Das Ende des Informationsjournalismus - Storytelling in der ARD-Griechenlandberichterstattung 2015
Das Ende des Informationsjournalismus - Storytelling in der ARD-Griechenlandberichterstattung 2015
"Meinungsfreiheit ist eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist."
Hannah Arendt, 1965
Vorwort
"Das Lügenfernsehen. So manche scheinbar wahre Fernseh-Geschichte ist in Wirklichkeit frei erfunden, wie zahlreiche Beispiele zeigen."
Wer sagt das?
Rechte, Linke, Querfrontler, Verschwörungstheoretiker, Agenten, Trolle oder sonstiger Mob?
Anja Reschke, Leiterin der Abteilung Innenpolitik des NDR. Sie und ihr Team zeigen in dem Beitrag "Lügenfernsehen", "wie Zuschauer in die Irre geführt werden."
Das war am 7. Juli 2011. Und der Vorwurf des "Lügenfernsehens" richtete sich gegen das Privatfernsehen.
Der Begriff der Lüge war niemals ein Unwort, solange er nur Teil der Kritik war an den privaten Medien. Der Vorwurf der Manipulation war niemals eine Verschwörungstheorie, solange er nur den privaten Medien galt. Zum Sakrileg wurde der Vorwurf der Manipulation erst in jenem Moment, als der von der ARD erhobene Vorwurf des "Lügenfernsehens" gegen die bislang sakrosankten öffentlich-rechtlichen Sender selbst erhoben wurde. Seitdem ist die Enttäuschung groß:
"Leider [sic] haben die Leute das gemerkt, dass auch unsere Berichte geprägt sind", bedauert die Leiterin der Abteilung Innenpolitik des NDR Anja Reschke in ihrer viel zu wenig beachteten Dankesrede anlässlich ihrer Auszeichnung zur Journalistin des Jahres 2015.
Seit der öffentlich-rechtliche Rundfunk selbst in den Fokus der Medienkritik geraten ist, wird das aufmüpfige Publikum regelmäßig daran erinnert, dass, wer Medien Manipulation und Lügen vorwirft, eine Gemeinsamkeit teilt mit dem grausamsten Massenmörder aller Zeiten: Adolf Hitler.
Der Zweck dieser geschichtspädagogischen Erinnerung, die sich auch auf die Autorität einer "doch eher populistische[n] Veranstaltung der Un-Wort-Kür" (Ralf Vogel: "Der Un-Sprechakt des Jahres", 2014) beruft, liegt auf der Hand: schnöde Einschüchterung. Die Meinung, dass öffentlich-rechtliche Berichterstattung zu bestimmten Themen manipulativ ist, soll aus dem öffentlichen Diskurs verschwinden. Wer sie äußert, läuft Gefahr, öffentlich in einen Topf mit Adolf Hitler geworfen zu werden (Guilt by association).
Auch die mediale Fokussierung auf eine Minderheit von Extremisten als Träger der Medienkritik diskreditiert die Mehrheit der medienkritischen Bürger, die in der Wahrnehmung ihres demokratischen Rechts auf Meinungsäußerung und demokratischer Partizipation mittlerweile befürchten muss, in der medialen Öffentlichkeit in die Kategorie "Staatsfeinde" eingeordnet zu werden.
"Ich meine klar, 'ne Demokratie muss auch irgendwie das Volk mitnehmen."
Dieses eigenwillige Demokratieverständnis offenbarte kürzlich die Leiterin der Abteilung Innenpolitik des NDR in ihrem Plädoyer gegen Volksentscheide. Das Prinzip der Volkssouveränität - ersetzt durch das bloße Recht des Volkes, irgendwie noch mitgenommen zu werden. Das ist das beredte Selbstzeugnis eines öffentlich-rechtlichen Journalismus, der sich längst selbst als Teil jener Elite begreift, die er eigentlich kontrollieren soll.
In der Konsequenz wird die ursprünglich emanzipatorisch gegenüber staatlichen Beeinflussungversuchen gedachte Presse-und Rundfunkfreiheit umgedeutet als Recht auf einseitig-regierungsnahen Verlautbarungsjournalismus. Die derart umgedeutete Pressefreiheit braucht logischerweise auch nicht mehr Einflussversuche "von oben" abzuwehren, sondern muss "nach unten" hin verteidigt werden, und zwar gegen jene, die eine politisch motivierte Indienstnahme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kritisieren.
Unter Verletzung seines gesellschaftlichen Auftrags ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk dabei auch daran beteiligt, mitunter in manipulativer Weise Ressentiments zu schüren und Feindbilder zu schaffen, die nach außen das Friedensprojekt Europa gefährden und nach innen im eigenen Land eine gesellschaftliche Spaltung forcieren.
Einseitig? Regierungsnah? Manipulativ? Feindbilder?
Kann man das auch nachweisen? Sachlich belegen? Oder ist das nur dumpfes Geschrei von Wutbürgern, Lügenpresse-Rufern und sonstigem Mob?
Wir werden am Beispiel der ARD-Griechenland-Berichterstattung 2015 anhand einer Vielzahl von Belegen sachlich präzise den Vorwurf einer erstens einseitigen, zweitens regierungsnahen, drittens manipulativen und viertens Feindbild konstruierenden Berichterstattung innerhalb der Hauptnachrichtenformate der ARD nachweisen.
Damit begegnen wir der wiederholt an uns gerichteten Kritik, bei den von uns in der Vergangenheit monierten Verstößen gegen den Rundfunkstaatsvertrag handele es sich angeblich nur um bedauerliche Einzelfälle, die der menschlichen Fehlbarkeit geschuldet seien. Gleichzeitig tragen wir mit dieser Arbeit aber auch einer bedenkenswerten Kritik Rechnung, die Wolfgang Michal in seinem Blogartikel "Wozu überhaupt noch Medienkritik?" anschaulich formuliert:
"Kaum ein Medienkritiker setzt eigene Themen – vielmehr hecheln sie den Themen nach, die von den Medien gesetzt werden. Das führt zu der absurden Situation, dass in dem Augenblick, in dem Medienkritiker mit ihren tiefergehenden Analysen beginnen, das Thema meist schon wieder durch ein neues abgelöst ist. Ist ein Thema aber erst einmal „durch“ (NSA, Griechenland, Landesverrat, Flüchtlinge, Köln), hören auch die Kritiker auf zu kritisieren. So geht es im Schweinsgalopp von Katastrophe zu Skandal, von Enthüllung zu Unglück, von Terroranschlag zu Minister-Fehlverhalten. [...] Damit folgt die Medienkritik – wie hypnotisiert – jenen an- und abschwellenden Empörungszyklen, die sie eigentlich kritisieren müsste."
Diesem "Wettlauf zwischen Hase und Igel" (Wolfgang Michal) entziehen wir uns mit der vorliegenden Analyse der ARD-Griechenlandberichterstattung des vergangenen Jahres.
Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile: Einen allgemeinen Teil mit theoretischen Grundlagen und einen analytischen Teil, bestehend aus der Untersuchung von mehr als 20 bedauerlichen Einzelfällen lediglich aus den ersten 4 Wochen der ARD-Berichterstattung über die Syriza-Regierung 2015. In einem Schlusskapitel werden die Ergebnisse ausgewertet. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird nicht erhoben. Eine lückenlose Erfassung der hohen Anzahl an Falschdarstellungen hätte den Rahmen der vorliegenden Arbeit überschritten.
Es ist nicht unser Anliegen, die journalistische Arbeit der verantwortlichen Korrespondenten und Redakteure aus einer komfortablen Position des Zurückblickenden zu beurteilen. Einzelne Fehler sind nicht nur menschlich, sondern unter Umständen auch unvermeidlich innerhalb einer tagesaktuellen Berichterstattung.
Nur dann verstoßen veröffentlichte Falschdarstellungen gegen die Wahrheitspflicht, wenn der Journalist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung die unwahre Behauptung aufgrund seiner "Aufklärungsmöglichkeiten" hätte erkennen und damit vermeiden können. Die Wahrheitspflicht des Journalisten ist also nach geltendem Recht immer an die Erfüllung der Sorgfaltspflicht gekoppelt, die in der sorgsamen Prüfung, Sichtung und Darstellung von zugänglichen Recherchematerialien konkretisiert ist. Die gesellschaftlichen Erwartungen an den öffentlich-rechtlichen Journalismus sind dabei aufgrund seiner besonderen Finanzierungssituation naturgemäß höher als an die privaten Medien.
Unsere Analysen werden zeigen, dass sämtliche Falschdarstellungen der ARD allein durch die Befolgung professioneller Berufsnormen vermeidbar gewesen wären (=Verstoß gegen die Wahrheits- und Sorgfaltspflicht, § 10 RStV). Des Weiteren werden wir nachweisen, dass sämtliche Falschdarstellungen einem interessengeleiteten Narrativ entsprechen, welches sich wie ein roter Faden durch die Berichterstattung zieht (=Verstoß gegen das Gebot der Unparteilichkeit, § 11 RStV).
Diese medialen "Narrative" sind der Schlüssel zum Verständnis der aktuellen Vertrauenskrise in den Medien. Es geht um den modernen Trend im Journalismus, dessen Vorreiter vor allem der öffentlich-rechtliche Fernsehjournalismus ist und der mit einer zunehmenden Subjektivierung von Berichterstattung einhergeht:
Storytelling- die Kunst, Geschichten zu erzählen.
Mit Rücksicht auf die mehrfach erhobenen Klagen ARD-Verantwortlicher über die hohe Arbeitsbelastung aufgrund vereinzelter Programmbeschwerden verzichten wir im vorliegenden Fall darauf, die von uns mannigfaltig nachgewiesenen Verstöße gegen den Rundfunkstaatsvertrag als Programmbeschwerde einzureichen. Wohl aber bitten wir die ARD und den in letzter Instanz verantwortlichen Rundfunkrat um eine Stellungnahme:
Wie konnte es nur wenige Wochen nach den selbstkritischen Äußerungen von Chefredakteur Kai Gniffke zur Ukraine-Berichterstattung innerhalb der Griechenland-Berichterstattung erneut zu einer solch eklatanten Missachtung des Rundfunkstaatsvertrages kommen und welche konkreten Maßnahmen gedenkt der Rundfunkrat als Konsequenz zu ergreifen, um in Zukunft die gesetzlich garantierte sachlich-neutrale Berichterstattung innerhalb der ARD-Nachrichtenformate zu gewährleisten?
Dass Falschinformationen transparent an geeigneter Stelle korrigiert werden, halten wir für selbstverständlich. Ein klammheimliches Korrigieren oder gar Löschen von fehlerhaften Beiträgen widerspricht nicht nur journalistischen Berufsnormen, sondern missachtet einmal mehr die berechtigten Ansprüche des zahlungspflichtigen Bürgers.
Deswegen appellieren wir an die ARD, keine der von uns als Quelle angegebenen Sendungen jetzt Hals über Kopf aus der Mediathek zu entfernen, sondern dem Beitragszahler die eigenständige Überprüfung unserer Analysen zu ermöglichen.
Unsere Leser möchten wir ausdrücklich dazu ermuntern, auch uns nichts zu glauben, alles zu überprüfen und sich nicht blind unseren Schlussfolgerungen anzuschließen.
Der Zweifel ist nicht Merkmal von Extremismus. Die Wertschätzung kritischen Denkens ist eine Errungenschaft der Aufklärung. Wer Zweifler kriminalisiert und bedingungslose Gefolgschaft verlangt, stellt sich gegen die Werte einer aufgeklärten demokratischen Gesellschaft.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört der Allgemeinheit. Er soll politisch unabhängig sein. "Diese Unabhängigkeit gilt es gegen Einflussnahmeversuche zu bewahren", schreibt der NDR zu "Aufgabe und Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks".
Dies ist unser Anliegen.
Maren Müller
Vorsitzende Publikumskonferenz
Otto Stern
Autor/Redaktion
Inhaltsverzeichnis
Allgemeiner Teil: Die Kunst, Geschichten zu erzählen
1 Das Trojanische Pferd
2 Über griechische Helden, Märchen und Mythen
3 Was Orwell nicht wusste
3.1 Warum Fakten und rationale Argumente für die politische Meinungsbildung nebensächlich sind
3.2 Wie man mit Wörtern das Gehirn der Wähler verändert
3.3 Wie man durch das Geschichtenerzählen Emotionen und politische Einstellungen steuert
3.4 Warum man Kindheitserinnerungen im Wähler aktivieren sollte
3.5 Weshalb moralische Empörung wirksamer ist als sachliche Auseinandersetzung
4 Die Konstruktion wünschenswerter Welten
5 The Hidden Persuaders - Techniken der verdeckten Argumentation
5.1 Verdeckte Argumentation durch die Erzählhaltung des Journalisten
5.2 Verdeckte Argumentation durch die Anwendung rhetorischer Strategien
5.2.1 Strohmann
5.2.2 Autoritätsargument
5.2.3 Bandwagon-Argument
5.2.4 Gefühlsappell
5.2.5 Innuendo
5.3 Verdeckte Argumentation durch interessengeleitetes Framing
5.4 Verdeckte Argumentation durch semantische, visuelle und auditive Frame-Trigger
Analytischer Teil: Es war einmal...
1 Die Geschichte vom ernsten Spiel (Teil I)
2 Die Geschichte vom ernsten Spiel (Teil II)
3 Die Geschichte vom ernsten Spiel (Teil III)
4 Die Geschichte von Kotzias einsam in Europa
5 Die Geschichte eines Jungenstreichs
6 Die Geschichte vom Jungenstreich geht weiter
7 Die Geschichte von zwei griechischen Himmelhunden auf dem Weg zur Hölle
8 Die Geschichte von den zwei aufeinanderprallenden Welten
9 Die Geschichte von den Südosteuropäern, die gegen europäische Gepflogenheiten verstoßen
10 Die Geschichte von der guten Mutter (Teil I)
11 Die Geschichte von der guten Mutter (Teil II)
12 Die Geschichte vom rätselhaften Herrn Varoufakis (Teil I)
13 Die Geschichte vom arroganten Herrn Varoufakis (Teil II)
14 Die Geschichte von der kompromisslosen griechischen Regierung (Teil III)
15 Die Geschichte von Schäubles Sieg über Varoufakis
16 Die Geschichte vom klaren Verhandlungssieger Schäuble geht weiter
17 Die Geschichte von den unpünktlichen Griechen
18 Die Geschichte von den unpünktlichen Griechen geht weiter
19 Die Geschichte vom sich selbst entlarvenden Trickster
20 Die Geschichte von der Nun-Ja-Freigiebigkeit der griechischen Mentalität
Auswertung: Über Täuschung, Tugend und Teenager
Verzeichnis der Literatur und Internetquellen
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Videos zum Projekt
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Hannah Arendt, 1965
Vorwort
"Das Lügenfernsehen. So manche scheinbar wahre Fernseh-Geschichte ist in Wirklichkeit frei erfunden, wie zahlreiche Beispiele zeigen."
Wer sagt das?
Rechte, Linke, Querfrontler, Verschwörungstheoretiker, Agenten, Trolle oder sonstiger Mob?
Anja Reschke, Leiterin der Abteilung Innenpolitik des NDR. Sie und ihr Team zeigen in dem Beitrag "Lügenfernsehen", "wie Zuschauer in die Irre geführt werden."
Das war am 7. Juli 2011. Und der Vorwurf des "Lügenfernsehens" richtete sich gegen das Privatfernsehen.
Der Begriff der Lüge war niemals ein Unwort, solange er nur Teil der Kritik war an den privaten Medien. Der Vorwurf der Manipulation war niemals eine Verschwörungstheorie, solange er nur den privaten Medien galt. Zum Sakrileg wurde der Vorwurf der Manipulation erst in jenem Moment, als der von der ARD erhobene Vorwurf des "Lügenfernsehens" gegen die bislang sakrosankten öffentlich-rechtlichen Sender selbst erhoben wurde. Seitdem ist die Enttäuschung groß:
"Leider [sic] haben die Leute das gemerkt, dass auch unsere Berichte geprägt sind", bedauert die Leiterin der Abteilung Innenpolitik des NDR Anja Reschke in ihrer viel zu wenig beachteten Dankesrede anlässlich ihrer Auszeichnung zur Journalistin des Jahres 2015.
Seit der öffentlich-rechtliche Rundfunk selbst in den Fokus der Medienkritik geraten ist, wird das aufmüpfige Publikum regelmäßig daran erinnert, dass, wer Medien Manipulation und Lügen vorwirft, eine Gemeinsamkeit teilt mit dem grausamsten Massenmörder aller Zeiten: Adolf Hitler.
Der Zweck dieser geschichtspädagogischen Erinnerung, die sich auch auf die Autorität einer "doch eher populistische[n] Veranstaltung der Un-Wort-Kür" (Ralf Vogel: "Der Un-Sprechakt des Jahres", 2014) beruft, liegt auf der Hand: schnöde Einschüchterung. Die Meinung, dass öffentlich-rechtliche Berichterstattung zu bestimmten Themen manipulativ ist, soll aus dem öffentlichen Diskurs verschwinden. Wer sie äußert, läuft Gefahr, öffentlich in einen Topf mit Adolf Hitler geworfen zu werden (Guilt by association).
Auch die mediale Fokussierung auf eine Minderheit von Extremisten als Träger der Medienkritik diskreditiert die Mehrheit der medienkritischen Bürger, die in der Wahrnehmung ihres demokratischen Rechts auf Meinungsäußerung und demokratischer Partizipation mittlerweile befürchten muss, in der medialen Öffentlichkeit in die Kategorie "Staatsfeinde" eingeordnet zu werden.
"Ich meine klar, 'ne Demokratie muss auch irgendwie das Volk mitnehmen."
Dieses eigenwillige Demokratieverständnis offenbarte kürzlich die Leiterin der Abteilung Innenpolitik des NDR in ihrem Plädoyer gegen Volksentscheide. Das Prinzip der Volkssouveränität - ersetzt durch das bloße Recht des Volkes, irgendwie noch mitgenommen zu werden. Das ist das beredte Selbstzeugnis eines öffentlich-rechtlichen Journalismus, der sich längst selbst als Teil jener Elite begreift, die er eigentlich kontrollieren soll.
In der Konsequenz wird die ursprünglich emanzipatorisch gegenüber staatlichen Beeinflussungversuchen gedachte Presse-und Rundfunkfreiheit umgedeutet als Recht auf einseitig-regierungsnahen Verlautbarungsjournalismus. Die derart umgedeutete Pressefreiheit braucht logischerweise auch nicht mehr Einflussversuche "von oben" abzuwehren, sondern muss "nach unten" hin verteidigt werden, und zwar gegen jene, die eine politisch motivierte Indienstnahme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kritisieren.
Unter Verletzung seines gesellschaftlichen Auftrags ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk dabei auch daran beteiligt, mitunter in manipulativer Weise Ressentiments zu schüren und Feindbilder zu schaffen, die nach außen das Friedensprojekt Europa gefährden und nach innen im eigenen Land eine gesellschaftliche Spaltung forcieren.
Einseitig? Regierungsnah? Manipulativ? Feindbilder?
Kann man das auch nachweisen? Sachlich belegen? Oder ist das nur dumpfes Geschrei von Wutbürgern, Lügenpresse-Rufern und sonstigem Mob?
Wir werden am Beispiel der ARD-Griechenland-Berichterstattung 2015 anhand einer Vielzahl von Belegen sachlich präzise den Vorwurf einer erstens einseitigen, zweitens regierungsnahen, drittens manipulativen und viertens Feindbild konstruierenden Berichterstattung innerhalb der Hauptnachrichtenformate der ARD nachweisen.
Damit begegnen wir der wiederholt an uns gerichteten Kritik, bei den von uns in der Vergangenheit monierten Verstößen gegen den Rundfunkstaatsvertrag handele es sich angeblich nur um bedauerliche Einzelfälle, die der menschlichen Fehlbarkeit geschuldet seien. Gleichzeitig tragen wir mit dieser Arbeit aber auch einer bedenkenswerten Kritik Rechnung, die Wolfgang Michal in seinem Blogartikel "Wozu überhaupt noch Medienkritik?" anschaulich formuliert:
"Kaum ein Medienkritiker setzt eigene Themen – vielmehr hecheln sie den Themen nach, die von den Medien gesetzt werden. Das führt zu der absurden Situation, dass in dem Augenblick, in dem Medienkritiker mit ihren tiefergehenden Analysen beginnen, das Thema meist schon wieder durch ein neues abgelöst ist. Ist ein Thema aber erst einmal „durch“ (NSA, Griechenland, Landesverrat, Flüchtlinge, Köln), hören auch die Kritiker auf zu kritisieren. So geht es im Schweinsgalopp von Katastrophe zu Skandal, von Enthüllung zu Unglück, von Terroranschlag zu Minister-Fehlverhalten. [...] Damit folgt die Medienkritik – wie hypnotisiert – jenen an- und abschwellenden Empörungszyklen, die sie eigentlich kritisieren müsste."
Diesem "Wettlauf zwischen Hase und Igel" (Wolfgang Michal) entziehen wir uns mit der vorliegenden Analyse der ARD-Griechenlandberichterstattung des vergangenen Jahres.
Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile: Einen allgemeinen Teil mit theoretischen Grundlagen und einen analytischen Teil, bestehend aus der Untersuchung von mehr als 20 bedauerlichen Einzelfällen lediglich aus den ersten 4 Wochen der ARD-Berichterstattung über die Syriza-Regierung 2015. In einem Schlusskapitel werden die Ergebnisse ausgewertet. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird nicht erhoben. Eine lückenlose Erfassung der hohen Anzahl an Falschdarstellungen hätte den Rahmen der vorliegenden Arbeit überschritten.
Es ist nicht unser Anliegen, die journalistische Arbeit der verantwortlichen Korrespondenten und Redakteure aus einer komfortablen Position des Zurückblickenden zu beurteilen. Einzelne Fehler sind nicht nur menschlich, sondern unter Umständen auch unvermeidlich innerhalb einer tagesaktuellen Berichterstattung.
Nur dann verstoßen veröffentlichte Falschdarstellungen gegen die Wahrheitspflicht, wenn der Journalist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung die unwahre Behauptung aufgrund seiner "Aufklärungsmöglichkeiten" hätte erkennen und damit vermeiden können. Die Wahrheitspflicht des Journalisten ist also nach geltendem Recht immer an die Erfüllung der Sorgfaltspflicht gekoppelt, die in der sorgsamen Prüfung, Sichtung und Darstellung von zugänglichen Recherchematerialien konkretisiert ist. Die gesellschaftlichen Erwartungen an den öffentlich-rechtlichen Journalismus sind dabei aufgrund seiner besonderen Finanzierungssituation naturgemäß höher als an die privaten Medien.
Unsere Analysen werden zeigen, dass sämtliche Falschdarstellungen der ARD allein durch die Befolgung professioneller Berufsnormen vermeidbar gewesen wären (=Verstoß gegen die Wahrheits- und Sorgfaltspflicht, § 10 RStV). Des Weiteren werden wir nachweisen, dass sämtliche Falschdarstellungen einem interessengeleiteten Narrativ entsprechen, welches sich wie ein roter Faden durch die Berichterstattung zieht (=Verstoß gegen das Gebot der Unparteilichkeit, § 11 RStV).
Diese medialen "Narrative" sind der Schlüssel zum Verständnis der aktuellen Vertrauenskrise in den Medien. Es geht um den modernen Trend im Journalismus, dessen Vorreiter vor allem der öffentlich-rechtliche Fernsehjournalismus ist und der mit einer zunehmenden Subjektivierung von Berichterstattung einhergeht:
Storytelling- die Kunst, Geschichten zu erzählen.
Mit Rücksicht auf die mehrfach erhobenen Klagen ARD-Verantwortlicher über die hohe Arbeitsbelastung aufgrund vereinzelter Programmbeschwerden verzichten wir im vorliegenden Fall darauf, die von uns mannigfaltig nachgewiesenen Verstöße gegen den Rundfunkstaatsvertrag als Programmbeschwerde einzureichen. Wohl aber bitten wir die ARD und den in letzter Instanz verantwortlichen Rundfunkrat um eine Stellungnahme:
Wie konnte es nur wenige Wochen nach den selbstkritischen Äußerungen von Chefredakteur Kai Gniffke zur Ukraine-Berichterstattung innerhalb der Griechenland-Berichterstattung erneut zu einer solch eklatanten Missachtung des Rundfunkstaatsvertrages kommen und welche konkreten Maßnahmen gedenkt der Rundfunkrat als Konsequenz zu ergreifen, um in Zukunft die gesetzlich garantierte sachlich-neutrale Berichterstattung innerhalb der ARD-Nachrichtenformate zu gewährleisten?
Dass Falschinformationen transparent an geeigneter Stelle korrigiert werden, halten wir für selbstverständlich. Ein klammheimliches Korrigieren oder gar Löschen von fehlerhaften Beiträgen widerspricht nicht nur journalistischen Berufsnormen, sondern missachtet einmal mehr die berechtigten Ansprüche des zahlungspflichtigen Bürgers.
Deswegen appellieren wir an die ARD, keine der von uns als Quelle angegebenen Sendungen jetzt Hals über Kopf aus der Mediathek zu entfernen, sondern dem Beitragszahler die eigenständige Überprüfung unserer Analysen zu ermöglichen.
Unsere Leser möchten wir ausdrücklich dazu ermuntern, auch uns nichts zu glauben, alles zu überprüfen und sich nicht blind unseren Schlussfolgerungen anzuschließen.
Der Zweifel ist nicht Merkmal von Extremismus. Die Wertschätzung kritischen Denkens ist eine Errungenschaft der Aufklärung. Wer Zweifler kriminalisiert und bedingungslose Gefolgschaft verlangt, stellt sich gegen die Werte einer aufgeklärten demokratischen Gesellschaft.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört der Allgemeinheit. Er soll politisch unabhängig sein. "Diese Unabhängigkeit gilt es gegen Einflussnahmeversuche zu bewahren", schreibt der NDR zu "Aufgabe und Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks".
Dies ist unser Anliegen.
Maren Müller
Vorsitzende Publikumskonferenz
Otto Stern
Autor/Redaktion
Inhaltsverzeichnis
Allgemeiner Teil: Die Kunst, Geschichten zu erzählen
1 Das Trojanische Pferd
2 Über griechische Helden, Märchen und Mythen
3 Was Orwell nicht wusste
3.1 Warum Fakten und rationale Argumente für die politische Meinungsbildung nebensächlich sind
3.2 Wie man mit Wörtern das Gehirn der Wähler verändert
3.3 Wie man durch das Geschichtenerzählen Emotionen und politische Einstellungen steuert
3.4 Warum man Kindheitserinnerungen im Wähler aktivieren sollte
3.5 Weshalb moralische Empörung wirksamer ist als sachliche Auseinandersetzung
4 Die Konstruktion wünschenswerter Welten
5 The Hidden Persuaders - Techniken der verdeckten Argumentation
5.1 Verdeckte Argumentation durch die Erzählhaltung des Journalisten
5.2 Verdeckte Argumentation durch die Anwendung rhetorischer Strategien
5.2.1 Strohmann
5.2.2 Autoritätsargument
5.2.3 Bandwagon-Argument
5.2.4 Gefühlsappell
5.2.5 Innuendo
5.3 Verdeckte Argumentation durch interessengeleitetes Framing
5.4 Verdeckte Argumentation durch semantische, visuelle und auditive Frame-Trigger
Analytischer Teil: Es war einmal...
1 Die Geschichte vom ernsten Spiel (Teil I)
2 Die Geschichte vom ernsten Spiel (Teil II)
3 Die Geschichte vom ernsten Spiel (Teil III)
4 Die Geschichte von Kotzias einsam in Europa
5 Die Geschichte eines Jungenstreichs
6 Die Geschichte vom Jungenstreich geht weiter
7 Die Geschichte von zwei griechischen Himmelhunden auf dem Weg zur Hölle
8 Die Geschichte von den zwei aufeinanderprallenden Welten
9 Die Geschichte von den Südosteuropäern, die gegen europäische Gepflogenheiten verstoßen
10 Die Geschichte von der guten Mutter (Teil I)
11 Die Geschichte von der guten Mutter (Teil II)
12 Die Geschichte vom rätselhaften Herrn Varoufakis (Teil I)
13 Die Geschichte vom arroganten Herrn Varoufakis (Teil II)
14 Die Geschichte von der kompromisslosen griechischen Regierung (Teil III)
15 Die Geschichte von Schäubles Sieg über Varoufakis
16 Die Geschichte vom klaren Verhandlungssieger Schäuble geht weiter
17 Die Geschichte von den unpünktlichen Griechen
18 Die Geschichte von den unpünktlichen Griechen geht weiter
19 Die Geschichte vom sich selbst entlarvenden Trickster
20 Die Geschichte von der Nun-Ja-Freigiebigkeit der griechischen Mentalität
Auswertung: Über Täuschung, Tugend und Teenager
Verzeichnis der Literatur und Internetquellen
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Videos zum Projekt
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1 Das Trojanische Pferd
Allgemeiner Teil: Die Kunst, Geschichten zu erzählen
"Parajournalismus sieht aus wie Journalismus, aber der Schein trügt: Er ist eine Mischung, die auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzt: Die sachliche Autorität von Journalismus ausnutzend sowie den stimmungsvollen Freibrief von Fiktion." Dwight Macdonald, 1965
1 Das Trojanische Pferd
"Wir müssen uns den Leser als Hund vorstellen. Ein Hund, der eigentlich spielen möchte, dem ich aber jetzt mit etwas Ernsthaftem komme."
Diese Allegorie zitieren die Journalisten Danilo Rößger und Rike Uhlenkamp in ihrem Artikel "Die dramaturgische Trickkiste". [1] Das Zitat stammt aus dem Netzwerk-Recherche-Workshop „Dramaturgie 2.0“ von 2014. Es bringt ein zentrales Anliegen des modernen Erzähljournalismus zum Ausdruck: angesichts sinkender Auflagenzahlen, Zeitungssterben, aber auch Quotendruck im Fernsehen die Aufmerksamkeit des Rezipienten zu erregen und zu behalten:
"Wie lenken Sie die Aufmerksamkeit des Publikums dauerhaft auf Ihre Botschaft?", fragt Marie Lampert den Leser ihres Bestsellers, "Storytelling für Journalisten".
"Storytelling heißt eine Sprache finden, die gleichzeitig Hirn und Herz anspricht. Autoren müssen die Grammatik des Gehirns und der Gefühle lernen. Darin besteht die Herausforderung. [...] Meister der Erzählung beherrschen diese Kunst. Bob Dylan sagt: 'It makes you feel and think at the same time.' Dylans Satz bezieht sich auf den Schreibstil von Barack Obama". [2]
Die Psychologin weiß: "Es geht um die Kunst des Verführens. Mit einem Mittel, das seit jeher verfängt. Es heißt ganz schlicht: Ich erzähl dir eine Geschichte. Die meisten Menschen mögen Geschichten. Sie verbinden damit gute Erinnerungen. Mit dem Gestus des Geschichtenerzählers fängt man sie ein." [3]
Als Gegenkonzept zum klassischen Informationsjournalismus, der in Deutschland auch angesichts der historischen Lehren über die emotionale Verführbarkeit des Menschen auf rational-nüchterne Informationsverarbeitung zielt, setzt der moderne Erzähljournalismus (narrativer Journalismus) auf Emotionalisierung und Unterhaltung durch eine spannende Dramaturgie: Aus der Perspektive einer Erzählerfigur wird das Nachrichten-Ereignis als dramaturgisch gestaltete Handlung erzählt, sei es linear-chronologisch oder in Form der Rückblende, Gondelbahnstruktur oder auch des Oxymoron-Plots. Diese und andere narrative Techniken sind dabei laut Lampert "das Trojanische Pferd" [4], durch das die Kernaussage im Innern eingeschleust wird.
Den grundsätzlichen Unterschied zwischen Dramaturgie und Information erklärt der Kommunikationstrainer René Borbonus folgendermaßen:
"Eine journalistische Nachricht ist nach einer umgekehrten Pyramide aufgebaut: Das Wichtigste kommt zuerst, und so viel davon wie möglich steht im ersten Satz. Nach hinten wird die Nachricht immer dünner, die Informationen immer unwichtiger. Die Dramaturgie einer Geschichte funktioniert ganz anders. Sie arbeitet vom ersten bis zum letzten Satz auf ihre Quintessenz hin: die Pointe, die Auflösung – die Botschaft. Nichts auf dem Weg ist unwichtig, alle Details greifen ineinander. Das Ziel der Dramaturgie einer Geschichte ist das Gegenteil von Information: Sie erzeugt ein Vakuum, das wir Spannung nennen." [5]
Präsentiert wird die Geschichte von einer "nicht immer expliziten, aber durch Perspektivierung und Positionierung charakterisierbaren Textperson als Erzähler". [6]
Die Konstruktion einer fiktiven Textperson, die gleich einem literarischen Erzähler dem Rezipienten das Geschehen als Narration vermittelt, wird als "Filmtext-Werkzeug" zusammen mit der Erzählsatz-Methode Gregor Heussens auch an der ARD.ZDF Medienakademie gelehrt: Ein und dasselbe Geschehen kann aus der Sichtweise verschiedener Textpersonen (z.B. "Der Spötter", "der Freund", "der plädierende Strafverteidiger", der "Staatsanwalt", "der neutrale Beobachter") erzählt werden, wobei die neutrale Perspektive nur eine unter vielen ist. Je nach Erzählertyp ergeben sich daraus unterschiedliche dramaturgische Entscheidungen hinsichtlich Auswahl und Anordnung von Fakten, der Wortwahl, der Stimme usw.
Die Erzählerfigur kann – sowohl im journalistischen Beitrag ("Reporter im On") als auch im Schaltgespräch – sichtbar in der Person des Korrespondenten auftreten, sie kann aber auch nur durch den gesprochenen Off-Text im Filmbeitrag wahrnehmbar sein.
Die Auswahl der jeweiligen Textperson hängt dabei ab von den emotionalen (z.B. Ärger über einen Politiker, Bewunderung, Mitgefühl) und den argumentativen Zielen (z.B. Kriterien für Urteilsbildung vermitteln), die der Journalist mit seinem Beitrag verfolgt. [7]
In der Literaturwissenschaft wird die Einstellung des Erzählers zu den Figuren und der Handlung auch als Erzählhaltung bezeichnet. Die folgenden Beispiele zeigen verschiedene Erzählhaltungen, wie sie auch in der Literatur vorkommen. Grob lassen sich 3 Unterscheidungen treffen: Der Erzähler steht der Figur/Handlung affirmativ, neutral oder kritisch gegenüber.
Ein Beispiel für eine affirmative Position in Form einer empathisch-nahen, identifikatorischen Erzählhaltung:
Als Kommunikationsstrategie ist Storytelling eine Methode, die in den USA im Bereich Marketing und Unternehmensführung entwickelt wurde. Statt sich bei der Werbung für das Unternehmen auf Zahlen und Fakten zu konzentrieren, sollte die zu vermittelnde Botschaft in Form einer möglichst spannenden Geschichte vermittelt werden. Storytelling setzt sich seit Ende der 90er Jahre als Kommunikationsstrategie durch: in Politik, Militär und Wirtschaft. [9]
Der französische Narrationsforscher Christian Salmon hat in seinem Buch "Storytelling – die Maschine, um Geschichten zu erfinden und die Gehirne zu formatieren" die Entwicklung und Bedeutung dieser Kommunikationsstrategie anhand von zahlreichen Beispielen aus Politik, Wirtschaft und Militär untersucht: Erzählen ist laut Salmon eine Methode geworden, die Öffentlichkeit, Wähler, Kunden zu verführen, zu überzeugen und zu beeinflussen [10].
"Wir leben in einer großen Lüge." [11]
"Statt in einen neuen Orwellschen Albtraum könnte diese 'neue narrative Weltordnung', so Salmon, aber auch zu einer ungeahnten Form individueller Geschichtenverweigerung führen." [12]
"Storytelling kann Information sein oder reinen Propagandazwecken dienen", urteilt Jürg Altwegg, "es ist eine Kommunikationstechnik, kann aber genauso – man muss wohl auch Michel Foucault wieder lesen – als Instrument der sozialen Kontrolle und Machtausübung verstanden werden." [13]
2006 endet die Expertentagung der Bertelsmann Stiftung zu strategischer Regierungskommunikation mit der Empfehlung, u. a. nach dem Vorbild der USA, Großbritanniens, aber auch Dänemarks unter Anders Fogh Rasmussen verstärkt auf sog. Spin-Doktoren zu setzen und damit einen professionellen Mitarbeiterstab aufzubauen, der geschult ist in "Kommunikationsstrategien". Ausdrücklich hervorgehoben wird in diesem Zusammenhang "methodisches Know-How" auf den Feldern "Storytelling" und dem "sprachlichen Framing". [14]
Dabei beruft man sich auf die Forschungsarbeiten des US-amerikanischen Linguisten George Lakoff über politische Kommunikationsstrategien zur Veränderung mentaler Konzepte der Bevölkerung. Statt im irrtümlichen Glauben an eine vernunftbasierte Rationalität des Wählers auf Faktenvermittlung zu setzen, müsse politische Kommunikation stärker die unbewussten, emotionserzeugenden Wahrnehmungs- und Beurteilungsmuster der Wähler fokussieren. Ein wichtiges Mittel sei dabei laut Lakoff das Erzählen von Geschichten: "Tell a story. Find stories where your frame is built into the story. Build up a stock of effective stories." [15]
Ausdrücklich warnt die Bertelsmann-Expertenkommission aber auch vor der "Missbrauchsanfälligkeit" solcher "nicht unumstritten[er]" Methoden im Hinblick auf "Desinformation oder Propaganda".
Umstritten sind diese Methoden nicht nur, weil sie in besonderem Maße die Gefahr der Realitätsverzerrung bergen. Sie zielen zusätzlich auf das Unbewusste des Menschen und liegen damit grundsätzlich außerhalb seines kritischen Bewusstseins:
"Als Goethe seinem Publikum vor über 200 Jahren durch Mephisto ausrichten ließ, dass es zum größten Teil vom Unbewussten gesteuert werde, konnte er nicht mit dem Beifall der Wissenschaftler rechnen. Aber sein Satz 'Du glaubst zu schieben und du wirst geschoben' verdichtet genau das, was die Neurowissenschaftler heute mit modernsten technischen Hilfsmitteln experimentell beweisen: Unser Verhalten wird zum größten Teil vom Unbewussten beeinflusst, das seinerseits für seine Entscheidung die im autobiographischen Gedächtnis gespeicherten Geschichten zurate zieht." [16]
Dass im Erzählen von Geschichten "immer auch die Interpretation der dargestellten Fakten" enthalten ist, dass durch Geschichten auch "Wertevorstellungen und Weltbilder" vermittelt werden, dass sich dadurch "Zielkonflikte" [17] von journalistischem Informieren einerseits und dem Erzählen von Geschichten andererseits ergeben, sind kritische Einwände, die in der Euphorie über den modernen Trend im Journalismus untergehen:
„Aber taugt das, was für Märchen gilt, auch für journalistische Texte, in denen es doch in erster Linie um Informationsvermittlung geht? Unbedingt. Weil die meisten Menschen sich für Menschen mehr interessieren als für Daten und Fakten, weil sie sich Bilder, auch Metaphern besser einprägen als abstrakte Sachverhalte, weil sie das Kino im Kopf lieben. Man nehme einen Helden, einen Ort und eine Handlung – dieses Rezept des Aristoteles passt bis heute auch für journalistische Geschichten, und zwar nicht nur für die klassische Reportage. Storytelling funktioniert in Nachrichten, Berichten und sogar im Interview […].“ [18]
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[1] Danilo Rößger, Rike Uhlenkamp: Die dramaturgische Trickkiste, in: Message-Podium 1-2014.
[2] Marie Lampert, Rolf Wespe: Storytelling für Journalisten, Konstanz und München 2013, S. 11.
[3] Marie Lampert: Storytelling. Über die Kunst, Leser mit spannenden Geschichten einzufangen, in: Medium-Magazin 11/2007.
[4] Marie Lampert, Rolf Wespe: a.a.O., S. 194.
[5] René Borbonus: Hollywood. Storytelling, in: Einblicke, Ausblicke 2014, S. 22-23, hier S. 23.
[6] Sebastian Köhler: Die Nachrichtenerzähler. Zur Theorie und Praxis nachhaltiger Narrativität im TV-Journalismus, Baden-Baden 2009, S. 12.
[7] Einen Überblick ermöglicht das von Gregor Heussens Internetseite herunterladbare Dokument: "Angebot und Exposé".
[8] Vgl. James E. Murphy: The New Journalism: A Critical Persepective. Journalism Monographs Nr. 34, Mai 1974, S. 3 ff.
[9] Joseph Hanimann: Recht hat, wer eine Geschichte erzählt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.12.2007.
[10] Christian Salmon: Une machine à fabriquer des histoires, in: Le Monde diplomatique, Nov. 2006, S. 18-19.
[11] Juan Cruz: Entrevista. Christian Salmon. "Vivimos en la gran mentira", in: El Pais, 19.10.2008.
[12] Joseph Hanimann: a.a.O.
[13] Jürg Altwegg: Politische Rhetorik. Die Märchen der Macht, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.01.2009.
[14] Bertelsmann Stiftung: Diskussionspapier zum Expertendialog: Politische Reformkommunikation. Veränderungsprozesse erfolgreich vermitteln, 16.11.2006, S. 8 ff.
[15] George Lakoff: Don't think of an elephant. Know your values and frame the debate, White River Junction 2014, S. 161.
[16] Werner T. Fuchs: Warum das Gehirn Geschichten liebt. Mit Storytelling Menschen gewinnen und überzeugen, Freiburg 2015, S. 51.
[17] Karl N. Renner: Storytelling im Fernsehjournalismus - Ein Zukunftskonzept mit offenen Fragen, Berlin 2008.
[18] Ulrike Schnellbach: Wie in Tausendundeiner Nacht, in: DJV-Blickpunkt 3/2012.
"Parajournalismus sieht aus wie Journalismus, aber der Schein trügt: Er ist eine Mischung, die auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzt: Die sachliche Autorität von Journalismus ausnutzend sowie den stimmungsvollen Freibrief von Fiktion." Dwight Macdonald, 1965
1 Das Trojanische Pferd
"Wir müssen uns den Leser als Hund vorstellen. Ein Hund, der eigentlich spielen möchte, dem ich aber jetzt mit etwas Ernsthaftem komme."
Diese Allegorie zitieren die Journalisten Danilo Rößger und Rike Uhlenkamp in ihrem Artikel "Die dramaturgische Trickkiste". [1] Das Zitat stammt aus dem Netzwerk-Recherche-Workshop „Dramaturgie 2.0“ von 2014. Es bringt ein zentrales Anliegen des modernen Erzähljournalismus zum Ausdruck: angesichts sinkender Auflagenzahlen, Zeitungssterben, aber auch Quotendruck im Fernsehen die Aufmerksamkeit des Rezipienten zu erregen und zu behalten:
"Wie lenken Sie die Aufmerksamkeit des Publikums dauerhaft auf Ihre Botschaft?", fragt Marie Lampert den Leser ihres Bestsellers, "Storytelling für Journalisten".
"Storytelling heißt eine Sprache finden, die gleichzeitig Hirn und Herz anspricht. Autoren müssen die Grammatik des Gehirns und der Gefühle lernen. Darin besteht die Herausforderung. [...] Meister der Erzählung beherrschen diese Kunst. Bob Dylan sagt: 'It makes you feel and think at the same time.' Dylans Satz bezieht sich auf den Schreibstil von Barack Obama". [2]
Die Psychologin weiß: "Es geht um die Kunst des Verführens. Mit einem Mittel, das seit jeher verfängt. Es heißt ganz schlicht: Ich erzähl dir eine Geschichte. Die meisten Menschen mögen Geschichten. Sie verbinden damit gute Erinnerungen. Mit dem Gestus des Geschichtenerzählers fängt man sie ein." [3]
Als Gegenkonzept zum klassischen Informationsjournalismus, der in Deutschland auch angesichts der historischen Lehren über die emotionale Verführbarkeit des Menschen auf rational-nüchterne Informationsverarbeitung zielt, setzt der moderne Erzähljournalismus (narrativer Journalismus) auf Emotionalisierung und Unterhaltung durch eine spannende Dramaturgie: Aus der Perspektive einer Erzählerfigur wird das Nachrichten-Ereignis als dramaturgisch gestaltete Handlung erzählt, sei es linear-chronologisch oder in Form der Rückblende, Gondelbahnstruktur oder auch des Oxymoron-Plots. Diese und andere narrative Techniken sind dabei laut Lampert "das Trojanische Pferd" [4], durch das die Kernaussage im Innern eingeschleust wird.
Den grundsätzlichen Unterschied zwischen Dramaturgie und Information erklärt der Kommunikationstrainer René Borbonus folgendermaßen:
"Eine journalistische Nachricht ist nach einer umgekehrten Pyramide aufgebaut: Das Wichtigste kommt zuerst, und so viel davon wie möglich steht im ersten Satz. Nach hinten wird die Nachricht immer dünner, die Informationen immer unwichtiger. Die Dramaturgie einer Geschichte funktioniert ganz anders. Sie arbeitet vom ersten bis zum letzten Satz auf ihre Quintessenz hin: die Pointe, die Auflösung – die Botschaft. Nichts auf dem Weg ist unwichtig, alle Details greifen ineinander. Das Ziel der Dramaturgie einer Geschichte ist das Gegenteil von Information: Sie erzeugt ein Vakuum, das wir Spannung nennen." [5]
Präsentiert wird die Geschichte von einer "nicht immer expliziten, aber durch Perspektivierung und Positionierung charakterisierbaren Textperson als Erzähler". [6]
Die Konstruktion einer fiktiven Textperson, die gleich einem literarischen Erzähler dem Rezipienten das Geschehen als Narration vermittelt, wird als "Filmtext-Werkzeug" zusammen mit der Erzählsatz-Methode Gregor Heussens auch an der ARD.ZDF Medienakademie gelehrt: Ein und dasselbe Geschehen kann aus der Sichtweise verschiedener Textpersonen (z.B. "Der Spötter", "der Freund", "der plädierende Strafverteidiger", der "Staatsanwalt", "der neutrale Beobachter") erzählt werden, wobei die neutrale Perspektive nur eine unter vielen ist. Je nach Erzählertyp ergeben sich daraus unterschiedliche dramaturgische Entscheidungen hinsichtlich Auswahl und Anordnung von Fakten, der Wortwahl, der Stimme usw.
