Nach dem Bundespräsidenten haben nun auch einstige Hardliner wie Karl Lauterbach und Katrin Göring-Eckardt ihren Willen zu einer dringlichen Aufarbeitung der Corona-Zeit bekundet. Der Wind dreht sich. Doch zentrale Kommissionen reichen nicht aus. Die Aufarbeitung muss vor Ort geschehen – darin liegt auch die Chance für eine überfällige Demokratisierung des Landes.
Die Demokratie, so heißt es, ist in Gefahr. Überall und unablässig wird zu ihrem Schutz aufgerufen, gegen Feinde von außen wie innen, Populisten, Autokraten, aber auch Bürger, die demokratisch gewählte Politiker beschimpften, alles Etablierte in Frage stellten. Gefährlich sei das. Diese Besorgnis, mal hilflos verzagt, mal kampflustig vorgetragen, wirkt einerseits ehrlich. Andererseits scheint sie vor allem eine Sorge um die Akzeptanz der Regierung zu sein, deren ungestörtes Wirken gleichgesetzt wird mit eben diesem Wort: Demokratie.
Ein Widerspruch scheint auf. Existierte sie tatsächlich, die Demokratie, müsste kaum Sorge um sie bestehen, da jeder Unmut einer Mehrheit ja rasch zu politischen Entscheidungen führte, die für mehr Zufriedenheit sorgten. Wer ist schon ernsthaft gegen ein System, das die Wünsche der breiten Masse ernst nimmt und das auch die Interessen von Minderheiten, wo immer sie politisch stehen, nicht arrogant übergeht, sondern einen verträglichen Ausgleich für alle zu finden versucht – eben Demokratie?
Die unerfreuliche Erklärung für diesen Widerspruch ist so schlicht, dass es fast peinlich erscheint sie auszusprechen: Demokratie existiert in Deutschland und anderswo nur in Bruchstücken, viel wirksamer zu allen Zeiten und stabil bis heute ist die Oligarchie, Herrschaft der Wenigen, zumeist der (Einfluss-)Reichen, mit vereinzelten demokratischen Einsprengseln und Mitbestimmungsrechten, hier und da in Revolutionen erkämpft, die letzte vor 107 Jahren. Das ist lange her.
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Corona-Aufarbeitung als Demokratisierung
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