfter Psychopathen frei herumlaufen, mit allzeit zum Einsatz bereiten, scharf geladenen Waffen. Es dürfte also immerzu und überall irgendein moderner William Tell davon träumen, oder auch mehr, bei einer politischen Propagandaveranstaltung mit Superstar-Auftritt wie der gestrigen in Pennsylvania in eine Hohle Gasse hinabzusteigen oder auf ein Hausdach in aussichtsreicher Schussposition hinaufzuklettern, um in Hollywood-Manier seine einsame Heldentat zu vollbringen, aber: Meines Wissens haben wir schon sehr, sehr lange nichts mehr davon gehört, dass die für solche Anlässe zuständigen Scharen von Sicherheitsprofis einen solchen Clark Kent rechtzeitig entdeckt und seine Superman-Tat verhindert hätten. Was müssen wir nun daraus schliessen? Dass es a) tatsächlich seit – gefühlt – Ronald Reagans Zeiten keinen realen Attentats-Versuch auf allerhöchste US-Politprominenz mehr gegeben hat, und also auch nicht im seit Monaten laufenden Wahlkrimi? (Denn wenn: wäre da seine rechtzeitige Aufdeckung nicht auch bei uns ein paar Tage lang ein paar unübersehbare Schlagzeilen wert gewesen?) Und dass folglich b) der Pennsylvania Boy Thomas Matthew Crook gestern rein zufällig mit seinem halbautomatischen Schiesseisen auf ausgerechnet dasjenige Flachdach gestiegen ist, das von den Sicherheitsprofis rein zufällig weder besetzt noch beobachtet wurde? Und offenbar sein Gerät (fast) in aller Ruhe mit der Präzision eines Scharfschützen bedienen konnte? Really?

Dann hätten ja wohl Trumps ultrareligiöse Anhänger nicht nur recht mit ihrer These, dass es Gott war, der ihn die berühmte kleine Kopfbewegung machen liess, wegen welcher die Kugel nicht mehr als sein Ohrläppchen getroffen haben soll, sondern auch, dass ER es war, der es überhaupt zu dem Attentatsversuch kommen liess – eindrückliche Bestätigung der calvinistischen Prädestinationslehre, welcher in den USA zahllose ebenso anhängen wie ihrem politischen Führer, und jetzt womöglich sogar noch ein paar mehr, die bisher zu den Wankelmütigen gehört haben. ER hätte also Sein Machtwort gesprochen zum Heil der Nation, ja der ganzen Welt, indem er ebenso für Trumps Überleben wie für den zum Überleben notwendigen Anschlag sorgte. Und natürlich lässt so einer wie der Allmächtige – anders kann es ja gar nicht sein – mindestens ebensolche Raffinesse walten in der Planung Seiner Wege, die allesamt nach Washington führen, wie alle realen und erfundenen Verschwörer hienieden zusammen.

In diesem Sinne ist ER natürlich immer DER Einzeltäter par excellence!
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