Die Erzählerfigur kann – sowohl im journalistischen Beitrag ("Reporter im On") als auch im Schaltgespräch – sichtbar in der Person des Korrespondenten auftreten, sie kann aber auch nur durch den gesprochenen Off-Text im Filmbeitrag wahrnehmbar sein.
Die Auswahl der jeweiligen Textperson hängt dabei ab von den emotionalen (z.B. Ärger über einen Politiker, Bewunderung, Mitgefühl) und den argumentativen Zielen (z.B. Kriterien für Urteilsbildung vermitteln), die der Journalist mit seinem Beitrag verfolgt. [7]
In der Literaturwissenschaft wird die Einstellung des Erzählers zu den Figuren und der Handlung auch als Erzählhaltung bezeichnet. Die folgenden Beispiele zeigen verschiedene Erzählhaltungen, wie sie auch in der Literatur vorkommen. Grob lassen sich 3 Unterscheidungen treffen: Der Erzähler steht der Figur/Handlung affirmativ, neutral oder kritisch gegenüber.
Ein Beispiel für eine affirmative Position in Form einer empathisch-nahen, identifikatorischen Erzählhaltung:
Hier ein Beispiel für eine kritische Position in Form einer ironisch-spöttischen Erzählhaltung:„Es ist eine Rede, die ihm wahnsinnig schwerfällt, sagt Wolfgang Schäuble, der doch selten um ein Wort verlegen ist, sei es mahnend, werbend oder tosend. Heute muss er von allem etwas liefern. Athen habe viel Vertrauen zerstört, so der Bundesfinanzminister, dennoch bittet er die Abgeordneten um eine Verlängerung der Griechenland-Hilfen. Keine neuen Milliarden, nur mehr Zeit: 4 Monate, um Reformen umzusetzen.“ (Korrespondentin Julia Krittian zur Bundestagsentscheidung über die Verlängerung der Kreditvereinbarung mit Griechenland, Tagesthemen vom 27.02.2015)
Der moderne Erzähljournalismus hat Schnittmengen mit dem umstrittenen New Journalism in den USA der 60er/70er Jahre, der sich literarischer Techniken (Metaphern, Symbolhaftigkeit, Ironie, Stimmung und Atmosphäre usw.) bediente. Den Normen des objective reporting setzte der New Journalism die Radikalität der subjektiven Perspektive entgegen. Kritiker bezeichneten diese journalistische Strömung als "Parajournalismus" (Dwight Macdonald). Aufgrund ihres sozialpolitischen Engagements wurden die Vertreter des New Journalism auch als Aktivisten oder "Journalisten als Missionare" (John Hohenberg) angesehen. [8]"Bühne frei für Yanis Varoufakis. Er ist zurück. Gewohnt galant flötet er in Kameras und Mikrofone, dass es eine "Ehre" und ein "großes Privileg" sei, an diesem Tag im Herzen von Europa zu sein – in Berlin. "Griechenlands linker Ex-Finanzminister als Leitwolf einer neuen paneuropäischen Bewegung, abgekürzt DiEM25. Soll heißen "Demokratie in Europa, Bewegung 2025". Geburtsort: Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, in direkter Nachbarschaft zum Karl-Liebknecht-Haus. Dort ist die Zentrale der Partei DIE LINKE. Hausherrin Katja Kipping macht auch mit, und sie weiß, "dass viele in der Linken das mit großem Interesse verfolgen". [...]. Das Programm liest sich wie ein Waschzettel für Allgemeines, gegen alles Etablierte in Europa, und Katja Kipping hat einen Anknüpfungspunkt gefunden: Die Linke teile "auf jeden Fall" das Ziel einer Demokratisierung Europas. [..]" (Korrespondentin Marita Knipper auf tagesschau.de, 09.02.2016)
Als Kommunikationsstrategie ist Storytelling eine Methode, die in den USA im Bereich Marketing und Unternehmensführung entwickelt wurde. Statt sich bei der Werbung für das Unternehmen auf Zahlen und Fakten zu konzentrieren, sollte die zu vermittelnde Botschaft in Form einer möglichst spannenden Geschichte vermittelt werden. Storytelling setzt sich seit Ende der 90er Jahre als Kommunikationsstrategie durch: in Politik, Militär und Wirtschaft. [9]
Der französische Narrationsforscher Christian Salmon hat in seinem Buch "Storytelling – die Maschine, um Geschichten zu erfinden und die Gehirne zu formatieren" die Entwicklung und Bedeutung dieser Kommunikationsstrategie anhand von zahlreichen Beispielen aus Politik, Wirtschaft und Militär untersucht: Erzählen ist laut Salmon eine Methode geworden, die Öffentlichkeit, Wähler, Kunden zu verführen, zu überzeugen und zu beeinflussen [10].
"Wir leben in einer großen Lüge." [11]
"Statt in einen neuen Orwellschen Albtraum könnte diese 'neue narrative Weltordnung', so Salmon, aber auch zu einer ungeahnten Form individueller Geschichtenverweigerung führen." [12]
"Storytelling kann Information sein oder reinen Propagandazwecken dienen", urteilt Jürg Altwegg, "es ist eine Kommunikationstechnik, kann aber genauso – man muss wohl auch Michel Foucault wieder lesen – als Instrument der sozialen Kontrolle und Machtausübung verstanden werden." [13]
2006 endet die Expertentagung der Bertelsmann Stiftung zu strategischer Regierungskommunikation mit der Empfehlung, u. a. nach dem Vorbild der USA, Großbritanniens, aber auch Dänemarks unter Anders Fogh Rasmussen verstärkt auf sog. Spin-Doktoren zu setzen und damit einen professionellen Mitarbeiterstab aufzubauen, der geschult ist in "Kommunikationsstrategien". Ausdrücklich hervorgehoben wird in diesem Zusammenhang "methodisches Know-How" auf den Feldern "Storytelling" und dem "sprachlichen Framing". [14]
Dabei beruft man sich auf die Forschungsarbeiten des US-amerikanischen Linguisten George Lakoff über politische Kommunikationsstrategien zur Veränderung mentaler Konzepte der Bevölkerung. Statt im irrtümlichen Glauben an eine vernunftbasierte Rationalität des Wählers auf Faktenvermittlung zu setzen, müsse politische Kommunikation stärker die unbewussten, emotionserzeugenden Wahrnehmungs- und Beurteilungsmuster der Wähler fokussieren. Ein wichtiges Mittel sei dabei laut Lakoff das Erzählen von Geschichten: "Tell a story. Find stories where your frame is built into the story. Build up a stock of effective stories." [15]
Ausdrücklich warnt die Bertelsmann-Expertenkommission aber auch vor der "Missbrauchsanfälligkeit" solcher "nicht unumstritten[er]" Methoden im Hinblick auf "Desinformation oder Propaganda".
Umstritten sind diese Methoden nicht nur, weil sie in besonderem Maße die Gefahr der Realitätsverzerrung bergen. Sie zielen zusätzlich auf das Unbewusste des Menschen und liegen damit grundsätzlich außerhalb seines kritischen Bewusstseins:
"Als Goethe seinem Publikum vor über 200 Jahren durch Mephisto ausrichten ließ, dass es zum größten Teil vom Unbewussten gesteuert werde, konnte er nicht mit dem Beifall der Wissenschaftler rechnen. Aber sein Satz 'Du glaubst zu schieben und du wirst geschoben' verdichtet genau das, was die Neurowissenschaftler heute mit modernsten technischen Hilfsmitteln experimentell beweisen: Unser Verhalten wird zum größten Teil vom Unbewussten beeinflusst, das seinerseits für seine Entscheidung die im autobiographischen Gedächtnis gespeicherten Geschichten zurate zieht." [16]
Dass im Erzählen von Geschichten "immer auch die Interpretation der dargestellten Fakten" enthalten ist, dass durch Geschichten auch "Wertevorstellungen und Weltbilder" vermittelt werden, dass sich dadurch "Zielkonflikte" [17] von journalistischem Informieren einerseits und dem Erzählen von Geschichten andererseits ergeben, sind kritische Einwände, die in der Euphorie über den modernen Trend im Journalismus untergehen:
„Aber taugt das, was für Märchen gilt, auch für journalistische Texte, in denen es doch in erster Linie um Informationsvermittlung geht? Unbedingt. Weil die meisten Menschen sich für Menschen mehr interessieren als für Daten und Fakten, weil sie sich Bilder, auch Metaphern besser einprägen als abstrakte Sachverhalte, weil sie das Kino im Kopf lieben. Man nehme einen Helden, einen Ort und eine Handlung – dieses Rezept des Aristoteles passt bis heute auch für journalistische Geschichten, und zwar nicht nur für die klassische Reportage. Storytelling funktioniert in Nachrichten, Berichten und sogar im Interview […].“ [18]
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[1] Danilo Rößger, Rike Uhlenkamp: Die dramaturgische Trickkiste, in: Message-Podium 1-2014.
[2] Marie Lampert, Rolf Wespe: Storytelling für Journalisten, Konstanz und München 2013, S. 11.
[3] Marie Lampert: Storytelling. Über die Kunst, Leser mit spannenden Geschichten einzufangen, in: Medium-Magazin 11/2007.
[4] Marie Lampert, Rolf Wespe: a.a.O., S. 194.
[5] René Borbonus: Hollywood. Storytelling, in: Einblicke, Ausblicke 2014, S. 22-23, hier S. 23.
[6] Sebastian Köhler: Die Nachrichtenerzähler. Zur Theorie und Praxis nachhaltiger Narrativität im TV-Journalismus, Baden-Baden 2009, S. 12.
[7] Einen Überblick ermöglicht das von Gregor Heussens Internetseite herunterladbare Dokument: "Angebot und Exposé".
[8] Vgl. James E. Murphy: The New Journalism: A Critical Persepective. Journalism Monographs Nr. 34, Mai 1974, S. 3 ff.
[9] Joseph Hanimann: Recht hat, wer eine Geschichte erzählt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.12.2007.
[10] Christian Salmon: Une machine à fabriquer des histoires, in: Le Monde diplomatique, Nov. 2006, S. 18-19.
[11] Juan Cruz: Entrevista. Christian Salmon. "Vivimos en la gran mentira", in: El Pais, 19.10.2008.
[12] Joseph Hanimann: a.a.O.
[13] Jürg Altwegg: Politische Rhetorik. Die Märchen der Macht, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.01.2009.
[14] Bertelsmann Stiftung: Diskussionspapier zum Expertendialog: Politische Reformkommunikation. Veränderungsprozesse erfolgreich vermitteln, 16.11.2006, S. 8 ff.
[15] George Lakoff: Don't think of an elephant. Know your values and frame the debate, White River Junction 2014, S. 161.
[16] Werner T. Fuchs: Warum das Gehirn Geschichten liebt. Mit Storytelling Menschen gewinnen und überzeugen, Freiburg 2015, S. 51.
[17] Karl N. Renner: Storytelling im Fernsehjournalismus - Ein Zukunftskonzept mit offenen Fragen, Berlin 2008.
[18] Ulrike Schnellbach: Wie in Tausendundeiner Nacht, in: DJV-Blickpunkt 3/2012.
2 Über griechische Helden, Märchen und Mythen
2 Über griechische Helden, Märchen und Mythen
Er ist Rebell, Provokateur und eine Spielernatur. Wo er auftaucht, stiftet er Verärgerung und Chaos. Er stellt sich gegen Autoritäten und Institutionen und liebt listige Tricks, mit denen er seine Umwelt täuscht. Regeln, Vereinbarungen, Normen stellt er in Frage und bricht sie mit einem subversiven Lachen.
Beschrieben wird hier eine der ältesten und faszinierendsten Figuren der Mythologie: der Archetypus des Tricksters. Die christliche Interpretation hat ihn auf seine dämonische Seite reduziert und ihn als diabolischen Widersacher der göttlichen Ordnung, als Teufel, bewertet. Tatsächlich hat er als Schelmenfigur eine "clowneske Doppelnatur" [19], bestehend aus Widersacher und Heilsbringer zugleich. Der Mythenforscher Jospeh Campbell beschreibt den ambivalenten Charakter des Tricksters als "a kind of devil and fool ─ and the creator of the world"; er ist ein Archetypus des Wandels, der sich gegen den Status quo richtet und "die Kraft, Programme zu verwerfen", repräsentiert. [20]
Trickster-Geschichten wie die über Griechenlands ehemaligen Finanzminister Yanis Varoufakis sind aufgrund ihrer Suggestivkraft sehr wirkmächtig, da sie als Urbilder menschlicher Vorstellungs- bzw. Erfahrungsmuster im kollektiven Unbewussten angesiedelt sind.
In der amerikanisch-indianischen Mythologie z.B. wird der Trickster durch den Kojoten verkörpert. In der französischen Volksdichtung begegnet uns der Trickster in der Gestalt von Reineke Fuchs, in Deutschland in Till Eulenspiegel genauso wie im Rattenfänger von Hameln. In der nordischen Mythologie tritt er als Loki auf, in der griechischen Sagenwelt zeigt sich der Trickster in der Gestalt von Prometheus ebenso wie im Götterboten Hermes, dem Gott der Kaufleute, Wissenschaft sowie Diebe und (Trick-)Betrüger. Sie alle und viele andere mehr repräsentieren Facetten dieses einen Archetypus.
Hier eine moderne Interpretation des Tricksters in der Gestalt des Rattenfängers von Hameln:
Ein Held macht sich aufgrund eines Problems, meistens bestehend aus einem Mangel (materiell oder ideell), auf die "Reise" (auch symbolisch) von der "vertrauten" in eine "andere" Welt. Dort spitzt sich der Konflikt zu: Er muss Prüfungen bestehen, sich seinem Antagonisten stellen, durchläuft eine Entwicklung bis zum Höhe- bzw. Wendepunkt, der die Auflösung in Form einer Konsequenz einleitet: Meistens darf er ein Elixier oder einen Schatz (materiell oder/und ideell) als Belohnung für seine Reifung mit nach Hause in seine vertraute Welt zurücknehmen ─ oder er stolpert scheiternd in die Katastrophe. Aber immer gibt es einen "Schatz" in Form der Katharsis, der Läuterung des Helden oder/und des Zuschauers.
Christopher Vogler hat den Monomythos für Hollywood in Form einer Anleitung für das Drehbuchschreiben nutzbar gemacht. [23] "Hollywood schreibt ab - warum wir nicht auch", fragt Christian Friedl, Redakteur des Bayerischen Rundfunks und Autor des Buches:
"Hollywood im journalistischen Alltag" [24]. Friedl leitet als Storytelling-Trainer an der ARD.ZDF Medienakademie regelmäßig journalistische Fortbildungsseminare zum Thema "Hollywood für den Alltag":
"Grundlage des Seminars ist die klassische Dreiaktstruktur und die darin eingewobenen Elemente der Heldenreise, die man beim kurzen Magazinfilm genauso erfolgreich einsetzen kann wie bei der langen Dokumentation. Hollywood-Regisseure wie Spielberg (E.T.), Cameron (Titanic) oder Lucas (Krieg der Sterne) bauen so ihre Filme auf. Sie werden anhand von Hollywoodbeispielen die jeweiligen Erzählstrukturen kennenlernen und an einer Vielzahl von Magazinbeispielen sehen, wie leicht Sie als Autor, abnehmender Redakteur und an der Produktion Beteiligter damit einen journalistischen Film verbessern können." [25]
"Die Erzählregeln im journalistischen Film sind nicht viel anders als in Spielfilmen. Wir sollten einfach gute Geschichten schreiben. Ob fiktiv oder real, da sehe ich keinen Unterschied. Denn der Übergang ist sowieso fließend. Ab wann ist etwas schon fiktiv? Wann noch real?" [26], fragt ARD-Redakteur Friedl in seinem Buch "Hollywood im journalistischen Alltag".
Dieser Frage geht Jack Lule nach, Professor für Journalistik an der Lehigh University in Pennsylvania: In seinem Buch "Daily News, Eternal Stories. The Mythological Role of Journalism" analysiert er journalistische Nachrichten mit Blick auf ihren mythischen Gehalt:
"Wir können in Nachrichtengeschichten den Sirenengesang der Mythen wiedererkennen. Diese Nachrichtengeschichten bieten mehr als das Nacherzählen gängiger Geschichtenarten. Diese Nachrichtengeschichten bieten heilige gesellschaftliche Narrative mit gemeinsam geteilten Werten und Überzeugungen, mit Lektionen und Themen und mit exemplarischen Modellen, die anweisen und informieren. Sie bieten Mythen an." [27]
Lule identifiziert 7 konkrete Hauptmythen bzw. mythische Figuren in journalistischen Nachrichten: das Opfer, den Sündenbock, den Helden, die gute Mutter, den Trickster, die andere Welt und die Flut.
Angela Phillips (The Guardian) benennt ─ mit zahlreichen inhaltlichen Überschneidungen zu Lule ─ 5 typische Erzähl-Archetypen: die Überwindung des Bösen, Transformation, Tragödie, Liebesgeschichten und Erwachsenwerden. [28]
Mit seiner klaren "Wir"-gegen-"sie"-Polarisierung und seiner eindeutigen moralischen Struktur ist der Erzähl-Archetypus "Die Überwindung des Bösen" eines der populärsten Narrative, die Journalisten aufgreifen. Er gehört zu jenen kulturellen Narrativen mit klaren semantischen Rollen (Held, Opfer, Schurke), die laut dem US-Linguisten George Lakoff konventionalisierte Emotionen erzeugen: Auf die Verletzung des Helden bzw. des Opfers reagieren wir mit Empörung und dem Wunsch, das Gute möge siegen und das Böse bestraft werden. Den Kampf zwischen Gut und Böse beobachten wir mit Spannung, der Sieg des Guten erfüllt uns schließlich mit Freude.
Einen wichtigen Stellenwert in der Kunst des Storytelling nimmt daher die Charakterisierung und Konstellation der Figuren ein: "Wie zeichnet man den Helden, wie den Schurken?" Christian Friedl beantwortet diese Frage in seinem Buch und seinen Seminaren. Der professionelle Rat des ARD-Experten: Man sollte "gleich klar machen, wer der Bösewicht ist." [29]
"In diesem Seminar lernen Sie, wie Sie auch im Nonfiction-Bereich Figuren zeichnen, welche und wie viele Attribute die Geschichte vorantreiben, welche Arten von Hauptfiguren es gibt und wer die idealen Gegenspieler sind. Zudem lernen Sie ganz praktisch, wie Sie das größte Problem beim Erzählen von Geschichten lösen ─ also, wie Sie den Spannungsbogen des 2. Aktes halten. Dieser längste Teil der Geschichte besteht aus Prüfungen, aus Sequenzen, deren Aufbau und dramaturgische Abfolge der vielleicht wesentlichste Teil des Storytelling sind." [30]
Der "Spannungsbogen des zweiten Aktes", der die ARD-Berichterstattung über die Syriza-Regierung in immer neuen Episoden monatelang bestimmte, waren die Bewährungsproben und Prüfungen (Stichwort: Reformliste) des rebellischen Antihelden Tsipras, der zweiten Tricksterfigur in diesem griechischen Drama.
Dieser hatte zusammen mit seinem trickreichen Gesellen Varoufakis eine "Heldenreise" angetreten von seiner "vertrauten" (Griechenland/Wahlversprechen/Erwartungen des griechischen Volkes) in die "andere Welt" (europäische Realität/Verhandlungen in Brüssel/Regeln). Sein Problem bzw. Mangel: Er hat Wahlgeschenke versprochen, braucht dafür Geld. Faul, wie er ist, lehnt er aber Reformen ab. Und so ziehen die beiden Trickbetrüger aus, um die fleißigen europäischen Steuerzahler um ihr mit harter Arbeit verdientes Geld zu bringen und machen dabei auch vor Erpressungen und Drohungen nicht halt.
Ihnen entgegen stellt sich der wahre Held des Dramas: die Figur des mächtigen Herrschers Schäuble. Er und seine Gefolgsleute zeigen sich entschlossen, die herrschende (Werte-)Ordnung und das Wohlergehen ihrer Untertanen zu verteidigen (Geld nur gegen Reformen, Vereinbarungen müssen eingehalten werden). Ein Kampf zwischen Gut und Böse beginnt...
Wolfgang Schäuble verkörpert den Archetypus des Herrschers und des strengen Vaters: Auf der Bühne des griechischen Dramas erscheint er als Verteidiger und Hüter der bedrohten (Werte-)Ordnung.
Als Gegenspieler der Antihelden verkörpert der Bundesfinanzminister auch den Archetypus des Schattens: jene Charakteranteile, die der Antiheld zu Beginn seiner Reise noch ablehnt und erst in Form einer Wandlung (Trennung vom komischen Gesellen Varoufakis und Akzeptieren des Troika-Programms) in seine Persönlichkeit integrieren wird. Im vorliegenden Fall sind dies v.a. die Charaktereigenschaften Sparsamkeit und Fleiß (Reformwillen). Als Belohnung für die erfolgreiche Wandlung winkt dem griechischen Ministerpräsidenten das Elixier (Beschluss über 3. Hilfspaket).
Hätte sich der Antiheld Tsipras nicht den Bedingungen der Kreditgeber unterworfen, so hätten die Zuschauer auf dem Bildschirm die Dramaturgie einer selbst verschuldeten Katastrophe (Grexit, Graccident) verfolgen können: eine banalisierte Form der klassischen griechischen Tragödie.
Üblicherweise tritt der Archetypus des Schattens als Gegenpol zum positiv besetzten Helden in der Figur des Schurken auf, nicht aber wenn ─ wie im Fall der vorliegenden Dramaturgie ─ die Rolle des Schurken bereits vom (Anti-)Helden und seinem Begleiter besetzt ist. Erst im Juni 2015 spricht die ARD die vorgenommene Rollenverteilung explizit aus:
[19] Constantin von Barloewen: Clowns. Versuch über das Stolpern, München 2010, S. 23.
[20] An Open Life: Joseph Campbell interviewed by Michael Toms, New York 1989.
[21] Varoufakis hat Pläne für Europa, tagesschau.de, 09.02.2016.
[22] Jospeh Campbell: The Hero with a Thousand Faces, Princeton 1949.
[23] Christopher Vogler: The Writer's Journey, Mythic Structure for Storytellers and Screenwriters, Los Angeles 1992.
[24] Christian Friedl: Hollywood im journalistischen Alltag, Wiesbaden 2013, S. 13.
[25] Ausschreibungstext für das Seminar "Hollywood im Alltag" am 12.12.2016, ARD.ZDF Medienakademie.
[26] Christian Friedl: a.a.O., S. 19.
[27] Jack Lule: Daily News, Eternal Stories. The Mythological Role of Journalism, New York 2001, S. 18.
[28] Angela Phillips: Good writing for Journalists, London 2007.
[29] Christian Friedl: a.a.O., S. 65.
[30] Ausschreibungstext für das Seminar "Storytelling - Hollywood für den Alltag - Vertiefung" am 17.10.2016 -18.10.2016, ARD/ZDF Medienakademie.
[31] Kommentar des ARD-Korrespondenten Alois Theisen in den Tagesthemen vom 27. 06. 2015.
Er ist Rebell, Provokateur und eine Spielernatur. Wo er auftaucht, stiftet er Verärgerung und Chaos. Er stellt sich gegen Autoritäten und Institutionen und liebt listige Tricks, mit denen er seine Umwelt täuscht. Regeln, Vereinbarungen, Normen stellt er in Frage und bricht sie mit einem subversiven Lachen.
Beschrieben wird hier eine der ältesten und faszinierendsten Figuren der Mythologie: der Archetypus des Tricksters. Die christliche Interpretation hat ihn auf seine dämonische Seite reduziert und ihn als diabolischen Widersacher der göttlichen Ordnung, als Teufel, bewertet. Tatsächlich hat er als Schelmenfigur eine "clowneske Doppelnatur" [19], bestehend aus Widersacher und Heilsbringer zugleich. Der Mythenforscher Jospeh Campbell beschreibt den ambivalenten Charakter des Tricksters als "a kind of devil and fool ─ and the creator of the world"; er ist ein Archetypus des Wandels, der sich gegen den Status quo richtet und "die Kraft, Programme zu verwerfen", repräsentiert. [20]
Trickster-Geschichten wie die über Griechenlands ehemaligen Finanzminister Yanis Varoufakis sind aufgrund ihrer Suggestivkraft sehr wirkmächtig, da sie als Urbilder menschlicher Vorstellungs- bzw. Erfahrungsmuster im kollektiven Unbewussten angesiedelt sind.
In der amerikanisch-indianischen Mythologie z.B. wird der Trickster durch den Kojoten verkörpert. In der französischen Volksdichtung begegnet uns der Trickster in der Gestalt von Reineke Fuchs, in Deutschland in Till Eulenspiegel genauso wie im Rattenfänger von Hameln. In der nordischen Mythologie tritt er als Loki auf, in der griechischen Sagenwelt zeigt sich der Trickster in der Gestalt von Prometheus ebenso wie im Götterboten Hermes, dem Gott der Kaufleute, Wissenschaft sowie Diebe und (Trick-)Betrüger. Sie alle und viele andere mehr repräsentieren Facetten dieses einen Archetypus.
Hier eine moderne Interpretation des Tricksters in der Gestalt des Rattenfängers von Hameln:
In seinem Buch "The Hero with a Thousand Faces" (1949) beschreibt der Mythenforscher Joseph Campbell auch unter Einbeziehung der Ideen von C.G. Jung die archetypischen Charaktere sowie das Urerzählmuster der meisten Mythen und Märchen der Welt: den sog. Monomythos, die "Heldenreise", bestehend aus zahlreichen Stationen, deren Essenz das aristotelische 3-Akt-Schema (Konflikt, Zuspitzung, Konsequenz) ist und die als narratives Urmuster den vielfältigen Geschichten dieser Welt in unzähligen Variationen zugrunde liege (z.B. in Geschichten über Transformation und Wandlung, über den Kampf gegen das Böse, über selbst verschuldete Tragödien usw.) [22]:"Bühne frei für Yanis Varoufakis. Er ist zurück. Gewohnt galant flötet er in Kameras und Mikrofone, dass es eine "Ehre" und ein "großes Privileg" sei, an diesem Tag im Herzen von Europa zu sein ─ in Berlin. Griechenlands linker Ex-Finanzminister als Leitwolf einer neuen paneuropäischen Bewegung, abgekürzt DiEM25. Soll heißen "Demokratie in Europa, Bewegung 2025". Geburtsort: Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, in direkter Nachbarschaft zum Karl-Liebknecht-Haus. Dort ist die Zentrale der Partei DIE LINKE. Hausherrin Katja Kipping macht auch mit, und sie weiß, "dass viele in der Linken das mit großem Interesse verfolgen". [...] Das Programm liest sich wie ein Waschzettel für Allgemeines, gegen alles Etablierte in Europa, und Katja Kipping hat einen Anknüpfungspunkt gefunden: Die Linke teile "auf jeden Fall" das Ziel einer Demokratisierung Europas. (...)"
(Korrespondentin Marita Knipper (WDR) auf tagesschau.de) [21]
Ein Held macht sich aufgrund eines Problems, meistens bestehend aus einem Mangel (materiell oder ideell), auf die "Reise" (auch symbolisch) von der "vertrauten" in eine "andere" Welt. Dort spitzt sich der Konflikt zu: Er muss Prüfungen bestehen, sich seinem Antagonisten stellen, durchläuft eine Entwicklung bis zum Höhe- bzw. Wendepunkt, der die Auflösung in Form einer Konsequenz einleitet: Meistens darf er ein Elixier oder einen Schatz (materiell oder/und ideell) als Belohnung für seine Reifung mit nach Hause in seine vertraute Welt zurücknehmen ─ oder er stolpert scheiternd in die Katastrophe. Aber immer gibt es einen "Schatz" in Form der Katharsis, der Läuterung des Helden oder/und des Zuschauers.
Christopher Vogler hat den Monomythos für Hollywood in Form einer Anleitung für das Drehbuchschreiben nutzbar gemacht. [23] "Hollywood schreibt ab - warum wir nicht auch", fragt Christian Friedl, Redakteur des Bayerischen Rundfunks und Autor des Buches:
"Hollywood im journalistischen Alltag" [24]. Friedl leitet als Storytelling-Trainer an der ARD.ZDF Medienakademie regelmäßig journalistische Fortbildungsseminare zum Thema "Hollywood für den Alltag":
"Grundlage des Seminars ist die klassische Dreiaktstruktur und die darin eingewobenen Elemente der Heldenreise, die man beim kurzen Magazinfilm genauso erfolgreich einsetzen kann wie bei der langen Dokumentation. Hollywood-Regisseure wie Spielberg (E.T.), Cameron (Titanic) oder Lucas (Krieg der Sterne) bauen so ihre Filme auf. Sie werden anhand von Hollywoodbeispielen die jeweiligen Erzählstrukturen kennenlernen und an einer Vielzahl von Magazinbeispielen sehen, wie leicht Sie als Autor, abnehmender Redakteur und an der Produktion Beteiligter damit einen journalistischen Film verbessern können." [25]
"Die Erzählregeln im journalistischen Film sind nicht viel anders als in Spielfilmen. Wir sollten einfach gute Geschichten schreiben. Ob fiktiv oder real, da sehe ich keinen Unterschied. Denn der Übergang ist sowieso fließend. Ab wann ist etwas schon fiktiv? Wann noch real?" [26], fragt ARD-Redakteur Friedl in seinem Buch "Hollywood im journalistischen Alltag".
Dieser Frage geht Jack Lule nach, Professor für Journalistik an der Lehigh University in Pennsylvania: In seinem Buch "Daily News, Eternal Stories. The Mythological Role of Journalism" analysiert er journalistische Nachrichten mit Blick auf ihren mythischen Gehalt:
"Wir können in Nachrichtengeschichten den Sirenengesang der Mythen wiedererkennen. Diese Nachrichtengeschichten bieten mehr als das Nacherzählen gängiger Geschichtenarten. Diese Nachrichtengeschichten bieten heilige gesellschaftliche Narrative mit gemeinsam geteilten Werten und Überzeugungen, mit Lektionen und Themen und mit exemplarischen Modellen, die anweisen und informieren. Sie bieten Mythen an." [27]
Lule identifiziert 7 konkrete Hauptmythen bzw. mythische Figuren in journalistischen Nachrichten: das Opfer, den Sündenbock, den Helden, die gute Mutter, den Trickster, die andere Welt und die Flut.
Angela Phillips (The Guardian) benennt ─ mit zahlreichen inhaltlichen Überschneidungen zu Lule ─ 5 typische Erzähl-Archetypen: die Überwindung des Bösen, Transformation, Tragödie, Liebesgeschichten und Erwachsenwerden. [28]
Mit seiner klaren "Wir"-gegen-"sie"-Polarisierung und seiner eindeutigen moralischen Struktur ist der Erzähl-Archetypus "Die Überwindung des Bösen" eines der populärsten Narrative, die Journalisten aufgreifen. Er gehört zu jenen kulturellen Narrativen mit klaren semantischen Rollen (Held, Opfer, Schurke), die laut dem US-Linguisten George Lakoff konventionalisierte Emotionen erzeugen: Auf die Verletzung des Helden bzw. des Opfers reagieren wir mit Empörung und dem Wunsch, das Gute möge siegen und das Böse bestraft werden. Den Kampf zwischen Gut und Böse beobachten wir mit Spannung, der Sieg des Guten erfüllt uns schließlich mit Freude.
Einen wichtigen Stellenwert in der Kunst des Storytelling nimmt daher die Charakterisierung und Konstellation der Figuren ein: "Wie zeichnet man den Helden, wie den Schurken?" Christian Friedl beantwortet diese Frage in seinem Buch und seinen Seminaren. Der professionelle Rat des ARD-Experten: Man sollte "gleich klar machen, wer der Bösewicht ist." [29]
"In diesem Seminar lernen Sie, wie Sie auch im Nonfiction-Bereich Figuren zeichnen, welche und wie viele Attribute die Geschichte vorantreiben, welche Arten von Hauptfiguren es gibt und wer die idealen Gegenspieler sind. Zudem lernen Sie ganz praktisch, wie Sie das größte Problem beim Erzählen von Geschichten lösen ─ also, wie Sie den Spannungsbogen des 2. Aktes halten. Dieser längste Teil der Geschichte besteht aus Prüfungen, aus Sequenzen, deren Aufbau und dramaturgische Abfolge der vielleicht wesentlichste Teil des Storytelling sind." [30]
Der "Spannungsbogen des zweiten Aktes", der die ARD-Berichterstattung über die Syriza-Regierung in immer neuen Episoden monatelang bestimmte, waren die Bewährungsproben und Prüfungen (Stichwort: Reformliste) des rebellischen Antihelden Tsipras, der zweiten Tricksterfigur in diesem griechischen Drama.
Dieser hatte zusammen mit seinem trickreichen Gesellen Varoufakis eine "Heldenreise" angetreten von seiner "vertrauten" (Griechenland/Wahlversprechen/Erwartungen des griechischen Volkes) in die "andere Welt" (europäische Realität/Verhandlungen in Brüssel/Regeln). Sein Problem bzw. Mangel: Er hat Wahlgeschenke versprochen, braucht dafür Geld. Faul, wie er ist, lehnt er aber Reformen ab. Und so ziehen die beiden Trickbetrüger aus, um die fleißigen europäischen Steuerzahler um ihr mit harter Arbeit verdientes Geld zu bringen und machen dabei auch vor Erpressungen und Drohungen nicht halt.
Ihnen entgegen stellt sich der wahre Held des Dramas: die Figur des mächtigen Herrschers Schäuble. Er und seine Gefolgsleute zeigen sich entschlossen, die herrschende (Werte-)Ordnung und das Wohlergehen ihrer Untertanen zu verteidigen (Geld nur gegen Reformen, Vereinbarungen müssen eingehalten werden). Ein Kampf zwischen Gut und Böse beginnt...
Wolfgang Schäuble verkörpert den Archetypus des Herrschers und des strengen Vaters: Auf der Bühne des griechischen Dramas erscheint er als Verteidiger und Hüter der bedrohten (Werte-)Ordnung.
Als Gegenspieler der Antihelden verkörpert der Bundesfinanzminister auch den Archetypus des Schattens: jene Charakteranteile, die der Antiheld zu Beginn seiner Reise noch ablehnt und erst in Form einer Wandlung (Trennung vom komischen Gesellen Varoufakis und Akzeptieren des Troika-Programms) in seine Persönlichkeit integrieren wird. Im vorliegenden Fall sind dies v.a. die Charaktereigenschaften Sparsamkeit und Fleiß (Reformwillen). Als Belohnung für die erfolgreiche Wandlung winkt dem griechischen Ministerpräsidenten das Elixier (Beschluss über 3. Hilfspaket).
Hätte sich der Antiheld Tsipras nicht den Bedingungen der Kreditgeber unterworfen, so hätten die Zuschauer auf dem Bildschirm die Dramaturgie einer selbst verschuldeten Katastrophe (Grexit, Graccident) verfolgen können: eine banalisierte Form der klassischen griechischen Tragödie.
Üblicherweise tritt der Archetypus des Schattens als Gegenpol zum positiv besetzten Helden in der Figur des Schurken auf, nicht aber wenn ─ wie im Fall der vorliegenden Dramaturgie ─ die Rolle des Schurken bereits vom (Anti-)Helden und seinem Begleiter besetzt ist. Erst im Juni 2015 spricht die ARD die vorgenommene Rollenverteilung explizit aus:
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------"Seit heute scheint mir völlig klar, wer die Helden sind in diesem Stück, wer die Opfer und wer die Schurken: Tsipras Varoufakis und Co. spielten nur die Helden, die ihr kleines Volk gegen die Übermacht von 18 anderen Euro-Ländern verteidigen. Heute nun entpuppten sie sich endgültig als Zocker und Schurken." Alois Theisen (HR) [31]
[19] Constantin von Barloewen: Clowns. Versuch über das Stolpern, München 2010, S. 23.
[20] An Open Life: Joseph Campbell interviewed by Michael Toms, New York 1989.
[21] Varoufakis hat Pläne für Europa, tagesschau.de, 09.02.2016.
[22] Jospeh Campbell: The Hero with a Thousand Faces, Princeton 1949.
[23] Christopher Vogler: The Writer's Journey, Mythic Structure for Storytellers and Screenwriters, Los Angeles 1992.
[24] Christian Friedl: Hollywood im journalistischen Alltag, Wiesbaden 2013, S. 13.
[25] Ausschreibungstext für das Seminar "Hollywood im Alltag" am 12.12.2016, ARD.ZDF Medienakademie.
[26] Christian Friedl: a.a.O., S. 19.
[27] Jack Lule: Daily News, Eternal Stories. The Mythological Role of Journalism, New York 2001, S. 18.
[28] Angela Phillips: Good writing for Journalists, London 2007.
[29] Christian Friedl: a.a.O., S. 65.
[30] Ausschreibungstext für das Seminar "Storytelling - Hollywood für den Alltag - Vertiefung" am 17.10.2016 -18.10.2016, ARD/ZDF Medienakademie.
[31] Kommentar des ARD-Korrespondenten Alois Theisen in den Tagesthemen vom 27. 06. 2015.
3 Was Orwell nicht wusste
3 Was Orwell nicht wusste
3.1 Warum Fakten und rationale Argumente für die politische Meinungsbildung nebensächlich sind
George Orwell ging davon aus, dass Menschen vernünftig urteilen, wenn man ihnen mit klarer Sprache die durch propagandistischen Sprachgebrauch verschleierten Fakten wieder zugänglich macht.
Falsch, sagt der US-amerikanische Linguist und Politikberater George Lakoff in seinem Essay "What Orwell didn't know about the brain, the mind and language". Fakten und rationale Argumente allein ändern keine Einstellung. Der aus der Aufklärung stammende Glaube an den Menschen als vernunftbegabtes, rational denkendes und urteilendes Wesen sei ein Mythos, der von den Neuro- und Kognitionswissenschaften längst entlarvt worden sei: Denken laufe überwiegend unbewusst und emotionsbasiert ab, und zwar in Form von kognitiven Deutungsmustern (Frames), die wiederum meist durch Metaphern strukturiert würden. [32]
Metaphern sind laut Lakoff dabei nicht als bloße rhetorische Stilmittel im klassischen Sinn zu verstehen, sondern stellen Denkphänomene dar (Theorie der konzeptuellen Metapher). Wir verstehen neue Sachverhalte (Zielbereich) in Begrifflichkeiten eines vertrauten, konkreten Erfahrungsbereiches (Herkunftsbereich). Gerade abstrakte und komplexe Sachverhalte können wir laut Lakoff nur in Metaphern denken (metaphorisches Verstehen).
Deswegen gewinne in politischen Auseinandersetzungen nicht derjenige, der auf Faktenvermittlung und rationale Argumentation setzt, sondern derjenige, der die unbewussten kognitiven Deutungsmuster in den Köpfen der Wähler aktiviert. Mittel hierfür seien bestimmte Bilder und Wörter, die als Hinweise (cues) bzw. Trigger fungieren und permanent wiederholt werden.
Konservative Politiker, häufig in Techniken des Marketings bewandert, hätten dies längst verstanden, linke Politiker unterlägen noch zu häufig der Illusion, mit rationalen Argumenten die Wähler überzeugen zu können.
"Wir alle müssen verstehen, wie das Gehirn, das Denken und die Sprache wirklich funktionieren. Wir müssen dieses Wissen effektiv anwenden, um Wahrheiten bedeutsam zu machen und um Wahrheiten die Kraft zu geben, Gehirne zu verändern." [33]
In dem 2006 veröffentlichten Diskussionspapier der Bertelsmann Stiftung wird unter Berufung auf Lakoff als Teil einer strategischen Regierungskommunikation ausdrücklich empfohlen, "Narrative [zu] entwickeln":
"Für jeden politischen Reformakteur ist es essentiell, eine verbindende Erzählung (ein "Narrativ") zu entwickeln. [...] Sprachlich ist bei der Vermittlung von Reformvorhaben zu bedenken, dass Wähler meist in "Frames denken". Mentale Konzepte lassen sich nicht einfach durch Fakten ändern. Dem kommunikativen Framing, dem Besetzen bestimmter Begriffe im Rahmen eines positiven Reformdiskurses, kommt deshalb ein zentraler Stellenwert zu. [...] Wie der US-Linguist George Lakoff in seinem Buch "Don't think of an Elephant" eindrucksvoll darlegt, hat die US-Politik die Möglichkeiten des sprachlichen Framing schon lange für sich entdeckt." [34]
3.2 Wie man mit Wörtern das Gehirn der Wähler verändert
Ein Beispiel für ein Trigger-Wort zur Aktivierung unbewusster Deutungsmuster ist der in Deutschland verwendete Begriff "Rettungsschirm" für die Maßnahmen der EU, die ab 2010 in der Euro-Krise die Stabilität im Euro-Raum gewährleisten sollen.
Der Schirm als Sonnen- oder Regenschirm wendet Nässe oder gefährliche Sonnenstrahlen ab. Schutz und Sicherheit stehen auch bei der Deutung des Schirms als Fallschirm im Vordergrund. Der neue abstrakte Sachverhalt des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus oder der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (Zielbereich) wird also durch die konkrete, vertraute Erfahrung des Schutz und Sicherheit bietenden Schirms (Herkunftsbereich) verstehbar gemacht. Damit aktiviert der Begriff "Rettungsschirm" gleichzeitig ein vollständiges Deutungsmuster (Frame): eine spezifische Rollenstruktur, ein narratives Erzählmuster mit emotionalem und moralischem Gehalt sowie einer Handlungsempfehlung.
"To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text, in such a way as to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation, and/or treatment recommendation for the item described." [35]
Dass durch einzelne Trigger-Wörter vollständige Deutungsmuster aktiviert werden, verdeutlicht Georg Diez eindrücklich in seiner Analyse des dem Begriff "Schirm" vorangestellten Begriffs "Rettung":
"Seit Jahren ist 'Rettung' das Wort, das viele Journalisten benutzen, um die Geschichte dieser Krise zu erzählen: Mit einem Wort wird etabliert, wer etwas tut und wer nichts tut, wer aktiv ist und wer passiv, wer am Abgrund steht und wer mit der helfenden Hand herbeieilt.
Mit einem Wort werden Schuld und Abhängigkeit hergestellt, mit einem Wort werden Dankbarkeit und Versagen festgelegt, mit einem Wort wird moralisch gerichtet – die Analyse kommt nicht mehr hinterher, wenn erst mal die emotionale Ebene erreicht ist.
Der Retter ist ja im Recht, das suggeriert dieses Wort, er ist im Besitz der Wahrheit, er hat das Gute auf seiner Seite, er handelt aus höheren Motiven – 'Rettung' ist deshalb ein Wort, das im Politischen an sich oder im politischen Journalismus als solchem nichts verloren hat, denn es verschleiert die Motive und Interessen, aus denen Politik besteht.
Ich habe zum Beispiel noch keine Schlagzeile gelesen, die lautete: 'Merkel rettet die Banken' - dabei wäre auch das eine sehr plausible Verkürzung dessen, was in Europa spätestens seit 2010 passiert ist." [36]
Was passiert, wenn Metaphern wie "Rettungsschirm" oder "Hilfspaket" permanent wiederholt werden? Sie verändern das Gehirn und werden Teil des Bewusstseins: "Du kannst nicht das Denken von jemandem verändern, ohne sein Gehirn zu verändern." [37]
"Was sind Wörter? Wörter sind neuronale Verknüpfungen zwischen gesprochenen und geschriebenen Ausdrücken und Frames, Metaphern und Narrationen. Wenn wir Wörter hören, werden nicht nur ihre unmittelbaren Frames und Metaphern aktiviert, sondern auch all die Weltsichten und assoziierten Narrationen mit ihren Emotionen werden aktiviert. Wörter sind nicht nur Wörter. Sie aktivieren einen riesigen Bereich an Gehirnmechanismen [...]. Wenn Sie tagtäglich wiederholt werden, werden ausgedehnte Bereiche des Gehirns immer und immer wieder aktiviert- und das führt zu Gehirnveränderungen. Nicht löschbare Gehirnveränderungen. Einmal gelernt, kann die neue neuronale Struktur nicht einfach gelöscht werden. [...] Jedes Mal, wenn diese Wörter wiederholt werden, werden all die Deutungsmuster und Metaphern und Weltsicht-Strukturen erneut aktiviert und gestärkt." [38].
