Nachrichtenunterdrückung und kontinuierliche Fehlgriffe in der Wortwahl betreff Syrien

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Maren
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Nachrichtenunterdrückung und kontinuierliche Fehlgriffe in der Wortwahl betreff Syrien

Beitrag von Maren »

Sehr geehrte Damen und Herrn,

Ich erhebe formell Programmbeschwerde und verlange von Ihrer Redaktion des ZDF eine Stellungnahme zu einem Trend zu Nachrichtenunterdrückung und irreführender Wortwahl in der Berichterstattung über Syrien, der mittlerweile nicht mehr zu übersehen ist.

Jüngst heute, am 24.02.2016, in der Teletext-Meldung "Obama, Merkel, Hollande und Cameron fordern Umsetzung der Waffenruhe" heißt es u.a., dass die "humanitäre Krise bewältigt werden müsse", vor allem in Aleppo; es ist vom "Assad-Regime" die Rede, welches die Waffenruhe akzeptiert hat; und abschließend wird formuliert, dass "Rebellenvertreter große Skepsis" geäußert haben.

Zum ersten Punkt, der Bewältigung der humanitären Krise: Seit vorgestern sind Berichte im Umlauf, dass, zum 2. Mal innerhalb eines halben Jahres, der Islamische Staat zusammen mit Einheiten der Nusra-Front, die Landverbindung zur Stadt Aleppo, welche von den Regierungstruppen gehalten wird, gekappt wurde. Obgleich den Gebieten, die von der Regierung gehalten werden, der Luftweg zur Verfügung steht, ist diese Landroute dennoch immanent wichtig sowohl für den militärischen Nachschub als auch für die Versorgung der Bevölkerung in Regierungsgebiet, auch dem in der Stadt
Aleppo selbst sowie anderen Gebieten um die Stadt Aleppo herum, welche von Damaskus und seinen Verbündeten gehalten werden.

Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass diese Entwicklung, das Zusammenspiel der extremistischen Gruppen auf Seiten der "Rebellen" im Nordwesten Syriens auf der einen und dem Islamischen Staat auf der anderen Seite, um besagte humanitäre Krise in Aleppo-Stadt zu befeuern, in Ihrer Berichterstattung bisher keine Rolle gespielt hat. Wie ich dies schreibe, ist zu lesen, dass Damaskus momentan eine Gegenoffensive mit russischer Unterstützung aus der Luft durchführt, um die Landverbindung wiederherzustellen. Wer ist eine no-Show hierbei? Die "Rebellen" - was angesichts deren taktischen Bündnisses mit dem Islamischen Staat, welches die bei den "Rebellen" tonangebende Nusra-Front eingegangen ist bei dieser Blockade nicht verwundern muss - und auch von der US-geführten Anti-ISIL-Koalition war soweit nichts zu hören, was Anstrengungen angeht, diese Blockade durch den Islamischen Staat zu brechen.

Wenn ich bedenke, mit welcher Lautstärke die Blockade - in einer früheren Nachricht an Ihre Redaktion vom 12.2. hatte ich darauf hingewiesen, dass andere Anwohner vor Ort dies als Befreiung werteten - nördlich von Aleppo-Stadt in der Berichterstattung aufgegriffen wurde, komme ich nicht umhin, bei der Verschweigung dieses humanitären Engpasses südlich von Aleppo, kreiert durch den Islamischen Staat, von Nachrichtenunterdrückung zu sprechen.

Weiters ist vom "Assad-Regime" die Rede bei der Information, dass dieses die Waffenruhe, wie sie zwischen USA und Russland vereinbart wurde, akzeptiert hat. Diese Wortwahl ist dahingehend verwunderlich, da in einer anderen Teletextmeldung, die heute zu lesen war, eine andere Bezeichnung direkt im Titel gewählt wurde: "Syriens Regierung akzeptiert Feuerpause".

Wollten sie ein anderes, neutrales Synonym verwenden, das auch noch Zeilenplatz spart, könnte Ihre Redaktion auch statt vom "Assad-Regime" von Damaskus, der Hauptstadt Syriens, sprechen, wie dies ja auch in anderen Fällen geschieht: Washington sagt, Moskau meint, Berlin erklärt, Paris mahnt, London fordert, usw.

Zuletzt wird in der einleitend beanstandeten Teletextmeldung von "Rebellenvertretern" gesprochen, die "große Skepsis" an der Waffenruhe äußerten. Ihre Redaktion kann sich darauf berufen, dass eine Kurzmitteilung nur so viel Information vermitteln kann, jedoch lässt die Formulierung "Rebellenvertreter" dennoch sehr offen, um wen es sich eigentlich handelt:

Sprecher der bewaffneten Aufständischen - oder "Rebellen", wenn Sie so wollen - vor Ort in Syrien selbst? Politische Vertreter der "Rebellen" im Ausland? Vertreter des sogenannten "Hohen Verhandlungskomitees", englisches Kürzel HNC, welches im Dezember letzten Jahres extra für die Friedensgespräche in Genf von Sponsoren der "Rebellen" im Ausland, diverse Regierungen in der Region, einberufen wurde?