3.3 Wie man durch das Geschichtenerzählen Emotionen und politische Einstellungen steuert
Zu den unbewussten, metaphorischen Deutungsmustern (Frames), die unser Denken und Handeln bestimmen, gehören laut Lakoff auch kulturelle Narrative wie z.B. dasjenige vom Kampf des Guten gegen das Böse (overwhelming the evil) mit den spezifischen semantischen Rollen (Schurke, Held, Opfer), einem narrativen Erzählmuster, einer moralischen Lehre sowie einer emotionalen Struktur. Diese nicht selten archetypischen Narrative (s. vorangegangenes Kapitel) erzeugen laut Lakoff konventionalisierte Emotionen: Auf die Verletzung des Helden bzw. Opfers reagieren wir mit Ärger und dem Wunsch danach, dass das Gute siegen und das Böse bestraft werden möge, den Kampf zwischen Gut und Böse beobachten wir mit Spannung, der Sieg des Guten erfüllt uns schließlich mit Freude. [39]
Politik, die den Frame solcher Narrative aufruft, kann auf diese Weise gezielt spezifische Emotionen im Wähler erzeugen, z.B. Ärger, Furcht, Bewunderung:
"Tell a story. Find stories where your frame is built into the story. Build up a stock of effective stories", rät George Lakoff in seinem Buch "Don't think of an elephant!". [40]
3.4 Warum man Kindheitserinnerungen im Wähler aktivieren sollte
Zu den meist in der Kindheit erlernten narrativen Deutungsmustern (Frames) gehören auch Familienmetaphern. Unsere früheste Erfahrung mit Regierung bzw. mit dem Regiertwerden ist das Aufwachsen in einer Familie. Auch dieser vertraute, konkrete Erfahrungsbereich der Wähler wird in der politischen Kommunikation genutzt, um politische Themen entsprechend dem eigenen Wertemodell zu framen. Lakoff nennt zwei konkurrierende Familienframes [41]:
• Der "Strenger-Vater-Moral-Frame" sei ein Deutungsmuster, das konservative Politik laut Lakoff zur Stärkung konservativer Werte verwendet: Die Welt ist eine Familie oder auch der Staat ist eine Familie, in der einer mehr zu sagen hat als die anderen. Der "Vater" ist unangefochtene Autorität, er entscheidet über Richtig oder Falsch, stellt für die aufrührerischen Kinder (andere Nationen oder eigene Bevölkerung) die Regeln auf. Disziplin ist ein hoher Wert. Das Scheitern in diesem System wird unzureichend entwickelter Selbstdisziplin zugeschrieben. Innerhalb dieses Frames werden die väterliche Strenge und die Bestrafung abweichenden Verhaltens als Stärke bewertet.
• Im "Fürsorgliche-Familie-Moral-Frame", das laut Lakoff eher zum Framen linker Politik geeignet ist, tritt der Dialog an die Stelle des hierarchischen Gehorsams. Die Eltern zeigen und lehren Empathie und Übernahme von Verantwortung. Die Mitglieder der Gesellschaft sollen Verantwortung für sich selbst und andere übernehmen lernen. Nicht staatliche Strenge, sondern Empathie und Fürsorge sind die vorherrschenden Werte.
Die meisten Wähler, so Lakoff, haben aufgrund des kulturellen Kontextes beide Familienmodelle als Deutungsmuster zur Verfügung. Ein und derselbe Mensch kann außenpolitisch z.B. der Strenger-Vater-Moral anhängen (Russland hat gegen die Regeln verstoßen, Russland muss bestraft werden), in Fragen der Innenpolitik dagegen das Wertemodell der Fürsorgliche-Familie-Moral anwenden (z.B. Empathie und Übernahme von Verantwortung als Grundüberzeugung in der Flüchtlingspolitik).
"Die Frage ist: Welches Wertemodell wenden sie - überwiegend unbewusst und reflexiv - auf die Politik an? Die Antwort: Dasjenige, das über Sprache in ihren Köpfen aktiviert wird." [42]
Es ist offensichtlich, dass die Griechenlandpolitik der Bundesregierung im Jahr 2015 vor allem durch den "Strenger-Vater-Moral-Frame" kommuniziert wurde ("Regeln, Vereinbarungen müssen eingehalten werden"), wohingegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung im selben Jahr überwiegend durch den "Fürsorgliche-Familie-Moral-Frame" vermittelt wurde ("freundliches Gesicht zeigen", "Wir schaffen das", vergleichbar auch mit Obamas Wahlslogan „Yes, we can“).
3.5 Weshalb moralische Empörung wirksamer ist als sachliche Auseinandersetzung
Unter keinen Umständen sollte man, warnt Lakoff, die Sprache des politischen Gegners übernehmen, auch nicht, um den gegnerischen Frame zu negieren. Dies führe nur zur Aktivierung und Stärkung des negierten Frames, da trotz Negation der Frame im Gehirn aufgerufen werde. "Denken Sie nicht an einen Elefanten", mit dieser Aufforderung demonstriert Lakoff die Unmöglichkeit, nicht an etwas gleichzeitig durch Sprache Benanntes zu denken: "Wenn du versuchst, nicht an einen Elefanten zu denken, wirst du an einen Elefanten denken." [43] Stattdessen sei es zielführender, das jeweilige strittige Thema der eigenen Weltsicht und dem eigenen Wertemodell entsprechend zu reframen, also sprachlich umzudeuten bzw. umzuwerten.
Da Menschen nie außerhalb von moralischen Frames urteilen würden, sollte (Re-)Framing immer moralbasiert erfolgen (Werte-Framing): "Moral schlägt politische Inhalte." [44]
Auch Lakoffs Mitarbeiterin Elisabeth Wehling rät anlässlich einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung zum Thema "Politisches Framing": "Niemals den Frame des Gegners aufgreifen, sondern dort angreifen, wo man ehrlich moralisch empört ist". Am Beispiel des Vorwurfs der "Lügenpresse" erläutert die Politik- und Medienberaterin, wie Reframing praktisch umgesetzt werden kann:
"Wenn die Lügen-Presse ein Konstrukt ist, das von rechtspopulistischen Strömungen in die Welt gesetzt wird, die Frage stellen: Wieso ist der Rechtspopulismus darauf angewiesen, dass wir keine gute transparente Berichterstattung haben? Wieso ist er angewiesen auf die Diffamierung? Was versucht er da? Er versucht, die vierte Gewalt im Staat zu demontieren, weil langfristig der Rechtspopulismus oder zumindest seine extremen Ausprägungen nicht überleben können in einer wirklich freien demokratischen Debatte. Das wäre also eine Geschichte dazu." [45]
Wehlings Rat an Journalisten, den Begriff "Lügenpresse" in Form einer solchen Geschichte zu reframen, stößt bei Journalisten auf dankbare Ohren, wie z.B. ZDF-Chefredakteur Peter Frey im medienpolitik.net-Interview beweist:
"Ich ordne auch den auf die Nazi-Ideologie zurückgehenden Begriff 'Lügenpresse' so ein – als Angriff auf die liberale und pluralistische Presse als Grundpfeiler einer funktionierenden Demokratie. Das müssen wir als Verantwortliche erkennen. Es geht hier nicht um handwerklich ernsthaft gemeinte Kritik, es geht darum, mit pauschalen Angriffen auf die Presse die Demokratie selbst zu attackieren." [46]
Die von Lakoff vertretene Technik des kommunikativen "Reframing" auch in Form des Geschichtenerzählens gehört zu den zentralen Techniken des NLP, dessen Vertreter aus gutem Grund Lakoffs Forschungsarbeiten als wissenschaftliche Referenz verwenden.
Dass der Begriff NLP weder bei Lakoff noch im Strategiepapier der Bertelsmann Stiftung auftaucht, rührt daher, dass NLP noch immer - ob berechtigt oder nicht - das Image einer Manipulationstechnik anhaftet. Dabei sind NLP-Kommunikationsschulungen längst nicht nur in den Bereichen Verkauf und Lobbyismus weit verbreitet, sondern auch in der Aus-und Weiterbildung von Führungskräften aus Wirtschaft, Politik und (auch öffentlich-rechtlichen) Medien. [47]
Ausdrücklich warnt die Bertelsmann-Expertenkommission vor der "Missbrauchsanfälligkeit" solcher "nicht unumstritten[er]" Methoden im Hinblick auf "Desinformation oder Propaganda" [48]. Lakoffs Vorschlag etwa, den Begriff "Steuer" durch den Begriff "Mitgliedsbeitrag" zu ersetzen, um die Bedeutung der Abgabe für das Gemeinwohl hervorzuheben, sei ein "Orwellscher Ratschlag", der nicht einmal den "Kichertest" bestehe, kritisiert der Linguist Steven Pinker. [49]
Es sei in diesem Zusammenhang an den Versuch von ARD-Chefredakteur Schönenborn erinnert, die GEZ-Gebühr als "Demokratie-Abgabe" zu reframen, da die Abgabe "ein Beitrag zur Funktionsfähigkeit der Gesellschaft" sei. [50] Auch wenn Schönenborns Reframing-Versuch den „Kichertest“ nicht bestanden hat, lieferte er doch die Legitimation für die am 1. Januar 2013 erfolgte Umwandlung der GEZ-Gebühr in einen Rundfunkbeitrag.
Der Psychologe Rainer Mausfeld bewertet in seinem viel beachteten Vortrag "Warum schweigen die Lämmer?" die Technik des Reframings (auch Rekontextualisierung genannt) als eine wesentliche Strategie des medialen Meinungs- und Empörungsmanagements. [51]
Lakoff selbst verteidigt seine Methode folgendermaßen:
"Ist es legitim, die tatsächlichen Mechanismen des Denkens zu benutzen – Weltsichten, Frames, Metaphern, Emotionen, Bilder, persönliche Geschichten – um wichtige Wahrheiten zu erzählen? Ja, zur Hölle! Es ist gewöhnlich der einzig funktionierende Weg." [52]
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
[32] George Lakoff: What Orwell didn't know about the brain, the mind and language, in: András Szántó: What Orwell didn't know. Propaganda and the New Face of American Politics, New York 2007, S. 67-74, hier S. 68.
[33] Ebd., S. 74.
[34] Bertelsmann Stiftung: a.a.O., S. 8.
[35] Robert Entmann: Framing: Toward Clarification of a Fractured Paradigm, in: Journal of communication 43 (4) 1993, S. 51-58, hier S. 52.
[36] Georg Diez: Merkels Propagandamaschine, in: Der Spiegel, 26.06.2015.
[37] George Lakoff: How to make Friends and manipulate Irrational Voters. Vortrag an der New America Foundation, 02.06.2008.
[38] Ders.: What Orwell didn't know, a.a.O., S. 70 f.
[39] Ders.: Retaking political discourse. Vortrag am International House, U.C. Berkeley, 01.12. 2011.
[40] Ders.: Don't think of an elephant, a. a. O.
[41] s. zum Folgenden: George Lakoff: Retaking political discourse, a.a.O.
[42] Elisabeth Wehling und George Lakoff: Die neue Sprache der Sozialdemokratie, hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung, April 2011, S. 5.
[43] Dies.: The Little Blue Book. The Essential Guide to Thinking and Talking Democratic, New York 2012, S. 36.
[44] Ebd., S. 37.
[45] Elisabeth Wehling auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung zum Thema "Politisches Framing" am 02.03.2016.
[46] Peter Frey im Interview mit medienpolitik.net: "Die Empörung hat Methode", 20.06.2016.
In derselben Weise reframed auch der feste freie ARD-Mitarbeiter und Vorsitzende des Deutschen Journalisten Verbandes Frank Überall den Begriff "Lügenpresse": Hinter dem Vorwurf stehe die Ablehnung einer Systempresse, die wiederum die Ablehnung des Systems Demokratie bedeute. Träger des Lügen-Presse-Vorwurfs ordnet Überall deshalb dem "Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus" zu. Frank Überall auf dem 2. Kölner Forum für Journalismuskritik 2016.
[47] s. z.B. die Kundenliste eines großen Anbieters von NLP-Seminaren.
[48] Bertelsmann Stiftung: a.a.O.
[49] Steven Pinker: Block that Metaphor! TNR, 09.10.2006.
[50] Jörg Schönenborn: Ein Beitrag für die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft, ard.de, 27.12.2012.
[51] Rainer Mausfeld: Warum schweigen die Lämmer? Psychologie, Demokratie und Empörungsmanagement. Vortrag an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, 22.06.2015.
[52] George Lakoff: What Orwell didn't know, a.a.O., S. 74.
3.1 Warum Fakten und rationale Argumente für die politische Meinungsbildung nebensächlich sind
George Orwell ging davon aus, dass Menschen vernünftig urteilen, wenn man ihnen mit klarer Sprache die durch propagandistischen Sprachgebrauch verschleierten Fakten wieder zugänglich macht.
Falsch, sagt der US-amerikanische Linguist und Politikberater George Lakoff in seinem Essay "What Orwell didn't know about the brain, the mind and language". Fakten und rationale Argumente allein ändern keine Einstellung. Der aus der Aufklärung stammende Glaube an den Menschen als vernunftbegabtes, rational denkendes und urteilendes Wesen sei ein Mythos, der von den Neuro- und Kognitionswissenschaften längst entlarvt worden sei: Denken laufe überwiegend unbewusst und emotionsbasiert ab, und zwar in Form von kognitiven Deutungsmustern (Frames), die wiederum meist durch Metaphern strukturiert würden. [32]
Metaphern sind laut Lakoff dabei nicht als bloße rhetorische Stilmittel im klassischen Sinn zu verstehen, sondern stellen Denkphänomene dar (Theorie der konzeptuellen Metapher). Wir verstehen neue Sachverhalte (Zielbereich) in Begrifflichkeiten eines vertrauten, konkreten Erfahrungsbereiches (Herkunftsbereich). Gerade abstrakte und komplexe Sachverhalte können wir laut Lakoff nur in Metaphern denken (metaphorisches Verstehen).
Deswegen gewinne in politischen Auseinandersetzungen nicht derjenige, der auf Faktenvermittlung und rationale Argumentation setzt, sondern derjenige, der die unbewussten kognitiven Deutungsmuster in den Köpfen der Wähler aktiviert. Mittel hierfür seien bestimmte Bilder und Wörter, die als Hinweise (cues) bzw. Trigger fungieren und permanent wiederholt werden.
Konservative Politiker, häufig in Techniken des Marketings bewandert, hätten dies längst verstanden, linke Politiker unterlägen noch zu häufig der Illusion, mit rationalen Argumenten die Wähler überzeugen zu können.
"Wir alle müssen verstehen, wie das Gehirn, das Denken und die Sprache wirklich funktionieren. Wir müssen dieses Wissen effektiv anwenden, um Wahrheiten bedeutsam zu machen und um Wahrheiten die Kraft zu geben, Gehirne zu verändern." [33]
In dem 2006 veröffentlichten Diskussionspapier der Bertelsmann Stiftung wird unter Berufung auf Lakoff als Teil einer strategischen Regierungskommunikation ausdrücklich empfohlen, "Narrative [zu] entwickeln":
"Für jeden politischen Reformakteur ist es essentiell, eine verbindende Erzählung (ein "Narrativ") zu entwickeln. [...] Sprachlich ist bei der Vermittlung von Reformvorhaben zu bedenken, dass Wähler meist in "Frames denken". Mentale Konzepte lassen sich nicht einfach durch Fakten ändern. Dem kommunikativen Framing, dem Besetzen bestimmter Begriffe im Rahmen eines positiven Reformdiskurses, kommt deshalb ein zentraler Stellenwert zu. [...] Wie der US-Linguist George Lakoff in seinem Buch "Don't think of an Elephant" eindrucksvoll darlegt, hat die US-Politik die Möglichkeiten des sprachlichen Framing schon lange für sich entdeckt." [34]
3.2 Wie man mit Wörtern das Gehirn der Wähler verändert
Ein Beispiel für ein Trigger-Wort zur Aktivierung unbewusster Deutungsmuster ist der in Deutschland verwendete Begriff "Rettungsschirm" für die Maßnahmen der EU, die ab 2010 in der Euro-Krise die Stabilität im Euro-Raum gewährleisten sollen.
Der Schirm als Sonnen- oder Regenschirm wendet Nässe oder gefährliche Sonnenstrahlen ab. Schutz und Sicherheit stehen auch bei der Deutung des Schirms als Fallschirm im Vordergrund. Der neue abstrakte Sachverhalt des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus oder der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (Zielbereich) wird also durch die konkrete, vertraute Erfahrung des Schutz und Sicherheit bietenden Schirms (Herkunftsbereich) verstehbar gemacht. Damit aktiviert der Begriff "Rettungsschirm" gleichzeitig ein vollständiges Deutungsmuster (Frame): eine spezifische Rollenstruktur, ein narratives Erzählmuster mit emotionalem und moralischem Gehalt sowie einer Handlungsempfehlung.
"To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text, in such a way as to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation, and/or treatment recommendation for the item described." [35]
Dass durch einzelne Trigger-Wörter vollständige Deutungsmuster aktiviert werden, verdeutlicht Georg Diez eindrücklich in seiner Analyse des dem Begriff "Schirm" vorangestellten Begriffs "Rettung":
"Seit Jahren ist 'Rettung' das Wort, das viele Journalisten benutzen, um die Geschichte dieser Krise zu erzählen: Mit einem Wort wird etabliert, wer etwas tut und wer nichts tut, wer aktiv ist und wer passiv, wer am Abgrund steht und wer mit der helfenden Hand herbeieilt.
Mit einem Wort werden Schuld und Abhängigkeit hergestellt, mit einem Wort werden Dankbarkeit und Versagen festgelegt, mit einem Wort wird moralisch gerichtet – die Analyse kommt nicht mehr hinterher, wenn erst mal die emotionale Ebene erreicht ist.
Der Retter ist ja im Recht, das suggeriert dieses Wort, er ist im Besitz der Wahrheit, er hat das Gute auf seiner Seite, er handelt aus höheren Motiven – 'Rettung' ist deshalb ein Wort, das im Politischen an sich oder im politischen Journalismus als solchem nichts verloren hat, denn es verschleiert die Motive und Interessen, aus denen Politik besteht.
Ich habe zum Beispiel noch keine Schlagzeile gelesen, die lautete: 'Merkel rettet die Banken' - dabei wäre auch das eine sehr plausible Verkürzung dessen, was in Europa spätestens seit 2010 passiert ist." [36]
Was passiert, wenn Metaphern wie "Rettungsschirm" oder "Hilfspaket" permanent wiederholt werden? Sie verändern das Gehirn und werden Teil des Bewusstseins: "Du kannst nicht das Denken von jemandem verändern, ohne sein Gehirn zu verändern." [37]
"Was sind Wörter? Wörter sind neuronale Verknüpfungen zwischen gesprochenen und geschriebenen Ausdrücken und Frames, Metaphern und Narrationen. Wenn wir Wörter hören, werden nicht nur ihre unmittelbaren Frames und Metaphern aktiviert, sondern auch all die Weltsichten und assoziierten Narrationen mit ihren Emotionen werden aktiviert. Wörter sind nicht nur Wörter. Sie aktivieren einen riesigen Bereich an Gehirnmechanismen [...]. Wenn Sie tagtäglich wiederholt werden, werden ausgedehnte Bereiche des Gehirns immer und immer wieder aktiviert- und das führt zu Gehirnveränderungen. Nicht löschbare Gehirnveränderungen. Einmal gelernt, kann die neue neuronale Struktur nicht einfach gelöscht werden. [...] Jedes Mal, wenn diese Wörter wiederholt werden, werden all die Deutungsmuster und Metaphern und Weltsicht-Strukturen erneut aktiviert und gestärkt." [38].
3.3 Wie man durch das Geschichtenerzählen Emotionen und politische Einstellungen steuert
Zu den unbewussten, metaphorischen Deutungsmustern (Frames), die unser Denken und Handeln bestimmen, gehören laut Lakoff auch kulturelle Narrative wie z.B. dasjenige vom Kampf des Guten gegen das Böse (overwhelming the evil) mit den spezifischen semantischen Rollen (Schurke, Held, Opfer), einem narrativen Erzählmuster, einer moralischen Lehre sowie einer emotionalen Struktur. Diese nicht selten archetypischen Narrative (s. vorangegangenes Kapitel) erzeugen laut Lakoff konventionalisierte Emotionen: Auf die Verletzung des Helden bzw. Opfers reagieren wir mit Ärger und dem Wunsch danach, dass das Gute siegen und das Böse bestraft werden möge, den Kampf zwischen Gut und Böse beobachten wir mit Spannung, der Sieg des Guten erfüllt uns schließlich mit Freude. [39]
Politik, die den Frame solcher Narrative aufruft, kann auf diese Weise gezielt spezifische Emotionen im Wähler erzeugen, z.B. Ärger, Furcht, Bewunderung:
"Tell a story. Find stories where your frame is built into the story. Build up a stock of effective stories", rät George Lakoff in seinem Buch "Don't think of an elephant!". [40]
3.4 Warum man Kindheitserinnerungen im Wähler aktivieren sollte
Zu den meist in der Kindheit erlernten narrativen Deutungsmustern (Frames) gehören auch Familienmetaphern. Unsere früheste Erfahrung mit Regierung bzw. mit dem Regiertwerden ist das Aufwachsen in einer Familie. Auch dieser vertraute, konkrete Erfahrungsbereich der Wähler wird in der politischen Kommunikation genutzt, um politische Themen entsprechend dem eigenen Wertemodell zu framen. Lakoff nennt zwei konkurrierende Familienframes [41]:
• Der "Strenger-Vater-Moral-Frame" sei ein Deutungsmuster, das konservative Politik laut Lakoff zur Stärkung konservativer Werte verwendet: Die Welt ist eine Familie oder auch der Staat ist eine Familie, in der einer mehr zu sagen hat als die anderen. Der "Vater" ist unangefochtene Autorität, er entscheidet über Richtig oder Falsch, stellt für die aufrührerischen Kinder (andere Nationen oder eigene Bevölkerung) die Regeln auf. Disziplin ist ein hoher Wert. Das Scheitern in diesem System wird unzureichend entwickelter Selbstdisziplin zugeschrieben. Innerhalb dieses Frames werden die väterliche Strenge und die Bestrafung abweichenden Verhaltens als Stärke bewertet.
• Im "Fürsorgliche-Familie-Moral-Frame", das laut Lakoff eher zum Framen linker Politik geeignet ist, tritt der Dialog an die Stelle des hierarchischen Gehorsams. Die Eltern zeigen und lehren Empathie und Übernahme von Verantwortung. Die Mitglieder der Gesellschaft sollen Verantwortung für sich selbst und andere übernehmen lernen. Nicht staatliche Strenge, sondern Empathie und Fürsorge sind die vorherrschenden Werte.
Die meisten Wähler, so Lakoff, haben aufgrund des kulturellen Kontextes beide Familienmodelle als Deutungsmuster zur Verfügung. Ein und derselbe Mensch kann außenpolitisch z.B. der Strenger-Vater-Moral anhängen (Russland hat gegen die Regeln verstoßen, Russland muss bestraft werden), in Fragen der Innenpolitik dagegen das Wertemodell der Fürsorgliche-Familie-Moral anwenden (z.B. Empathie und Übernahme von Verantwortung als Grundüberzeugung in der Flüchtlingspolitik).
"Die Frage ist: Welches Wertemodell wenden sie - überwiegend unbewusst und reflexiv - auf die Politik an? Die Antwort: Dasjenige, das über Sprache in ihren Köpfen aktiviert wird." [42]
Es ist offensichtlich, dass die Griechenlandpolitik der Bundesregierung im Jahr 2015 vor allem durch den "Strenger-Vater-Moral-Frame" kommuniziert wurde ("Regeln, Vereinbarungen müssen eingehalten werden"), wohingegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung im selben Jahr überwiegend durch den "Fürsorgliche-Familie-Moral-Frame" vermittelt wurde ("freundliches Gesicht zeigen", "Wir schaffen das", vergleichbar auch mit Obamas Wahlslogan „Yes, we can“).
3.5 Weshalb moralische Empörung wirksamer ist als sachliche Auseinandersetzung
Unter keinen Umständen sollte man, warnt Lakoff, die Sprache des politischen Gegners übernehmen, auch nicht, um den gegnerischen Frame zu negieren. Dies führe nur zur Aktivierung und Stärkung des negierten Frames, da trotz Negation der Frame im Gehirn aufgerufen werde. "Denken Sie nicht an einen Elefanten", mit dieser Aufforderung demonstriert Lakoff die Unmöglichkeit, nicht an etwas gleichzeitig durch Sprache Benanntes zu denken: "Wenn du versuchst, nicht an einen Elefanten zu denken, wirst du an einen Elefanten denken." [43] Stattdessen sei es zielführender, das jeweilige strittige Thema der eigenen Weltsicht und dem eigenen Wertemodell entsprechend zu reframen, also sprachlich umzudeuten bzw. umzuwerten.
Da Menschen nie außerhalb von moralischen Frames urteilen würden, sollte (Re-)Framing immer moralbasiert erfolgen (Werte-Framing): "Moral schlägt politische Inhalte." [44]
Auch Lakoffs Mitarbeiterin Elisabeth Wehling rät anlässlich einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung zum Thema "Politisches Framing": "Niemals den Frame des Gegners aufgreifen, sondern dort angreifen, wo man ehrlich moralisch empört ist". Am Beispiel des Vorwurfs der "Lügenpresse" erläutert die Politik- und Medienberaterin, wie Reframing praktisch umgesetzt werden kann:
"Wenn die Lügen-Presse ein Konstrukt ist, das von rechtspopulistischen Strömungen in die Welt gesetzt wird, die Frage stellen: Wieso ist der Rechtspopulismus darauf angewiesen, dass wir keine gute transparente Berichterstattung haben? Wieso ist er angewiesen auf die Diffamierung? Was versucht er da? Er versucht, die vierte Gewalt im Staat zu demontieren, weil langfristig der Rechtspopulismus oder zumindest seine extremen Ausprägungen nicht überleben können in einer wirklich freien demokratischen Debatte. Das wäre also eine Geschichte dazu." [45]
Wehlings Rat an Journalisten, den Begriff "Lügenpresse" in Form einer solchen Geschichte zu reframen, stößt bei Journalisten auf dankbare Ohren, wie z.B. ZDF-Chefredakteur Peter Frey im medienpolitik.net-Interview beweist:
"Ich ordne auch den auf die Nazi-Ideologie zurückgehenden Begriff 'Lügenpresse' so ein – als Angriff auf die liberale und pluralistische Presse als Grundpfeiler einer funktionierenden Demokratie. Das müssen wir als Verantwortliche erkennen. Es geht hier nicht um handwerklich ernsthaft gemeinte Kritik, es geht darum, mit pauschalen Angriffen auf die Presse die Demokratie selbst zu attackieren." [46]
Die von Lakoff vertretene Technik des kommunikativen "Reframing" auch in Form des Geschichtenerzählens gehört zu den zentralen Techniken des NLP, dessen Vertreter aus gutem Grund Lakoffs Forschungsarbeiten als wissenschaftliche Referenz verwenden.
Dass der Begriff NLP weder bei Lakoff noch im Strategiepapier der Bertelsmann Stiftung auftaucht, rührt daher, dass NLP noch immer - ob berechtigt oder nicht - das Image einer Manipulationstechnik anhaftet. Dabei sind NLP-Kommunikationsschulungen längst nicht nur in den Bereichen Verkauf und Lobbyismus weit verbreitet, sondern auch in der Aus-und Weiterbildung von Führungskräften aus Wirtschaft, Politik und (auch öffentlich-rechtlichen) Medien. [47]
Ausdrücklich warnt die Bertelsmann-Expertenkommission vor der "Missbrauchsanfälligkeit" solcher "nicht unumstritten[er]" Methoden im Hinblick auf "Desinformation oder Propaganda" [48]. Lakoffs Vorschlag etwa, den Begriff "Steuer" durch den Begriff "Mitgliedsbeitrag" zu ersetzen, um die Bedeutung der Abgabe für das Gemeinwohl hervorzuheben, sei ein "Orwellscher Ratschlag", der nicht einmal den "Kichertest" bestehe, kritisiert der Linguist Steven Pinker. [49]
Es sei in diesem Zusammenhang an den Versuch von ARD-Chefredakteur Schönenborn erinnert, die GEZ-Gebühr als "Demokratie-Abgabe" zu reframen, da die Abgabe "ein Beitrag zur Funktionsfähigkeit der Gesellschaft" sei. [50] Auch wenn Schönenborns Reframing-Versuch den „Kichertest“ nicht bestanden hat, lieferte er doch die Legitimation für die am 1. Januar 2013 erfolgte Umwandlung der GEZ-Gebühr in einen Rundfunkbeitrag.
Der Psychologe Rainer Mausfeld bewertet in seinem viel beachteten Vortrag "Warum schweigen die Lämmer?" die Technik des Reframings (auch Rekontextualisierung genannt) als eine wesentliche Strategie des medialen Meinungs- und Empörungsmanagements. [51]
Lakoff selbst verteidigt seine Methode folgendermaßen:
"Ist es legitim, die tatsächlichen Mechanismen des Denkens zu benutzen – Weltsichten, Frames, Metaphern, Emotionen, Bilder, persönliche Geschichten – um wichtige Wahrheiten zu erzählen? Ja, zur Hölle! Es ist gewöhnlich der einzig funktionierende Weg." [52]
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[32] George Lakoff: What Orwell didn't know about the brain, the mind and language, in: András Szántó: What Orwell didn't know. Propaganda and the New Face of American Politics, New York 2007, S. 67-74, hier S. 68.
[33] Ebd., S. 74.
[34] Bertelsmann Stiftung: a.a.O., S. 8.
[35] Robert Entmann: Framing: Toward Clarification of a Fractured Paradigm, in: Journal of communication 43 (4) 1993, S. 51-58, hier S. 52.
[36] Georg Diez: Merkels Propagandamaschine, in: Der Spiegel, 26.06.2015.
[37] George Lakoff: How to make Friends and manipulate Irrational Voters. Vortrag an der New America Foundation, 02.06.2008.
[38] Ders.: What Orwell didn't know, a.a.O., S. 70 f.
[39] Ders.: Retaking political discourse. Vortrag am International House, U.C. Berkeley, 01.12. 2011.
[40] Ders.: Don't think of an elephant, a. a. O.
[41] s. zum Folgenden: George Lakoff: Retaking political discourse, a.a.O.
[42] Elisabeth Wehling und George Lakoff: Die neue Sprache der Sozialdemokratie, hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung, April 2011, S. 5.
[43] Dies.: The Little Blue Book. The Essential Guide to Thinking and Talking Democratic, New York 2012, S. 36.
[44] Ebd., S. 37.
[45] Elisabeth Wehling auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung zum Thema "Politisches Framing" am 02.03.2016.
[46] Peter Frey im Interview mit medienpolitik.net: "Die Empörung hat Methode", 20.06.2016.
In derselben Weise reframed auch der feste freie ARD-Mitarbeiter und Vorsitzende des Deutschen Journalisten Verbandes Frank Überall den Begriff "Lügenpresse": Hinter dem Vorwurf stehe die Ablehnung einer Systempresse, die wiederum die Ablehnung des Systems Demokratie bedeute. Träger des Lügen-Presse-Vorwurfs ordnet Überall deshalb dem "Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus" zu. Frank Überall auf dem 2. Kölner Forum für Journalismuskritik 2016.
[47] s. z.B. die Kundenliste eines großen Anbieters von NLP-Seminaren.
[48] Bertelsmann Stiftung: a.a.O.
[49] Steven Pinker: Block that Metaphor! TNR, 09.10.2006.
[50] Jörg Schönenborn: Ein Beitrag für die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft, ard.de, 27.12.2012.
[51] Rainer Mausfeld: Warum schweigen die Lämmer? Psychologie, Demokratie und Empörungsmanagement. Vortrag an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, 22.06.2015.
[52] George Lakoff: What Orwell didn't know, a.a.O., S. 74.
4 Die Konstruktion wünschenswerter Welten
4 Die Konstruktion wünschenswerter Welten
"Die Überzeugungswirkung fiktiver Medienbotschaften (z. B. Geschichten) wird seit einigen Jahren unter dem Schlagwort 'Narrative Persuasion' untersucht. Wenn Personen sich auf eine Geschichte einlassen und in sie hineingezogen werden, wird die mediale Welt zum kognitiven Bezugsrahmen und die erhaltenen Informationen können zu Einstellungsänderungen führen." [53]
Dieser vom ARD-Forschungsdienst als Werbewirkung hervorgehobene Persuasionseffekt des Geschichtenerzählens gilt auch für Politik, Wirtschaft und Militär: Der Narrationsforscher Christian Salmon hält Narrationen für eine der wirkungsvollsten Methoden zur Veränderung von Einstellungen und zur Kontrolle der öffentlichen Meinung (Narrative Persuasion): eine Kommunikationswaffe in den Händen von Spin Doktoren, Lobbyisten und anderen PR-Profis.
Damit stellt sich dringender denn je die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem zur Neutralität verpflichteten Journalismus, insbesondere des ÖRR, und PR (Öffentlichkeitsarbeit), deren Ziel die "Konstruktion wünschenswerter Welten" [54] ist.
Bereits Mitte der 1980er Jahre formulierte die Kommunikationswissenschaftlerin Barbara Baerns als Ergebnis ihrer Studien zum Verhältnis zwischen PR und journalistischer Berichterstattung, dass Öffentlichkeitsarbeit Themen und Timing der Medien unter Kontrolle hat.
"Die Studie wurde wohl vor allem deshalb so kontrovers diskutiert, weil sie, wie die Autorin selbst bemerkt, im Widerspruch steht 'zu journalistischen Selbsteinschätzungen und zu artikulierten Zielen, [...] zu normengebundenen Möglichkeiten und gesellschaftlichen Erwartungen.'" [55]
Baerns' These von der großen Einflussnahme von PR auf die journalistische Berichterstattung wurde in zahlreichen Nachfolgestudien größtenteils bestätigt. Zunehmend werden auch Modelle diskutiert, die die wechselseitigen Wirk- bzw. Abhängigkeitsmechanismen zwischen PR und Journalismus betonen, wie etwa das Intereffikationsmodell. [56]
Mit Blick auf den Storytelling-Trend warnt der Medienwissenschaftler Jürg Häusermann Journalisten vor der "Gefahr, professionellen Storys auf den Leim zu gehen":
"Geschichten sind längst nicht mehr nur, was Journalistinnen und Journalisten durch gründliche Recherche erarbeiten. Viele Geschichten werden ihnen von Werbern und Öffentlichkeitsarbeitern pfannenfertig serviert. [...] Jede Geschichte, die eine PR-Abteilung verbreitet, steht in Konkurrenz zu einer alternativen, journalistischen Aussage. Wenn du die vorgefertigte Geschichte der Werbung oder PR übernimmst, überlässt du deine eigene Recherche-Arbeit deinen Akteuren." [57]
Geschichten sind "sehr gut geeignet, Einstellungen auf subtile Art zu verändern. Rezipienten übernehmen auch schwache Argumente oder offensichtlich unsinnige Aussagen, wenn diese in eine Narration integriert sind", schreibt Herbert Flath in seiner Dissertation "Storytelling im Journalismus" [58]. Vor dem Hintergrund verschiedener Forschungsansätze nennt er hierfür vor allem 2 Gründe:
1. Narrationen besitzen die Stärke, den natürlichen psychischen Widerstand (Reaktanz) zu umgehen, mit dem der Mensch sich gegen Versuche wehrt, seine Freiheiten etwa durch Beeinflussungsversuche einzuschränken. Denn narrative Elemente werden im Unterschied zu einer offenen Argumentation nicht als Beeinflussungsversuche wahrgenommen. Wird sich der Rezipient des Zusammenhangs zwischen Narration und Persuasion aber bewusst, so reagiert er mit stärkerem Widerstand darauf, als er auf einen offenen, expliziten Beeinflussungsversuch, z.B. in Form eines Kommentars reagieren würde. Das Wissen über das Persuasionspotential von Narrationen kann deren Beeinflussungspotential also einschränken. [59]
2. Narrationen umgehen den "stärksten Schutzschild" gegen Beeinflussungsversuche: das Anzweifeln/Prüfen von Aussagen und das Gegenargumentieren. Neben der spezifisch narrativen Rezeption, die einer gleichzeitigen kritischen Reflexion entgegensteht, führt Flath v.a. die "Erfahrungshaftigkeit" und damit verbunden das Fehlen expliziter Argumente an. [60]
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[53] ARD-Forschungsdienst: Werbewirkung: Storytelling, in: Media Perspektiven 4/ 2015, S. 215-217, hier: S. 215.
[54] Klaus Merten, Joachim Westerbarkey: Public Opinion und Public Relations, in: Klaus Merten, Siegfried Schmidt und Siegfried Weischenberg [Hg.]: Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Wiesbaden 1994, S. 208 ff.
[55] Romy Fröhlich: Baerns. Öffentlichkeitsarbeit oder Journalismus? In: Christina Holtz-Bacha, Arnulf Kisch [Hg.]: Schlüsselwerke für die Kommunikationswissenschaft, Wiesbaden 2002, S. 37-39, hier S. 39.
[56] Ebd.
[57] Jürg Häusermann: Storytelling Teil 7, Storytelling im Journalismus? Häusermanns Schreibtraining [Weblog], 10.03.2014.
[58] Herbert Flath: Storytelling im Journalismus, Formen und Wirkungen narrativer Berichterstattung, Dissertation 2013, S. 211.
[59] Ebd., S. 218.
[60] Ebd., S. 216.
"Die Überzeugungswirkung fiktiver Medienbotschaften (z. B. Geschichten) wird seit einigen Jahren unter dem Schlagwort 'Narrative Persuasion' untersucht. Wenn Personen sich auf eine Geschichte einlassen und in sie hineingezogen werden, wird die mediale Welt zum kognitiven Bezugsrahmen und die erhaltenen Informationen können zu Einstellungsänderungen führen." [53]
Dieser vom ARD-Forschungsdienst als Werbewirkung hervorgehobene Persuasionseffekt des Geschichtenerzählens gilt auch für Politik, Wirtschaft und Militär: Der Narrationsforscher Christian Salmon hält Narrationen für eine der wirkungsvollsten Methoden zur Veränderung von Einstellungen und zur Kontrolle der öffentlichen Meinung (Narrative Persuasion): eine Kommunikationswaffe in den Händen von Spin Doktoren, Lobbyisten und anderen PR-Profis.
Damit stellt sich dringender denn je die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem zur Neutralität verpflichteten Journalismus, insbesondere des ÖRR, und PR (Öffentlichkeitsarbeit), deren Ziel die "Konstruktion wünschenswerter Welten" [54] ist.
Bereits Mitte der 1980er Jahre formulierte die Kommunikationswissenschaftlerin Barbara Baerns als Ergebnis ihrer Studien zum Verhältnis zwischen PR und journalistischer Berichterstattung, dass Öffentlichkeitsarbeit Themen und Timing der Medien unter Kontrolle hat.
"Die Studie wurde wohl vor allem deshalb so kontrovers diskutiert, weil sie, wie die Autorin selbst bemerkt, im Widerspruch steht 'zu journalistischen Selbsteinschätzungen und zu artikulierten Zielen, [...] zu normengebundenen Möglichkeiten und gesellschaftlichen Erwartungen.'" [55]
Baerns' These von der großen Einflussnahme von PR auf die journalistische Berichterstattung wurde in zahlreichen Nachfolgestudien größtenteils bestätigt. Zunehmend werden auch Modelle diskutiert, die die wechselseitigen Wirk- bzw. Abhängigkeitsmechanismen zwischen PR und Journalismus betonen, wie etwa das Intereffikationsmodell. [56]
Mit Blick auf den Storytelling-Trend warnt der Medienwissenschaftler Jürg Häusermann Journalisten vor der "Gefahr, professionellen Storys auf den Leim zu gehen":
"Geschichten sind längst nicht mehr nur, was Journalistinnen und Journalisten durch gründliche Recherche erarbeiten. Viele Geschichten werden ihnen von Werbern und Öffentlichkeitsarbeitern pfannenfertig serviert. [...] Jede Geschichte, die eine PR-Abteilung verbreitet, steht in Konkurrenz zu einer alternativen, journalistischen Aussage. Wenn du die vorgefertigte Geschichte der Werbung oder PR übernimmst, überlässt du deine eigene Recherche-Arbeit deinen Akteuren." [57]
Geschichten sind "sehr gut geeignet, Einstellungen auf subtile Art zu verändern. Rezipienten übernehmen auch schwache Argumente oder offensichtlich unsinnige Aussagen, wenn diese in eine Narration integriert sind", schreibt Herbert Flath in seiner Dissertation "Storytelling im Journalismus" [58]. Vor dem Hintergrund verschiedener Forschungsansätze nennt er hierfür vor allem 2 Gründe:
1. Narrationen besitzen die Stärke, den natürlichen psychischen Widerstand (Reaktanz) zu umgehen, mit dem der Mensch sich gegen Versuche wehrt, seine Freiheiten etwa durch Beeinflussungsversuche einzuschränken. Denn narrative Elemente werden im Unterschied zu einer offenen Argumentation nicht als Beeinflussungsversuche wahrgenommen. Wird sich der Rezipient des Zusammenhangs zwischen Narration und Persuasion aber bewusst, so reagiert er mit stärkerem Widerstand darauf, als er auf einen offenen, expliziten Beeinflussungsversuch, z.B. in Form eines Kommentars reagieren würde. Das Wissen über das Persuasionspotential von Narrationen kann deren Beeinflussungspotential also einschränken. [59]
2. Narrationen umgehen den "stärksten Schutzschild" gegen Beeinflussungsversuche: das Anzweifeln/Prüfen von Aussagen und das Gegenargumentieren. Neben der spezifisch narrativen Rezeption, die einer gleichzeitigen kritischen Reflexion entgegensteht, führt Flath v.a. die "Erfahrungshaftigkeit" und damit verbunden das Fehlen expliziter Argumente an. [60]
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[53] ARD-Forschungsdienst: Werbewirkung: Storytelling, in: Media Perspektiven 4/ 2015, S. 215-217, hier: S. 215.
[54] Klaus Merten, Joachim Westerbarkey: Public Opinion und Public Relations, in: Klaus Merten, Siegfried Schmidt und Siegfried Weischenberg [Hg.]: Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Wiesbaden 1994, S. 208 ff.
[55] Romy Fröhlich: Baerns. Öffentlichkeitsarbeit oder Journalismus? In: Christina Holtz-Bacha, Arnulf Kisch [Hg.]: Schlüsselwerke für die Kommunikationswissenschaft, Wiesbaden 2002, S. 37-39, hier S. 39.
[56] Ebd.
[57] Jürg Häusermann: Storytelling Teil 7, Storytelling im Journalismus? Häusermanns Schreibtraining [Weblog], 10.03.2014.
[58] Herbert Flath: Storytelling im Journalismus, Formen und Wirkungen narrativer Berichterstattung, Dissertation 2013, S. 211.
[59] Ebd., S. 218.
[60] Ebd., S. 216.
5 The Hidden Persuaders - Techniken der verdeckten Argumentation
5 The Hidden Persuaders - Techniken der verdeckten Argumentation
5.1 Verdeckte Argumentation durch die Erzählhaltung des Journalisten (Erzählerfigur): affirmativ-nah oder kritisch-distanziert
a) affirmativ-nah/identifikatorisch-empathisch: zur Bestätigung eines politischen Akteurs oder einer bestimmten politisch-gesellschaftlichen Position.
Beispiele aus den Tagesthemen vom 27.02.2015:
Beispiele:
Der Journalist kann sich je nach Argumentationsziel populärer Scheinargumentationen (=logischer Fehlschlüsse) bedienen.
"Derartige Strategien finden sich oftmals in Kombination mit einer Diffamierung der Position des politischen Gegners, um ihn zu diskreditieren." [61]
Sie dienen dazu, von einer sachlich-rationalen Auseinandersetzung mit dem Streitgegenstand abzulenken. Diese rhetorischen Ablenkungsmanöver werden unter dem Begriff Red Herring zusammengefasst (benannt nach stark riechenden Heringen, die Spürhunde auf die falsche Fährte lenken sollen).
5.2.1 Strohmann
Die These des Kontrahenten wird verzerrt, übertrieben oder falsch dargestellt, um ihr die Glaubwürdigkeit zu entziehen und sie umso leichter widerlegen zu können. Man argumentiert gegen einen Strohmann. Häufig verwendetes Mittel zur Verzerrung der Aussage: Contextomy: Zitate werden aus ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang gelöst und in einen fremden eingebettet, wodurch ihr Sinn unkenntlich bzw. verfälscht wird (s.u. Reframing).
Beispiel aus den Tagesthemen vom 05.02.2015:
"Was uns vorgeschlagen wurde, was uns unsere Partner in den Gesprächen sagen, ist: Bittet uns nicht um einen Schuldenschnitt! Wir geben euch eine Laufzeitverlängerung und Zinssenkungen. Wissen Sie, was das heißt? Das ist ein Schuldenschnitt: Ein Schuldenschnitt, der den Wert der eigentlichen Rückzahlung drückt, die wir erbringen müssen. Als Finanzminister von Griechenland ist es meine moralische Pflicht, die Verluste unserer Partner zu minimieren und nicht vorzugeben, dass es keine Verluste geben würde, wenn der Nominalwert erhalten bliebe.
Nun, wenn unsere europäischen Partner in der Eurogruppe und anderswo das Wort 'Schuldenschnitt' nicht mögen, dann sollte ich das respektieren."[62]
Trotz dieser deutlichen Erklärung des griechischen Finanzministers wird die ARD auch im weiteren Verlauf ihrer Berichterstattung Griechenlands Aussagen zu Umschuldungs- bzw. Restrukturierungsmaßnahmen als unlauteren rhetorischen Trick Griechenlands darstellen, einen Schuldenschnitt durch die Hintertür zu erwirken.
5.2.2 Autoritätsargument (ad verecundiam) /Berufung auf "opportune Zeugen"
Die Legitimität eines Standpunkts soll durch Berufung auf eine Autorität bewiesen werden. Wenn die Expertenauswahl interessengeleitet und unter Ausblendung der Gegenargumentation erfolgt, handelt es sich um ein Scheinargument. Mit dem Ausdruck "opportune Zeugen" bezeichnet der Medienwissenschaftler Lutz M. Hagen die parteiische Auswahl von zitierten Einschätzungen/Meinungen, durch die mediale Beiträge mit bestimmten Tendenzen versehen werden, ohne dass der Journalist selbst Position beziehen muss. [63]
In der Werbung wird hierfür der Begriff "Testimonials" verwendet: Experten, Prominente oder auch Laien, die Zeugnis ablegen für ein bestimmtes Produkt.
Beispiel aus der Tagesschau vom 27.02.2015:
Die Legitimität eines Standpunkts soll durch Berufung auf eine relevante Mehrheit von Personen, z.B. unter Berufung auf die "öffentliche Meinung" bewiesen werden. Der Bandwagon-Effekt kann als Sonderform des Autoritätsarguments betrachtet werden. Man beruft sich auf die Autorität der vielen, unabhängig davon, ob der vertretene Standpunkt tatsächlich oder nur vermeintlich der Standpunkt der Mehrheit ist.
Beispiele:
Beispiel für eine an Humor und Spott appellierende Darstellung: Tagesthemen vom 04.02.2015:
Beispiel für eine an Neid (ad invidiam) und Hass (ad odium) appellierende Rhetorik:
Am populärsten zur Denunziation politischer Gegner ist die ad-hominem-Argumentation. Von der inhaltlichen Argumentation des politischen Kontrahenten wird abgelenkt durch einen Angriff auf seine Glaubwürdigkeit (z.B. Verhalten, Motive, Charakter). Die ad-hominem-Argumentation ist die in der ARD-Griechenlandberichterstattung am häufigsten verwandte: Von Varoufakis' ökonomischer Argumentation, dass das Troikaprogramm rezessionsverursachend sei, wird permanent abgelenkt (Red Herring) durch Angriffe auf seine Vertrauenswürdigkeit.
Beispiel eines direkten ad-hominem-Angriffs:
Wer Innuendo verwendet, der hält sich immer eine Hintertür offen, einen rhetorischen Fluchtweg ("escape route"): Im Fall von Kritik kann er jede Verantwortung abstreiten.
Folgende 3 Varianten von Innuendo führt Douglas Walton an:
Erstens: Innuendo durch die bewusste Nutzung von nicht ausdrücklich (explizit) formulierten, sich aber aus dem Kontext ergebenden (impliziten) Schlussfolgerungen.
Die linguistische Pragmatik bezeichnet diese mitgemeinten Aussagen als Implikaturen. Die bewusste Nutzung von Implikaturen ermöglicht es dem Sprecher, im Fall von Kritik abzustreiten, die Aussagen jemals gemacht zu haben (rhetorischer Fluchtweg). Innuendo ähnelt der in der Antike als oratio figurata bezeichneten rhetorischen Figur:
"[...] die Figur nämlich, bei der wir in einer Art von Argwohn das verstanden wissen wollen, was wir nicht sagen, [...], etwas Verstecktes und dem Spürsinn des Hörers zum Suchen Überlassenes". Quintilian [65]
Die Verbreitung von nicht belegbaren Beschuldigungen unter Berufung auf andere kann entweder mithilfe "opportuner Zeugen" (Lutz M. Hagen) erfolgen, wodurch die Beweislast und damit Verantwortung auch für die Wirkung der verbreiteten Anschuldigungen umgangen werden können (s.o. Autoritätsargument).
Oder man beschuldigt den politischen Kontrahenten durch Berufung auf anonyme Quellen und erzielt damit laut Walton "das Verschieben der Beweislast". Resultat: Weder die Quelle des Gerüchts noch sein Verbreiter müssen die Verantwortung für ihre Beschuldigungen und deren Wirkung übernehmen. Der Sprecher kann im Fall von Kritik darauf verweisen, dass er nur die Aussage Dritter wiedergibt (rhetorischer Fluchtweg).
Beispiel aus der Tagesschau vom 27.02.2015
Innuendo durch Berufung auf "opportune Zeugen":
Gern verwendete Wieselwörter sind: Viele kritisieren ... so mancher weist darauf hin ... Beobachter, unabhängige Beobachter meinen ... Kritiker warnen .... aus gut informierten Kreisen ist zu hören ... vertrauliche Quellen ... offizielle Stellen ... Bürgerrechtler berichten ... Aktivisten oder Menschenrechtler werfen vor ... hinter vorgehaltener Hand ist die Rede von ... wir hören ... erfahren ... es heißt ... Medienberichten, Gerüchten, Insidern zufolge ... soll ... könnte ... möglicherweise ... offenbar ... wohl ... usw.
Drittens: Innuendo durch Verbreitung einer Anschuldigung, von der man sich gleichzeitig ausdrücklich distanziert:
5.3 Verdeckte Argumentation durch interessengeleitetes Framing
a) interessengeleitete Falschinformation
b) interessengeleitete Selektion und Dekontextualisierung: Auslassung von wesentlichen Fakten, durch die wichtige Sinnzusammenhänge verlorengehen.
"Eine Halbwahrheit ist eine ganze Lüge" (Jüdisches Sprichwort).
c) interessengeleitete Rekontextualisierung (Reframing): Einbetten von Fakten in einen fremden Sinnzusammenhang, "der sie als etwas anderes erscheinen lässt als das, was sie tatsächlich sind." Rainer Mausfeld [68]
Besonders schwerwiegend ist Reframing dort, wo es speziell die journalistischen Authentizitätsnachweise (O-Töne sowie Bildaufnahmen) betrifft, da diese aus Sicht des Rezipienten den Status von "Wahrheitsbelegen" haben.
Erstens: Reframing durch Verstöße gegen das Gebot der Zitattreue
• Falsche Wiedergabe/Übersetzung
Beispiel aus der Tagesschau vom 27.02.2015:
• contextomy
Zitate werden aus ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang gelöst und in einen fremden eingebettet, wodurch ihr Sinn unkenntlich bzw. verfälscht wird.
Der Begriff "contextomy" geht auf den amerikanischen Journalisten Milton Mayer (They thought they were free: The Germans 1933-45) zurück. Er bezeichnete damit die Vorgehensweise Julius Streichers, Talmudzitate aus ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang herauszureißen und seiner Leserschaft als Beleg für Ritualmord, Gier usw. zu präsentieren, um antisemitische Ressentiments zu schüren. An der Universität von Texas, Austin, forscht der Kommunikationswissenschaftler Matthew McGlone zu modernen Verwendungsformen und Wirkungen von contextomy, auch innerhalb von Kampagnen. Seinen Studien zufolge dauere der durch contextomy hervorgerufene falsche Eindruck selbst dann noch an, wenn der Rezipient über den ursprünglichen Sinnzusammenhang aufgeklärt worden ist.
Beispiel aus den Tagesthemen vom 05.02.2015:
"Was uns vorgeschlagen wurde, was uns unsere Partner in den Gesprächen sagen, ist: Bittet uns nicht um einen Schuldenschnitt! Wir geben euch eine Laufzeitverlängerung und Zinssenkungen. Wissen Sie, was das heißt? Das ist ein Schuldenschnitt: Ein Schuldenschnitt, der den Wert der eigentlichen Rückzahlung drückt, die wir erbringen müssen. Als Finanzminister von Griechenland ist es meine moralische Pflicht, die Verluste unserer Partner zu minimieren und nicht vorzugeben, dass es keine Verluste geben würde, wenn der Nominalwert erhalten bliebe. Nun, wenn unsere europäischen Partner in der Eurogruppe und anderswo das Wort 'Schuldenschnitt' nicht mögen, dann sollte ich das respektieren."
• Verzerrung durch der Sprecherabsicht zuwiderlaufendes Wortmaterial: Bei der indirekten Wiedergabe darf "nicht entgegen der Intention des Redners eigenes Wortmaterial unterlegt werden" [69]:
Beispiel aus den Tagesthemen vom 30.01.2015:
• Verzerrung durch falsche Akzentuierung (innerhalb der Wiedergabe oder Einordnung einer Aussage): Als "Fallacy of Misleading Accent" bezeichnet der Philosoph T. Edward Damer die Strategie, jemanden zu einer unberechtigten Schlussfolgerung zu verleiten, "indem man eine unsachgemäße oder unübliche Betonung/Gewichtung auf ein Wort, eine Phrase oder einen einzelnen Aspekt eines Themas oder einer Behauptung"[70] legt.
Beispiel aus den Tagesthemen vom 30.01.2015:
Zweitens: Reframing durch Bildmanipulation [71]
• Bildmanipulation durch Interpretationsfälschung oder nicht gekennzeichnete Symbolbilder
• Bildmanipulation durch Kontextfälschung
• Bildmanipulation durch Materialfälschung
• Bildmanipulation durch Inszenierung
5.4 Verdeckte Argumentation durch semantische, visuelle und auditive Frame-Trigger:
Schlüsselwörter, Schlüsselbilder und Schlüsselmusik:
• Beispiel für die Aktivierung des Trickster-Frames durch ein semantisches Netzwerk (Schlüsselwörter):
• Beispiel für die Aktivierung des Strenger-Vater-Moral-Frames durch semantische Trigger:
• Beispiel für die Aktivierung des Trickster-Frames durch visuelle Trigger:
• Beispiel für ein rein affektives visuelles Framing: Insgesamt vier Mal wird in den Tagesthemen vom 19.03.2015 folgendes Fotopaar kurz eingeblendet (Himmelsymbolik):
"Ach, Berlin"
"Ach, Athen"
• Darstellungseffekte zur jeweiligen Image-Konstruktion:
"Selbst kleinste Veränderungen in der Darstellung, z.B. das Zeigen oder Nichtzeigen von Nervosität, Zoomen auf einen Sprecher, das Einschneiden von positiven oder negativen Publikumsreaktionen kreieren beim Publikum verschiedene Eindrücke einer Person [...]. Die Möglichkeiten des Fernsehens, mit Hilfe von Darstellungstechniken Images von Politikern zu beeinflussen, sind praktisch unbegrenzt." [72].
Schaubild --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
[61] Christian Schicha: Inszenierte Berichterstattung in der politischen Bildung. Interpretationsangebote für die visuelle und rhetorische Analyse politischer Informationsangebote, in: Medienimpulse 1/2002, S. 14-24, hier S. 15.
[62] Yanis Varoufakis im Interview mit der ARD am 04.02.2015 (Englisch).
[63] Lutz M. Hagen: Die opportunen Zeugen, in: Publizistik, Jg. 37 (1992), H. 4, S. 444-460.
[64] Douglas Walton: Fallacies Arising from Ambiguity, Dordrecht 1996, S. 186 ff.
[65] Quintilian: Inst. orat., IX, 2, 65 f., übersetzt von Helmut Rahn [Hg.]: Marcus Fabius Quintilianus: Ausbildung des Redners, Bd. 2, Darmstadt 1975, S. 298 f.
[66] Patrick Smith: Weasel words and Journalism. It's either true or it isn't. MediaBriefing [Weblog] 14.02.2011.
https://www.themediabriefing.com/articl ... or-it-isnt
[67] Erhard Schüttpelz: Figuren der Rede: Zur Theorie der rhetorischen Figur. Philologische Studien und Quellen, H. 136, Berlin 1996, S. 497.
[68] Rainer Mausfeld: Warum schweigen die Lämmer? a.a.O.
[69] Josef Kurz, Daniel Müller u.a.: Stilistik für Journalisten, Wiesbaden 2000, S. 190.
[70] T. Edward Damer: Attacking Faulty Reasoning, Boston 2013, S. 135.
[71] Die Unterteilung der Bildmanipulationen in Material-, Kontext- und Interpretationsfälschungen stammt von dem Soziologen Clemens Albrecht. Clemens Albrecht: Wörter lügen manchmal, Bilder immer. Wissenschaft nach der Wende zum Bild, in: Wolf-Andreas Liebert, Thomas Metten [Hg.]: Mit Bildern lügen, Köln 2007, S. 29-49.
[72] Wolfgang Donsbach: Mit kleinen Schritten voran. Zum Stand der Medienwirkungsforschung zu Beginn der neunziger Jahre, in: Otfried Jarren [Hg.]: Medien und Journalismus. Eine Einführung, Bd. 2, Opladen 1995, S. 52-75, hier S. 64.
5.1 Verdeckte Argumentation durch die Erzählhaltung des Journalisten (Erzählerfigur): affirmativ-nah oder kritisch-distanziert
a) affirmativ-nah/identifikatorisch-empathisch: zur Bestätigung eines politischen Akteurs oder einer bestimmten politisch-gesellschaftlichen Position.
Beispiele aus den Tagesthemen vom 27.02.2015:
Caren Miosga: "Griechenland wird weiter Geld aus Europa bekommen. Dafür hat der Deutsche Bundestag heute mit überwältigender Mehrheit gestimmt. Aber – zwei Herzen, ach, in meiner Brust: Wolfgang Schäuble musste heute im Bundestag für ein verlängertes Hilfsprogramm werben, obwohl er sich über den mangelnden Reformwillen seines griechischen Kollegen mehrfach geärgert hat."
b) kritisch-distanziert: z. B. in Form von spöttischer Ironie, der "Waffe der Parteilichkeit" (Heinrich Lausberg), die die Demonstration der eigenen Überlegenheit bezweckt sowie die Solidarisierung zwischen Sprecher und Hörer gegen einen verlachenswerten Dritten. Die kritisch-distanzierte Erzählhaltung dient der Abwehr/Abwertung einer Position oder einer Person. Nicht selten ist sie eingebunden in die Rapid-Response-Strategie (urspr. Wahlkampftechnik: schnelle Zurückweisung der Kritik des politischen Gegners, meist durch Konterattacke und Reframing, s.u.)Julia Krittian: "Es ist eine Rede, die ihm wahnsinnig schwerfällt, sagt Wolfgang Schäuble, der doch selten um ein Wort verlegen ist, sei es mahnend, werbend oder tosend. Heute muss er von allem etwas liefern. Athen habe viel Vertrauen zerstört, so der Bundesfinanzminister, dennoch bittet er die Abgeordneten um eine Verlängerung der Griechenland-Hilfen. Keine neuen Milliarden, nur mehr Zeit: 4 Monate, um Reformen umzusetzen.“
Beispiele:
Bettina Scharkus, Tagesthemen 29.01.2015: "Drinnen wurde der linkspopulistische Grieche kräftig von den Ministern ins Gebet genommen, u.a. in einem Vier-Augen-Gespräch mit Walter Steinmeier. Am Abend klang der frischgebackene Außenminister dann auch ganz anders."
5.2 Verdeckte Argumentation durch die Anwendung rhetorischer StrategienMarita Knipper, tagesschau.de. 09.02.2016: "Bühne frei für Yanis Varoufakis. Er ist zurück. Gewohnt galant flötet er in Kameras und Mikrofone, dass es eine "Ehre" und ein "großes Privileg" sei, an diesem Tag im Herzen von Europa zu sein – in Berlin. Griechenlands linker Ex-Finanzminister als Leitwolf einer neuen paneuropäischen Bewegung."
Der Journalist kann sich je nach Argumentationsziel populärer Scheinargumentationen (=logischer Fehlschlüsse) bedienen.
"Derartige Strategien finden sich oftmals in Kombination mit einer Diffamierung der Position des politischen Gegners, um ihn zu diskreditieren." [61]
Sie dienen dazu, von einer sachlich-rationalen Auseinandersetzung mit dem Streitgegenstand abzulenken. Diese rhetorischen Ablenkungsmanöver werden unter dem Begriff Red Herring zusammengefasst (benannt nach stark riechenden Heringen, die Spürhunde auf die falsche Fährte lenken sollen).
5.2.1 Strohmann
Die These des Kontrahenten wird verzerrt, übertrieben oder falsch dargestellt, um ihr die Glaubwürdigkeit zu entziehen und sie umso leichter widerlegen zu können. Man argumentiert gegen einen Strohmann. Häufig verwendetes Mittel zur Verzerrung der Aussage: Contextomy: Zitate werden aus ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang gelöst und in einen fremden eingebettet, wodurch ihr Sinn unkenntlich bzw. verfälscht wird (s.u. Reframing).
Beispiel aus den Tagesthemen vom 05.02.2015:
Das hatte Varoufakis tatsächlich gesagt: Varoufakis äußerte, dass es die europäischen Regierungen seien, die den Begriff Schuldenschnitt mit Rücksicht auf ihre Wähler vermeiden würden, obwohl sie sich über dessen Notwendigkeit bewusst seien und inhaltlich bereits über einen solchen verhandeln würden. Auch der ARD gegenüber hatte er dies am 04.02.2015 in einem Interview (auf tagesschau.de veröffentlicht) ausführlich erläutert:Thomas Roth: "Ruppige Absagen von Seiten des Griechen gab's ja im Vorfeld schon genug: Keine Zusammenarbeit mehr mit der Troika z.B. - Schuldenschnitt? Ja bitte, aber man kann ihn gern auch anders nennen. [ironisch-spöttischer Tonfall]."
"Was uns vorgeschlagen wurde, was uns unsere Partner in den Gesprächen sagen, ist: Bittet uns nicht um einen Schuldenschnitt! Wir geben euch eine Laufzeitverlängerung und Zinssenkungen. Wissen Sie, was das heißt? Das ist ein Schuldenschnitt: Ein Schuldenschnitt, der den Wert der eigentlichen Rückzahlung drückt, die wir erbringen müssen. Als Finanzminister von Griechenland ist es meine moralische Pflicht, die Verluste unserer Partner zu minimieren und nicht vorzugeben, dass es keine Verluste geben würde, wenn der Nominalwert erhalten bliebe.
Nun, wenn unsere europäischen Partner in der Eurogruppe und anderswo das Wort 'Schuldenschnitt' nicht mögen, dann sollte ich das respektieren."[62]
Trotz dieser deutlichen Erklärung des griechischen Finanzministers wird die ARD auch im weiteren Verlauf ihrer Berichterstattung Griechenlands Aussagen zu Umschuldungs- bzw. Restrukturierungsmaßnahmen als unlauteren rhetorischen Trick Griechenlands darstellen, einen Schuldenschnitt durch die Hintertür zu erwirken.
5.2.2 Autoritätsargument (ad verecundiam) /Berufung auf "opportune Zeugen"
Die Legitimität eines Standpunkts soll durch Berufung auf eine Autorität bewiesen werden. Wenn die Expertenauswahl interessengeleitet und unter Ausblendung der Gegenargumentation erfolgt, handelt es sich um ein Scheinargument. Mit dem Ausdruck "opportune Zeugen" bezeichnet der Medienwissenschaftler Lutz M. Hagen die parteiische Auswahl von zitierten Einschätzungen/Meinungen, durch die mediale Beiträge mit bestimmten Tendenzen versehen werden, ohne dass der Journalist selbst Position beziehen muss. [63]
In der Werbung wird hierfür der Begriff "Testimonials" verwendet: Experten, Prominente oder auch Laien, die Zeugnis ablegen für ein bestimmtes Produkt.
Beispiel aus der Tagesschau vom 27.02.2015:
5.2.3 Bandwagon-Argument (ad populum, auch "Mitläufer- oder Gewinnereffekt" genannt)Peter Dalheimer: "Finanzminister Varoufakis hatte heute die Debatte über die Reformunwilligkeit seiner Regierung befeuert: Er habe die Reformvorschläge bewusst unbestimmt formuliert, um die notwendige Zustimmung nicht zu gefährden."
George Tzogopoulos (Politikwissenschaftler): "Die griechische Regierung spricht offenbar mit gespaltener Zunge – sie erzählt nach innen anderes als nach außen."
Die Legitimität eines Standpunkts soll durch Berufung auf eine relevante Mehrheit von Personen, z.B. unter Berufung auf die "öffentliche Meinung" bewiesen werden. Der Bandwagon-Effekt kann als Sonderform des Autoritätsarguments betrachtet werden. Man beruft sich auf die Autorität der vielen, unabhängig davon, ob der vertretene Standpunkt tatsächlich oder nur vermeintlich der Standpunkt der Mehrheit ist.
Beispiele:
Caren Miosga, Tagesthemen 29.01.2015: "Athen hatte nämlich überraschend verkündet, es mache nicht mit, wenn die EU Russland neue Sanktionen androht. Brüssel reagierte irritiert. [...] Dann würde die griechische Regierung mal eben die gemeinsame europäische Außenpolitik in Frage stellen."
Bettina Scharkus, Tagesthemen 29.01.2015: "Bisher zeigte sich Europa gegenüber Russland erstaunlich geschlossen, bis die neue griechische Regierung querschoss."
5.2.4 Gefühlsappell (Appell an Gefühle wie Bewunderung, Mitleid, Neid, Furcht, Hass, Spott, Hoffnung)Rolf-Dieter Krause, Tagesthemen 16.02.2015: "Die griechische Regierung agiert so, als würde sie sich ernsthaft einbilden, dass 18 andere Länder – denn da sind alle einig, auch Zypern und alle anderen Länder am Mittelmeer – als würden 18 Länder über das Stöckchen springen, das die griechische Regierung ihnen hinhält."
Beispiel für eine an Humor und Spott appellierende Darstellung: Tagesthemen vom 04.02.2015:
Beispiel für eine an Neid (ad invidiam) und Hass (ad odium) appellierende Rhetorik:
5.2.5 Innuendo: indirekte Form der ad- hominem-Strategie durch Anspielung oder Andeutung ('Insinuieren' oder durch 'die Blume reden')Rolf-Dieter Krause, Tagesthemen 17.02.2015: "So arrogant redet einer [Bezug: "der Grieche"] daher, der es offenkundig für das gottgegebene Recht seines Landes hält, auf Kosten anderer zu leben. Wieso sollten eigentlich die Aldi-Kassiererin und der Realschullehrer, also die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, mit ihren Steuern dafür einstehen, dass Griechenlands aufgeblähter Beamtenapparat noch weiter vergrößert wird? – Das ist es, was Athen will."
Am populärsten zur Denunziation politischer Gegner ist die ad-hominem-Argumentation. Von der inhaltlichen Argumentation des politischen Kontrahenten wird abgelenkt durch einen Angriff auf seine Glaubwürdigkeit (z.B. Verhalten, Motive, Charakter). Die ad-hominem-Argumentation ist die in der ARD-Griechenlandberichterstattung am häufigsten verwandte: Von Varoufakis' ökonomischer Argumentation, dass das Troikaprogramm rezessionsverursachend sei, wird permanent abgelenkt (Red Herring) durch Angriffe auf seine Vertrauenswürdigkeit.
Beispiel eines direkten ad-hominem-Angriffs:
Im Unterschied zur direkten ad-hominem-Argumentation bezweckt die Verwendung von Innuendo laut dem kanadischen Kommunikationswissenschaftler Douglas Walton immer, eine Anschuldigung zu verbreiten und sich gleichzeitig der Verantwortung dafür durch Umgehung der Beweislast zu entziehen. Die Wirkkraft von Innuendo besteht in der Suggestivkraft: Wo Rauch ist, dort ist auch Feuer, sagt der Volksmund, oder auch: Semper aliquid haeret (Etwas bleibt immer hängen). [64]Angela Ulrich, tagesschau.de 08.07.2015: "Die griechische Regierung handelt wie ein unberechenbarer Teenager. Sie provoziert, bricht Spielregeln und hat dazu noch ein freches Grinsen im Gesicht."
Wer Innuendo verwendet, der hält sich immer eine Hintertür offen, einen rhetorischen Fluchtweg ("escape route"): Im Fall von Kritik kann er jede Verantwortung abstreiten.
Folgende 3 Varianten von Innuendo führt Douglas Walton an:
Erstens: Innuendo durch die bewusste Nutzung von nicht ausdrücklich (explizit) formulierten, sich aber aus dem Kontext ergebenden (impliziten) Schlussfolgerungen.
Die linguistische Pragmatik bezeichnet diese mitgemeinten Aussagen als Implikaturen. Die bewusste Nutzung von Implikaturen ermöglicht es dem Sprecher, im Fall von Kritik abzustreiten, die Aussagen jemals gemacht zu haben (rhetorischer Fluchtweg). Innuendo ähnelt der in der Antike als oratio figurata bezeichneten rhetorischen Figur:
"[...] die Figur nämlich, bei der wir in einer Art von Argwohn das verstanden wissen wollen, was wir nicht sagen, [...], etwas Verstecktes und dem Spürsinn des Hörers zum Suchen Überlassenes". Quintilian [65]
Zweitens: Innuendo durch die Berufung auf andere, auch anonyme Quellen:Zum Beispiel Caren Miosga zur griechischen Reformliste: "Heute nun – ausgerechnet zum Beginn der orthodoxen Fastenzeit [Rosenmontagsfeier in Griechenland] – war Abgabetermin. Doch seit dem Abend hören wir: Die Regierung schafft es erst morgen früh, diese außergewöhnlich schwere Hausaufgabe fertigzustellen."
Die Verbreitung von nicht belegbaren Beschuldigungen unter Berufung auf andere kann entweder mithilfe "opportuner Zeugen" (Lutz M. Hagen) erfolgen, wodurch die Beweislast und damit Verantwortung auch für die Wirkung der verbreiteten Anschuldigungen umgangen werden können (s.o. Autoritätsargument).
Oder man beschuldigt den politischen Kontrahenten durch Berufung auf anonyme Quellen und erzielt damit laut Walton "das Verschieben der Beweislast". Resultat: Weder die Quelle des Gerüchts noch sein Verbreiter müssen die Verantwortung für ihre Beschuldigungen und deren Wirkung übernehmen. Der Sprecher kann im Fall von Kritik darauf verweisen, dass er nur die Aussage Dritter wiedergibt (rhetorischer Fluchtweg).
Beispiel aus der Tagesschau vom 27.02.2015
Innuendo durch Berufung auf "opportune Zeugen":
Innuendo durch Berufung auf anonyme Quellen:Peter Dalheimer: "Finanzminister Varoufakis hatte heute die Debatte über die Reformunwilligkeit seiner Regierung befeuert: Er habe die Reformvorschläge bewusst unbestimmt formuliert, um die notwendige Zustimmung nicht zu gefährden."
George Tzogopoulos (Politikwissenschaftler): "Die griechische Regierung spricht offenbar mit gespaltener Zunge – sie erzählt nach innen anderes als nach außen."
Rolf-Dieter Krause, Tagesthemen 11.02.2015: "Man hat erfahren können, dass die griechische Regierung weder in der Vorbereitungssitzung noch in der heutigen Sitzung ein Papier vorgelegt habe, und nach den europäischen Gepflogenheiten ist erst ein Vorschlag, der auf dem Papier steht, auch wirklich verhandlungsfähig."
Claus-Erich Boetzkes, Tagesschau 12. 02.2015: "Und mit Griechenland gab es erneut Ärger. Von einem richtigen Halbstarken-Verhalten ist bereits die Rede."
Im Zusammenhang mit dieser zweiten Form von Innuendo werden häufig sog. Wieselwörter (engl. weasel words) eingesetzt [66]: Wie man Wieseln nachsagt, in der Lage zu sein, ein Ei auf eine Weise auszusaugen, dass die Schale äußerlich intakt bleibt, so "saugen" diese Wörter die Substanz aus einer Nachricht: Die leere, weil unbewiesene Behauptung/Beschuldigung erscheint aber – oberflächlich betrachtet – als substantielle, bedeutungsvolle Nachricht. Wieselwörter entlasten den Sprecher davon, seine Behauptung belegen zu müssen, und ermöglichen es ihm, sich ggf. schnell von der getroffenen Aussage zu distanzieren:Bettina Scharkus, Tagesthemen 12.02.2015: "Der Finanzminister aus Athen wollte ein gemeinsam entwickeltes Papier plötzlich dann doch nicht mehr unterschreiben [...]. Eine Krisendiplomatie, die manch einer hinter vorgehaltener Hand so beschreibt: als ziemlich chaotisch und unprofessionell."
Gern verwendete Wieselwörter sind: Viele kritisieren ... so mancher weist darauf hin ... Beobachter, unabhängige Beobachter meinen ... Kritiker warnen .... aus gut informierten Kreisen ist zu hören ... vertrauliche Quellen ... offizielle Stellen ... Bürgerrechtler berichten ... Aktivisten oder Menschenrechtler werfen vor ... hinter vorgehaltener Hand ist die Rede von ... wir hören ... erfahren ... es heißt ... Medienberichten, Gerüchten, Insidern zufolge ... soll ... könnte ... möglicherweise ... offenbar ... wohl ... usw.
Drittens: Innuendo durch Verbreitung einer Anschuldigung, von der man sich gleichzeitig ausdrücklich distanziert:
Thomas Roth, Tagesthemen 16.02.2015: "Rolf Dieter, was ja auffällt, wenn man das so beobachtet, was der griechische Finanzminister allenthalben äußert, dann fällt ja die Ruppigkeit in dieser Sprache auf, ich will nicht sagen Arroganz. Erregt das nicht enormen Unmut in Brüssel?"
"Solche rhetorischen Selbstkommentare und Kniffe gehören zum Alltag wie zur historischen Überlieferung der Rhetorik und ihrer Gedankenführung. [...] Ein typisches, im Alltag oft unverdächtiges Beispiel ist: 'Um nicht zu sagen: F'. Natürlich sagt man damit 'F', man sagt es aber indirekt. [...]. Auf jeden Fall: Man stellt es 'in den Raum'. Und man kann unter Umständen die Verantwortung durch ein solches Manöver von sich weisen". [67]Kai Gniffke: "Wir wollen es uns nicht zu einfach machen und alles als gesteuerte Kampagnen und Spielwiese für Verschwörungstheoretiker abtun." (ARD-Chefredakteur zur Medienkritik an der Tagesschau, tagesschau-Blog 29.09.2014, inzwischen von der ARD aus dem Netz entfernt)
5.3 Verdeckte Argumentation durch interessengeleitetes Framing
a) interessengeleitete Falschinformation
b) interessengeleitete Selektion und Dekontextualisierung: Auslassung von wesentlichen Fakten, durch die wichtige Sinnzusammenhänge verlorengehen.
"Eine Halbwahrheit ist eine ganze Lüge" (Jüdisches Sprichwort).
c) interessengeleitete Rekontextualisierung (Reframing): Einbetten von Fakten in einen fremden Sinnzusammenhang, "der sie als etwas anderes erscheinen lässt als das, was sie tatsächlich sind." Rainer Mausfeld [68]
Besonders schwerwiegend ist Reframing dort, wo es speziell die journalistischen Authentizitätsnachweise (O-Töne sowie Bildaufnahmen) betrifft, da diese aus Sicht des Rezipienten den Status von "Wahrheitsbelegen" haben.
Erstens: Reframing durch Verstöße gegen das Gebot der Zitattreue
• Falsche Wiedergabe/Übersetzung
Beispiel aus der Tagesschau vom 27.02.2015:
Das hatte Varoufakis tatsächlich gesagt: Varoufakis sprach in Bezug auf die gemeinsame Eurogruppenvereinbarung vom 20.02.2015 über die Anwendung einer Verhandlungstechnik aus dem Bereich des Konfliktmanagements ("Constructive Ambiguity").Peter Dalheimer: "Finanzminister Varoufakis hatte heute die Debatte über die Reformunwilligkeit seiner Regierung befeuert: Er habe die Reformvorschläge bewusst unbestimmt formuliert, um die notwendige Zustimmung nicht zu gefährden."
• contextomy
Zitate werden aus ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang gelöst und in einen fremden eingebettet, wodurch ihr Sinn unkenntlich bzw. verfälscht wird.
Der Begriff "contextomy" geht auf den amerikanischen Journalisten Milton Mayer (They thought they were free: The Germans 1933-45) zurück. Er bezeichnete damit die Vorgehensweise Julius Streichers, Talmudzitate aus ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang herauszureißen und seiner Leserschaft als Beleg für Ritualmord, Gier usw. zu präsentieren, um antisemitische Ressentiments zu schüren. An der Universität von Texas, Austin, forscht der Kommunikationswissenschaftler Matthew McGlone zu modernen Verwendungsformen und Wirkungen von contextomy, auch innerhalb von Kampagnen. Seinen Studien zufolge dauere der durch contextomy hervorgerufene falsche Eindruck selbst dann noch an, wenn der Rezipient über den ursprünglichen Sinnzusammenhang aufgeklärt worden ist.
Beispiel aus den Tagesthemen vom 05.02.2015:
Das hatte Varoufakis tatsächlich gesagt: Varoufakis äußerte, dass es die europäischen Regierungen seien, die den Begriff Schuldenschnitt mit Rücksicht auf ihre Wähler vermeiden würden, obwohl sie sich über dessen Notwendigkeit bewusst seien und inhaltlich bereits über einen solchen verhandeln würden.Thomas Roth: "Ruppige Absagen von Seiten des Griechen gab's ja im Vorfeld schon genug: Keine Zusammenarbeit mehr mit der Troika z.B. - Schuldenschnitt? Ja bitte, aber man kann ihn gern auch anders nennen. [ironisch-spöttischer Tonfall]."
"Was uns vorgeschlagen wurde, was uns unsere Partner in den Gesprächen sagen, ist: Bittet uns nicht um einen Schuldenschnitt! Wir geben euch eine Laufzeitverlängerung und Zinssenkungen. Wissen Sie, was das heißt? Das ist ein Schuldenschnitt: Ein Schuldenschnitt, der den Wert der eigentlichen Rückzahlung drückt, die wir erbringen müssen. Als Finanzminister von Griechenland ist es meine moralische Pflicht, die Verluste unserer Partner zu minimieren und nicht vorzugeben, dass es keine Verluste geben würde, wenn der Nominalwert erhalten bliebe. Nun, wenn unsere europäischen Partner in der Eurogruppe und anderswo das Wort 'Schuldenschnitt' nicht mögen, dann sollte ich das respektieren."
• Verzerrung durch der Sprecherabsicht zuwiderlaufendes Wortmaterial: Bei der indirekten Wiedergabe darf "nicht entgegen der Intention des Redners eigenes Wortmaterial unterlegt werden" [69]:
Beispiel aus den Tagesthemen vom 30.01.2015:
Das hatte Varoufakis gesagt: "Unsere Regierung wird mit größtem Engagement mit der Eurozone, der EU und dem IWF zusammenarbeiten, aber mit der Troika, die ein Programm umsetzten will, dessen Idee wir als antieuropäisch betrachten und die auch das europäische Parlament nicht für demokratisch legitimiert hält, wollen wir nicht zusammenarbeiten."Ellen Trapp: "Varoufakis gibt sich wieder cool, erklärt, dass zukünftig keine Kontrolleure von EU, EZB und IWF mehr die Reformen der Regierung überwachen dürfen."
• Verzerrung durch falsche Akzentuierung (innerhalb der Wiedergabe oder Einordnung einer Aussage): Als "Fallacy of Misleading Accent" bezeichnet der Philosoph T. Edward Damer die Strategie, jemanden zu einer unberechtigten Schlussfolgerung zu verleiten, "indem man eine unsachgemäße oder unübliche Betonung/Gewichtung auf ein Wort, eine Phrase oder einen einzelnen Aspekt eines Themas oder einer Behauptung"[70] legt.
Beispiel aus den Tagesthemen vom 30.01.2015:
Durch die irreführende Akzentuierung wird der Eindruck erweckt, dass Griechenland sich der Kontrolle seines Reformwillens entziehen wolle. Von Varoufakis' Kritik an der Troika als "antidemokratisch" und seinem Hinweis auf den Untersuchungsbericht des EU-Parlaments aus dem Jahr 2014 wird damit sofort abgelenkt (Red Herring) durch einen Gegenangriff (Rapid Response), der nicht nur die Reformwilligkeit Griechenlands, sondern erneut die Vertrauenswürdigkeit des griechischen Finanzministers in Zweifel zieht (ad hominem).Ellen Trapp: "Varoufakis gibt sich wieder cool, erklärt, dass zukünftig keine Kontrolleure von EU, EZB und IWF mehr die Reformen der Regierung überwachen dürfen."
Zweitens: Reframing durch Bildmanipulation [71]
• Bildmanipulation durch Interpretationsfälschung oder nicht gekennzeichnete Symbolbilder
• Bildmanipulation durch Kontextfälschung
• Bildmanipulation durch Materialfälschung
• Bildmanipulation durch Inszenierung
5.4 Verdeckte Argumentation durch semantische, visuelle und auditive Frame-Trigger:
Schlüsselwörter, Schlüsselbilder und Schlüsselmusik:
• Beispiel für die Aktivierung des Trickster-Frames durch ein semantisches Netzwerk (Schlüsselwörter):
Mira Barthelmann, Tagesthemen 28.01.2015: "Der neue griechische Finanzminister, Autor mehrerer Bücher über die Spieltheorie, lässt die Würfel jeden Tag neu fallen: Kürzlich noch bezeichnete er die Sparpolitik und den Umgang Europas mit Griechenland als finanzielles Waterboarding – heute spricht er von Griechenlands 'europäischen Partnern' und bedauert, dass so viele Milliarden an EU-Hilfszahlungen in schwarzen Löchern verschwunden seien. Yanis Varoufakis weiß, dass in einem Monat das letzte Hilfspaket aus Brüssel ausläuft. [...] Wie weit wird Varoufakis gehen? Ist der Spieltheoretiker ein Player? Sein Einsatz, die 10.000 Staatsbediensteten wieder in den Dienst zu stellen, ist hoch. [...] Die neue Regierung von Athen [...] darf zur Lösung der Schuldenkrise keine Zeit mehr verspielen.
• Beispiel für die Aktivierung des Strenger-Vater-Moral-Frames durch semantische Trigger:
• Beispiel für die Aktivierung des Trickster-Frames durch auditive Trigger: Verwendung des Soundtracks "Flying Through The Air" des Bud Spencer/Terence Hill-Films "Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle (Tagesthemen, 04.02.2015) zur musikalischen Untermalung der Antrittsbesuche von Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis.Bettina Scharkus, Tagesthemen 29.01.2015: "Drinnen wurde der linkspopulistische Grieche kräftig von den Ministern ins Gebet genommen, u.a. in einem Vier-Augen-Gespräch mit Walter Steinmeier. Am Abend klang der frischgebackene Außenminister dann auch ganz anders."
• Beispiel für die Aktivierung des Trickster-Frames durch visuelle Trigger:
• Beispiel für ein rein affektives visuelles Framing: Insgesamt vier Mal wird in den Tagesthemen vom 19.03.2015 folgendes Fotopaar kurz eingeblendet (Himmelsymbolik):
"Ach, Berlin"
"Ach, Athen"
• Darstellungseffekte zur jeweiligen Image-Konstruktion:
"Selbst kleinste Veränderungen in der Darstellung, z.B. das Zeigen oder Nichtzeigen von Nervosität, Zoomen auf einen Sprecher, das Einschneiden von positiven oder negativen Publikumsreaktionen kreieren beim Publikum verschiedene Eindrücke einer Person [...]. Die Möglichkeiten des Fernsehens, mit Hilfe von Darstellungstechniken Images von Politikern zu beeinflussen, sind praktisch unbegrenzt." [72].
Schaubild --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
[61] Christian Schicha: Inszenierte Berichterstattung in der politischen Bildung. Interpretationsangebote für die visuelle und rhetorische Analyse politischer Informationsangebote, in: Medienimpulse 1/2002, S. 14-24, hier S. 15.
[62] Yanis Varoufakis im Interview mit der ARD am 04.02.2015 (Englisch).
[63] Lutz M. Hagen: Die opportunen Zeugen, in: Publizistik, Jg. 37 (1992), H. 4, S. 444-460.
[64] Douglas Walton: Fallacies Arising from Ambiguity, Dordrecht 1996, S. 186 ff.
[65] Quintilian: Inst. orat., IX, 2, 65 f., übersetzt von Helmut Rahn [Hg.]: Marcus Fabius Quintilianus: Ausbildung des Redners, Bd. 2, Darmstadt 1975, S. 298 f.
[66] Patrick Smith: Weasel words and Journalism. It's either true or it isn't. MediaBriefing [Weblog] 14.02.2011.
https://www.themediabriefing.com/articl ... or-it-isnt
[67] Erhard Schüttpelz: Figuren der Rede: Zur Theorie der rhetorischen Figur. Philologische Studien und Quellen, H. 136, Berlin 1996, S. 497.
[68] Rainer Mausfeld: Warum schweigen die Lämmer? a.a.O.
[69] Josef Kurz, Daniel Müller u.a.: Stilistik für Journalisten, Wiesbaden 2000, S. 190.
[70] T. Edward Damer: Attacking Faulty Reasoning, Boston 2013, S. 135.
[71] Die Unterteilung der Bildmanipulationen in Material-, Kontext- und Interpretationsfälschungen stammt von dem Soziologen Clemens Albrecht. Clemens Albrecht: Wörter lügen manchmal, Bilder immer. Wissenschaft nach der Wende zum Bild, in: Wolf-Andreas Liebert, Thomas Metten [Hg.]: Mit Bildern lügen, Köln 2007, S. 29-49.
[72] Wolfgang Donsbach: Mit kleinen Schritten voran. Zum Stand der Medienwirkungsforschung zu Beginn der neunziger Jahre, in: Otfried Jarren [Hg.]: Medien und Journalismus. Eine Einführung, Bd. 2, Opladen 1995, S. 52-75, hier S. 64.
1 Die Geschichte vom ernsten Spiel (Teil I)
Analytischer Teil: Es war einmal...
"Lügenfernsehen. So manche scheinbar wahre Fernseh-Geschichte ist in Wirklichkeit frei erfunden, wie zahlreiche Beispiele zeigen." Anja Reschke (ARD) über das Privatfernsehen, 2011
1 Die Geschichte vom ernsten Spiel (Teil I) – linker Ministerpräsident macht Ernst und provoziert die Götter
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"Storytelling heißt, ein Gefühl für starke Symbole zu entwickeln, für die Zeichensprache, mit der unser Unbewusstes das Komplexe reduziert."
(Werner Fuchs: Warum das Gehirn Geschichten liebt: Mit Storytelling Menschen gewinnen und überzeugen) [73]
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Tagesthemen vom 28.01.2015 [74]
Die ersten Ankündigungen der neuen griechischen Regierung werden in der Erzählstruktur der sog. Oxymoron-Technik dargestellt, d. h. durch die Kontrastierung zweier sich widersprechender Begriffe. Erzählt wird die Geschichte vom "ernsten Spiel" der neuen griechischen Regierung am Beispiel ihrer Ankündigung, angeblich 10.000 Bedienstete des öffentlichen Sektors wieder einstellen zu wollen.
Der erste Teil des Filmbeitrags zeigt die Ankündigungen der Syriza-Regierung als ernste Provokation: Sie will "Putzfrauen" wieder in den Staatsdienst einstellen. Die Finanzierung bleibe allerdings "ein Rätsel".
Mit der durch den Begriff "Rätsel" geschaffenen Leerstelle leitet die Korrespondentin über zum zweiten Teil des Beitrags (s. Geschichte 2), in dem das "Rätsel" um die Finanzierung gelöst wird: Der neue griechische Finanzminister wird als Spieler vorgestellt im Milliardenpoker mit den europäischen Kreditgebern.
Schlüsselbild: Blitzeinschlag in Athen
Schlüsselworte: Blitzeinschlag in Athen als Symbol des Himmels (Assoziationen: Zorn des Göttervaters Zeus, Bedrohlichkeit), Rumms, Ernst machen, drohendes Gewitter in Brüssel, Wahlversprechen, Verheißungen, Putzfrau vs. Beamte/ehemalige Staatsangestellte, Rätsel
Falschinformationen:
a) Zur angeblich rätselhaften Finanzierung:
Auf der der ARD bekannten Pressekonferenz, die derselbe Tagesthemen-Beitrag in einem anderen Ausschnitt zeigt (s. Geschichte 2), kündigt Yanis Varoufakis Ausgabenkürzungen in seinem eigenen Ministerium an, um die Wiedereinstellung der Reinigungskräfte zu ermöglichen.
"He said, change in this direction will begin at the ministry itself, where one of the first moves will aim to save funds by reducing spending on advisors, associates and others, which will allow the ministry to rehire laid-off cleaning staff." [75]
b) Zur angeblichen Gesamtzahl der wieder Einzustellenden:
Nicht 10.000, sondern bis zu 3.500 Personen (Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes, darunter auch die im Beitrag gezeigten Reinigungskräfte) sollten wieder eingestellt werden, kündigte Verwaltungsminister Giorgos Katroungalos am 29. Januar 2015 in einem Interview mit Skai-TV an. [76] Am 28. Januar 2015 war noch gar keine Zahl genannt worden.
Mit Bekanntgabe der Gesamtzahl der Wiedereinstellungen legte Giorgos Katroungalos zugleich die weitere Finanzierung offen:
So werde sich die noch von der Vorgängerregierung für den Haushalt 2015 bereits beschlossene Zahl der Neueinstellungen um die eben genannte Zahl verringern. (Die Zahl der Neueinstellungen war mit der Troika abgesprochen: für je 5 Ausgeschiedene 1 Neueinstellung)
c) Zur Behauptung, dass es angeblich ein Rätsel bleibe, wie die griechische Regierung ihr 4-Punkte-Programm "finanzieren will":
Die Finanzierungspläne des 4-Punkte-Programms (Thessaloniki-Programm der Syriza) waren seit September 2014 kein "Rätsel": Mehreinnahmen u.a. durch Wirtschaftswachstum (infolge von Investitionen), Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Einführung einer Vermögenssteuer, Anpassung der Steuerkurve. [77]
Dekontextualisierung/Auslassung:
Dem Zuschauer fehlt der Kontext zum Verständnis der angekündigten Wiedereinstellung der Reinigungskräfte: Die neue griechische Regierung folgte hiermit einem Gerichtsurteil aus dem Jahr 2014, wonach die Bediensteten gesetzeswidrig entlassen worden waren. In seinem Urteil hatte das Gericht u. a. auch kritisiert, dass die anstelle der als Sparmaßnahme entlassenen Reinigungskräfte in Anspruch genommenen privaten Anbieter sehr viel teurer waren. [78] Auf dieses Gerichtsurteil bezieht sich Despina Kostopoulou am Ende des Beitrags: "Wir haben unser Recht bekommen" (s. Geschichte 2).