Gerade diese Ungenauigkeit bei der Benennung und Beschreibung der verschiedenen Gruppen des bewaffneten Aufstands, welche in Syrien operieren, hatte ich schon in vorangegangenen Nachrichten am 11.1., 6.2. sowie 12.2. an Ihre Redaktion beanstandet. Im Rahmen der nun einzutretenden Waffenruhe, welche eine explizite Distanzierung dieser Gruppen von der Nusra-Front nahelegt - Mark Toner, Sprecher des State Department, formulierte dies am Montag, dem 22. Februar, in einer Pressekonferenz wie folgt:
QUESTION: — do you call the Syrian opposition moderate groups to stop fighting alongside al-Nusrah for not being targeted from Russia or the Syrian regime?
MR TONER: Again, that’s for them to – frankly, to resolve. I mean, if they’re going to be – I mean, they cannot – we have been very clear that – we, the ISSG, have been very clear in saying that al-Nusrah and Daesh are not part of any kind of ceasefire or any kind of negotiated cessation of hostilities. So if you hang out with the wrong folks, then you make that decision.
- ist zu hoffen, dass die Verhältnisse da klarer werden, was die Unterscheidung zwischen Extremisten und "Moderaten" angeht.

Die Forderung nach Verbesserung der Berichterstattung Ihrer Redaktion zum Thema Syrien, welche mehr ist als ein Aufgreifen von eindeutig voreingenommener Seite, wie ich dies am 30.01. in Bezug auf eine Meldung, die als die Weiterverbreitung saudischer Propaganda zu werten ist, bereits beanstandet habe, erneuere ich hiermit und fordere Ihre Redaktion zur Stellungnahme auf.

Denn obgleich Kurznachrichten wie in ihrem Online-Angebot und der Teletext nur so viel Information vermitteln können, ist eine auf Fakten basierte, präzise Formulierung und Zusammenfassung in diesen Kurznachrichten, welche ebenso der Forderung des Rundfunkstaatsvertrags zu objektiver, unvoreingenommener Berichterstattung unterworfen sind, umso wichtiger, da sie dem unbedarften Nachrichtenkonsumenten bestimmte Sichtweisen bereits mitgeben.

Ich wünsche Ihnen noch eine gute Woche.

Mit freundlichen Grüßen

xxxxxxxxxx*

* Der Name des Verfassers ist der Sendeanstalt und uns bekannt.
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Maren
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Re: Nachrichtenunterdrückung und kontinuierliche Fehlgriffe in der Wortwahl betreff Syrien

Beitrag von Maren »

Antwort aus der ZDF-Chefredaktion:

Sehr geehrter Herr XXXXX,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 24. Februar 2016. Sie kritisieren darin unsere Kurznachrichten im Teletext und online zum Themenkomplex Syrien. Sie sehen „einen Trend zu Nachrichtenunterdrückung und irreführender Wortwahl in der Berichterstattung über Syrien“.

Wenn Sie unser Informationsangebot insgesamt betrachten, werden Sie feststellen, dass wir in unseren Nachrichten und Magazinen immer wieder mit Karten und Graphiken arbeiten, um die Situation einzelner Orte oder Gebiete zu erläutern oder die unterschiedlichen Oppositionsgruppen und Allianzen einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.

Unsere Kurznachrichten bieten auf hervorragende Weise einen knappen Überblick über das Tagesgeschehen, aber dort überkomplexe Sachverhalte ausführlich darzustellen, ist schlicht nicht leistbar und auch nicht Aufgabe dieses Formats. Dass auch die Nachrichten dort auf Fakten basiert und präzise formuliert sein müssen, ist völlig richtig und wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir dem im Allgemeinen auch gerecht werden.

Gerne aber nehmen wir Ihre Kritik zum Anlass, um in den Redaktionen das Bewusstsein für die von Ihnen beschriebenen Sachverhalte nochmals zu schärfen.

Ihnen sei versichert: Ihre Anmerkungen sind uns Anstoß, mit aller Kraft und Sorgfalt daran zu arbeiten, unsere Zuschauer auch weiterhin bestmöglich zu informieren.

Ich hoffe, dass ich Ihre Bedenken mit meinen Ausführungen ausräumen konnte und würde mich freuen, Sie auch weiter zu unseren interessierten und kritischen Zuschauern zählen zu können.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Frey

_______________________________________

ZDF
Peter Frey
Chefredakteur
55100 Mainz
Deutschland

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