Rekontextualisierung/Reframing:
Mit dem Hinweis auf das drohende Donnerwetter der Geldgeber, denen sich die neue griechische Regierung "nicht mehr unterwerfen" will, ruft die Moderatorin den Erwachsenen-Teenager-Frame (vgl. Lakoff: Strenger-Vater-Familien-Frame) auf. Dass die neue griechische Regierung "Ernst macht" (gleicher Wortlaut in Anmoderation und Off-Kommentar) mit ihren Wahlversprechen, wird im Kontext des symbolisch gedeuteten Blitzeinschlags ("Rumms"), des drohenden "Gewitter[s]" in Brüssel und der angeblich rätselhaften Finanzierung der Reformen ("Verheißungen") als ernste Provokation gegenüber den "Geldgeber[n]" dargestellt.
Sprachlich wird diese Provokation auch durch die Kontrastierung der Begriffe 'Putzfrau' auf der einen Seite sowie 'Beamte'/'Staatsangestellte'/'Staatsbedienstete' auf der anderen Seite verdeutlicht. Hierdurch wird an das Vorwissen der Zuschauer vom "aufgeblähten Beamtenapparat" in Griechenland angeknüpft. Die in Deutschland als "Staatsangestellte" tätigen Reinigungskräfte werden üblicherweise Angestellte im öffentlichen Dienst genannt. Dagegen spricht Caren Miosga in ihrer Anmoderation sogar ausschließlich von der Wiedereinstellung von "Beamte[n]". Provokativ setzt der Beitrag dann mit der "Putzfrau" Despina Kostopoulou ein.
Auch in den Tagesthemen des darauffolgenden Tages wird die Moderatorin im Interview mit Martin Schulz behaupten, es gehe um "Tausende, Zehntausende [sic] neue [sic] Beamte", und dabei im selben Atemzug die Summe der angekündigten Wiedereinstellungen sachwidrig ein weiteres Mal um ein Vielfaches erhöhen.
Eine Korrektur all dieser Falschmeldungen fand nicht statt.
Der vollständige kommunikative Sinn erschließt sich bereits an dieser Stelle durch die Berücksichtigung des situativen, hier politisch-wirtschaftlichen Kontextes des Beitrags (hochverschuldetes Griechenland braucht Milliarden). Die Implikatur bzw. der Sub-Text lautet:
Deutsche Steuerzahler sollen für Wahlgeschenke, konkret: für einen aufgeblähten Beamtenapparat, aufkommen.
Explizit wird dies nur einen Tag später ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause (WDR) in seinem Kommentar formulieren:
"Wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen." (Sigmar Gabriel am 14.06.2015)
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[73] Werner T. Fuchs: Warum das Gehirn Geschichten liebt. Mit Storytelling Menschen gewinnen und überzeugen, Freiburg 2015, S. 49.
[74] Tagesthemen 28.01.2015.
[75] Ana-mpa (griechische Nachrichtenagentur), 28.01.2015.
[76] Ekathimerini: Tsipras won't act unilaterally, 29.01.2015.
[77] Syriza: Thessaloniki-Programm, September 2014.
[78] Wassilis Aswestopoulos: Der Aufstand der Putzfrauen, in: Telepolis, 18.06.2014.
"Lügenfernsehen. So manche scheinbar wahre Fernseh-Geschichte ist in Wirklichkeit frei erfunden, wie zahlreiche Beispiele zeigen." Anja Reschke (ARD) über das Privatfernsehen, 2011
1 Die Geschichte vom ernsten Spiel (Teil I) – linker Ministerpräsident macht Ernst und provoziert die Götter
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"Storytelling heißt, ein Gefühl für starke Symbole zu entwickeln, für die Zeichensprache, mit der unser Unbewusstes das Komplexe reduziert."
(Werner Fuchs: Warum das Gehirn Geschichten liebt: Mit Storytelling Menschen gewinnen und überzeugen) [73]
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Tagesthemen vom 28.01.2015 [74]
Die ersten Ankündigungen der neuen griechischen Regierung werden in der Erzählstruktur der sog. Oxymoron-Technik dargestellt, d. h. durch die Kontrastierung zweier sich widersprechender Begriffe. Erzählt wird die Geschichte vom "ernsten Spiel" der neuen griechischen Regierung am Beispiel ihrer Ankündigung, angeblich 10.000 Bedienstete des öffentlichen Sektors wieder einstellen zu wollen.
Der erste Teil des Filmbeitrags zeigt die Ankündigungen der Syriza-Regierung als ernste Provokation: Sie will "Putzfrauen" wieder in den Staatsdienst einstellen. Die Finanzierung bleibe allerdings "ein Rätsel".
Mit der durch den Begriff "Rätsel" geschaffenen Leerstelle leitet die Korrespondentin über zum zweiten Teil des Beitrags (s. Geschichte 2), in dem das "Rätsel" um die Finanzierung gelöst wird: Der neue griechische Finanzminister wird als Spieler vorgestellt im Milliardenpoker mit den europäischen Kreditgebern.
Caren Miosga (WDR): „Was Zeichen von oben angeht, da soll man ja eigentlich vorsichtig sein. Aber was war denn dieser Blitz, der am Tag nach der Wahl im Zentrum von Athen in der Nähe des Parlaments einschlug, anderes als ein Symbol aus dem Himmel?Nun macht es täglich Rumms in Griechenland, denn der linke Ministerpräsident macht wohl Ernst mit seinen Wahlversprechen. Privatisierungen stoppen, entlassene Beamte wieder einstellen, sich nicht mehr den Geldgebern aus der EU unterwerfen. Und obwohl man sich äußerlich in Brüssel noch gelassen gibt, [...] liegt auch dort ein Gewitter in der Luft."
Fakten und Analyse:Mira Barthelmann (WDR)/Off: Despina Kostopoulou protestiert seit 8 Monaten tagtäglich vor dem Athener Finanzministerium.
Sie ist Putzfrau. Eine ehemalige Staatsangestellte. Vor 1,5 Jahren wurde sie entlassen. Im Wahlkampf hatte das Links-Bündnis Syriza versprochen, sie und ihre Kolleginnen wieder einzustellen [...].
Und es sieht ganz danach aus, als ob Alexis Tsipras Ernst macht. Er will 10.000 Staatsbedienstete wieder einstellen.
Sein 4-Punkte-Programm: eine lange Liste voller Verheißungen.
Doch wie die neue Regierung sie finanzieren will, bleibt auch heute ein Rätsel.
Schlüsselbild: Blitzeinschlag in Athen
Schlüsselworte: Blitzeinschlag in Athen als Symbol des Himmels (Assoziationen: Zorn des Göttervaters Zeus, Bedrohlichkeit), Rumms, Ernst machen, drohendes Gewitter in Brüssel, Wahlversprechen, Verheißungen, Putzfrau vs. Beamte/ehemalige Staatsangestellte, Rätsel
Falschinformationen:
a) Zur angeblich rätselhaften Finanzierung:
Auf der der ARD bekannten Pressekonferenz, die derselbe Tagesthemen-Beitrag in einem anderen Ausschnitt zeigt (s. Geschichte 2), kündigt Yanis Varoufakis Ausgabenkürzungen in seinem eigenen Ministerium an, um die Wiedereinstellung der Reinigungskräfte zu ermöglichen.
"He said, change in this direction will begin at the ministry itself, where one of the first moves will aim to save funds by reducing spending on advisors, associates and others, which will allow the ministry to rehire laid-off cleaning staff." [75]
b) Zur angeblichen Gesamtzahl der wieder Einzustellenden:
Nicht 10.000, sondern bis zu 3.500 Personen (Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes, darunter auch die im Beitrag gezeigten Reinigungskräfte) sollten wieder eingestellt werden, kündigte Verwaltungsminister Giorgos Katroungalos am 29. Januar 2015 in einem Interview mit Skai-TV an. [76] Am 28. Januar 2015 war noch gar keine Zahl genannt worden.
Mit Bekanntgabe der Gesamtzahl der Wiedereinstellungen legte Giorgos Katroungalos zugleich die weitere Finanzierung offen:
So werde sich die noch von der Vorgängerregierung für den Haushalt 2015 bereits beschlossene Zahl der Neueinstellungen um die eben genannte Zahl verringern. (Die Zahl der Neueinstellungen war mit der Troika abgesprochen: für je 5 Ausgeschiedene 1 Neueinstellung)
c) Zur Behauptung, dass es angeblich ein Rätsel bleibe, wie die griechische Regierung ihr 4-Punkte-Programm "finanzieren will":
Die Finanzierungspläne des 4-Punkte-Programms (Thessaloniki-Programm der Syriza) waren seit September 2014 kein "Rätsel": Mehreinnahmen u.a. durch Wirtschaftswachstum (infolge von Investitionen), Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Einführung einer Vermögenssteuer, Anpassung der Steuerkurve. [77]
Dekontextualisierung/Auslassung:
Dem Zuschauer fehlt der Kontext zum Verständnis der angekündigten Wiedereinstellung der Reinigungskräfte: Die neue griechische Regierung folgte hiermit einem Gerichtsurteil aus dem Jahr 2014, wonach die Bediensteten gesetzeswidrig entlassen worden waren. In seinem Urteil hatte das Gericht u. a. auch kritisiert, dass die anstelle der als Sparmaßnahme entlassenen Reinigungskräfte in Anspruch genommenen privaten Anbieter sehr viel teurer waren. [78] Auf dieses Gerichtsurteil bezieht sich Despina Kostopoulou am Ende des Beitrags: "Wir haben unser Recht bekommen" (s. Geschichte 2).
Rekontextualisierung/Reframing:
Mit dem Hinweis auf das drohende Donnerwetter der Geldgeber, denen sich die neue griechische Regierung "nicht mehr unterwerfen" will, ruft die Moderatorin den Erwachsenen-Teenager-Frame (vgl. Lakoff: Strenger-Vater-Familien-Frame) auf. Dass die neue griechische Regierung "Ernst macht" (gleicher Wortlaut in Anmoderation und Off-Kommentar) mit ihren Wahlversprechen, wird im Kontext des symbolisch gedeuteten Blitzeinschlags ("Rumms"), des drohenden "Gewitter[s]" in Brüssel und der angeblich rätselhaften Finanzierung der Reformen ("Verheißungen") als ernste Provokation gegenüber den "Geldgeber[n]" dargestellt.
Sprachlich wird diese Provokation auch durch die Kontrastierung der Begriffe 'Putzfrau' auf der einen Seite sowie 'Beamte'/'Staatsangestellte'/'Staatsbedienstete' auf der anderen Seite verdeutlicht. Hierdurch wird an das Vorwissen der Zuschauer vom "aufgeblähten Beamtenapparat" in Griechenland angeknüpft. Die in Deutschland als "Staatsangestellte" tätigen Reinigungskräfte werden üblicherweise Angestellte im öffentlichen Dienst genannt. Dagegen spricht Caren Miosga in ihrer Anmoderation sogar ausschließlich von der Wiedereinstellung von "Beamte[n]". Provokativ setzt der Beitrag dann mit der "Putzfrau" Despina Kostopoulou ein.
Auch in den Tagesthemen des darauffolgenden Tages wird die Moderatorin im Interview mit Martin Schulz behaupten, es gehe um "Tausende, Zehntausende [sic] neue [sic] Beamte", und dabei im selben Atemzug die Summe der angekündigten Wiedereinstellungen sachwidrig ein weiteres Mal um ein Vielfaches erhöhen.
Eine Korrektur all dieser Falschmeldungen fand nicht statt.
Der vollständige kommunikative Sinn erschließt sich bereits an dieser Stelle durch die Berücksichtigung des situativen, hier politisch-wirtschaftlichen Kontextes des Beitrags (hochverschuldetes Griechenland braucht Milliarden). Die Implikatur bzw. der Sub-Text lautet:
Deutsche Steuerzahler sollen für Wahlgeschenke, konkret: für einen aufgeblähten Beamtenapparat, aufkommen.
Explizit wird dies nur einen Tag später ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause (WDR) in seinem Kommentar formulieren:
Und zwei Wochen später noch einmal (Tagesthemen vom 17.02.2015):"Arbeiter und Angestellte in Europa sollen also dafür einstehen, dass in Griechenland ein eh schon aufgeblähter Beamtenapparat noch weiter aufgebläht wird."
Die Rhetorik des ARD-Korrespondenten entspricht der Rhetorik der Bundesregierung. Als Beispiel sei der Vizekanzler zitiert:"Wieso eigentlich sollten die Aldi-Kassiererin und der Realschullehrer, also die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, mit ihren Steuern dafür einstehen, dass Griechenlands aufgeblähter Beamtenapparat noch weiter vergrößert wird? - Das ist es, was Athen will."
"Wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen." (Sigmar Gabriel am 14.06.2015)
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[73] Werner T. Fuchs: Warum das Gehirn Geschichten liebt. Mit Storytelling Menschen gewinnen und überzeugen, Freiburg 2015, S. 49.
[74] Tagesthemen 28.01.2015.
[75] Ana-mpa (griechische Nachrichtenagentur), 28.01.2015.
[76] Ekathimerini: Tsipras won't act unilaterally, 29.01.2015.
[77] Syriza: Thessaloniki-Programm, September 2014.
[78] Wassilis Aswestopoulos: Der Aufstand der Putzfrauen, in: Telepolis, 18.06.2014.
2 Die Geschichte vom ernsten Spiel (Teil II)
2 Die Geschichte vom ernsten Spiel (Teil II) - das Spiel des Tricksters um Milliarden beginnt...
Fortsetzung der Tagesthemen vom 28. Januar 2015
Der zweite Teil des Beitrags gibt dem Zuschauer die notwendigen Informationen, um die mit dem Begriff (Finanzierungs-)"Rätsel" geschaffene Leerstelle zu füllen. Die durch contextomy erzeugte Widersprüchlichkeit in den Aussagen des griechischen Finanzministers wird ihn als taktischen, unehrlichen Spieler im Kampf um Milliarden entlarven (Strohmann, ad hominem/Innuendo). Der O-Ton aus der Pressekonferenz dient dabei als "Wahrheitsbeweis" bzw. Authentizitätsnachweis.
Der Nachweis von Scheinwidersprüchen in den Aussagen eines Kontrahenten ist ein gängiges Mittel, seine Glaubwürdigkeit zu untergraben.
"Bei einer Behauptung des Gegners müssen wir suchen, ob sie nicht etwa irgendwie, nötigenfalls auch nur scheinbar im Widerspruch steht mit irgendetwas anderem, was er früher gesagt oder zugegeben hat [...] oder mit seinem eigenen Tun und Lassen. [...]. Es wird sich doch irgendwie eine Schikane herausklauben lassen." (Schopenhauer, Eristische Dialektik oder die Kunst, Recht zu behalten, Kunstgriff 16, Schikane herausklauben) [79]
Schlüsselbilder: Yanis Varoufakis im Blitzlichtgewitter, Athen bei Nacht (Rückbezug zum Hintergrundbild der Moderation)
Schlüsselwörter: Spieltheorie, lässt Würfel jeden Tag neu fallen, Spieltheoretiker, Player, sein Einsatz ... ist hoch, verspielen
Dekontextualisierung:
Der zum Verständnis von Varoufakis' Aussage über "schwarze Löcher" unbedingt notwendige Kontext wird ausgespart:
Die von Yanis Varoufakis auch in den folgenden Monaten regelmäßig verwendete Metapher "schwarze Löcher" spiegelt seine Kritik wider, die Kredite seien hauptsächlich zur Bankenrettung, in den Finanzsektor geflossen und größtenteils nicht in Griechenland als Hilfe zum Wirtschaftsaufbau verwendet worden. Varoufakis' Kritik an den "schwarzen Löchern" ist also Teil seiner Kritik an dem seiner Auffassung nach zerstörerischen, weil rezessionsverursachenden Troikaprogramm, das zu einem Schuldenkreislauf führe.
Rekontextualisierung/Reframing:
Varoufakis' Kritik an den "schwarzen Löchern" wird von der ARD in einen falschen Kontext gestellt (contextomy), und zwar derart, dass der "Autor mehrerer Bücher zur Spieltheorie", nachdem er "kürzlich noch" der EU den Vorwurf des finanziellen Waterboardings gemacht hatte, "heute" nun angeblich im Widerspruch dazu ("lässt Würfel jeden Tag neu fallen") "bedauert", dass "so viele Milliarden der EU-Hilfszahlungen" in Griechenland "verschwunden" seien.
Aus dem gegebenen Kontext heraus kann der Zuschauer Varoufakis' Aussage über die "schwarzen Löcher" nur auf Griechenland beziehen (gezielte Nutzung von Implikaturen) und als bedauerndes (Schuld-)Eingeständnis des griechischen Finanzministers interpretieren, das im Gegensatz steht zu seinem kürzlich vorgebrachten harschen Vorwurf gegen das Troikaprogramm ("finanzielles Waterboarding").
Das Motiv für die angebliche Verhaltensänderung des "Autor[s] mehrerer Bücher zur Spieltheorie" gegenüber den "europäischen Partnern" ist im Kontext der am selben Tag angekündigten angeblich unfinanzierten "Verheißungen" (s. Geschichte 1) für den Zuschauer leicht als Strategie in einem Spiel um Milliarden deutbar.
"Varoufakis weiß, dass in einem Monat das letzte Hilfspaket aus Brüssel ausläuft", so lautet die Deutungshilfe der Korrespondentin im Duktus eines allwissenden Erzählers.
Der nun folgende O-Ton aus der Pressekonferenz entlarvt Yanis Varoufakis endgültig als unehrlich:
"Ich hatte vorausgesagt, dass die harschen Töne aus dem Ausland, diese Drohkulisse, die Verunsicherung des griechischen Durchschnittswählers [...] der Vernunft, der Bereitschaft zur Zusammenarbeit weichen würde."
Der Zuschauer kann die "harschen Töne" der Vergangenheit, die Varoufakis hier dem "Ausland" zuschreibt, mangels kontextueller Einordnung nur auf Varoufakis' eigene "harsche Töne“
(rück-)beziehen: ("finanzielles Waterboarding"). Seine Worte fallen wie ein Bumerang auf ihn selbst zurück.
Die logische Schlussfolgerung aus den (scheinbar) widersprüchlichen Aussagen des griechischen Finanzministers formuliert die Korrespondentin am Ende des Beitrags in Form einer Frage an die Zuschauer "[...] Ist der Spieltheoretiker ein Player?". Dabei zeigt sie den griechischen Finanzminister inmitten eines Blitzlichtgewitters von Pressefotografen (Symbolbild).
Die Schlusssequenz vereint beide Teile des Oxymorons: den "Ernst" der angeblich unfinanzierten Wiedereinstellung von angeblich 10.000 Staatsbediensteten mit dem angeblichen taktischen "Spiel" des griechischen Finanzministers:
[79] Arthur Schopenhauer: Eristische Dialektik oder die Kunst, Recht zu behalten, Zürich 1985, S.44.
Fortsetzung der Tagesthemen vom 28. Januar 2015
Der zweite Teil des Beitrags gibt dem Zuschauer die notwendigen Informationen, um die mit dem Begriff (Finanzierungs-)"Rätsel" geschaffene Leerstelle zu füllen. Die durch contextomy erzeugte Widersprüchlichkeit in den Aussagen des griechischen Finanzministers wird ihn als taktischen, unehrlichen Spieler im Kampf um Milliarden entlarven (Strohmann, ad hominem/Innuendo). Der O-Ton aus der Pressekonferenz dient dabei als "Wahrheitsbeweis" bzw. Authentizitätsnachweis.
Der Nachweis von Scheinwidersprüchen in den Aussagen eines Kontrahenten ist ein gängiges Mittel, seine Glaubwürdigkeit zu untergraben.
"Bei einer Behauptung des Gegners müssen wir suchen, ob sie nicht etwa irgendwie, nötigenfalls auch nur scheinbar im Widerspruch steht mit irgendetwas anderem, was er früher gesagt oder zugegeben hat [...] oder mit seinem eigenen Tun und Lassen. [...]. Es wird sich doch irgendwie eine Schikane herausklauben lassen." (Schopenhauer, Eristische Dialektik oder die Kunst, Recht zu behalten, Kunstgriff 16, Schikane herausklauben) [79]
Fakten und Analyse:Mira Barthelmann/Off: [...] Doch wie die neue Regierung sie finanzieren will, bleibt auch heute ein Rätsel.
Der neue Finanzminister, Autor mehrerer Bücher über die Spieltheorie, lässt die Würfel jeden Tag neu fallen: Kürzlich noch bezeichnete er die Sparpolitik und den Umgang Europas mit Griechenland als finanzielles Waterboarding - Heute spricht er von Griechenlands 'europäischen Partnern' und bedauert, dass so viele Milliarden an EU-Hilfszahlungen in schwarzen Löchern verschwunden seien. Yanis Varoufakis weiß, dass in einem Monat das letzte Hilfspaket aus Brüssel ausläuft. Yanis Varoufakis/On: Ich hatte vorausgesagt, dass die harschen Töne aus dem Ausland, diese Drohkulisse, die Verunsicherung des griechischen Durchschnittswählers [...] der Vernunft, der Bereitschaft zur Zusammenarbeit weichen würde. Ist der Spieltheoretiker ein Player? [...]
Schlüsselbilder: Yanis Varoufakis im Blitzlichtgewitter, Athen bei Nacht (Rückbezug zum Hintergrundbild der Moderation)
Schlüsselwörter: Spieltheorie, lässt Würfel jeden Tag neu fallen, Spieltheoretiker, Player, sein Einsatz ... ist hoch, verspielen
Dekontextualisierung:
Der zum Verständnis von Varoufakis' Aussage über "schwarze Löcher" unbedingt notwendige Kontext wird ausgespart:
Die von Yanis Varoufakis auch in den folgenden Monaten regelmäßig verwendete Metapher "schwarze Löcher" spiegelt seine Kritik wider, die Kredite seien hauptsächlich zur Bankenrettung, in den Finanzsektor geflossen und größtenteils nicht in Griechenland als Hilfe zum Wirtschaftsaufbau verwendet worden. Varoufakis' Kritik an den "schwarzen Löchern" ist also Teil seiner Kritik an dem seiner Auffassung nach zerstörerischen, weil rezessionsverursachenden Troikaprogramm, das zu einem Schuldenkreislauf führe.
Rekontextualisierung/Reframing:
Varoufakis' Kritik an den "schwarzen Löchern" wird von der ARD in einen falschen Kontext gestellt (contextomy), und zwar derart, dass der "Autor mehrerer Bücher zur Spieltheorie", nachdem er "kürzlich noch" der EU den Vorwurf des finanziellen Waterboardings gemacht hatte, "heute" nun angeblich im Widerspruch dazu ("lässt Würfel jeden Tag neu fallen") "bedauert", dass "so viele Milliarden der EU-Hilfszahlungen" in Griechenland "verschwunden" seien.
Aus dem gegebenen Kontext heraus kann der Zuschauer Varoufakis' Aussage über die "schwarzen Löcher" nur auf Griechenland beziehen (gezielte Nutzung von Implikaturen) und als bedauerndes (Schuld-)Eingeständnis des griechischen Finanzministers interpretieren, das im Gegensatz steht zu seinem kürzlich vorgebrachten harschen Vorwurf gegen das Troikaprogramm ("finanzielles Waterboarding").
Das Motiv für die angebliche Verhaltensänderung des "Autor[s] mehrerer Bücher zur Spieltheorie" gegenüber den "europäischen Partnern" ist im Kontext der am selben Tag angekündigten angeblich unfinanzierten "Verheißungen" (s. Geschichte 1) für den Zuschauer leicht als Strategie in einem Spiel um Milliarden deutbar.
"Varoufakis weiß, dass in einem Monat das letzte Hilfspaket aus Brüssel ausläuft", so lautet die Deutungshilfe der Korrespondentin im Duktus eines allwissenden Erzählers.
Der nun folgende O-Ton aus der Pressekonferenz entlarvt Yanis Varoufakis endgültig als unehrlich:
"Ich hatte vorausgesagt, dass die harschen Töne aus dem Ausland, diese Drohkulisse, die Verunsicherung des griechischen Durchschnittswählers [...] der Vernunft, der Bereitschaft zur Zusammenarbeit weichen würde."
Der Zuschauer kann die "harschen Töne" der Vergangenheit, die Varoufakis hier dem "Ausland" zuschreibt, mangels kontextueller Einordnung nur auf Varoufakis' eigene "harsche Töne“
(rück-)beziehen: ("finanzielles Waterboarding"). Seine Worte fallen wie ein Bumerang auf ihn selbst zurück.
Die logische Schlussfolgerung aus den (scheinbar) widersprüchlichen Aussagen des griechischen Finanzministers formuliert die Korrespondentin am Ende des Beitrags in Form einer Frage an die Zuschauer "[...] Ist der Spieltheoretiker ein Player?". Dabei zeigt sie den griechischen Finanzminister inmitten eines Blitzlichtgewitters von Pressefotografen (Symbolbild).
Die Schlusssequenz vereint beide Teile des Oxymorons: den "Ernst" der angeblich unfinanzierten Wiedereinstellung von angeblich 10.000 Staatsbediensteten mit dem angeblichen taktischen "Spiel" des griechischen Finanzministers:
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Mira Barthelmann/Off: Wie weit wird Varoufakis gehen?
Ist der Spieltheoretiker ein Player?
Sein Einsatz, die 10.000 Staatsbediensteten wieder in den Dienst zu stellen, er ist hoch. Despina Kostopoulou fühlt sich nach all den Monaten des Protests jedenfalls bestätigt. Despina Kostopoulou/On: Wir haben unser Recht bekommen [...]. Mira Barthelmann/Off: Die neue Regierung von Athen [...] darf auf dem Weg zur Lösung der Schuldenkrise keine Zeit mehr verspielen.
[79] Arthur Schopenhauer: Eristische Dialektik oder die Kunst, Recht zu behalten, Zürich 1985, S.44.
3 Die Geschichte vom ernsten Spiel (Teil III)
3 Die Geschichte vom ernsten Spiel (Teil III) - der Trickster - ein Profi fürs Zocken auf allerhöchstem Niveau
Fortsetzung der Tagesthemen vom 28. Januar 2015
Im anschließenden Schaltgespräch liefert dann Korrespondent Rolf-Dieter Krause (WDR) explizit die Antwort auf die in der Schlusssequenz des vorangegangenen Beitrags gestellte Frage: "Ist der Spieltheoretiker ein Player?": Varoufakis wird als "Profi für's Zocken auf allerhöchstem Niveau" dargestellt.
Mira Barthelmann (BR)/Off: Wie weit wird Varoufakis gehen? Ist der Spieltheoretiker ein Player? Sein Einsatz, die 10.000 Staatsbediensteten wieder in den Dienst zu stellen, ist hoch. [...] Die neue Regierung darf zur Lösung der Schuldenkrise keine Zeit mehr verspielen. [Anm.: Die neue Regierung ist seit einem Tag im Amt, Vereidigung der Minister am 27.Januar 2015].
Schlüsselwörter: Spieltheoretiker, Profi fürs Zocken auf allerhöchstem Niveau, zockt mit hohem Einsatz, mit Russland zusammenspielen
Falschinformation:
" [...] Spieltheorie ist nicht etwa eine Anleitung fürs Spielcasino, sondern ein vor allem auf der Mathematik basierendes, auch in der Ökonomie verbreitetes Erkenntnisinstrument, bei dem komplexe Entscheidungssituationen mathematisch abgebildet werden. Der deutsche Spieltheoretiker Reinhard Selten hat für seine Leistungen auf dem Gebiet der Spieltheorie sogar den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. Mit „Zocken“ – wie Krause meint – hat das nun wirklich nichts zu tun [...]." [80] (Wolfgang Lieb)
Bedeutungsreframing:
Hier wird eine Technik des negative campaigning angewandt: die Umkehrung von Stärken des politischen Kontrahenten in Schwächen - in diesem Fall durch eine semantische Umdeutung (Bedeutungsreframing): Die Stärke des griechischen Finanzministers, ein international anerkannter Wirtschaftswissenschaftler zu sein, dessen Expertise zu Ursachen und Lösungen der griechischen bzw. europäischen Wirtschaftskrise unter Experten auf weit mehr Beachtung stoßen dürfte als diejenige des Juristen Wolfgang Schäuble, wird argumentativ gegen ihn gerichtet. Yanis Varoufakis' Fachkompetenz wird unter semantischer Umdeutung des Begriffs "Spieltheorie" umgemünzt in einen Mangel an Vertrauenswürdigkeit: "Zocker auf höchstem Niveau" (ad hominem), den der Korrespondent in der oben zitierten Äußerung generalisierend auf die gesamte neue griechische Regierung überträgt ("Und es sieht so aus, als ob die neue griechische Regierung wirklich mit einem sehr hohen Einsatz zockt. Sie deutet ja an, [...] vielleicht mit Russland zusammenzuspielen").
Dass diese Umdeutung nicht zufällig vom Korrespondenten geäußert wird, zeigt die feine semantische Abstimmung zwischen Schaltgespräch und vorangegangenem Beitrag von Mira Barthelmann (s. o.), in dem die Umdeutung begrifflich vorbereitet worden war: "Autor mehrerer Bücher zur Spieltheorie", "lässt Würfel jeden Tag neu fallen", Spieltheoretiker als "Player", "hoher Einsatz" sowie "verspielen". Diese hohe framespezifische Metaphern-Dichte aus dem Wortfeld "Spielen" zielt darauf ab, dass der Beitrag überwiegend auf der Gefühlsebene rezipiert wird.
Die diesbezügliche Beschwerde der Publikumskonferenz hat WDR-Intendant Tom Buhrow mit der Begründung abgelehnt, bei dem Ausdruck "Zocker auf allerhöchstem Niveau" handele es sich nicht um Polemik, sondern um eine "pointierte Beschreibung" der ersten Amtshandlungen von Yanis Varoufakis. Es sei "nicht Anliegen" des Korrespondenten, "innerhalb der Tagesthemen eine wissenschaftliche Abhandlung zur Spieltheorie zu liefern." [81]
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[80] Wolfgang Lieb: Rubrik: Das Letzte, in: Nachdenkseiten, Hinweise des Tages, 29.01.2015.
[81] Tom Buhrow: Antwort auf die Programmbeschwerde der Publikumskonferenz zu den Tagesthemen vom 28.01.2015.
Fortsetzung der Tagesthemen vom 28. Januar 2015
Im anschließenden Schaltgespräch liefert dann Korrespondent Rolf-Dieter Krause (WDR) explizit die Antwort auf die in der Schlusssequenz des vorangegangenen Beitrags gestellte Frage: "Ist der Spieltheoretiker ein Player?": Varoufakis wird als "Profi für's Zocken auf allerhöchstem Niveau" dargestellt.
Mira Barthelmann (BR)/Off: Wie weit wird Varoufakis gehen? Ist der Spieltheoretiker ein Player? Sein Einsatz, die 10.000 Staatsbediensteten wieder in den Dienst zu stellen, ist hoch. [...] Die neue Regierung darf zur Lösung der Schuldenkrise keine Zeit mehr verspielen. [Anm.: Die neue Regierung ist seit einem Tag im Amt, Vereidigung der Minister am 27.Januar 2015].
Fakten und Analyse:Caren Miosga (WDR) im Schaltgespräch: "[...] Rolf-Dieter Krause, ist man denn in Brüssel immer noch so gelassen [...]?" Spieltheoretiker sozusagen ein Profi fürs Zocken auf allerhöchstem Niveau ist - sowohl in der Wirtschaft wie der Politik - der hat viele nachdenklich gemacht. Und es sieht so aus, als ob die neue Regierung wirklich mit einem sehr hohen Einsatz zockt. Sie deutet ja an, z.B. durch ihre Kritik an möglichen weiteren Sanktionen und ihren Widerstand dagegen - und das geht nur einstimmig -, dass sie ja vielleicht auch noch einen Plan B hat [...] mit Russland zusammenzuspielen".Rolf-Dieter Krause (WDR): "Naja, die Gelassenheit ist ein bisschen verflogen, in der Tat. Gerade dieser Finanzminister, der eben als
Schlüsselwörter: Spieltheoretiker, Profi fürs Zocken auf allerhöchstem Niveau, zockt mit hohem Einsatz, mit Russland zusammenspielen
Falschinformation:
" [...] Spieltheorie ist nicht etwa eine Anleitung fürs Spielcasino, sondern ein vor allem auf der Mathematik basierendes, auch in der Ökonomie verbreitetes Erkenntnisinstrument, bei dem komplexe Entscheidungssituationen mathematisch abgebildet werden. Der deutsche Spieltheoretiker Reinhard Selten hat für seine Leistungen auf dem Gebiet der Spieltheorie sogar den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. Mit „Zocken“ – wie Krause meint – hat das nun wirklich nichts zu tun [...]." [80] (Wolfgang Lieb)
Bedeutungsreframing:
Hier wird eine Technik des negative campaigning angewandt: die Umkehrung von Stärken des politischen Kontrahenten in Schwächen - in diesem Fall durch eine semantische Umdeutung (Bedeutungsreframing): Die Stärke des griechischen Finanzministers, ein international anerkannter Wirtschaftswissenschaftler zu sein, dessen Expertise zu Ursachen und Lösungen der griechischen bzw. europäischen Wirtschaftskrise unter Experten auf weit mehr Beachtung stoßen dürfte als diejenige des Juristen Wolfgang Schäuble, wird argumentativ gegen ihn gerichtet. Yanis Varoufakis' Fachkompetenz wird unter semantischer Umdeutung des Begriffs "Spieltheorie" umgemünzt in einen Mangel an Vertrauenswürdigkeit: "Zocker auf höchstem Niveau" (ad hominem), den der Korrespondent in der oben zitierten Äußerung generalisierend auf die gesamte neue griechische Regierung überträgt ("Und es sieht so aus, als ob die neue griechische Regierung wirklich mit einem sehr hohen Einsatz zockt. Sie deutet ja an, [...] vielleicht mit Russland zusammenzuspielen").
Dass diese Umdeutung nicht zufällig vom Korrespondenten geäußert wird, zeigt die feine semantische Abstimmung zwischen Schaltgespräch und vorangegangenem Beitrag von Mira Barthelmann (s. o.), in dem die Umdeutung begrifflich vorbereitet worden war: "Autor mehrerer Bücher zur Spieltheorie", "lässt Würfel jeden Tag neu fallen", Spieltheoretiker als "Player", "hoher Einsatz" sowie "verspielen". Diese hohe framespezifische Metaphern-Dichte aus dem Wortfeld "Spielen" zielt darauf ab, dass der Beitrag überwiegend auf der Gefühlsebene rezipiert wird.
Die diesbezügliche Beschwerde der Publikumskonferenz hat WDR-Intendant Tom Buhrow mit der Begründung abgelehnt, bei dem Ausdruck "Zocker auf allerhöchstem Niveau" handele es sich nicht um Polemik, sondern um eine "pointierte Beschreibung" der ersten Amtshandlungen von Yanis Varoufakis. Es sei "nicht Anliegen" des Korrespondenten, "innerhalb der Tagesthemen eine wissenschaftliche Abhandlung zur Spieltheorie zu liefern." [81]
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[80] Wolfgang Lieb: Rubrik: Das Letzte, in: Nachdenkseiten, Hinweise des Tages, 29.01.2015.
[81] Tom Buhrow: Antwort auf die Programmbeschwerde der Publikumskonferenz zu den Tagesthemen vom 28.01.2015.
4 Die Geschichte von Kotzias einsam in Europa
4 Die Geschichte von Kotzias einsam in Europa - Außenministertreffen in Brüssel
Tagesthemen vom 29.01.2015 [82]
Den politischen Kontrahenten als isoliert darzustellen, ist ein Mittel, sich den sog. Bandwagoneffekt zunutze zu machen: die Neigung der meisten Menschen, sich u.a. aus Isolationsfurcht der Mehrheit bzw. den "Siegern" anzuschließen.
Die Geschichte vom angeblich isolierten griechischen Außenminister wird im folgenden Filmbeitrag von Korrespondentin Bettina Scharkus (WDR) linear im Mini-Format der "Heldenreise" inklusive des aristotelischen Dreiaktschemas erzählt:
1. Akt (Exposition samt Charakterisierung des Helden, Vorstellung des Konflikts),
2. Akt (steigende Handlung sowie Höhe- und Wendepunkt, hier inkl. Aufeinandertreffen der Kontrahenten) sowie
3. Akt (Konsequenz oder Auflösung, im vorliegenden Fall in Form der Läuterung des Helden und des Zuschauers, Katharsis).
"Durch derart dramaturgisch aufgebaute Geschichten kann auch im Journalismus ein Lernprozess beim Rezipienten ausgelöst werden." [83]
(Simon Sturm: Digitales Storytelling: Eine Einführung in neue Formen des Qualitätsjournalismus)
Das Fazit der Korrespondentin:
Schlüsselbilder: Gesichtsausdruck als Reflexion des Konflikts: lachender ("sichtlich aufgeräumt") vs. ernst dreinblickender Außenpolitiker ("schlechte Stimmung dagegen bei den anderen Außenministern"), letzte Kameraeinstellung: wehende EU-Flagge unter bewölktem Himmel
Schlüsselwörter: Schlagabtausch, Geldpoker, russlandfreundlich, frischgebackener Außenminister, querschoss, schlechte Stimmung, linkspopulistischer Grieche, kräftig ins Gebet genommen (Assoziationen: Unartigkeit, rügen, ermahnen, disziplinieren, zur Vernunft bringen...)
Falschinformationen:
a) In der am 27. Januar 2015 verbreiteten EU-Erklärung zu neuen Russland-Sanktionen waren aufgrund von Kämpfen in Mariupol (Ukraine) neue Wirtschaftssanktionen gegen Russland angedroht worden (s. Anmoderation Caren Miosga). Beim zwei Tage später stattfindenden Außenministertreffen wurden - wie Bettina Scharkus berichtet - dann aber doch keine neuen Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt. Die Entscheidung hierüber wurde vertagt. Stattdessen wurden lediglich Sanktionen gegen weitere Einzelpersonen und Einrichtungen ausgeweitet.
Der Grund: Anders als die Tagesthemen behaupten, war die EU in der Frage der Verhängung neuer Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht einig. Diejenigen, die dagegen waren (inklusive Griechenland), haben sich schließlich gegen v. a. Großbritannien und die baltischen Staaten durchgesetzt. Von einem ins Gebet genommenen und deswegen von seiner Position abgewichenen Nikos Kotzias kann also keine Rede sein.
b) "Die gemeinsame europäische Außenpolitik" hatte vor Griechenland schon Deutschland "mal eben" (Caren Miosga) in Frage gestellt. Die Positionen des deutschen Außenministers vom Dezember 2014 und des deutschen Vizekanzlers von Anfang Januar 2015 stimmen jedenfalls mit den "schrillen Tönen" (Bettina Scharkus), wie sie der griechische Außenminister geäußert haben soll, "erstaunlich" überein:
"Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier rückt von der Sanktionspolitik des Westens gegenüber Russland ab. In einem Interview mit dem 'Spiegel' warnte er vor den Folgen der Strafmaßnahmen. Auf die Frage, ob er besorgt sei, dass Russland destabilisiert werde, falls Europa die Sanktionen nicht lockere, erklärte der Minister: 'Die Sorge habe ich.' Wer Russland wirtschaftlich in die Knie zwingen wolle, werde damit nicht mehr Sicherheit in Europa schaffen. 'Ich kann davor nur warnen', bekräftigte Steinmeier." [84]
"Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat den Westen vor einer weiteren Schwächung Russlands durch noch schärfere Sanktionen gewarnt. ’Wer das will, provoziert eine noch viel gefährlichere Lage für uns alle in Europa', sagte der Vizekanzler und SPD-Vorsitzende der Zeitung 'Bild am Sonntag'. 'Diejenigen, die Russland jetzt wirtschaftlich und politisch noch mehr destabilisieren wollen, verfolgen ganz andere Interessen', warnte er." [85]
c) Im Vorfeld des Außenministertreffens hatten Österreich, Italien und die Slowakei Bedenken geäußert:
"Neben Griechenland haben jedoch auch andere EU-Regierungen wie Österreich, Italien oder die Slowakei Vorbehalte. ’Sanktionen und die Verschärfung von Sanktionen sind nur, im besten Fall, Notfalllösungen, die aber niemals einen Friedensplan ersetzen können', sagte der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann. Außenminister Sebastian Kurz sprach sich dafür aus, weitere Personen oder Einrichtungen mit Sanktionen zu belegen, statt wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen Russland zu verhängen." [86]
Dekontextualisierung/Auslassung:
"Andere Länder wie etwa Italien und Österreich" (Reuters) hatten der Verhängung neuer Wirtschaftssanktionen ebenfalls nicht zugestimmt bzw. für eine Verschiebung der Entscheidung gestimmt.
"While the Greeks did call for the decision on tighter sanctions to be delayed, they were not alone: other countries such as Italy and Austria also favored a delay, diplomats said, while Britain and the Baltic states wanted a clearer commitment to imposing new sanctions quickly." [87]
Rekontextualisierung/Reframing:
a) Dem Zuschauer wird das Außenministertreffen durch den Erwachsenen-Teenager-Frame vermittelt: Durch die Eingangsszene des Beitrags wird der "sichtlich aufgeräumte []" neue griechische Außenminister als infantil charakterisiert. Diese Charakterisierung wird mit dem Begriff "querschießen" fortgeführt und liefert die Legitimation dafür, dass der "frischgebackene" Außenminister von seinen Kollegen später angeblich "kräftig ins Gebet genommen" wird.
Dass bei allen übrigen Außenministern "schlechte Stimmung" geherrscht haben soll, illustriert der Film anhand einer Momentaufnahme des Gesichtsausdrucks des irischen Außenministers Charles Flanagan.
Off: Schlechte Stimmung dagegen bei den anderen Außenministern..."
Das Etablieren narrativer Zusammenhänge durch eine metaphorische Text-Bild-Beziehung innerhalb journalistischen Erzählens erläutert Karl N. Renner folgendermaßen:
"Bei der metaphorischen Vorgehensweise wird ein illustrierendes Bild benutzt, um das sprachlich beschriebene Geschehen im Sinne des narrativen Musters zu interpretieren, das durch das Symbolbild induziert wird". [88]
"Derartige Beziehungen zwischen Sprache und Bild lassen sich auch beim Off-Kommentar journalistischer Filmbeiträge beobachten. Dort bilden sie das Einfallstor für Manipulationen aller Art." [89]
b) Dass die griechische Delegation nicht isoliert gewesen war, äußert der griechische Außenminister nach der Abstimmung gegenüber Journalisten, wenn er sagt: "Wir waren dabei mit im Mainstream. Wir sind nicht die bösen Jungs, wie Sie gesagt haben."[90] [Nikos Kotzias greift hier den ihm gegenüber verwendeten Erwachsenen-Teenager-Frame auf.]
Die Tagesthemen aber setzen den O-Ton in einen sachwidrigen Kontext (contextomy), so dass der Zuschauer annehmen muss, Nikos Kotzias' Aussage sei ein "Wahrheitsbeweis", also ein Authentizitätsnachweis dafür, dass er, nachdem er "kräftig ins Gebet genommen" worden sei, von seinem ursprünglichen Standpunkt abgewichen sei ("klang der frischgebackene Außenminister ganz anders"): "Wir Griechen waren dabei im Mainstream, wir sind nicht der böse Junge gewesen."
Funktion des Beitrags:
a) Der Beitrag ist ein aussagekräftiges Beispiel für Aufmerksamkeitsmanagement durch Ablenkung (Red Herring): Die Tatsache, dass sich die EU auf die Verhängung neuer Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht einigen konnte, wird von der Korrespondentin als Minimalkonsens bezeichnet, der den Beleg dafür liefere, dass die EU trotz der "schrillen Töne" der neuen griechischen Regierung "auch heute mit einer Stimme gesprochen" habe.
Die letzte Kameraeinstellung zeigt dementsprechend als Symbolbild die wehende EU-Flagge, über der sich die Sonne durch eine Wolkendecke kämpft. Tatsächlich lautete die ursprüngliche Behauptung aber, dass sich die EU mit Ausnahme von Griechenland über die Verhängung neuer Wirtschaftssanktionen gegen Russland einig sei (vgl. Anmoderation Caren Miosga). Diese Behauptung wurde durch das Außenministertreffen aber widerlegt.
Die Dramaturgie des Tagesthemen-Beitrags folgt der politischen Inszenierung. Der deutsche Außenminister hatte in seinem oben zitierten Statement die Aufmerksamkeit gekonnt auf die Außenseiterrolle Griechenlands gelenkt und damit von der Frage abgelenkt, ob er selbst bzw. Deutschland überhaupt die Verhängung neuer Wirtschaftssanktionen gegen Russland befürwortet.
b) Der Beitrag ist auch ein anschauliches Beispiel für die Funktionsweise narrativer Persuasion. Die Aussage, dass der griechische Außenminister von seinen Kollegen "kräftig ins Gebet genommen wurde" und daraufhin seine Meinung ändert, läuft zwar dem journalistischen Faktizitätsanspruch zuwider, ist aber dramaturgisch gesehen zwingende Voraussetzung für die bezweckte Läuterung (Katharsis):
"Unter Katharsis ist nicht die des Helden gemeint, sondern die des Zuschauers. [...]. Auch beim Drama lernt der Zuschauer aus den Fehlern des Helden nämlich", [91] erklärt der Storytelling-Trainer der ARD.ZDF Medienakademie Christian Friedl in seinem Ratgeber "Hollywood im journalistischen Alltag".
Die Lernpsychologie bezeichnet diesen Vorgang als Lernen am Modell oder Beobachtungslernen (Albert Bandura). In diesem Fall lernt der Zuschauer: "Quertreiber waren und sind in der EU-Außenpolitik und -wirkung nicht erwünscht." (Bandwagon-Argument, s. o.). Mit dieser Moral von der Geschicht' beendet Korrespondentin Mira Barthelmann ihren sich in denselben Tagesthemen anschließenden Beitrag über die Reaktion der EU auf die griechisch-russischen Beziehungen.
Anhand des Minidramas über das Außenministertreffen lernt der Zuschauer gleichzeitig eine als erfolgreich dargestellte Lösungsmöglichkeit für den aktuellen Konflikt mit Griechenland: Griechenland muss diszipliniert werden ("kräftig ins Gebet genommen"). Das verdeutlicht dann auch Korrespondent Rolf-Dieter Krause dem Zuschauer in seinem abschließenden Kommentar derselben Tagesthemen:
Dass aus Europa kein großes Griechenland wird, das müsse man Griechenland "jetzt ganz schnell klarmachen. Freundlich, aber bestimmt und notfalls auch ganz kühl und hart."
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[82] Tagesthemen vom 29.01.2015. In der Mediathek gelöscht, auf YouTube verfügbar.
[83] Simon Sturm: Digitales Storytelling. Eine Einführung in neue Formen des Qualitätsjournalismus, Wiesbaden 2013, S. 35.
[84] N-tv: Steinmeier warnt vor Folgen der Sanktionen, 19.12.2014.
[85] Frankfurter Allgemeine Zeitung: Gabriel warnt vor Destabilisierung Russlands, 04.01.2015.
[86] Reuters (Nachrichtenagentur): EU-Außenminister ringen mit Athen um Russland-Politik, 29.01.2015.
[87] Reuters (Nachrichtenagentur): EU wins Greek backing to extend Russia sanctions, delay decision on new steps, 29.01.2015.
[88] Karl N. Renner: Journalistische Wirklichkeitserzählungen und fotografische Bilder, in: DIEGESIS 2, H. 2/ 2013.
[89] Ebd.
[90] Euronews: EU extends Russian Sanctions, 29.01.2015.
[91] Christian Friedl: Hollywood im journalistischen Alltag, Wiesbaden 2013, S. 204.
Tagesthemen vom 29.01.2015 [82]
Den politischen Kontrahenten als isoliert darzustellen, ist ein Mittel, sich den sog. Bandwagoneffekt zunutze zu machen: die Neigung der meisten Menschen, sich u.a. aus Isolationsfurcht der Mehrheit bzw. den "Siegern" anzuschließen.
Die Geschichte vom angeblich isolierten griechischen Außenminister wird im folgenden Filmbeitrag von Korrespondentin Bettina Scharkus (WDR) linear im Mini-Format der "Heldenreise" inklusive des aristotelischen Dreiaktschemas erzählt:
1. Akt (Exposition samt Charakterisierung des Helden, Vorstellung des Konflikts),
2. Akt (steigende Handlung sowie Höhe- und Wendepunkt, hier inkl. Aufeinandertreffen der Kontrahenten) sowie
3. Akt (Konsequenz oder Auflösung, im vorliegenden Fall in Form der Läuterung des Helden und des Zuschauers, Katharsis).
"Durch derart dramaturgisch aufgebaute Geschichten kann auch im Journalismus ein Lernprozess beim Rezipienten ausgelöst werden." [83]
(Simon Sturm: Digitales Storytelling: Eine Einführung in neue Formen des Qualitätsjournalismus)
Der Mainstream, so erklärt die Korrespondentin, bestehe darin, dass die Sanktionen erst einmal nur "vorsichtig verschärft" würden (weitere Einreiseverbote und Kontosperrungen für Einzelpersonen und Einrichtungen).Caren Miosga (WDR): "Es ist nicht nur die griechische Abkehr vom Sparkurs, der die Europäer sorgt, nun dürfte es auch einen außenpolitischen Schlagabtausch gegeben haben [...]: Athen hatte nämlich überraschend verkündet, es mache nicht mit, wenn die EU Russland neue Sanktionen androht. Brüssel reagierte irritiert. Gehört das jetzt zum Geldpoker mit der EU oder steckt dahinter tatsächlich ein russlandfreundlicher Kurs? Dann würde die neue griechische Regierung mal eben die gemeinsame europäische Außenpolitik in Frage stellen [...]."
1. Akt
Nikos Kotzias/On: Ich muss jetzt verhandeln, haben Sie eine gute Zeit.
Bettina Scharkus/Off: … ruft ein sichtlich aufgeräumter Nikos Kotzias den Reportern vor dem Treffen zu.
Schlechte Stimmung dagegen bei den anderen Außenministern: Bisher zeigte sich Europa gegenüber Russland erstaunlich geschlossen, bis die neue Regierung aus Athen querschoss.
Frank-Walter Steinmeier/On: Es ist Ihnen nicht verborgen geblieben, dass durch die neue Haltung der griechischen Regierung die Debatte heute auch nicht einfacher geworden ist.
2. Akt
Bettina Scharkus/Off: Drinnen wurde der linkspopulistische Grieche dann kräftig von den Ministern ins Gebet genommen, u. a. in einem Vier-Augen-Gespräch mit Frank-Walter Steinmeier.
3. Akt
Am Abend klang der frischgebackene Außenminister dann auch ganz anders:
Nikos Kotzias/On: [...] Wir Griechen waren dabei mit im Mainstream, wir sind nicht der böse Junge gewesen.
Das Fazit der Korrespondentin:
Fakten und Analyse:Bettina Scharkus/Off: Am Ende steht heute ein Minimalkonsens. Kein großer Wurf, immerhin: Trotz der schrillen Töne von Alexis Tsipras' neuer Regierung - Europa hat auch heute mit einer Stimme gesprochen.
Schlüsselbilder: Gesichtsausdruck als Reflexion des Konflikts: lachender ("sichtlich aufgeräumt") vs. ernst dreinblickender Außenpolitiker ("schlechte Stimmung dagegen bei den anderen Außenministern"), letzte Kameraeinstellung: wehende EU-Flagge unter bewölktem Himmel
Schlüsselwörter: Schlagabtausch, Geldpoker, russlandfreundlich, frischgebackener Außenminister, querschoss, schlechte Stimmung, linkspopulistischer Grieche, kräftig ins Gebet genommen (Assoziationen: Unartigkeit, rügen, ermahnen, disziplinieren, zur Vernunft bringen...)
Falschinformationen:
a) In der am 27. Januar 2015 verbreiteten EU-Erklärung zu neuen Russland-Sanktionen waren aufgrund von Kämpfen in Mariupol (Ukraine) neue Wirtschaftssanktionen gegen Russland angedroht worden (s. Anmoderation Caren Miosga). Beim zwei Tage später stattfindenden Außenministertreffen wurden - wie Bettina Scharkus berichtet - dann aber doch keine neuen Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt. Die Entscheidung hierüber wurde vertagt. Stattdessen wurden lediglich Sanktionen gegen weitere Einzelpersonen und Einrichtungen ausgeweitet.
Der Grund: Anders als die Tagesthemen behaupten, war die EU in der Frage der Verhängung neuer Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht einig. Diejenigen, die dagegen waren (inklusive Griechenland), haben sich schließlich gegen v. a. Großbritannien und die baltischen Staaten durchgesetzt. Von einem ins Gebet genommenen und deswegen von seiner Position abgewichenen Nikos Kotzias kann also keine Rede sein.
b) "Die gemeinsame europäische Außenpolitik" hatte vor Griechenland schon Deutschland "mal eben" (Caren Miosga) in Frage gestellt. Die Positionen des deutschen Außenministers vom Dezember 2014 und des deutschen Vizekanzlers von Anfang Januar 2015 stimmen jedenfalls mit den "schrillen Tönen" (Bettina Scharkus), wie sie der griechische Außenminister geäußert haben soll, "erstaunlich" überein:
"Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier rückt von der Sanktionspolitik des Westens gegenüber Russland ab. In einem Interview mit dem 'Spiegel' warnte er vor den Folgen der Strafmaßnahmen. Auf die Frage, ob er besorgt sei, dass Russland destabilisiert werde, falls Europa die Sanktionen nicht lockere, erklärte der Minister: 'Die Sorge habe ich.' Wer Russland wirtschaftlich in die Knie zwingen wolle, werde damit nicht mehr Sicherheit in Europa schaffen. 'Ich kann davor nur warnen', bekräftigte Steinmeier." [84]
"Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat den Westen vor einer weiteren Schwächung Russlands durch noch schärfere Sanktionen gewarnt. ’Wer das will, provoziert eine noch viel gefährlichere Lage für uns alle in Europa', sagte der Vizekanzler und SPD-Vorsitzende der Zeitung 'Bild am Sonntag'. 'Diejenigen, die Russland jetzt wirtschaftlich und politisch noch mehr destabilisieren wollen, verfolgen ganz andere Interessen', warnte er." [85]
c) Im Vorfeld des Außenministertreffens hatten Österreich, Italien und die Slowakei Bedenken geäußert:
"Neben Griechenland haben jedoch auch andere EU-Regierungen wie Österreich, Italien oder die Slowakei Vorbehalte. ’Sanktionen und die Verschärfung von Sanktionen sind nur, im besten Fall, Notfalllösungen, die aber niemals einen Friedensplan ersetzen können', sagte der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann. Außenminister Sebastian Kurz sprach sich dafür aus, weitere Personen oder Einrichtungen mit Sanktionen zu belegen, statt wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen Russland zu verhängen." [86]
Dekontextualisierung/Auslassung:
"Andere Länder wie etwa Italien und Österreich" (Reuters) hatten der Verhängung neuer Wirtschaftssanktionen ebenfalls nicht zugestimmt bzw. für eine Verschiebung der Entscheidung gestimmt.
"While the Greeks did call for the decision on tighter sanctions to be delayed, they were not alone: other countries such as Italy and Austria also favored a delay, diplomats said, while Britain and the Baltic states wanted a clearer commitment to imposing new sanctions quickly." [87]
Rekontextualisierung/Reframing:
a) Dem Zuschauer wird das Außenministertreffen durch den Erwachsenen-Teenager-Frame vermittelt: Durch die Eingangsszene des Beitrags wird der "sichtlich aufgeräumte []" neue griechische Außenminister als infantil charakterisiert. Diese Charakterisierung wird mit dem Begriff "querschießen" fortgeführt und liefert die Legitimation dafür, dass der "frischgebackene" Außenminister von seinen Kollegen später angeblich "kräftig ins Gebet genommen" wird.
Dass bei allen übrigen Außenministern "schlechte Stimmung" geherrscht haben soll, illustriert der Film anhand einer Momentaufnahme des Gesichtsausdrucks des irischen Außenministers Charles Flanagan.
Off: Schlechte Stimmung dagegen bei den anderen Außenministern..."
Das Etablieren narrativer Zusammenhänge durch eine metaphorische Text-Bild-Beziehung innerhalb journalistischen Erzählens erläutert Karl N. Renner folgendermaßen:
"Bei der metaphorischen Vorgehensweise wird ein illustrierendes Bild benutzt, um das sprachlich beschriebene Geschehen im Sinne des narrativen Musters zu interpretieren, das durch das Symbolbild induziert wird". [88]
"Derartige Beziehungen zwischen Sprache und Bild lassen sich auch beim Off-Kommentar journalistischer Filmbeiträge beobachten. Dort bilden sie das Einfallstor für Manipulationen aller Art." [89]
b) Dass die griechische Delegation nicht isoliert gewesen war, äußert der griechische Außenminister nach der Abstimmung gegenüber Journalisten, wenn er sagt: "Wir waren dabei mit im Mainstream. Wir sind nicht die bösen Jungs, wie Sie gesagt haben."[90] [Nikos Kotzias greift hier den ihm gegenüber verwendeten Erwachsenen-Teenager-Frame auf.]
Die Tagesthemen aber setzen den O-Ton in einen sachwidrigen Kontext (contextomy), so dass der Zuschauer annehmen muss, Nikos Kotzias' Aussage sei ein "Wahrheitsbeweis", also ein Authentizitätsnachweis dafür, dass er, nachdem er "kräftig ins Gebet genommen" worden sei, von seinem ursprünglichen Standpunkt abgewichen sei ("klang der frischgebackene Außenminister ganz anders"): "Wir Griechen waren dabei im Mainstream, wir sind nicht der böse Junge gewesen."
Funktion des Beitrags:
a) Der Beitrag ist ein aussagekräftiges Beispiel für Aufmerksamkeitsmanagement durch Ablenkung (Red Herring): Die Tatsache, dass sich die EU auf die Verhängung neuer Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht einigen konnte, wird von der Korrespondentin als Minimalkonsens bezeichnet, der den Beleg dafür liefere, dass die EU trotz der "schrillen Töne" der neuen griechischen Regierung "auch heute mit einer Stimme gesprochen" habe.
Die letzte Kameraeinstellung zeigt dementsprechend als Symbolbild die wehende EU-Flagge, über der sich die Sonne durch eine Wolkendecke kämpft. Tatsächlich lautete die ursprüngliche Behauptung aber, dass sich die EU mit Ausnahme von Griechenland über die Verhängung neuer Wirtschaftssanktionen gegen Russland einig sei (vgl. Anmoderation Caren Miosga). Diese Behauptung wurde durch das Außenministertreffen aber widerlegt.
Die Dramaturgie des Tagesthemen-Beitrags folgt der politischen Inszenierung. Der deutsche Außenminister hatte in seinem oben zitierten Statement die Aufmerksamkeit gekonnt auf die Außenseiterrolle Griechenlands gelenkt und damit von der Frage abgelenkt, ob er selbst bzw. Deutschland überhaupt die Verhängung neuer Wirtschaftssanktionen gegen Russland befürwortet.
b) Der Beitrag ist auch ein anschauliches Beispiel für die Funktionsweise narrativer Persuasion. Die Aussage, dass der griechische Außenminister von seinen Kollegen "kräftig ins Gebet genommen wurde" und daraufhin seine Meinung ändert, läuft zwar dem journalistischen Faktizitätsanspruch zuwider, ist aber dramaturgisch gesehen zwingende Voraussetzung für die bezweckte Läuterung (Katharsis):
"Unter Katharsis ist nicht die des Helden gemeint, sondern die des Zuschauers. [...]. Auch beim Drama lernt der Zuschauer aus den Fehlern des Helden nämlich", [91] erklärt der Storytelling-Trainer der ARD.ZDF Medienakademie Christian Friedl in seinem Ratgeber "Hollywood im journalistischen Alltag".
Die Lernpsychologie bezeichnet diesen Vorgang als Lernen am Modell oder Beobachtungslernen (Albert Bandura). In diesem Fall lernt der Zuschauer: "Quertreiber waren und sind in der EU-Außenpolitik und -wirkung nicht erwünscht." (Bandwagon-Argument, s. o.). Mit dieser Moral von der Geschicht' beendet Korrespondentin Mira Barthelmann ihren sich in denselben Tagesthemen anschließenden Beitrag über die Reaktion der EU auf die griechisch-russischen Beziehungen.
Anhand des Minidramas über das Außenministertreffen lernt der Zuschauer gleichzeitig eine als erfolgreich dargestellte Lösungsmöglichkeit für den aktuellen Konflikt mit Griechenland: Griechenland muss diszipliniert werden ("kräftig ins Gebet genommen"). Das verdeutlicht dann auch Korrespondent Rolf-Dieter Krause dem Zuschauer in seinem abschließenden Kommentar derselben Tagesthemen:
Dass aus Europa kein großes Griechenland wird, das müsse man Griechenland "jetzt ganz schnell klarmachen. Freundlich, aber bestimmt und notfalls auch ganz kühl und hart."
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[82] Tagesthemen vom 29.01.2015. In der Mediathek gelöscht, auf YouTube verfügbar.
[83] Simon Sturm: Digitales Storytelling. Eine Einführung in neue Formen des Qualitätsjournalismus, Wiesbaden 2013, S. 35.
[84] N-tv: Steinmeier warnt vor Folgen der Sanktionen, 19.12.2014.
[85] Frankfurter Allgemeine Zeitung: Gabriel warnt vor Destabilisierung Russlands, 04.01.2015.
[86] Reuters (Nachrichtenagentur): EU-Außenminister ringen mit Athen um Russland-Politik, 29.01.2015.
[87] Reuters (Nachrichtenagentur): EU wins Greek backing to extend Russia sanctions, delay decision on new steps, 29.01.2015.
[88] Karl N. Renner: Journalistische Wirklichkeitserzählungen und fotografische Bilder, in: DIEGESIS 2, H. 2/ 2013.
[89] Ebd.
[90] Euronews: EU extends Russian Sanctions, 29.01.2015.
[91] Christian Friedl: Hollywood im journalistischen Alltag, Wiesbaden 2013, S. 204.
5 Die Geschichte eines Jungenstreichs
5 Die Geschichte eines Jungenstreichs - der Trickster lacht sich ins Fäustchen - Troikakontrolle adé
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"Die Stunde der Wahrheit schlägt im Schnitt"
Ausschreibung zum Seminar "Cut, Content + Energy: Dramaturgie durch Montage", ARD.ZDF Medienakademie [92]
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Tagesschau vom 30.01.2015 [93]
Im folgenden Beitrag wird besonders gut deutlich, wie Bild und Off-Text zu einem narrativen Zusammenhang gefügt werden, der Wirklichkeit neu konstruiert.
Schauplatz: Athen.
Datum: 30.01.2015
Die Kontrahenten: der Chef der Eurogruppe Jeroen Dijsselbloem und Yanis Varoufakis, der neue griechische Finanzminister.
Der Konflikt (1. Akt): Griechenland plant heimlich einen Streich ("ausgeheckt"), den der Chef der Eurogruppe in Erfahrung bringen will.
Der Höhepunkt des Mini-Dramas (2. Akt): Ein "Affront": Griechenland lehnt die Zusammenarbeit mit der Troika ab.
Die Konsequenz (3. Akt) formuliert die Korrespondentin am Ende des Beitrags in Form eines Problems/Ausblicks: "Ohne Troika - keine neue Kredittranche".
Es folgt die Analyse des Höhepunkts ("der Affront").
Schlüsselbild: Sich angeblich ins Fäustchen lachender Varoufakis
Schlüsselwörter: ausgeheckt (Assoziationen: heimlich, im Verborgenen, frech, listig, einen Streich/Unerwünschtes vorbereiten), Affront, Troika kontrolliert
Dekontextualisierung/ Auslassung:
Dem Zuschauer wird ein zum Verständnis von Yanis Varoufakis' Aussage unbedingt notwendiger Kontext aus dem Jahr 2014 vorenthalten:
"EU-Parlament will Troika abschaffen - Sparen statt Wachstum, zu viel Diktat, zu wenig Transparenz: Das EU-Parlament übte scharfe Kritik an der Geldgeber-Troika [...] Das Dreier-Gremium soll abgeschafft werden." [94]
In dem im Jahr 2014 verabschiedeten Untersuchungsbericht kritisiert das EU-Parlament die unzureichende juristische und demokratische Legitimation der Troika. Weiterhin wurde u.a. kritisiert, dass das Gremium einseitig auf Sparmaßnahmen gesetzt und damit Wirtschaftsimpulse vernachlässigt habe. Der Bericht plädiert für eine Abschaffung der Troika.
Retextualisierung/Reframing:
Stattdessen wird Varoufakis' Aussage folgendermaßen eingeordnet:
a) Die Absage an die Zusammenarbeit mit der Troika sei im Finanzministerium "ausgeheckt" worden.
b) Die Ablehnung der Zusammenarbeit mit der Troika wird als "Affront" bezeichnet.
c) Die Troika wird als reines Kontrollgremium charakterisiert: "Die Troika kontrolliert [...] den Reformwillen und die Einhaltung der Sparvorgaben in Griechenland."
d) Die Videoaufnahme von der Pressekonferenz dokumentiert einen sich unmittelbar nach seiner Aussage ins Fäustchen lachenden Yanis Varoufakis.
"Die hierzulande weitgehend unkritische Darstellung der Troika-Institutionen als solche, die einfach nur die Einhaltung von bereits ausgehandelten Verträgen überwachen, sorgt dafür, dass jeder ihr Widersprechende automatisch als Vertragsbrecher wahrgenommen werden muss." [95]
(Michalis Pantelouris, siehe zur weiteren Einordnung auch die Dokumentation "Macht ohne Kontrolle" von Harald Schumann [96]).
Als "fallacy of Misleading Accent" bezeichnet der Philosoph T. Edward Damer die Strategie, jemanden zu einer unberechtigten Schlussfolgerung zu verleiten, "indem man eine unsachgemäße oder unübliche Betonung/Gewichtung auf ein Wort, eine Phrase oder einen einzelnen Aspekt eines Themas oder einer Behauptung" [97] legt.
Durch die Dramaturgie des Beitrags wird der Eindruck erweckt, dass Griechenland sich durch einen Trick bzw. Jungenstreich der Kontrolle seines Reformwillens entziehen wolle (irreführende Akzentuierung). Von Varoufakis' Kritik an der Troika als "antidemokratisch" und seinem Hinweis auf den Untersuchungsbericht des EU-Parlaments wird damit sofort abgelenkt (Red Herring) durch einen Gegenangriff (Rapid Response), der nicht nur die Reformwilligkeit Griechenlands, sondern erneut die Vertrauenswürdigkeit des griechischen Finanzministers in Zweifel zieht (ad hominem/innuendo).
Die Rekontextualisierung erfolgt dabei vor allem durch die Verwendung der Begriffe "aushecken" und "Affront" sowie den manipulativen Einsatz einer Montagetechnik, die dem Zuschauer vorspiegelt, Yanis Varoufakis habe sich unmittelbar nach Bekanntgabe seines ausgeheckten Troika-Streiches in der Pressekonferenz öffentlich ins Fäustchen gelacht. Durch eine solche sinnstiftende Montage wird ein Ursache-(Troika-Absage) Folge- (triumphierendes Grinsen) Zusammenhang konstruiert (Kausalschnitt).
Yanis Varoufakis/On: Aber mit der Troika [...]
wollen wir nicht zusammenarbeiten.
"Die Stunde der Wahrheit schlägt im Schnitt", heißt es in der Seminarausschreibung der ARD.ZDF Medienakademie zum Thema "Dramaturgie durch Montage" und "[...] jedes Detail beeinflusst das Zusammenspiel von Information und Emotion."
Das ungeschnittene Ausgangsmaterial beweist: Yanis Varoufakis lacht nicht nach seiner Troika-Aussage. Deutlich ist zu sehen, dass er danach auf eine Stellungnahme von Jeroen Dijsselbloem wartet, sich wundert, dass diese ausbleibt, mit einer Geste freundlich bedeutet, sich zu äußern, und dann, als er sich bewusst wird, dass Jeroen Dijsselbloem ja - nicht griechisch sprechend - erst noch das Ende der Übersetzung abwarten muss, erst dann lacht Varoufakis, offenbar verlegen über die eigene Ungeduld. [98]
Video Publikumskonferenz
Visuelle Manipulation ist sehr wirkmächtig, da Bilder - abgesehen von ihrer Emotionalisierungsfunktion - in besonderem Maße auch als Authentizitätsnachweise gelten ("Augenzeugenillusion") und damit dem Glaubwürdigkeitsanspruch - vor allem von Fernsehjournalismus - dienen.
Bildern wird "wie keinem anderen Medium eine verlässliche und nachhaltige Dokumentationsleistung zugeschrieben. Sie zeigen uns detailgetreu Szenen aus aller Welt, bringen uns sozusagen Eindrücke der Welt ins Wohnzimmer. Journalistische Bilder werden dabei als 'Zeugen' einer Situation, als 'wahr' und 'objektiv' gesehen. Teilweise wird ihnen – im Sinne von 'Sehen ist glauben' – sogar mehr Glauben geschenkt als dem gedruckten journalistischen Bericht". [99]
Dieses Beispiel zeigt anschaulich, durch welche dramaturgischen Mittel im Storytelling nicht-fiktionale Figuren "gezeichnet" werden können. Eine bloße Momentaufnahme eines lachenden Gesichtsausdrucks, dramaturgisch instrumentalisiert als mimischer Ausdruck der Provokation, wird zum augenfälligen Beweis der vermeintlichen Chuzpe der Syriza-Regierung.
Wie das Motorrad, die Lederjacke oder die fehlende Krawatte wird das "Trickster-Grinsen" zu einem, auch visuell dargestellten, Leitmotiv der Berichterstattung über die neue griechische Regierung. Diese medial vermittelten Wahrnehmungs- und Beurteilungskategorien stellen innerhalb des Erwachsenen-Teenager-Frames ein wesentliches Element des medial vermittelten Images der Syriza-Regierung dar:
"Die griechische Regierung handelt wie ein unberechenbarer Teenager. Sie provoziert, bricht Spielregeln und hat dazu noch ein freches Grinsen" - so ARD-Korrespondentin Angela Ulrich einige Monate später in einem Kommentar. [100]
Bereits im Beitrag zum Außenministertreffen wurde im Rahmen des Erwachsenen-Teenager-Frames der "querschießende" Außenminister als gut gelaunt charakterisiert.
Hier ein weiteres Beispiel für die Funktionsweise dieser indirekten Form der Charakterisierung:
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[92] Ausschreibung zum Seminar "Cut, Content + Energy: Dramaturgie durch Montage", ARD.ZDF Medienakademie.
[93] Tagesschau 30.01.2015.
[94] Süddeutsche Zeitung: EU-Parlament will Troika abschaffen, 13.03.2014.
[95] Michalis Pantelouris: Vom Mythos der technischen Institution. Michalis Pantelouris [Weblog], 05.04.2015.
[96] Harald Schumann: Troika. Macht ohne Kontrolle, in: Der Tagesspiegel, 24.02.2015.
[97] T. Edward Damer: a.a.O., S. 135.
[98] Yanis Varoufakis: Pressekonferenz vom 30.01.2015.
[99] Katharina Lobinger: Welche Rolle spielen Bilder in der Medienberichterstattung? In: Fragen. Antworten, 50 Jahre DGPUK, 2013, S. 18-19.
[100] Angela Ulrich: Rettet Griechenland, auch wenn es weh tut. Artikel-Version des Kommentars vom 08.07.2015. Von der ARD gelöscht.
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"Die Stunde der Wahrheit schlägt im Schnitt"
Ausschreibung zum Seminar "Cut, Content + Energy: Dramaturgie durch Montage", ARD.ZDF Medienakademie [92]
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Tagesschau vom 30.01.2015 [93]
Im folgenden Beitrag wird besonders gut deutlich, wie Bild und Off-Text zu einem narrativen Zusammenhang gefügt werden, der Wirklichkeit neu konstruiert.
Schauplatz: Athen.
Datum: 30.01.2015
Die Kontrahenten: der Chef der Eurogruppe Jeroen Dijsselbloem und Yanis Varoufakis, der neue griechische Finanzminister.
Der Konflikt (1. Akt): Griechenland plant heimlich einen Streich ("ausgeheckt"), den der Chef der Eurogruppe in Erfahrung bringen will.
Der Höhepunkt des Mini-Dramas (2. Akt): Ein "Affront": Griechenland lehnt die Zusammenarbeit mit der Troika ab.
Die Konsequenz (3. Akt) formuliert die Korrespondentin am Ende des Beitrags in Form eines Problems/Ausblicks: "Ohne Troika - keine neue Kredittranche".
Es folgt die Analyse des Höhepunkts ("der Affront").
Fakten und Analyse:Ende des 1. Aktes
Mira Barthelmann (BR)/Off: [...] Der Chef der Eurogruppe war vor allem gespannt auf die Zukunftspläne, die derzeit im griechischen Finanzministerium ausgeheckt werden.
2. Akt
Das Zusammentreffen mit Yanis Varoufakis endete mit einem Affront:
Yanis Varoufakis/On: Unsere Regierung wird mit größtem Engagement mit der Eurozone, der EU und dem IWF zusammenarbeiten, aber mit der Troika, die ein Programm umsetzen will, dessen Idee wir als antieuropäisch betrachten, die auch das europäische Parlament für nicht demokratisch legitimiert hält, wollen wir nicht zusammenarbeiten.
Mira Barthelmann/Off: Die Troika - entsandt von der EZB, IWF und der EU-Kommission: Sie kontrolliert in Griechenland seit 2010 den Reformwillen und die Einhaltung der Sparvorgaben in Griechenland. [...].
Schlüsselbild: Sich angeblich ins Fäustchen lachender Varoufakis
Schlüsselwörter: ausgeheckt (Assoziationen: heimlich, im Verborgenen, frech, listig, einen Streich/Unerwünschtes vorbereiten), Affront, Troika kontrolliert
Dekontextualisierung/ Auslassung:
Dem Zuschauer wird ein zum Verständnis von Yanis Varoufakis' Aussage unbedingt notwendiger Kontext aus dem Jahr 2014 vorenthalten:
"EU-Parlament will Troika abschaffen - Sparen statt Wachstum, zu viel Diktat, zu wenig Transparenz: Das EU-Parlament übte scharfe Kritik an der Geldgeber-Troika [...] Das Dreier-Gremium soll abgeschafft werden." [94]
In dem im Jahr 2014 verabschiedeten Untersuchungsbericht kritisiert das EU-Parlament die unzureichende juristische und demokratische Legitimation der Troika. Weiterhin wurde u.a. kritisiert, dass das Gremium einseitig auf Sparmaßnahmen gesetzt und damit Wirtschaftsimpulse vernachlässigt habe. Der Bericht plädiert für eine Abschaffung der Troika.
Retextualisierung/Reframing:
Stattdessen wird Varoufakis' Aussage folgendermaßen eingeordnet:
a) Die Absage an die Zusammenarbeit mit der Troika sei im Finanzministerium "ausgeheckt" worden.
b) Die Ablehnung der Zusammenarbeit mit der Troika wird als "Affront" bezeichnet.
c) Die Troika wird als reines Kontrollgremium charakterisiert: "Die Troika kontrolliert [...] den Reformwillen und die Einhaltung der Sparvorgaben in Griechenland."
d) Die Videoaufnahme von der Pressekonferenz dokumentiert einen sich unmittelbar nach seiner Aussage ins Fäustchen lachenden Yanis Varoufakis.
"Die hierzulande weitgehend unkritische Darstellung der Troika-Institutionen als solche, die einfach nur die Einhaltung von bereits ausgehandelten Verträgen überwachen, sorgt dafür, dass jeder ihr Widersprechende automatisch als Vertragsbrecher wahrgenommen werden muss." [95]
(Michalis Pantelouris, siehe zur weiteren Einordnung auch die Dokumentation "Macht ohne Kontrolle" von Harald Schumann [96]).
Als "fallacy of Misleading Accent" bezeichnet der Philosoph T. Edward Damer die Strategie, jemanden zu einer unberechtigten Schlussfolgerung zu verleiten, "indem man eine unsachgemäße oder unübliche Betonung/Gewichtung auf ein Wort, eine Phrase oder einen einzelnen Aspekt eines Themas oder einer Behauptung" [97] legt.
Durch die Dramaturgie des Beitrags wird der Eindruck erweckt, dass Griechenland sich durch einen Trick bzw. Jungenstreich der Kontrolle seines Reformwillens entziehen wolle (irreführende Akzentuierung). Von Varoufakis' Kritik an der Troika als "antidemokratisch" und seinem Hinweis auf den Untersuchungsbericht des EU-Parlaments wird damit sofort abgelenkt (Red Herring) durch einen Gegenangriff (Rapid Response), der nicht nur die Reformwilligkeit Griechenlands, sondern erneut die Vertrauenswürdigkeit des griechischen Finanzministers in Zweifel zieht (ad hominem/innuendo).
Die Rekontextualisierung erfolgt dabei vor allem durch die Verwendung der Begriffe "aushecken" und "Affront" sowie den manipulativen Einsatz einer Montagetechnik, die dem Zuschauer vorspiegelt, Yanis Varoufakis habe sich unmittelbar nach Bekanntgabe seines ausgeheckten Troika-Streiches in der Pressekonferenz öffentlich ins Fäustchen gelacht. Durch eine solche sinnstiftende Montage wird ein Ursache-(Troika-Absage) Folge- (triumphierendes Grinsen) Zusammenhang konstruiert (Kausalschnitt).
Yanis Varoufakis/On: Aber mit der Troika [...]
wollen wir nicht zusammenarbeiten.
"Die Stunde der Wahrheit schlägt im Schnitt", heißt es in der Seminarausschreibung der ARD.ZDF Medienakademie zum Thema "Dramaturgie durch Montage" und "[...] jedes Detail beeinflusst das Zusammenspiel von Information und Emotion."
Das ungeschnittene Ausgangsmaterial beweist: Yanis Varoufakis lacht nicht nach seiner Troika-Aussage. Deutlich ist zu sehen, dass er danach auf eine Stellungnahme von Jeroen Dijsselbloem wartet, sich wundert, dass diese ausbleibt, mit einer Geste freundlich bedeutet, sich zu äußern, und dann, als er sich bewusst wird, dass Jeroen Dijsselbloem ja - nicht griechisch sprechend - erst noch das Ende der Übersetzung abwarten muss, erst dann lacht Varoufakis, offenbar verlegen über die eigene Ungeduld. [98]
Video Publikumskonferenz
Visuelle Manipulation ist sehr wirkmächtig, da Bilder - abgesehen von ihrer Emotionalisierungsfunktion - in besonderem Maße auch als Authentizitätsnachweise gelten ("Augenzeugenillusion") und damit dem Glaubwürdigkeitsanspruch - vor allem von Fernsehjournalismus - dienen.
Bildern wird "wie keinem anderen Medium eine verlässliche und nachhaltige Dokumentationsleistung zugeschrieben. Sie zeigen uns detailgetreu Szenen aus aller Welt, bringen uns sozusagen Eindrücke der Welt ins Wohnzimmer. Journalistische Bilder werden dabei als 'Zeugen' einer Situation, als 'wahr' und 'objektiv' gesehen. Teilweise wird ihnen – im Sinne von 'Sehen ist glauben' – sogar mehr Glauben geschenkt als dem gedruckten journalistischen Bericht". [99]
Dieses Beispiel zeigt anschaulich, durch welche dramaturgischen Mittel im Storytelling nicht-fiktionale Figuren "gezeichnet" werden können. Eine bloße Momentaufnahme eines lachenden Gesichtsausdrucks, dramaturgisch instrumentalisiert als mimischer Ausdruck der Provokation, wird zum augenfälligen Beweis der vermeintlichen Chuzpe der Syriza-Regierung.
Wie das Motorrad, die Lederjacke oder die fehlende Krawatte wird das "Trickster-Grinsen" zu einem, auch visuell dargestellten, Leitmotiv der Berichterstattung über die neue griechische Regierung. Diese medial vermittelten Wahrnehmungs- und Beurteilungskategorien stellen innerhalb des Erwachsenen-Teenager-Frames ein wesentliches Element des medial vermittelten Images der Syriza-Regierung dar:
"Die griechische Regierung handelt wie ein unberechenbarer Teenager. Sie provoziert, bricht Spielregeln und hat dazu noch ein freches Grinsen" - so ARD-Korrespondentin Angela Ulrich einige Monate später in einem Kommentar. [100]
Bereits im Beitrag zum Außenministertreffen wurde im Rahmen des Erwachsenen-Teenager-Frames der "querschießende" Außenminister als gut gelaunt charakterisiert.
Hier ein weiteres Beispiel für die Funktionsweise dieser indirekten Form der Charakterisierung:
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[92] Ausschreibung zum Seminar "Cut, Content + Energy: Dramaturgie durch Montage", ARD.ZDF Medienakademie.
[93] Tagesschau 30.01.2015.
[94] Süddeutsche Zeitung: EU-Parlament will Troika abschaffen, 13.03.2014.
[95] Michalis Pantelouris: Vom Mythos der technischen Institution. Michalis Pantelouris [Weblog], 05.04.2015.
[96] Harald Schumann: Troika. Macht ohne Kontrolle, in: Der Tagesspiegel, 24.02.2015.
[97] T. Edward Damer: a.a.O., S. 135.
[98] Yanis Varoufakis: Pressekonferenz vom 30.01.2015.
[99] Katharina Lobinger: Welche Rolle spielen Bilder in der Medienberichterstattung? In: Fragen. Antworten, 50 Jahre DGPUK, 2013, S. 18-19.
[100] Angela Ulrich: Rettet Griechenland, auch wenn es weh tut. Artikel-Version des Kommentars vom 08.07.2015. Von der ARD gelöscht.
6 Die Geschichte vom Jungenstreich geht weiter
6 Die Geschichte vom Jungenstreich geht weiter - Wer zuletzt lacht, lacht am besten - und hat die Lacher auf seiner Seite
Tagesthemen vom 30.01.2015 [101]
In den Tagesthemen wird dem griechischen Finanzminister explizit die Motivation in den Mund gelegt, sich einer Kontrolle des Reformwillens durch die Troika entziehen zu wollen (irreführende Akzentuierung).
Dabei wird auch die journalistische Schreibregel verletzt, dass der indirekten Rede "wie im Grunde jeder indirekten Wiedergabe nicht entgegen der Intention des Redners eigenes Wortmaterial unterlegt werden" [102] darf:
Ellen Trapp/Off: Varoufakis gibt sich wieder cool, erklärt, dass zukünftig keine Kontrolleure von EU, EZB und IWF mehr die Reformen der Regierung überwachen dürfen [...].
Die Korrespondentin übernimmt die Rolle eines allwissenden Erzählers, der seine Figuren kommentiert und über deren Gedanken- bzw. Gefühlswelt Auskunft gibt.
An der ironisch-spöttischen Erzählhaltung gegenüber Yanis Varoufakis wird die Darstellung der eigenen Dominanz durch die Herabwürdigung des politischen Gegners deutlich.
Schlüsselbilder: Motorrad fahrender Finanzminister, lachender Gesichtsausdruck von Yanis Varoufakis und Lächeln von Jeroen Dijsselbloem
Schlüsselwörter: ganz schön cool, gibt sich wieder cool, Kontrolleure, überwachen
Dekontextualisierung/Auslassung:
Wie zuvor in der Tagesschau, unterbleibt auch in den Tagesthemen eine Einordnung der argumentativen Aussage von Yanis Varoufakis. Dem Zuschauer wird ein zum Verständnis seiner Aussage notwendiger Kontext vorenthalten:
In einem 2014 verabschiedeten Untersuchungsbericht kritisiert das EU-Parlament die unzureichende juristische und demokratische Legitimation der Troika. Weiterhin wurde u.a. kritisiert, dass das Gremium einseitig auf Sparmaßnahmen gesetzt und damit Wirtschaftsimpulse vernachlässigt habe. Der Bericht plädiert für eine Abschaffung der Troika.
Rekontextualisierung/Reframing:
a) Wie die Tagesschau durch den Begriff "aushecken" und die visuelle Hervorhebung eines sich angeblich amüsierenden Yanis Varoufakis Assoziationen zum frechen Streichespielen Minderjähriger aktiviert hatte, (re-)kontextualisiert auch Korrespondentin Ellen Trapp durch das Zusammenspiel von Off-Text und Bild-Erzählen die Entscheidung des griechischen Finanzministers als freches Teenagerverhalten, in dem sich auch das Trickster-Motiv erneut widerspiegelt.
Der Erwachsenen-Teenager-Frame wird v.a. durch die zweimalige Verwendung des Begriffs 'cool' aktiviert ("ganz schön cool" und "gibt sich cool"), das Zeigen einer ca. 14 Sekunden lang andauernden Videosequenz, die den griechischen Finanzminister beim Motorradfahren zeigt (visuelles Framing), sowie durch die Varoufakis in den Mund gelegte Absicht, sich der Kontrolle seiner Pflichten entziehen zu wollen ("keine Kontrolleure", "überwachen dürfen").
Erneut wird eine Momentaufnahme eines lachenden Gesichtsausdrucks dramaturgisch als mimischer Ausdruck der Provokation rekontextualisiert (visuelles Framing). Die Übergänge zwischen Symbolbild und dokumentarischem Bild sind dabei fließend.
b) Mit Yanis Varoufakis' Absage an die Zusammenarbeit mit der Troika endet in Wirklichkeit die Pressekonferenz, wie die ungeschnittene Aufnahme der Pressekonferenz beweist [103].
Doch die Dramaturgie der Tagesthemen sieht ein anderes Ende vor: eine überraschende Pointe. Durch Videomontage führen die Tagesthemen die Geschichte weiter, so dass der Chef der Eurogruppe das letzte Wort zu haben scheint.
Während der Film die Fortsetzung der Pressekonferenz vorspiegelt, informiert die Korrespondentin über den griechischen Wunsch nach einer Schuldenkonferenz. Jeroen Dijsselbloems dann im O-Ton gezeigte Ablehnung einer Schuldenkonferenz erscheint wie ein schlagfertiger Konter auf Varoufakis' Absage an die Troika: eine Art Zurechtweisung des übermütigen Teenagers.
Tatsächlich hatte Jeroen Dijsselbloem diese Aussage als Antwort auf die Frage eines Journalisten aber VOR Varoufakis' Äußerung getroffen. Dijsselbloem spricht hier nicht den griechischen Finanzminister an, sondern eben diesen Journalisten.
Aber Jeroen Dijsselbloem lacht nicht nur dank der Tagesthemen-Dramaturgie zuletzt, er scheint mit seiner Pointe auch die Lacher auf seiner Seite zu haben: Da die ARD die Übersetzung seiner Aussage frühzeitig enden lässt, kann der Zuschauer kurz Beifallgelächter aus dem "Publikum" der Journalisten hören.
Video Publikumskonferenz
"Selbst kleinste Veränderungen in der Darstellung, z.B. das Zeigen oder Nichtzeigen von Nervosität, Zoomen auf einen Sprecher, das Einschneiden von positiven oder negativen Publikumsreaktionen kreieren beim Publikum verschiedene Eindrücke einer Person [...]. Die Möglichkeiten des Fernsehens, mit Hilfe von Darstellungstechniken Images von Politikern zu beeinflussen, sind praktisch unbegrenzt." [104]
Ob die Tonspur an dieser Stelle nachbearbeitet worden ist, bleibt unklar. Fest steht: Weder in der Aufnahme von ZDF-heute [105] noch in der ungeschnittenen Aufnahme der Pressekonferenz sind akustische Signale von derartiger Lautstärke unmittelbar nach Jeroen Dijsselbloems Aussage zu hören.
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[101] Tagesthemen 30.01.2015.
[102] Josef Kurz, Daniel Müller u.a. [Hg.]: a.a.O.
[103] Yanis Varoufakis. Pressekonferenz vom 30.01.2015.
[104] Wolfgang Donsbach: a.a.O.
[105] ZDF-heute vom 30.01.2015.
Tagesthemen vom 30.01.2015 [101]
In den Tagesthemen wird dem griechischen Finanzminister explizit die Motivation in den Mund gelegt, sich einer Kontrolle des Reformwillens durch die Troika entziehen zu wollen (irreführende Akzentuierung).
Dabei wird auch die journalistische Schreibregel verletzt, dass der indirekten Rede "wie im Grunde jeder indirekten Wiedergabe nicht entgegen der Intention des Redners eigenes Wortmaterial unterlegt werden" [102] darf:
Ellen Trapp/Off: Varoufakis gibt sich wieder cool, erklärt, dass zukünftig keine Kontrolleure von EU, EZB und IWF mehr die Reformen der Regierung überwachen dürfen [...].
Die Korrespondentin übernimmt die Rolle eines allwissenden Erzählers, der seine Figuren kommentiert und über deren Gedanken- bzw. Gefühlswelt Auskunft gibt.
An der ironisch-spöttischen Erzählhaltung gegenüber Yanis Varoufakis wird die Darstellung der eigenen Dominanz durch die Herabwürdigung des politischen Gegners deutlich.
Fakten und Analyse:"Das ist der griechische Finanzminister - ganz schön cool [Anm.: ironisch-spöttisch] unterwegs, kurz bevor er sich mit dem Chef der Eurogruppe trifft [...].
Zum Lachen ist nur einem zumute.
Der andere findet in Athen gar nichts mehr witzig.
Varoufakis gibt sich wieder cool, erklärt, dass zukünftig keine Kontrolleure [...] mehr die Reformen der Regierung überwachen dürfen [...]."
Yanis Varoufakis/On: Unsere Regierung wird mit größtem Engagement mit der Eurozone, der EU und dem IWF zusammenarbeiten, aber mit der Troika, die ein Programm umsetzen will, dessen Idee wir als antieuropäisch betrachten, die auch das europäische Parlament für nicht demokratisch legitimiert hält, wollen wir nicht zusammenarbeiten.
Schlüsselbilder: Motorrad fahrender Finanzminister, lachender Gesichtsausdruck von Yanis Varoufakis und Lächeln von Jeroen Dijsselbloem
Schlüsselwörter: ganz schön cool, gibt sich wieder cool, Kontrolleure, überwachen
Dekontextualisierung/Auslassung:
Wie zuvor in der Tagesschau, unterbleibt auch in den Tagesthemen eine Einordnung der argumentativen Aussage von Yanis Varoufakis. Dem Zuschauer wird ein zum Verständnis seiner Aussage notwendiger Kontext vorenthalten:
In einem 2014 verabschiedeten Untersuchungsbericht kritisiert das EU-Parlament die unzureichende juristische und demokratische Legitimation der Troika. Weiterhin wurde u.a. kritisiert, dass das Gremium einseitig auf Sparmaßnahmen gesetzt und damit Wirtschaftsimpulse vernachlässigt habe. Der Bericht plädiert für eine Abschaffung der Troika.
Rekontextualisierung/Reframing:
a) Wie die Tagesschau durch den Begriff "aushecken" und die visuelle Hervorhebung eines sich angeblich amüsierenden Yanis Varoufakis Assoziationen zum frechen Streichespielen Minderjähriger aktiviert hatte, (re-)kontextualisiert auch Korrespondentin Ellen Trapp durch das Zusammenspiel von Off-Text und Bild-Erzählen die Entscheidung des griechischen Finanzministers als freches Teenagerverhalten, in dem sich auch das Trickster-Motiv erneut widerspiegelt.
Der Erwachsenen-Teenager-Frame wird v.a. durch die zweimalige Verwendung des Begriffs 'cool' aktiviert ("ganz schön cool" und "gibt sich cool"), das Zeigen einer ca. 14 Sekunden lang andauernden Videosequenz, die den griechischen Finanzminister beim Motorradfahren zeigt (visuelles Framing), sowie durch die Varoufakis in den Mund gelegte Absicht, sich der Kontrolle seiner Pflichten entziehen zu wollen ("keine Kontrolleure", "überwachen dürfen").
Erneut wird eine Momentaufnahme eines lachenden Gesichtsausdrucks dramaturgisch als mimischer Ausdruck der Provokation rekontextualisiert (visuelles Framing). Die Übergänge zwischen Symbolbild und dokumentarischem Bild sind dabei fließend.
b) Mit Yanis Varoufakis' Absage an die Zusammenarbeit mit der Troika endet in Wirklichkeit die Pressekonferenz, wie die ungeschnittene Aufnahme der Pressekonferenz beweist [103].
Doch die Dramaturgie der Tagesthemen sieht ein anderes Ende vor: eine überraschende Pointe. Durch Videomontage führen die Tagesthemen die Geschichte weiter, so dass der Chef der Eurogruppe das letzte Wort zu haben scheint.
Während der Film die Fortsetzung der Pressekonferenz vorspiegelt, informiert die Korrespondentin über den griechischen Wunsch nach einer Schuldenkonferenz. Jeroen Dijsselbloems dann im O-Ton gezeigte Ablehnung einer Schuldenkonferenz erscheint wie ein schlagfertiger Konter auf Varoufakis' Absage an die Troika: eine Art Zurechtweisung des übermütigen Teenagers.
Tatsächlich hatte Jeroen Dijsselbloem diese Aussage als Antwort auf die Frage eines Journalisten aber VOR Varoufakis' Äußerung getroffen. Dijsselbloem spricht hier nicht den griechischen Finanzminister an, sondern eben diesen Journalisten.
Ellen Trapp/Off: 'Nein' sagen kann aber auch der Eurogruppen-Chef.
Jeroen Dijsselbloem/On: Zum Wunsch einer Schuldenkonferenz müssen Sie erkennen, dass diese Konferenz bereits existiert. Sie heißt Eurogruppe.
Aber Jeroen Dijsselbloem lacht nicht nur dank der Tagesthemen-Dramaturgie zuletzt, er scheint mit seiner Pointe auch die Lacher auf seiner Seite zu haben: Da die ARD die Übersetzung seiner Aussage frühzeitig enden lässt, kann der Zuschauer kurz Beifallgelächter aus dem "Publikum" der Journalisten hören.
Video Publikumskonferenz
"Selbst kleinste Veränderungen in der Darstellung, z.B. das Zeigen oder Nichtzeigen von Nervosität, Zoomen auf einen Sprecher, das Einschneiden von positiven oder negativen Publikumsreaktionen kreieren beim Publikum verschiedene Eindrücke einer Person [...]. Die Möglichkeiten des Fernsehens, mit Hilfe von Darstellungstechniken Images von Politikern zu beeinflussen, sind praktisch unbegrenzt." [104]
Ob die Tonspur an dieser Stelle nachbearbeitet worden ist, bleibt unklar. Fest steht: Weder in der Aufnahme von ZDF-heute [105] noch in der ungeschnittenen Aufnahme der Pressekonferenz sind akustische Signale von derartiger Lautstärke unmittelbar nach Jeroen Dijsselbloems Aussage zu hören.
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[101] Tagesthemen 30.01.2015.
[102] Josef Kurz, Daniel Müller u.a. [Hg.]: a.a.O.
[103] Yanis Varoufakis. Pressekonferenz vom 30.01.2015.
[104] Wolfgang Donsbach: a.a.O.
[105] ZDF-heute vom 30.01.2015.
Die Geschichte von zwei griechischen Himmelhunden auf dem Weg zur Hölle
7 Die Geschichte von zwei griechischen Himmelhunden auf dem Weg zur Hölle - Antrittsbesuche von Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis
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"Zum Lachen sind die Leute gleich bereit."
(Arthur Schopenhauer, Eristische Dialektik oder die Kunst, Recht zu behalten) [106]
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Tagesthemen vom 04.02.2015 [107]
Die Tagesthemen vom 04.02.2015 stellen die griechischen Pläne als Versuch der Schuldenprellerei dar. Die Anschuldigung wird nicht explizit ausgesprochen, sondern als Schlussfolgerung aus dem Kontext nahegelegt (Innuendo).
Der Journalist Brooks Jackson (ehemals AP, Wall Street Journal, CNN) rät in seinem Buch "Finding Facts in a world of disinformation":
"Wenn du siehst oder hörst, dass etwas stark angedeutet, aber nicht geradeheraus ausgesprochen wird, frag dich: Weshalb müssen sie es derart zwischen die Zeilen legen, warum kommen sie damit nicht heraus und sagen es? Oft gibt es einen guten Grund: Wovon der Sprecher dich überzeugen will, ist nicht wahr." [108]
Die musikalisch untermalte Cartoon-Darstellung der "fliegenden Eurotour" greift das zentrale Motiv der Helden-"Reise" auf und bildet im Korrespondentenbeitrag die Basiserzählung, von der ausgehend episodenhaft die einzelnen Stationen der Antrittsbesuche des griechischen Ministerpräsidenten und des griechischen Finanzministers erzählt werden (Gondelbahn-Erzählstruktur). Die Erzählhaltung im Korrespondentenbeitrag ist der satirischen Cartoon-Darstellung entsprechend ironisch-spöttisch.
"Sie ist nicht einfach: die Reise in die europäische Wirklichkeit." (s. dazu Kap. 2, Allgemeiner Teil).
Video Publikumskonferenz
Fakten und Analyse:
Symbolbild: Gesichtsfoto-Cartoon-Montage
Schlüsselwörter: hemdsärmelig, ruppig, ziemlich cool (ironisiert), fliegende Eurotour (ironisiert)
Soundtrack: Bud Spencer/Terence Hill-Film "Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle"/"Flying Through the Air"
Kontextualisierung/Framing:
Der Zuschauer kann die Leerstelle (Unbestimmtheitsstelle) in der Anspielung Thomas Roths ("die etwas andere Art, mit den Schulden umzugehen") durch folgende Kontexthinweise ohne Probleme füllen:
a) die Ironie sowohl in der Anspielung: "für die etwas andere Art, mit den Schulden umzugehen" als auch im Begriff "fliegende Eurotour",
b) den durch die adversative Konjunktion "aber" formulierten Gegensatz zu dem Wunsch der Kreditgeber, ihre Milliarden "wiedersehen" zu wollen,
c) die vorangegangenen Attributierungen "hemdsärmelig", "ruppig", "cool" (ironisch-spöttisch),
d) den im Beitrag satirisch verwendeten Soundtrack ("Flying Through the Air") des Bud Spencer/Terence Hill-Films "Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle" und
e) die satirische Gesichtsfoto-Cartoon-Montage.
Neben der erneuten Aktivierung des Erwachsenen-Teenager-Frames ("hemdsärmelig", "ruppig", "cool") werden Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis zudem durch die Dramaturgie des Beitrags als unseriöse Schuldenpreller und damit ein weiteres Mal als vertrauensunwürdig dargestellt (ad hominem), ohne dass die Tagesthemen dies direkt aussprechen müssen (Innuendo, gezielte Nutzung von Implikaturen).
Auch in der auditiven Anspielung auf das chronisch pleite Trickbetrüger-Paar Terence Hill/Bud Spencer wird ein weiteres Mal das Trickster-Motiv verarbeitet.
Die Verwendung von Innuendo "ist ein Mittel, eine Person, eine Gruppe oder eine Idee anzugreifen, wenn es wenige oder gar keine Belege gibt, um eine direkte Behauptung oder Anschuldigung zu rechtfertigen. Die Kraft der Suggestion dient somit dazu, einen Mangel an Beweisen zu kompensieren." [109]
Durch die klamaukhafte Darstellungsform werden der griechische Ministerpräsident und sein Finanzminister der Lächerlichkeit preisgegeben. Es ist jene Form des aggressiven Humors (Spott), der durch die Herabwürdigung des Gegners die eigene Dominanz betont und der - sozialpsychologisch gesehen - die Solidarisierung zwischen Sprecher und Zuhörer bzw. Zuschauer gegen einen verlachenswerten Dritten zum Ziel hat.
Rekontextualisierung/ Reframing:
Damit ist Humor in dem hier aufgezeigten Kommunikationskontext einer politischen Informationssendung auch eine Form des Red Herrings: "eine sehr effektive Ablenkungstaktik. Er kann das Publikum schnell auf die eigene Seite ziehen, auch wenn es dafür keine logische Begründung gibt." [110]
Eine logische Begründung für den Vorwurf der Schuldenprellerei wird in dem der Anmoderation folgenden Beitrag von Christian Feld nicht angeführt. Die zitierte Bitte von Alexis Tsipras nach neu zu verhandelnden Rahmenbedingungen des Kreditprogramms sowie die zitierte Bitte von Yanis Varoufakis: "Gebt uns Zeit bis Ende Mai [...], damit wir unsere Vorschläge auf den Tisch bringen können, um mit unseren Partnern darüber zu beraten und im Sommer neue Absprachen zwischen Griechenland und Europa zu treffen", werden rekontextualisiert: Die Äußerungen erscheinen als Bestätigung des in der Anmoderation implizit geäußerten Schuldenpreller-Vorwurfs.
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[106] Arthur Schopenhauer: a.a.O., S. 53.
[107] Tagesthemen 04.02.2015.
[108] Brooks Jackson, Kathleen Hall Jamieson: Unspun. Finding facts in a world of disinformation, New York 2007, S. 62.
[109] T. Edward Damer: a.a.O., S. 225.
[110] Ebd.
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"Zum Lachen sind die Leute gleich bereit."
(Arthur Schopenhauer, Eristische Dialektik oder die Kunst, Recht zu behalten) [106]
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Tagesthemen vom 04.02.2015 [107]
Die Tagesthemen vom 04.02.2015 stellen die griechischen Pläne als Versuch der Schuldenprellerei dar. Die Anschuldigung wird nicht explizit ausgesprochen, sondern als Schlussfolgerung aus dem Kontext nahegelegt (Innuendo).
Der Journalist Brooks Jackson (ehemals AP, Wall Street Journal, CNN) rät in seinem Buch "Finding Facts in a world of disinformation":
"Wenn du siehst oder hörst, dass etwas stark angedeutet, aber nicht geradeheraus ausgesprochen wird, frag dich: Weshalb müssen sie es derart zwischen die Zeilen legen, warum kommen sie damit nicht heraus und sagen es? Oft gibt es einen guten Grund: Wovon der Sprecher dich überzeugen will, ist nicht wahr." [108]
Beitrag von Korrespondent Christian Feld (NDR):Moderator Thomas Roth (WDR), nachdem er den Zuschauer an die "ziemlich hemdsärmelig und ruppig" auftretenden Griechen erinnert hat, die "ziemlich cool" (ironisch-spöttisch) der Troika eine "Abfuhr erteilt" haben:
"Die EU-Länder wollen ihre geliehenen Milliarden nämlich wiedersehen, aber die Griechen werben auf ihrer fliegenden Eurotour für die etwas andere Art, mit den Schulden umzugehen."
Die musikalisch untermalte Cartoon-Darstellung der "fliegenden Eurotour" greift das zentrale Motiv der Helden-"Reise" auf und bildet im Korrespondentenbeitrag die Basiserzählung, von der ausgehend episodenhaft die einzelnen Stationen der Antrittsbesuche des griechischen Ministerpräsidenten und des griechischen Finanzministers erzählt werden (Gondelbahn-Erzählstruktur). Die Erzählhaltung im Korrespondentenbeitrag ist der satirischen Cartoon-Darstellung entsprechend ironisch-spöttisch.
"Sie ist nicht einfach: die Reise in die europäische Wirklichkeit." (s. dazu Kap. 2, Allgemeiner Teil).
Video Publikumskonferenz
Fakten und Analyse:
Symbolbild: Gesichtsfoto-Cartoon-Montage
Schlüsselwörter: hemdsärmelig, ruppig, ziemlich cool (ironisiert), fliegende Eurotour (ironisiert)
Soundtrack: Bud Spencer/Terence Hill-Film "Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle"/"Flying Through the Air"
Kontextualisierung/Framing:
Der Zuschauer kann die Leerstelle (Unbestimmtheitsstelle) in der Anspielung Thomas Roths ("die etwas andere Art, mit den Schulden umzugehen") durch folgende Kontexthinweise ohne Probleme füllen:
a) die Ironie sowohl in der Anspielung: "für die etwas andere Art, mit den Schulden umzugehen" als auch im Begriff "fliegende Eurotour",
b) den durch die adversative Konjunktion "aber" formulierten Gegensatz zu dem Wunsch der Kreditgeber, ihre Milliarden "wiedersehen" zu wollen,
c) die vorangegangenen Attributierungen "hemdsärmelig", "ruppig", "cool" (ironisch-spöttisch),
d) den im Beitrag satirisch verwendeten Soundtrack ("Flying Through the Air") des Bud Spencer/Terence Hill-Films "Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle" und
e) die satirische Gesichtsfoto-Cartoon-Montage.
Neben der erneuten Aktivierung des Erwachsenen-Teenager-Frames ("hemdsärmelig", "ruppig", "cool") werden Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis zudem durch die Dramaturgie des Beitrags als unseriöse Schuldenpreller und damit ein weiteres Mal als vertrauensunwürdig dargestellt (ad hominem), ohne dass die Tagesthemen dies direkt aussprechen müssen (Innuendo, gezielte Nutzung von Implikaturen).
Auch in der auditiven Anspielung auf das chronisch pleite Trickbetrüger-Paar Terence Hill/Bud Spencer wird ein weiteres Mal das Trickster-Motiv verarbeitet.
Die Verwendung von Innuendo "ist ein Mittel, eine Person, eine Gruppe oder eine Idee anzugreifen, wenn es wenige oder gar keine Belege gibt, um eine direkte Behauptung oder Anschuldigung zu rechtfertigen. Die Kraft der Suggestion dient somit dazu, einen Mangel an Beweisen zu kompensieren." [109]
Durch die klamaukhafte Darstellungsform werden der griechische Ministerpräsident und sein Finanzminister der Lächerlichkeit preisgegeben. Es ist jene Form des aggressiven Humors (Spott), der durch die Herabwürdigung des Gegners die eigene Dominanz betont und der - sozialpsychologisch gesehen - die Solidarisierung zwischen Sprecher und Zuhörer bzw. Zuschauer gegen einen verlachenswerten Dritten zum Ziel hat.
Rekontextualisierung/ Reframing:
Damit ist Humor in dem hier aufgezeigten Kommunikationskontext einer politischen Informationssendung auch eine Form des Red Herrings: "eine sehr effektive Ablenkungstaktik. Er kann das Publikum schnell auf die eigene Seite ziehen, auch wenn es dafür keine logische Begründung gibt." [110]
Eine logische Begründung für den Vorwurf der Schuldenprellerei wird in dem der Anmoderation folgenden Beitrag von Christian Feld nicht angeführt. Die zitierte Bitte von Alexis Tsipras nach neu zu verhandelnden Rahmenbedingungen des Kreditprogramms sowie die zitierte Bitte von Yanis Varoufakis: "Gebt uns Zeit bis Ende Mai [...], damit wir unsere Vorschläge auf den Tisch bringen können, um mit unseren Partnern darüber zu beraten und im Sommer neue Absprachen zwischen Griechenland und Europa zu treffen", werden rekontextualisiert: Die Äußerungen erscheinen als Bestätigung des in der Anmoderation implizit geäußerten Schuldenpreller-Vorwurfs.
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[106] Arthur Schopenhauer: a.a.O., S. 53.
[107] Tagesthemen 04.02.2015.
[108] Brooks Jackson, Kathleen Hall Jamieson: Unspun. Finding facts in a world of disinformation, New York 2007, S. 62.
[109] T. Edward Damer: a.a.O., S. 225.
[110] Ebd.
8 Die Geschichte von den zwei aufeinanderprallenden Welten
8 Die Geschichte von den zwei aufeinanderprallenden Welten - auf Werbetour beim strengen Vater in Berlin
Im Zentrum der Berichterstattung steht eines der zentralen Motive der Heldenreise: das Motiv der gegensätzlichen Welten, das sich in der vom Korrespondenten Oliver Mayer-Rüth (BR) verwendeten Metapher der zwei aufeinanderprallenden Welten widerspiegelt.
In der Vormittagsausgabe der Tagesschau wird das Motiv konkretisiert durch die antithetische Gegenüberstellung vom "Brücke bauen[den] Europäer" Wolfgang Schäuble und der "Insel der Griechen mit ihren Radikalforderungen", in der Abendausgabe sprachlich vor allem durch die begriffliche Opposition "streng" und "weich". Als Gegenspieler der griechischen Antihelden betritt mit Wolfgang Schäuble der wahre Held die Bühne des Griechenland-Dramas: Es ist die archetypische Figur des Herrschers/Königs, der die bestehende (Werte-)Ordnung verteidigt und damit gleichzeitig den Archetypus des strengen Vaters verkörpert, der Regeln aufstellt und ihre Einhaltung überwacht.
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Tagesschau vom 05.02.2015, (11:14 Uhr) [111]
Tagesschau vom 05.02.2015, (20:00 Uhr) [112]
Der Korrespondentenbeitrag setzt ein mit dem "Aufeinanderprallen" der beiden "Welten", d. h. mit der Begegnung der beiden Kontrahenten (Akt 2) und ihren angeblich unvereinbaren Positionen (strenges vs. weicheres Reformprogramm).
"Griechenland könnte Ende Februar das Geld ausgehen. Europa will neues nur geben, wenn Griechenland Reformen nach Plan umsetzt."
Mit dieser Aussage erklärt der Korrespondent Anlass und zentralen Konflikt der Begegnung (1. Akt).
Yanis Varoufakis' Motivation, sich auf seiner "Werbetour" für ein "weicher(es)" Reformprogramm auch noch mit dem sich "weniger streng" gebenden SPD-Chef zu treffen, wird in Form eines Rückblicks erläutert: Die EZB hatte am Vortag angekündigt, keine griechischen Staatsanleihen mehr zu kaufen, aber die Gewährung von Notfallkrediten in Aussicht gestellt.
Die Konsequenz/Auflösung (3. Akt) der "Werbetour" formuliert der Korrespondent in Form eines problematisierenden Ausblicks: "Damit endet die Werbetour des griechischen Finanzministers. Ob sie Erfolg hat und zu einem weicheren Reformprogramm führt, zeigt sich in den nächsten Wochen. Doch zumindest in den Reihen der CDU/CSU ist die Ablehnung gegen die griechische Forderung groß [...]."
In der Eingangsszene der 20-Uhr-Tagesschau wird dem Zuschauer die Metapher von der Gegensätzlichkeit der "zwei Welten" auch durch unterschiedliche Kameraeinstellungen vor Augen geführt. Im Kontrast zu Schäuble wird Varoufakis in großer Distanz zum Zuschauer gezeigt, was den Eindruck der Isolation und Ferne hervorruft und damit an die vom Korrespondenten in der Mittagsausgabe der Tagesschau verwendete Metapher von der "Insel der Griechen" anknüpft.
Einer der ersten deutschen Wissenschaftler, die die Wirkung von Kameraperspektiven auf die Personenwahrnehmung untersucht haben, war der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger mit seiner Studie zum Bundestagswahlkampf 1976. Laut Kepplinger war die visuelle Kandidatendarstellung ("optische Kommentierung" durch Kameraleute) ein mitentscheidender Faktor des Wahlausgangs.
Ein Ergebnis seiner Studie war: „Die vorteilhafteste Einstellung sei die, bei der die Kamera den Politiker "in Augenhöhe" und ihn "nicht zu fern ('verloren') oder zu nah ('leer') ablichtet". [113]
Als Vergleichsmaßstab kann die folgende Aufnahme dienen:
Fakten und Analyse:
Schlüsselbild: weit entfernter Yanis Varoufakis (Eingangsszene der 20-Uhr-Ausgabe)
Schlüsselwörter: aufeinanderprallende Welten, bekennender Europäer, Brücke bauen vs. Insel der Griechen (Vormittagsausgabe), streng vs. aufweichen, weicheres (20 Uhr)
Falschinformation, Dekontextualisierung, Auslassung:
Die in der Vormittagsausgabe aufgestellte, in der Abendausgabe dann entschärfte Behauptung, die griechische Regierung wolle keine Reformen, trifft nicht zu. (Strohmann-Argument)
a) Im "Thessaloniki-Programm" der Syriza (2014) werden vier Hauptreformbereiche aufgezählt: Reformen zur Begegnung der humanitären Krise, zur Ankurbelung der Wirtschaft und Herstellung von Steuergerechtigkeit, zum Wiedergewinnen von Arbeitsplätzen sowie zur politischen Umgestaltung: Vertiefung der Demokratie.
b) Zwar zeigt die ARD in der Abendausgabe einen Ausschnitt aus der Pressekonferenz der beiden Finanzminister; sie unterlässt es aber, ihren Zuschauern jene Passagen zu zeigen oder auch nur inhaltlich wiederzugeben, die die Einstellung des griechischen Finanzministers gegenüber der Notwendigkeit von Reformen verdeutlichen:
"Unsere Regierung wird alles dafür tun, Korruption, Steuerhinterziehung, Steuerimmunität, Unwirtschaftlichkeit und Verschwendung zu bekämpfen."
"60 - 70 % des laufenden Programms enthält Maßnahmen, die wir selbst vorantreiben wollen." [114]
Bei den Verhandlungen über die Verlängerung des Ende Februar auslaufenden zweiten Kreditprogramms sollte es eben u.a. darum gehen: Wird es einen Kompromiss zwischen Kreditgeberländern und Griechenland geben, der Griechenland zugesteht, einen Teil der vereinbarten Reformen, den Griechenland als rezessionsverursachend beurteilt, mit eigenen Reformvorschlägen zu ersetzen? Die griechische Regierung nennt dieses Verhandlungsziel mehrfach einen "ehrenvollen Kompromiss".
Rekontextualisierung/Reframing:
Durch das Begriffspaar 'streng' und 'weich' wird erneut der Erwachsenen-Teenager-Frame erzeugt, der Yanis Varoufakis als Teenager darstellt, der gegen die "Strenge" eines Elternteils aufbegehrt und hierzu die Hilfe eines anderen Erwachsenen (Sigmar Gabriel) sucht, der sich "weniger streng gibt". Über das, was Yanis Varoufakis sachlich zu sagen hat, dringt dagegen erneut kein Wort zum Ohr des Zuschauers. Der Zuschauer erfährt weder von Yanis Varoufakis' Plädoyer für tiefgreifende Reformen noch von seiner ökonomischen Kritik am Troika-Programm, das rezessionsverursachend sei und deswegen zu einer nicht tragfähigen Schuldenlast und zu einem Schuldenkreislauf geführt habe. Der Begriff "Schuldentragfähigkeit" taucht in dem "Erwachsenen-Teenager-Frame" erst gar nicht auf.
Damit ist das zentrale ökonomische Argument des Wirtschaftswissenschaftlers Yanis Varoufakis für eine Veränderung des Reformprogramms und eine Reduktion der Schuldenlast auf ein tragfähiges Maß unkenntlich gemacht zugunsten einer einseitigen Fokussierung auf die Argumentation des Juristen Wolfgang Schäuble, dass Vereinbarungen eingehalten werden müssen. In der Konsequenz kann der Zuschauer Varoufakis' Forderung nach Veränderung des Programms nur als bloßen Unwillen Griechenlands deuten, sich an Vereinbarungen zu halten und seine Schulden zurückzuzahlen.
Die mit der Metapher der aufeinanderprallenden Welten zum Ausdruck kommende Unvereinbarkeit bzw. Unversöhnlichkeit der Standpunkte und Charaktere ist der zentrale Deutungsrahmen für die Schilderung der Begegnung der beiden Finanzminister, deren Ergebnis für den Korrespondenten schon "absehbar" war.
Wohl auch aus diesem Grund behält er diese Metapher, die er in der Vormittagsausgabe der Tagesschau (vor Beginn der Pressekonferenz) verwendet hat, auch in seinem Beitrag für die 20-Uhr-Tagesschau bei - unabhängig von der tatsächlich geäußerten Haltung des griechischen Finanzministers.
Diese Polarisierung zwingt den Zuschauer in eine Entweder-oder-Entscheidungssituation, in der er kaum eine andere Möglichkeit hat, als die Position des Bundesfinanzministers zu befürworten:
Denn der Begriff "Reform", auch in den folgenden Wochen und Monaten der Berichterstattung für die Charakterisierung der Position Wolfgang Schäubles vereinnahmt und zur Abgrenzung von der griechischen Position verwendet, ist nicht nur positiv konnotiert, sondern enthält in seiner Bedeutung als eine dem allgemeinen Verständnis nach auf Verbesserung zielende Veränderung eine klar positive Deontik, d.h. die normative Handlungsaufforderung: Reformen sollte man durchführen.
Leitvokabeln wie "Reform" haben überdies aufgrund ihres Abstraktionsgrades die Eigenschaft, dass sie "am besten gegen Klarheit und Klärung abgeschirmt sind." [115].
Erst die Konkretisierung der strittigen Reformen würde es dem Zuschauer erlauben, sich ein eigenes Urteil zu bilden:
Man kann beispielsweise für oder gegen Rentenkürzungen sein, für oder gegen Massenentlassungen, für oder gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer, für oder gegen Zwangsversteigerungen von Wohnhäusern zur Schuldentilgung, aber: Welcher vernünftige Mensch kann angesichts der Krisensituation in Griechenland allgemein gegen Reformen sein und damit die Notwendigkeit einer auf Verbesserung zielenden Veränderung bezweifeln?
Das "Besetzen von Begriffen" - ein Ausdruck, der in Deutschland durch den ehemaligen Generalsekretär der CDU Kurt Biedenkopf geprägt wurde - ist eine wesentliche Kommunikationsstrategie, um in einer politischen Auseinandersetzung als Sieger hervorzugehen.
"Die positive Besetzung des Reformbegriffs" ist Teil einer "akzeptanzstiftenden Kommunikationsstrategie" zur "Überwindung von Beharrungstendenzen und einer generellen Protesthaltung der Bürger gegenüber Neuerungen", heißt es im Diskussionspapier der Bertelsmann Stiftung zur politischen Reformkommunikation: Als gelungenes Beispiel lasse sich "der Ansatz der britischen Labour-Regierung oder der US-amerikanischen Clinton-Administration anführen, Reformmaßnahmen immer als 'Modernisierung' zu kommunizieren und mit positiven Zielvisionen zu verknüpfen." [116]
Die Vereinnahmung des Begriffs "Reform" für die Austeritätspolitik Wolfgang Schäubles und die Bezeichnung der griechischen Reformvorhaben als populistische "Verheißungen" (s. Geschichte 1) oder "Wahlgeschenke" zielen darauf ab, die Gunst des Publikums für die deutsche Verhandlungsseite zu gewinnen. Gleichzeitig soll Empörung über die griechische Regierung ausgelöst werden, die angeblich weiteres, durch den Fleiß europäischer Arbeitnehmer verdientes Geld für "Wahlgeschenke" verlange, ohne Reformen durchsetzen, also ohne selbst dafür einen Finger krumm machen zu wollen.
"Ein Redner verrät oft schon im Voraus seine Absicht durch die Namen, die er den Begriffen gibt. Unter allen Kunstgriffen wird dieser am häufigsten gebraucht, schon rein instinktmäßig und aus der menschlichen Schlechtigkeit."
[117] Arthur Schopenhauer, Eristische Dialektik oder die Kunst, Recht zu behalten, Kunstgriff 12, Benennungen gehässig umkehren
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[111] Tagesschau 05.02.2015, Mittagsausgabe.
[112] Tagesschau 05.02.2015, Abendausgabe.
[113] Telebiss: Schiefe Optik, in: Die Zeit, 26.10.1979.
[114] Yanis Varoufakis. Pressekonferenz vom 05.02.2015 (vollständig).
[115] Wolf Schneider: Die Wahrheit über die Lüge: Warum wir den Irrtum brauchen und die Lüge lieben. Reinbek bei Hamburg 2012, S.172.
[116] Bertelsmann Stiftung: Diskussionspapier zum Expertendialog: a.a.O., S. 5 ff.
[117] Arthur Schopenhauer: a.a.O., S. 40.
Im Zentrum der Berichterstattung steht eines der zentralen Motive der Heldenreise: das Motiv der gegensätzlichen Welten, das sich in der vom Korrespondenten Oliver Mayer-Rüth (BR) verwendeten Metapher der zwei aufeinanderprallenden Welten widerspiegelt.
In der Vormittagsausgabe der Tagesschau wird das Motiv konkretisiert durch die antithetische Gegenüberstellung vom "Brücke bauen[den] Europäer" Wolfgang Schäuble und der "Insel der Griechen mit ihren Radikalforderungen", in der Abendausgabe sprachlich vor allem durch die begriffliche Opposition "streng" und "weich". Als Gegenspieler der griechischen Antihelden betritt mit Wolfgang Schäuble der wahre Held die Bühne des Griechenland-Dramas: Es ist die archetypische Figur des Herrschers/Königs, der die bestehende (Werte-)Ordnung verteidigt und damit gleichzeitig den Archetypus des strengen Vaters verkörpert, der Regeln aufstellt und ihre Einhaltung überwacht.
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Tagesschau vom 05.02.2015, (11:14 Uhr) [111]
Der Korrespondent führt nun die bloße Umbenennung (!) der Troika in "Institutionen" und die Unterstützung der griechischen Pläne zur Reichenbesteuerung als Kompromissmöglichkeiten an.Korrespondent Oliver Mayer-Rüth:
"Zwei Welten prallen aufeinander":
Auf der einen Seite der deutsche Finanzminister mit seiner "Forderung nach Reformen" und auf der anderen Seite, so der Korrespondent, "sein griechischer Amtskollege und dessen Regierungschef": "Er hat Wahlgeschenke versprochen, er will keine Reformen - und dafür braucht Griechenland Geld."
Ellen Arnhold (SR): "Sie sagen, zwei Welten prallen aufeinander, gibt es denn überhaupt Kompromissmöglichkeiten?"
Oliver Mayer-Rüth: "Schäuble ist ja auch ein bekennender Europäer und versucht natürlich auch eine Brücke zu bauen zu der Insel der Griechen und ihren Radikalpositionen […]."
Tagesschau vom 05.02.2015, (20:00 Uhr) [112]
Der Korrespondentenbeitrag setzt ein mit dem "Aufeinanderprallen" der beiden "Welten", d. h. mit der Begegnung der beiden Kontrahenten (Akt 2) und ihren angeblich unvereinbaren Positionen (strenges vs. weicheres Reformprogramm).
"Griechenland könnte Ende Februar das Geld ausgehen. Europa will neues nur geben, wenn Griechenland Reformen nach Plan umsetzt."
Mit dieser Aussage erklärt der Korrespondent Anlass und zentralen Konflikt der Begegnung (1. Akt).
Yanis Varoufakis' Motivation, sich auf seiner "Werbetour" für ein "weicher(es)" Reformprogramm auch noch mit dem sich "weniger streng" gebenden SPD-Chef zu treffen, wird in Form eines Rückblicks erläutert: Die EZB hatte am Vortag angekündigt, keine griechischen Staatsanleihen mehr zu kaufen, aber die Gewährung von Notfallkrediten in Aussicht gestellt.
Die Konsequenz/Auflösung (3. Akt) der "Werbetour" formuliert der Korrespondent in Form eines problematisierenden Ausblicks: "Damit endet die Werbetour des griechischen Finanzministers. Ob sie Erfolg hat und zu einem weicheren Reformprogramm führt, zeigt sich in den nächsten Wochen. Doch zumindest in den Reihen der CDU/CSU ist die Ablehnung gegen die griechische Forderung groß [...]."
In der Eingangsszene der 20-Uhr-Tagesschau wird dem Zuschauer die Metapher von der Gegensätzlichkeit der "zwei Welten" auch durch unterschiedliche Kameraeinstellungen vor Augen geführt. Im Kontrast zu Schäuble wird Varoufakis in großer Distanz zum Zuschauer gezeigt, was den Eindruck der Isolation und Ferne hervorruft und damit an die vom Korrespondenten in der Mittagsausgabe der Tagesschau verwendete Metapher von der "Insel der Griechen" anknüpft.
Einer der ersten deutschen Wissenschaftler, die die Wirkung von Kameraperspektiven auf die Personenwahrnehmung untersucht haben, war der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger mit seiner Studie zum Bundestagswahlkampf 1976. Laut Kepplinger war die visuelle Kandidatendarstellung ("optische Kommentierung" durch Kameraleute) ein mitentscheidender Faktor des Wahlausgangs.
Ein Ergebnis seiner Studie war: „Die vorteilhafteste Einstellung sei die, bei der die Kamera den Politiker "in Augenhöhe" und ihn "nicht zu fern ('verloren') oder zu nah ('leer') ablichtet". [113]
Als Vergleichsmaßstab kann die folgende Aufnahme dienen:
Video PublikumskonferenzKorrespondent Oliver Mayer-Rüth:
Off: Zwei Welten prallen aufeinander: Auf der einen Seite Finanzminister Schäuble,
auf der anderen Seite sein griechischer Amtskollege Varoufakis.
Schäuble, der Verfechter eines strengen griechischen Reformprogramms, Varoufakis seit Tagen bemüht, das Programm aufzuweichen. Das Ergebnis des Gesprächs war absehbar:
Wolfgang Schäuble/On: We agree to disagree. Oliver Mayer-Rüth/Off: Man ist sich also einig, uneinig zu sein [...].
Fakten und Analyse:
Schlüsselbild: weit entfernter Yanis Varoufakis (Eingangsszene der 20-Uhr-Ausgabe)
Schlüsselwörter: aufeinanderprallende Welten, bekennender Europäer, Brücke bauen vs. Insel der Griechen (Vormittagsausgabe), streng vs. aufweichen, weicheres (20 Uhr)
Falschinformation, Dekontextualisierung, Auslassung:
Die in der Vormittagsausgabe aufgestellte, in der Abendausgabe dann entschärfte Behauptung, die griechische Regierung wolle keine Reformen, trifft nicht zu. (Strohmann-Argument)
a) Im "Thessaloniki-Programm" der Syriza (2014) werden vier Hauptreformbereiche aufgezählt: Reformen zur Begegnung der humanitären Krise, zur Ankurbelung der Wirtschaft und Herstellung von Steuergerechtigkeit, zum Wiedergewinnen von Arbeitsplätzen sowie zur politischen Umgestaltung: Vertiefung der Demokratie.
b) Zwar zeigt die ARD in der Abendausgabe einen Ausschnitt aus der Pressekonferenz der beiden Finanzminister; sie unterlässt es aber, ihren Zuschauern jene Passagen zu zeigen oder auch nur inhaltlich wiederzugeben, die die Einstellung des griechischen Finanzministers gegenüber der Notwendigkeit von Reformen verdeutlichen:
"Unsere Regierung wird alles dafür tun, Korruption, Steuerhinterziehung, Steuerimmunität, Unwirtschaftlichkeit und Verschwendung zu bekämpfen."
"60 - 70 % des laufenden Programms enthält Maßnahmen, die wir selbst vorantreiben wollen." [114]
Bei den Verhandlungen über die Verlängerung des Ende Februar auslaufenden zweiten Kreditprogramms sollte es eben u.a. darum gehen: Wird es einen Kompromiss zwischen Kreditgeberländern und Griechenland geben, der Griechenland zugesteht, einen Teil der vereinbarten Reformen, den Griechenland als rezessionsverursachend beurteilt, mit eigenen Reformvorschlägen zu ersetzen? Die griechische Regierung nennt dieses Verhandlungsziel mehrfach einen "ehrenvollen Kompromiss".
Rekontextualisierung/Reframing:
Durch das Begriffspaar 'streng' und 'weich' wird erneut der Erwachsenen-Teenager-Frame erzeugt, der Yanis Varoufakis als Teenager darstellt, der gegen die "Strenge" eines Elternteils aufbegehrt und hierzu die Hilfe eines anderen Erwachsenen (Sigmar Gabriel) sucht, der sich "weniger streng gibt". Über das, was Yanis Varoufakis sachlich zu sagen hat, dringt dagegen erneut kein Wort zum Ohr des Zuschauers. Der Zuschauer erfährt weder von Yanis Varoufakis' Plädoyer für tiefgreifende Reformen noch von seiner ökonomischen Kritik am Troika-Programm, das rezessionsverursachend sei und deswegen zu einer nicht tragfähigen Schuldenlast und zu einem Schuldenkreislauf geführt habe. Der Begriff "Schuldentragfähigkeit" taucht in dem "Erwachsenen-Teenager-Frame" erst gar nicht auf.
Damit ist das zentrale ökonomische Argument des Wirtschaftswissenschaftlers Yanis Varoufakis für eine Veränderung des Reformprogramms und eine Reduktion der Schuldenlast auf ein tragfähiges Maß unkenntlich gemacht zugunsten einer einseitigen Fokussierung auf die Argumentation des Juristen Wolfgang Schäuble, dass Vereinbarungen eingehalten werden müssen. In der Konsequenz kann der Zuschauer Varoufakis' Forderung nach Veränderung des Programms nur als bloßen Unwillen Griechenlands deuten, sich an Vereinbarungen zu halten und seine Schulden zurückzuzahlen.
Die mit der Metapher der aufeinanderprallenden Welten zum Ausdruck kommende Unvereinbarkeit bzw. Unversöhnlichkeit der Standpunkte und Charaktere ist der zentrale Deutungsrahmen für die Schilderung der Begegnung der beiden Finanzminister, deren Ergebnis für den Korrespondenten schon "absehbar" war.
Wohl auch aus diesem Grund behält er diese Metapher, die er in der Vormittagsausgabe der Tagesschau (vor Beginn der Pressekonferenz) verwendet hat, auch in seinem Beitrag für die 20-Uhr-Tagesschau bei - unabhängig von der tatsächlich geäußerten Haltung des griechischen Finanzministers.
Diese Polarisierung zwingt den Zuschauer in eine Entweder-oder-Entscheidungssituation, in der er kaum eine andere Möglichkeit hat, als die Position des Bundesfinanzministers zu befürworten:
Denn der Begriff "Reform", auch in den folgenden Wochen und Monaten der Berichterstattung für die Charakterisierung der Position Wolfgang Schäubles vereinnahmt und zur Abgrenzung von der griechischen Position verwendet, ist nicht nur positiv konnotiert, sondern enthält in seiner Bedeutung als eine dem allgemeinen Verständnis nach auf Verbesserung zielende Veränderung eine klar positive Deontik, d.h. die normative Handlungsaufforderung: Reformen sollte man durchführen.
Leitvokabeln wie "Reform" haben überdies aufgrund ihres Abstraktionsgrades die Eigenschaft, dass sie "am besten gegen Klarheit und Klärung abgeschirmt sind." [115].
Erst die Konkretisierung der strittigen Reformen würde es dem Zuschauer erlauben, sich ein eigenes Urteil zu bilden:
Man kann beispielsweise für oder gegen Rentenkürzungen sein, für oder gegen Massenentlassungen, für oder gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer, für oder gegen Zwangsversteigerungen von Wohnhäusern zur Schuldentilgung, aber: Welcher vernünftige Mensch kann angesichts der Krisensituation in Griechenland allgemein gegen Reformen sein und damit die Notwendigkeit einer auf Verbesserung zielenden Veränderung bezweifeln?
Das "Besetzen von Begriffen" - ein Ausdruck, der in Deutschland durch den ehemaligen Generalsekretär der CDU Kurt Biedenkopf geprägt wurde - ist eine wesentliche Kommunikationsstrategie, um in einer politischen Auseinandersetzung als Sieger hervorzugehen.
"Die positive Besetzung des Reformbegriffs" ist Teil einer "akzeptanzstiftenden Kommunikationsstrategie" zur "Überwindung von Beharrungstendenzen und einer generellen Protesthaltung der Bürger gegenüber Neuerungen", heißt es im Diskussionspapier der Bertelsmann Stiftung zur politischen Reformkommunikation: Als gelungenes Beispiel lasse sich "der Ansatz der britischen Labour-Regierung oder der US-amerikanischen Clinton-Administration anführen, Reformmaßnahmen immer als 'Modernisierung' zu kommunizieren und mit positiven Zielvisionen zu verknüpfen." [116]
Die Vereinnahmung des Begriffs "Reform" für die Austeritätspolitik Wolfgang Schäubles und die Bezeichnung der griechischen Reformvorhaben als populistische "Verheißungen" (s. Geschichte 1) oder "Wahlgeschenke" zielen darauf ab, die Gunst des Publikums für die deutsche Verhandlungsseite zu gewinnen. Gleichzeitig soll Empörung über die griechische Regierung ausgelöst werden, die angeblich weiteres, durch den Fleiß europäischer Arbeitnehmer verdientes Geld für "Wahlgeschenke" verlange, ohne Reformen durchsetzen, also ohne selbst dafür einen Finger krumm machen zu wollen.
"Ein Redner verrät oft schon im Voraus seine Absicht durch die Namen, die er den Begriffen gibt. Unter allen Kunstgriffen wird dieser am häufigsten gebraucht, schon rein instinktmäßig und aus der menschlichen Schlechtigkeit."
[117] Arthur Schopenhauer, Eristische Dialektik oder die Kunst, Recht zu behalten, Kunstgriff 12, Benennungen gehässig umkehren
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[111] Tagesschau 05.02.2015, Mittagsausgabe.
[112] Tagesschau 05.02.2015, Abendausgabe.
[113] Telebiss: Schiefe Optik, in: Die Zeit, 26.10.1979.
[114] Yanis Varoufakis. Pressekonferenz vom 05.02.2015 (vollständig).
[115] Wolf Schneider: Die Wahrheit über die Lüge: Warum wir den Irrtum brauchen und die Lüge lieben. Reinbek bei Hamburg 2012, S.172.
[116] Bertelsmann Stiftung: Diskussionspapier zum Expertendialog: a.a.O., S. 5 ff.
[117] Arthur Schopenhauer: a.a.O., S. 40.
9 Die Geschichte von den Südosteuropäern, die gegen europäische Gepflogenheiten verstoßen
9 Die Geschichte von den Südosteuropäern, die gegen europäische Gepflogenheiten verstoßen - Eurogruppentreffen in Brüssel am 11.02.2015
Tagesthemen vom 11.Februar 2015 [118]
Schlüsselwörter: europäische Gepflogenheiten
Falschinformation:
Sowohl in einem schriftlichen Diskussionspapier als auch in seiner Rede vom 11. Februar 2015 erläutert der griechische Finanzminister, welche vereinbarten Reformen Griechenland auch weiter umsetzen wird und welche Bedingungen es aus welchen Gründen ablehnt und durch Maßnahmen ersetzen möchte, die es in Zusammenarbeit mit der OECD umsetzen wird. Als Reaktion auf die Streuung solcher Gerüchte (negative campaigning durch die Strategie des leaking [119]) reagierte die griechische Regierung mit der Veröffentlichung der Dokumente. [120] [121]
Dennoch wurde die Aussage des Korrespondenten im weiteren Verlauf der Berichterstattung von der ARD nicht korrigiert.
Harald Schumann ("Der Tagesspiegel") dazu im Interview mit Telepolis:
"Ein Beispiel für den schlimmen Verfall journalistischer Sitten war die Berichterstattung in Sachen Griechenland in den zwei Monaten nach der Wahl der neuen Regierung in Athen. Dabei ist es regelmäßig vorgekommen, dass auf Basis anonymer Quellen (wo es dann heißt, aus Regierungskreisen oder ein hoher EU-Diplomat hat gesagt, also das, was man branchenintern als 'unter 2' deklariert, das heißt, man darf zitieren, aber nicht sagen, wer das Zitierte gesagt hat) die Grundlagen dafür bildeten zu berichten, dass die griechische Regierung wahlweise unfähig, planlos, arrogant oder frech ist.
Jeder Journalistenschüler lernt schon in den ersten 6 Wochen: Wenn solche Vorwürfe in die Welt gesetzt werden, muss der Autor die andere Seite anrufen und fragen: 'Uns oder mir ist erzählt worden, dass... Was sagen Sie dazu?' Und dann muss diese andere Seite zitiert werden. Wenn sie nicht erreichbar ist, sich nicht äußern will oder nur Beschimpfungen ausstößt, dann schreibt man genau das: War nicht erreichbar. Wollte sich nicht äußern. Aber in allen großen deutschen Medien fand vielfach die Berichterstattung nur auf Basis anonymer Quellen statt, ohne der griechischen Seite auch nur die Möglichkeit zu geben, Stellung zu nehmen. Das war eine schlimme Verletzung journalistischer Standards." [122]
Wer die Quelle dieser rufschädigenden Gerüchte ist, bleibt unklar. Korrespondent Rolf-Dieter Krause selbst wird erst gut vier Monate später, am 22.06.2015, das erste Mal offen über die Arbeit von Spin-Doktoren sprechen. [123]
Charakteristisch für die leaking-Strategie ist, dass der Verbreitung solcher Gerüchte keinerlei Nachrecherche bzw. Korrektur folgt.
Ein weiteres entscheidendes Kennzeichen dieser Form des Innuendo, also dieser indirekten Form, den Kontrahenten ad hominem zu beschuldigen, ist laut dem kanadischen Kommunikationsforscher Douglas Walton "das Verschieben der Beweislast": Weder die Quelle des Gerüchts noch der Verbreiter des Gerüchts müssen die Verantwortung für ihre Beschuldigungen und deren Wirkung übernehmen. [124]
Dafür sorgt im vorliegenden Fall nicht nur der sorgsam verwendete Konjunktiv ("kein Papier vorgelegt habe"), sondern auch die Verwendung von sog. Wieselwörtern (engl. weasel words): "Man hat erfahren können".
Integraler Bestandteil dieser Form der indirekten Beschuldigung ist laut Walton also eine Absicherungstaktik in Form einer argumentativen Rückzugsmöglichkeit: ein Fluchtweg ("escape route“) [125], der es dem Sprecher im Fall von Kritik ermöglicht, die Verantwortung für das, was er weitergibt, abzulehnen.
Im Interview mit der BBC warnt die Investigativjournalistin Heather Brooke vor der Gefahr medialer Informationskontrolle durch Anonymisierung von nicht belegbaren Beschuldigungen. [126]
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[118] Tagesthemen 11.02.2015.
[119] Vgl. auch Robert Misik: Varoufakis benimmt sich echt unmöglich, behaupten anonyme Quellen. Misik.at [Weblog], 30.04.2015.
[120] Yanis Varoufakis: Rede und Diskussionspapier zur Eurogruppensitzung vom 11.02.2015.
[121] Norbert Häring: Das sind die verrückten Ideen der Griechen. Norbert Häring. Geld und mehr [Weblog], 18.02.2015.
[122] Harald Schumann im Interview mit Telepolis, in: Marcus Klöckner: "Wenn man den Mächtigen nach dem Maul schreibt, bekommt man die besseren Honorare", 20.05.2015.
[123] Norbert Häring: ARD-Brüssel-Korrespondent Krause entlarvt Spin-Doktor-ausgerechnet. Norbert Häring. Geld und mehr [Weblog], 22.06.2015.
[124] Douglas Walton: a.a.O., S. 189 ff.
[125] Ebd., S. 186.
[126] Heather Brooke im Interview mit der BBC, 26.01.2010
Tagesthemen vom 11.Februar 2015 [118]
Fakten und Analyse:Caren Miosga (WDR): "Rolf-Dieter Krause hat die Verhandlungen heute in Brüssel beobachtet. Herr Krause, alle wollen wissen, wie die griechischen Pläne aussehen. Wissen Sie's?"
Rolf-Dieter Krause (WDR): "Nein, ich weiß es nicht [...]. Man hat erfahren können, dass die griechische Regierung weder in der Vorbereitungssitzung für die heutige Sitzung noch in der Sitzung ein Papier vorgelegt habe, und nach den europäischen Gepflogenheiten ist erst ein Vorschlag, der auf Papier steht, auch wirklich verhandlungsfähig [...]. Vielleicht hat er mündlich was vorgetragen."
Schlüsselwörter: europäische Gepflogenheiten
Falschinformation:
Sowohl in einem schriftlichen Diskussionspapier als auch in seiner Rede vom 11. Februar 2015 erläutert der griechische Finanzminister, welche vereinbarten Reformen Griechenland auch weiter umsetzen wird und welche Bedingungen es aus welchen Gründen ablehnt und durch Maßnahmen ersetzen möchte, die es in Zusammenarbeit mit der OECD umsetzen wird. Als Reaktion auf die Streuung solcher Gerüchte (negative campaigning durch die Strategie des leaking [119]) reagierte die griechische Regierung mit der Veröffentlichung der Dokumente. [120] [121]
Dennoch wurde die Aussage des Korrespondenten im weiteren Verlauf der Berichterstattung von der ARD nicht korrigiert.
Harald Schumann ("Der Tagesspiegel") dazu im Interview mit Telepolis:
"Ein Beispiel für den schlimmen Verfall journalistischer Sitten war die Berichterstattung in Sachen Griechenland in den zwei Monaten nach der Wahl der neuen Regierung in Athen. Dabei ist es regelmäßig vorgekommen, dass auf Basis anonymer Quellen (wo es dann heißt, aus Regierungskreisen oder ein hoher EU-Diplomat hat gesagt, also das, was man branchenintern als 'unter 2' deklariert, das heißt, man darf zitieren, aber nicht sagen, wer das Zitierte gesagt hat) die Grundlagen dafür bildeten zu berichten, dass die griechische Regierung wahlweise unfähig, planlos, arrogant oder frech ist.
Jeder Journalistenschüler lernt schon in den ersten 6 Wochen: Wenn solche Vorwürfe in die Welt gesetzt werden, muss der Autor die andere Seite anrufen und fragen: 'Uns oder mir ist erzählt worden, dass... Was sagen Sie dazu?' Und dann muss diese andere Seite zitiert werden. Wenn sie nicht erreichbar ist, sich nicht äußern will oder nur Beschimpfungen ausstößt, dann schreibt man genau das: War nicht erreichbar. Wollte sich nicht äußern. Aber in allen großen deutschen Medien fand vielfach die Berichterstattung nur auf Basis anonymer Quellen statt, ohne der griechischen Seite auch nur die Möglichkeit zu geben, Stellung zu nehmen. Das war eine schlimme Verletzung journalistischer Standards." [122]
Wer die Quelle dieser rufschädigenden Gerüchte ist, bleibt unklar. Korrespondent Rolf-Dieter Krause selbst wird erst gut vier Monate später, am 22.06.2015, das erste Mal offen über die Arbeit von Spin-Doktoren sprechen. [123]
Charakteristisch für die leaking-Strategie ist, dass der Verbreitung solcher Gerüchte keinerlei Nachrecherche bzw. Korrektur folgt.
Ein weiteres entscheidendes Kennzeichen dieser Form des Innuendo, also dieser indirekten Form, den Kontrahenten ad hominem zu beschuldigen, ist laut dem kanadischen Kommunikationsforscher Douglas Walton "das Verschieben der Beweislast": Weder die Quelle des Gerüchts noch der Verbreiter des Gerüchts müssen die Verantwortung für ihre Beschuldigungen und deren Wirkung übernehmen. [124]
Dafür sorgt im vorliegenden Fall nicht nur der sorgsam verwendete Konjunktiv ("kein Papier vorgelegt habe"), sondern auch die Verwendung von sog. Wieselwörtern (engl. weasel words): "Man hat erfahren können".
Integraler Bestandteil dieser Form der indirekten Beschuldigung ist laut Walton also eine Absicherungstaktik in Form einer argumentativen Rückzugsmöglichkeit: ein Fluchtweg ("escape route“) [125], der es dem Sprecher im Fall von Kritik ermöglicht, die Verantwortung für das, was er weitergibt, abzulehnen.
Im Interview mit der BBC warnt die Investigativjournalistin Heather Brooke vor der Gefahr medialer Informationskontrolle durch Anonymisierung von nicht belegbaren Beschuldigungen. [126]
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[118] Tagesthemen 11.02.2015.
[119] Vgl. auch Robert Misik: Varoufakis benimmt sich echt unmöglich, behaupten anonyme Quellen. Misik.at [Weblog], 30.04.2015.
[120] Yanis Varoufakis: Rede und Diskussionspapier zur Eurogruppensitzung vom 11.02.2015.
[121] Norbert Häring: Das sind die verrückten Ideen der Griechen. Norbert Häring. Geld und mehr [Weblog], 18.02.2015.
[122] Harald Schumann im Interview mit Telepolis, in: Marcus Klöckner: "Wenn man den Mächtigen nach dem Maul schreibt, bekommt man die besseren Honorare", 20.05.2015.
[123] Norbert Häring: ARD-Brüssel-Korrespondent Krause entlarvt Spin-Doktor-ausgerechnet. Norbert Häring. Geld und mehr [Weblog], 22.06.2015.
[124] Douglas Walton: a.a.O., S. 189 ff.
[125] Ebd., S. 186.
[126] Heather Brooke im Interview mit der BBC, 26.01.2010
10 Die Geschichte von der guten Mutter (Teil I)
10 Die Geschichte von der guten Mutter (Teil I) - ernsthaftes Bemühen und hohes Arbeitspensum auf der einen Seite...
Tagesthemen vom 12. Februar 2015 (Teil I) [127]
Das beiläufig daherkommende ("Nehmen wir nur mal") Lob für die ernsthaften Bemühungen und das Arbeitspensum der Bundeskanzlerin bildet den kontrastiven Hintergrund für die im folgenden Beitrag von Korrespondentin Bettina Scharkus kolportierten Gerüchte über die (angebliche) Unzuverlässigkeit und chaotische Unprofessionalität der griechischen Verhandlungsseite. Damit betritt der Archetypus der guten, aufopferungsvollen Mutter, die sich unermüdlich um das Gemeinwohl kümmert, die Bühne des griechischen Dramas.
Dass die Moderatorin während ihres annähernd halbminütigen Lobes für Angela Merkel fast durchgehend die Hände zur Raute faltet, ist ebenso wie das Kopfschütteln und die Betonung durch die Sprechpause Element einer kontextspezifischen nonverbalen Kommunikation. Der untrainierte Zuschauer nimmt solche paralinguistischen Signale (Tonfall und -höhe, Sprechmelodie, Wortbetonung, Sprechtempo, Rhythmus einschließlich Pausengestaltung, Gestik, Mimik) meist nur vorbewusst wahr. Sie liegen außerhalb seines kritischen Bewusstseins.
Im vorliegenden Fall wendet Caren Miosga eine NLP-Technik (Neuro-Linguistisches Programmieren) an: Sie verankert die durch die Hervorhebung von Merkels Aufopferungsbereitschaft erzeugten positiven Emotionen/Wahrnehmungen mit der typischen Geste der Kanzlerin.
Caren Miosgas Geste muss in ihrem emotionalisierenden Kontext bewertet werden: die rhetorisch eindringliche Würdigung der Aufopferungsbereitschaft der Bundeskanzlerin, deren sorgenvolles Gesicht die ARD zeitgleich im Großformat, also dem "Prototyp des Affektbildes", auf die große Medienwand projiziert.
"Bilder dieses Typs sind in gewissem Sinne aus dem zeitlich-räumlichen Zusammenhang eines Geschehens herausgehoben und fokussieren sich ganz auf eine emotionale Qualität." [128]
Video Publikumskonferenz
Wie wichtig der ARD das Erzeugen positiver Gefühle für die Bundeskanzlerin ist, zeigt die Vielzahl an Lobeshymnen, die – gekleidet in unterschiedliche Textsorten – zeitgleich auch andere ARD-Anstalten veröffentlichen.
Hier eine Auswahl:
[127] Tagesthemen 12.02.2015.
[128] Christian Schicha: a.a.O., S.21.
Tagesthemen vom 12. Februar 2015 (Teil I) [127]
Analyse:Caren Miosga (WDR) leitet über von den Minsker Verhandlungen zu den Verhandlungen über Griechenland:
"Die Dauer der Verhandlungen in Minsk darf auch als Indiz für das ernsthafte Bemühen der Beteiligten gelten [...]. Nehmen wir nur mal das Pensum der Bundeskanzlerin - Anfang der Woche noch Staatsbesuche in Washington und Kanada, dann gestern erst Berlin, Trauerstaatsakt für Altbundespräsident von Weizsäcker, dann Minsk und von dort ging es für Merkel – [Moderatorin schüttelt verneinend den Kopf] - nicht etwa nach Hause - [Betonung durch Sprechpause] sondern nach Brüssel, zum Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU [...]."
Das beiläufig daherkommende ("Nehmen wir nur mal") Lob für die ernsthaften Bemühungen und das Arbeitspensum der Bundeskanzlerin bildet den kontrastiven Hintergrund für die im folgenden Beitrag von Korrespondentin Bettina Scharkus kolportierten Gerüchte über die (angebliche) Unzuverlässigkeit und chaotische Unprofessionalität der griechischen Verhandlungsseite. Damit betritt der Archetypus der guten, aufopferungsvollen Mutter, die sich unermüdlich um das Gemeinwohl kümmert, die Bühne des griechischen Dramas.
Dass die Moderatorin während ihres annähernd halbminütigen Lobes für Angela Merkel fast durchgehend die Hände zur Raute faltet, ist ebenso wie das Kopfschütteln und die Betonung durch die Sprechpause Element einer kontextspezifischen nonverbalen Kommunikation. Der untrainierte Zuschauer nimmt solche paralinguistischen Signale (Tonfall und -höhe, Sprechmelodie, Wortbetonung, Sprechtempo, Rhythmus einschließlich Pausengestaltung, Gestik, Mimik) meist nur vorbewusst wahr. Sie liegen außerhalb seines kritischen Bewusstseins.
Im vorliegenden Fall wendet Caren Miosga eine NLP-Technik (Neuro-Linguistisches Programmieren) an: Sie verankert die durch die Hervorhebung von Merkels Aufopferungsbereitschaft erzeugten positiven Emotionen/Wahrnehmungen mit der typischen Geste der Kanzlerin.
Caren Miosgas Geste muss in ihrem emotionalisierenden Kontext bewertet werden: die rhetorisch eindringliche Würdigung der Aufopferungsbereitschaft der Bundeskanzlerin, deren sorgenvolles Gesicht die ARD zeitgleich im Großformat, also dem "Prototyp des Affektbildes", auf die große Medienwand projiziert.
"Bilder dieses Typs sind in gewissem Sinne aus dem zeitlich-räumlichen Zusammenhang eines Geschehens herausgehoben und fokussieren sich ganz auf eine emotionale Qualität." [128]
Video Publikumskonferenz
Wie wichtig der ARD das Erzeugen positiver Gefühle für die Bundeskanzlerin ist, zeigt die Vielzahl an Lobeshymnen, die – gekleidet in unterschiedliche Textsorten – zeitgleich auch andere ARD-Anstalten veröffentlichen.
Hier eine Auswahl:
Deutschlandradio, 13.02.2015
Schlaf. "Zum Glück müssen Politiker keine Lastwagen fahren." Liane von Billerbeck:
"Donnerstag Minsk, Poroschenko, Freitag Moskau, Putin, Samstag München, Sicherheitskonferenz, Sonntag Flug nach Washington, Montag bei Obama und fix in Ottawa bei Harper, Dienstag Flug zurück nach Berlin, Mittwoch Berlin, Staatsakt für Weizsäcker, danach Flug nach Minsk, Mittwochnachmittag bis Donnerstagmorgen 16 Stunden lang durchverhandelt, Donnerstag nach Brüssel, Treffen der europäischen Regierungschefs, und Freitag – ja, was macht Frau Merkel eigentlich freitags? Wie geht so was eigentlich? Wie kann man so leben und arbeiten, ohne ausreichend Schlaf? Das will ich jetzt den Experten dafür fragen, nämlich Professor Achim Kramer. Er leitet an der Berliner Charité die Arbeitsgruppe Chronobiologie und ist ein mit dem Leibniz-Preis ausgezeichneter Biochemiker, der unsere inneren Uhren erforscht. Herr Kramer, guten Morgen! (...)"
WDR 4, 12.02.2015:
"Angela allgegenwärtig" Von Thomas Spickhofen
"Merkel in Moskau, Merkel in München, Merkel in Minsk - der Kalender der Kanzlerin zeugt von einer akuten Allgegenwart an den Krisenherden der internationalen Politik. Oder ist da etwa ein Double im Spiel? (...)
Es ist erstaunlich und, ja: bewundernswert, mit welchem Pensum die Kanzlerin im Moment unterwegs ist und wie sie persönliche Verantwortung wahrnimmt. Aber wie das wohl wird, wenn sie mal wieder ein paar Tage am Stück in Berlin ist und sich zum Beispiel um die PKW-Maut kümmern muss.
Obwohl: Vielleicht hat sie ja tatsächlich ein Double. Und vielleicht wünscht sie sich das manchmal sogar sehr. Zum Beispiel, wenn es um die Maut geht."
NDR, 13.02.2015:
"Wie oft gibt es Angela Merkel?" Eine Glosse von Dietmar Riemer, Leiter des NDR Info Hauptstadtstudios in Berlin*
"Von Moskau über Washington nach Minsk - und dann noch nach Brüssel, bevor es nach Hause geht nach Berlin: Neun Flüge in sieben Tagen - da braucht unsere Kanzlerin schon eine stramme Kondition. Es sei denn, man schickt einen Doppelgänger auf die Reise ... Also fragen wir an dieser Stelle: Ist Angela Merkel wirklich einmalig? (...)."
* Dieser Beitrag wurde aus dem Onlineangebot des NDR entfernt. Auf Anfrage teilte man uns mit:
"Wir erhielten eben die Rückmeldung aus der Redaktion von NDR-Info, dass der gewünschte Beitrag nicht mehr vorliegt.
Mit freundlichen Grüßen
Publikumsservice ARD-aktuell"
MDR, aktualisiert am 15.02.2015:
"Merkels Männer - sie haben's nicht leicht" von Uwe Jahn, Hauptstadt-Korrespondent und Kolumnist für MDR INFO *
"Die Kondition der Kanzlerin ist weltweit gefürchtet. Vor allem in dieser Woche hat Angela Merkel ein imposantes Arbeitsprogramm hingelegt und damit die Männer in ihrem Umfeld alt aussehen lassen. (...)."
* Dieser Beitrag wurde aus dem Onlineangebot des MDR entfernt. Auf Anfrage teilte man uns mit:
Vorbehaltlich der Rechteklärung sowie der redaktionellen Freigabe beträgt der Lizenzpreis für den Beitrag, zur Nutzung auf Ihrer Webseite 300,00 Euro zzgl. MwSt...
Die Lizenzzeit beträgt ein Jahr. Eventuell enthaltene Musik wäre Ihrerseits bei der GEMA/GVL zu klären. Über eine kurze Mitteilung, ob das Angebot interessant für Sie ist, würde ich mich freuen und bei Zustimmung alles Notwendige veranlassen.
Mit freundlichen Grüßen
Administration of Telepool Leipzig
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Deutschlandradio, 14.02.2015
"Die Marathonfrau", Kommentar von Peter Lange, Chefredakteur von Deutschlandradio Kultur:
"Was für eine Woche! Zwei parallele Dramen in Minsk und in Brüssel, zwei Krisenherde, die es einzuhegen gilt, beide mit großer zerstörerischer Energie und dem Potential zu Kettenreaktionen, deren Folgen von niemandem absehbar sind.
Und mittendrin und vorneweg: Die deutsche Bundesregierung mit Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier an der Spitze.
Vom Bundespräsidenten abwärts ist in den letzten Jahren immer wieder eine größere Verantwortung Deutschlands in der Weltpolitik beschworen worden. In dieser Woche ist das handfeste Realität geworden und so deutlich wie kaum jemals zuvor. Europa muss sich selber kümmern – um den kriegerischen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland, um das Verhältnis zu Griechenland, wo eine vom Wahlsieg berauschte neue Regierung wohl erst einmal ausgenüchtert werden musste. Da waren sie bei der deutschen Kanzlerin an der richtigen Adresse. Wenn Angela Merkel angesichts dieser besonderen Woche für ihre physische Belastung bedauert und für ihre Kondition bewundert wird – das geht bald 10 Jahre so..."
[127] Tagesthemen 12.02.2015.
[128] Christian Schicha: a.a.O., S.21.
Die Geschichte von der guten Mutter (Teil II)
11 Die Geschichte von der guten Mutter (Teil II): Chaos und ein Eklat auf der anderen Seite
Tagesschau vom 12.02.2015 (12:18 Uhr) [129]
Schlüsselbild: verärgerter Yanis Varoufakis
Schlüsselwörter: ernsthafte Bemühungen (s. Geschichte 10), verlässlich/ verlässliche Politik, freundlich konziliant vs. Eklat, Ärger, Halbstarken-Verhalten, chaotisch, unprofessionell.
Mit dem Archetypus der Mutter betritt eine weitere Figur die Bühne im Drama der griechischen Heldenreise. Anmoderation und Beitrag versehen die Figur der Bundeskanzlerin mit den entsprechenden Attributen: aufopferungsvoller Dienst an der Gemeinschaft, freundlich, konziliant und kompromissbereit.
Angela Merkels Forderung nach Verlässlichkeit wird von der Korrespondentin zunächst in die "lauter" werdende Forderung der gesamten EU nach "verlässlicher Politik" eingeordnet. Die Berechtigung dieser Forderung wird in Form eines Rückblicks belegt, der den sich am Vortag (angeblich) ereignenden "Eklat" in der Gestalt eines sichtlich verärgerten griechischen Finanzministers vor Augen führt ("Wahrheitsbeweis", Authentizitätsnachweis).
Damit wird gleichzeitig dem als "freundlich und konziliant" hervorgehobenen Verhalten der guten Mutter die (angebliche) Ruppigkeit des griechischen Teenagers gegenübergestellt. Auch im Schaltgespräch der Tagesschau (Mittagsausgabe) wird der Erwachsenen-Teenager-Frame erzeugt: "Mit Griechenland gab es wieder Ärger".
Claus-Erich Boetzkes fragt den Korrespondenten nicht, welche inhaltlichen Differenzen es zwischen den Verhandlungspartnern gibt, sondern danach, welches "Halbstarken-Verhalten" "den Unmut" der anderen EU-Finanzminister erregt hat.
Von Yanis Varoufakis' ökonomischer Argumentation, dass das Troika-Programm rezessionsverursachend sei, wird damit ein weiteres Mal abgelenkt (Red Herring) durch einen Angriff auf seine Vertrauenswürdigkeit (ad hominem). Statt den Zuschauer über den Inhalt der Verhandlungen zu informieren, wird das angebliche Verhalten des griechischen Finanzministers thematisiert.
Rekontextualisierung/Reframing:
Der Ärger des Finanzministers darüber, nicht unbehelligt von Kameras telefonieren zu können, wird aus seinem situativen Sinnzusammenhang gelöst und als visueller Beleg für die kolportierten Gerüchte (Wieselwort: "hinter vorgehaltener Hand") über einen Eklat und eine chaotische und unprofessionelle Krisendiplomatie verwendet (Bildmanipulation durch Kontextfälschung). Tatsächlich steigert die Aufnahme des verärgerten Yanis Varoufakis die Glaubwürdigkeit des Off-Textes. Der Zuschauer meint fälschlicherweise, mit eigenen Augen den Eklat gesehen zu haben ("Wahrheitsbeweis", Augenzeugenillusion).
Das ZDF, das dieselbe Szene zeigt, ordnet den Kontext mittels Übersetzung von Yanis Varoufakis' Worten zumindest korrekt ein:
"'Ich telefoniere gerade', ruft Yanis Varoufakis genervt den Reportern zu." [131]
Video Publikumskonferenz
Auslassung:
Der Zuschauer erfährt nicht, dass Yanis Varoufakis diesem auch von anderen Medien verbreiteten Gerücht, wonach er der Erklärung zugestimmt hatte, bereits widersprochen hatte. [132]
Der Zuschauer erfährt auch nicht, dass Yanis Varoufakis nachts nach Sitzungsende auf offener Straße ARD und ZDF exklusiv ein Interview gegeben hatte, dessen Inhalt, obwohl wichtig zum Verständnis der Verhandlungssituation, keinerlei Eingang in die Berichterstattung gefunden hat. Dem "hinter vorgehaltener Hand" Kolportierten misst die ARD einen größeren Nachrichtenwert zu als dem direkt mit Varoufakis geführten Interview.
Im Gespräch mit ARD und ZDF hob er als Ergebnis der Sitzung hervor, sich "besser zu verstehen" als noch am Morgen. Er erklärte aber auch, weshalb Griechenland der Verlängerung des laufenden Programms nicht zustimmen kann:
"Weil für uns das Programm katastrophal ist. [...] Das Gerücht, dass sich die griechische Wirtschaft in der zweiten Hälfte 2014 erholt habe, ist stark übertrieben. Das reale Wachstum des BIP war bloß eine Fata Morgana: In Wirklichkeit sank das nominelle BIP, das nominelle Einkommen, und der einzige Grund, weshalb das reale BIP stieg, war, dass die Preise schneller fielen. Das ist nicht der Fall, wenn man sich erholt, das ist der Fall in einer großen Depression, wie in den 1930er Jahren [...]. Das Experiment ist gescheitert. Was macht nun ein Wissenschaftler, wenn ein Experiment gescheitert ist? Er überarbeitet es [...].
Die Tatsache, dass wir ein frisches Mandat haben, gibt uns nicht das Recht zu tun, was wir wollen, aber es gibt uns das Recht, gehört zu werden. Und so hat heute der Prozess des Gehörtwerdens begonnen und hoffentlich wird bald ein neuer Vertrag zwischen Griechenland und Europa sein, so dass wir endlich Griechenland aus den Schlagzeilen nehmen und sicherstellen, dass Sie nicht wieder hier draußen in der Kälte warten müssen, um mit mir, dem griechischen Finanzminister, zu sprechen. Und das ist mein Traum. Danke [...]."[133]
Der Zuschauer wird auch in den Tagesthemen vom 16. Februar 2015 nicht erfahren, dass Yanis Varoufakis auf seiner Pressekonferenz noch einmal in Bezug auf die Eurogruppen-Sitzung vom 11. Februar 2015 erläutert, weshalb er die an ihn gestellte Forderung abgelehnt hat, eine Erklärung zu unterschreiben, die Griechenland dazu verpflichtet hätte, "das laufende Programm zu verlängern und erfolgreich abzuschließen": Den europäischen Partnern zu versprechen, ein Programm erfolgreich zu beenden, dessen Logik die griechische Regierung in Zweifel zieht, wäre laut Yanis Varoufakis ein Trick, also unehrlich gewesen. [134]
Stattdessen wird in den Tagesthemen vom 16. Februar 2015 der griechische Finanzminister für das Scheitern der Verhandlungen auch vom 16. Februar 2015 verantwortlich gemacht. Als Ursache genannt werden dieses Mal: sein angebliches Pokerspiel (Geschichte 12), seine angebliche Arroganz und Chuzpe (Geschichte 13) sowie seine angebliche Kompromisslosigkeit (Geschichte 14).
All diese Zuschreibungen dienen dazu, erneut die Vertrauenswürdigkeit des griechischen Finanzministers in Zweifel zu ziehen (ad hominem) und damit vom inhaltlichen Stand der Verhandlungen abzulenken (Red Herring).
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[129] Tagesschau 12.02.2015, Mittagsausgabe.
[130] Tagesthemen 12.02.2015.
[131] ZDF-heute 12.02.2015.
[132] Mike Bird:Europe's finance ministers very nearly agreed to this provisional deal on Greece, in: Business Insider, 12.02.2015.
[133] Yanis Varoufakis. Interview mit ARD und ZDF nach der Eurogruppensitzung vom 11.02.2015 (ab Min. 2:14).
[134] Yanis Varoufakis. Pressekonferenz vom 16.02.2015.
Tagesschau vom 12.02.2015 (12:18 Uhr) [129]
Tagesthemen vom 12.02.2015 (Teil II) [130]Claus-Erich Boetzkes (BR): "… und mit Griechenland gab es erneut Ärger. Von einem richtigen Halbstarken-Verhalten der Griechen ist bereits die Rede, Rolf-Dieter Krause in Brüssel, was hat für Unmut bei den EU-Finanzministern gestern gesorgt?"
Rolf-Dieter Krause (WDR): "Naja, es war ein zumindest ungewöhnliches Verhalten. Der griechische Finanzminister hat mit seinen 18 Partnern lange und hart verhandelt. Er hatte alle gegen sich, auch Zypern. Und am Ende war eine Vereinbarung auf dem Tisch. Und dann haben alle anderen zugestimmt. Und dann hat er seine Zustimmung, obwohl er Verhandlungsführer war, zurückgezogen."
Fakten und Analyse:Korrespondentenbeitrag von Bettina Scharkus (WDR)
Bettina Scharkus/Off: Angela Merkel hat noch keinen Besuch bekommen vom neuen griechischen Regierungschef. Mit ihr suchte er noch nicht das Vier-Augen-Gespräch.
In Brüssel treffen die beiden nun erstmals nach der Griechenland-Wahl persönlich aufeinander.
Die Begrüßung ist freundlich, der Ton konziliant:
Angela Merkel/On: Kompromisse geht man dann ein, wenn die Vorteile die Nachteile überwiegen. Und Deutschland ist dazu bereit - allerdings muss man auch sagen, dass Europas Glaubwürdigkeit natürlich auch darauf beruht, dass wir Regeln einhalten und dass wir verlässlich zueinander sind.
Bettina Scharkus/Off: Die Forderung der EU nach verlässlicher Politik wird lauter, denn gestern kam es beim Treffen der Finanzminister kurz vor Mitternacht zum Eklat:
Der Finanzminister aus Athen wollte ein gemeinsam entwickeltes Papier plötzlich dann doch nicht mehr unterschreiben [...]. Eine griechische Krisendiplomatie, die manch einer hinter vorgehaltener Hand so beschreibt: als ziemlich chaotisch und unprofessionell.
Schlüsselbild: verärgerter Yanis Varoufakis
Schlüsselwörter: ernsthafte Bemühungen (s. Geschichte 10), verlässlich/ verlässliche Politik, freundlich konziliant vs. Eklat, Ärger, Halbstarken-Verhalten, chaotisch, unprofessionell.
Mit dem Archetypus der Mutter betritt eine weitere Figur die Bühne im Drama der griechischen Heldenreise. Anmoderation und Beitrag versehen die Figur der Bundeskanzlerin mit den entsprechenden Attributen: aufopferungsvoller Dienst an der Gemeinschaft, freundlich, konziliant und kompromissbereit.
Angela Merkels Forderung nach Verlässlichkeit wird von der Korrespondentin zunächst in die "lauter" werdende Forderung der gesamten EU nach "verlässlicher Politik" eingeordnet. Die Berechtigung dieser Forderung wird in Form eines Rückblicks belegt, der den sich am Vortag (angeblich) ereignenden "Eklat" in der Gestalt eines sichtlich verärgerten griechischen Finanzministers vor Augen führt ("Wahrheitsbeweis", Authentizitätsnachweis).
Damit wird gleichzeitig dem als "freundlich und konziliant" hervorgehobenen Verhalten der guten Mutter die (angebliche) Ruppigkeit des griechischen Teenagers gegenübergestellt. Auch im Schaltgespräch der Tagesschau (Mittagsausgabe) wird der Erwachsenen-Teenager-Frame erzeugt: "Mit Griechenland gab es wieder Ärger".
Claus-Erich Boetzkes fragt den Korrespondenten nicht, welche inhaltlichen Differenzen es zwischen den Verhandlungspartnern gibt, sondern danach, welches "Halbstarken-Verhalten" "den Unmut" der anderen EU-Finanzminister erregt hat.
Von Yanis Varoufakis' ökonomischer Argumentation, dass das Troika-Programm rezessionsverursachend sei, wird damit ein weiteres Mal abgelenkt (Red Herring) durch einen Angriff auf seine Vertrauenswürdigkeit (ad hominem). Statt den Zuschauer über den Inhalt der Verhandlungen zu informieren, wird das angebliche Verhalten des griechischen Finanzministers thematisiert.
Rekontextualisierung/Reframing:
Der Ärger des Finanzministers darüber, nicht unbehelligt von Kameras telefonieren zu können, wird aus seinem situativen Sinnzusammenhang gelöst und als visueller Beleg für die kolportierten Gerüchte (Wieselwort: "hinter vorgehaltener Hand") über einen Eklat und eine chaotische und unprofessionelle Krisendiplomatie verwendet (Bildmanipulation durch Kontextfälschung). Tatsächlich steigert die Aufnahme des verärgerten Yanis Varoufakis die Glaubwürdigkeit des Off-Textes. Der Zuschauer meint fälschlicherweise, mit eigenen Augen den Eklat gesehen zu haben ("Wahrheitsbeweis", Augenzeugenillusion).
Das ZDF, das dieselbe Szene zeigt, ordnet den Kontext mittels Übersetzung von Yanis Varoufakis' Worten zumindest korrekt ein:
"'Ich telefoniere gerade', ruft Yanis Varoufakis genervt den Reportern zu." [131]
Video Publikumskonferenz
Auslassung:
Der Zuschauer erfährt nicht, dass Yanis Varoufakis diesem auch von anderen Medien verbreiteten Gerücht, wonach er der Erklärung zugestimmt hatte, bereits widersprochen hatte. [132]
Der Zuschauer erfährt auch nicht, dass Yanis Varoufakis nachts nach Sitzungsende auf offener Straße ARD und ZDF exklusiv ein Interview gegeben hatte, dessen Inhalt, obwohl wichtig zum Verständnis der Verhandlungssituation, keinerlei Eingang in die Berichterstattung gefunden hat. Dem "hinter vorgehaltener Hand" Kolportierten misst die ARD einen größeren Nachrichtenwert zu als dem direkt mit Varoufakis geführten Interview.
Im Gespräch mit ARD und ZDF hob er als Ergebnis der Sitzung hervor, sich "besser zu verstehen" als noch am Morgen. Er erklärte aber auch, weshalb Griechenland der Verlängerung des laufenden Programms nicht zustimmen kann:
"Weil für uns das Programm katastrophal ist. [...] Das Gerücht, dass sich die griechische Wirtschaft in der zweiten Hälfte 2014 erholt habe, ist stark übertrieben. Das reale Wachstum des BIP war bloß eine Fata Morgana: In Wirklichkeit sank das nominelle BIP, das nominelle Einkommen, und der einzige Grund, weshalb das reale BIP stieg, war, dass die Preise schneller fielen. Das ist nicht der Fall, wenn man sich erholt, das ist der Fall in einer großen Depression, wie in den 1930er Jahren [...]. Das Experiment ist gescheitert. Was macht nun ein Wissenschaftler, wenn ein Experiment gescheitert ist? Er überarbeitet es [...].
Die Tatsache, dass wir ein frisches Mandat haben, gibt uns nicht das Recht zu tun, was wir wollen, aber es gibt uns das Recht, gehört zu werden. Und so hat heute der Prozess des Gehörtwerdens begonnen und hoffentlich wird bald ein neuer Vertrag zwischen Griechenland und Europa sein, so dass wir endlich Griechenland aus den Schlagzeilen nehmen und sicherstellen, dass Sie nicht wieder hier draußen in der Kälte warten müssen, um mit mir, dem griechischen Finanzminister, zu sprechen. Und das ist mein Traum. Danke [...]."[133]
Der Zuschauer wird auch in den Tagesthemen vom 16. Februar 2015 nicht erfahren, dass Yanis Varoufakis auf seiner Pressekonferenz noch einmal in Bezug auf die Eurogruppen-Sitzung vom 11. Februar 2015 erläutert, weshalb er die an ihn gestellte Forderung abgelehnt hat, eine Erklärung zu unterschreiben, die Griechenland dazu verpflichtet hätte, "das laufende Programm zu verlängern und erfolgreich abzuschließen": Den europäischen Partnern zu versprechen, ein Programm erfolgreich zu beenden, dessen Logik die griechische Regierung in Zweifel zieht, wäre laut Yanis Varoufakis ein Trick, also unehrlich gewesen. [134]
Stattdessen wird in den Tagesthemen vom 16. Februar 2015 der griechische Finanzminister für das Scheitern der Verhandlungen auch vom 16. Februar 2015 verantwortlich gemacht. Als Ursache genannt werden dieses Mal: sein angebliches Pokerspiel (Geschichte 12), seine angebliche Arroganz und Chuzpe (Geschichte 13) sowie seine angebliche Kompromisslosigkeit (Geschichte 14).
All diese Zuschreibungen dienen dazu, erneut die Vertrauenswürdigkeit des griechischen Finanzministers in Zweifel zu ziehen (ad hominem) und damit vom inhaltlichen Stand der Verhandlungen abzulenken (Red Herring).
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[129] Tagesschau 12.02.2015, Mittagsausgabe.
[130] Tagesthemen 12.02.2015.
[131] ZDF-heute 12.02.2015.
[132] Mike Bird:Europe's finance ministers very nearly agreed to this provisional deal on Greece, in: Business Insider, 12.02.2015.
[133] Yanis Varoufakis. Interview mit ARD und ZDF nach der Eurogruppensitzung vom 11.02.2015 (ab Min. 2:14).
[134] Yanis Varoufakis. Pressekonferenz vom 16.02.2015.
12 Die Geschichte vom rätselhaften Herrn Varoufakis (Teil I)
12 Die Geschichte vom rätselhaften Herrn Varoufakis - das Scheitern der Verhandlungen vom 16. Februar 2015 (Teil I)
Tagesthemen vom 16.02.2015 [135]
Fakten und Analyse:
Schlüsselbild: Spielkarten (Einblendung erst ab Erwähnung der "griechischen Seite")
Schlüsselwörter: Stimmung ziemlich düster, Milliardenpoker, pokern, nicht in die Karten schauen lassen, rätselhaft
Falschinformationen, Dekontextualisierung und Auslassung:
Undurchsichtig. Ausweichend. Pokernd. Hier klingt erneut der Trickster-Mythos an. Es sind dramaturgische Zuschreibungen, die mit der Realität allerdings nichts zu haben:
a) Zur Anmoderation Thomas Roths:
Die von Griechenland als Reaktion auf solche Gerüchte veröffentlichten Dokumente (Reden des griechischen Finanzministers vom 11. und 16. Februar 2015 samt jeweiliger schriftlicher Diskussionspapiere) widerlegen die Aussage Thomas Roths. Alle anderen Finanzminister wurden von Yanis Varoufakis in den Eurogruppensitzungen zweifelsfrei darüber informiert, was "die Griechen wirklich wollen". [136]
Der Moderator gibt hier die Perspektive des Bundesfinanzministers wieder: "Niemand der Kollegen hat bisher verstanden, was Griechenland am Ende wirklich will" [137] sowie die von diesem am selben Tag noch vor Verhandlungsbeginn im Interview mit dem Deutschlandfunk getroffene Aussage vom "großen Pokerspiel dieser neuen Regierung". [138]
So wird in der Anmoderation das Spielkarten-Symbolbild just in dem Moment eingeblendet, als Thomas Roth auf die "griechische Seite" zu sprechen kommt.
b) Zum Korrespondentenbeitrag: Christian Feld/Off:
Auf dem Weg raus fliegt ihm noch eine Frage entgegen: 'Sich auf halber Strecke treffen, was bedeutet das für Griechenland? Yanis Varoufakis/On: Benutzen Sie Ihre Phantasie, … Christian Feld/Off: … sagt er und bleibt für seine Zuhörer ein weiteres Mal rätselhaft."
Die Aufnahme der rätselhaften Antwort des griechischen Finanzministers auf die ihm nach der Pressekonferenz entgegen "fliegende" Frage hat Beweischarakter: Sie soll die Behauptung der Anmoderation stützen, Griechenland lasse sich nicht in die Karten gucken. Der Zuschauer meint, Zeuge davon zu werden, wie der griechische Finanzminister der Frage ausweicht ("Wahrheitsbeweis"/Authentizitätsnachweis, Augenzeugenillusion).
Was der Zuschauer nicht weiß: Yanis Varoufakis hatte diese Frage, die ihm beim Verlassen des Gebäudes medienwirksam "zuflog", gerade eben erst auf der im Beitrag gezeigten Pressekonferenz in aller Ausführlichkeit beantwortet und rät dem Fragesteller deshalb nur, seine Vorstellungskraft zu nutzen
("Use your imagination").
Die ARD aber hatte ihren Zuschauern einen anderen Ausschnitt der Pressekonferenz gezeigt.
Für die Zuschauer der ARD muss Yanis Varoufakis infolgedessen tatsächlich "ein weiteres Mal rätselhaft" bleiben, nicht aber für den ARD-Korrespondenten selbst, der den Inhalt der Pressekonferenz kannte. "Seinen Zuhörern" hatte der griechische Finanzminister nämlich konkret erläutert, was er unter "halber Strecke" versteht:
Yanis Varoufakis war bereit gewesen, eine vor der Sitzung zwischen ihm und EU-Kommissar Pierre Moscovici ausgehandelte Vereinbarung zu unterschreiben (s. Geschichte 13). Die Vereinbarung hat die Verlängerung der Kreditvereinbarung enthalten, nicht aber die Vollendung des laufenden - laut griechischer Regierung wirtschaftlich gescheiterten - Reformprogramms. Diese Verlängerung sollte eine Art Zwischenvereinbarung darstellen bis zu einem neuen, stärker auf Wirtschaftswachstum setzenden Vertrag zwischen der EU und Griechenland. In dieser Zwischenzeit hätte die EU-Kommission technische Assistenz zur verstärkten und beschleunigten Umsetzung von Reformen in Griechenland geleistet. Griechenland war zudem bereit, sich zu verpflichten, keine Maßnahmen zu ergreifen, die den bestehenden Haushaltsrahmen sprengen oder Auswirkungen auf die Finanzstabilität haben könnten. Griechenland war bereit, sich zu den Finanzverpflichtungen mit allen Gläubigern zu bekennen.
Im Gegenzug erwartete Griechenland, "dass wir nicht aufgefordert werden, Maßnahmen anzuordnen, die eindeutig rezessionsverursachend sind [...] wie etwa Kürzung von niedrigen Renten sowie Mehrwertsteuererhöhungen", insbesondere in den Touristengebieten Griechenlands, die ein wichtiger Motor der griechischen Wirtschaft seien. [139]
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[135] Tagesthemen 16.02.2016.
[136] Yanis Varoufakis. Reden und Diskussionspapiere zu den Eurogruppen-Sitzungen vom 11. und 16.02.2015.
[137] Wolfgang Schäuble zur Eurogruppensitzung vom 16.02.2015. Audio: Hörbeitrag.
[138] Wolfgang Schäuble im Interview mit dem DLF. "Bin sehr skeptisch", 16.02.2015.
[139] Yanis Varoufakis. Pressekonferenz vom 16.02.2015 (Ausschnitt, deutsche Übersetzung).
Tagesthemen vom 16.02.2015 [135]
Im folgenden Beitrag erzählt Korrespondent Christian Feld die Geschichte des Scheiterns der Verhandlungen in Form einer Rückblende:Thomas Roth (WDR): "Droht nun doch der sogenannte Grexit? [...] In Brüssel war die Stimmung beim Milliardenpoker um die griechischen Schulden heute Abend jedenfalls ziemlich düster."
Thomas Roth: "Besonders die griechische Seite ließ sich beim Pokern um den Schuldendienst nicht in die Karten schauen, und das führte am Ende dazu, dass alle anderen Finanzminister der Eurogruppe bei ihrem heutigen Treffen in Brüssel gar nicht mehr wussten, was die Griechen wirklich wollen [...]."
Christian Feld (NDR)/ Off: Kurz nach 18 Uhr - Athen lehnt neues Angebot der Eurostaaten als absurd ab. Eine Eilmeldung, die das Scheitern ankündigt, aber der Reihe nach:
[...] Als der griechische Finanzminister heute in Brüssel vorfährt, fehlt offenbar noch immer eine gemeinsame Grundlage. Der Ton beim Rest der Eurogruppe wird schärfer.
Wolfgang Schäuble/On: Die griechische Regierung hat sich offenbar gar nicht bewegt.
Christian Feld/Off: Die Sitzung in Brüssel bringt keine Annäherung, im Gegenteil: Die Kluft scheint immer größer zu werden. Fast alle im Raum halten eine Verlängerung des bestehenden Programms für den richtigen Weg - um Zeit zu gewinnen; alle – bis auf einen:
Yanis Varoufakis - auf dem Weg zu seiner Pressekonferenz. Er sagt, Griechenland sei mit einer untragbaren Vereinbarung konfrontiert worden, aber man könne sich auf halber Strecke einigen, innerhalb von 48 Stunden:
Video PublikumskonferenzYanis Varoufakis/ On: Europa macht einen schwierigen Prozess durch, nämlich sich darauf einzustellen, dass da jetzt eine neue griechische Regierung ist, die das bisherige Programm in Frage stellt. Das lief 5 Jahre und ist gescheitert. [...].
Christian Feld/Off: Auf dem Weg raus, fliegt ihm [Varoufakis] noch eine Frage entgegen: 'Sich auf halber Strecke treffen, was bedeutet das für Griechenland?'
Yanis Varoufakis/On: Benutzen Sie Ihre Phantasie
Christian Feld/Off: … sagt er und bleibt für seine Zuhörer ein weiteres Mal rätselhaft.
Fakten und Analyse:
Schlüsselbild: Spielkarten (Einblendung erst ab Erwähnung der "griechischen Seite")
Schlüsselwörter: Stimmung ziemlich düster, Milliardenpoker, pokern, nicht in die Karten schauen lassen, rätselhaft
Falschinformationen, Dekontextualisierung und Auslassung:
Undurchsichtig. Ausweichend. Pokernd. Hier klingt erneut der Trickster-Mythos an. Es sind dramaturgische Zuschreibungen, die mit der Realität allerdings nichts zu haben:
a) Zur Anmoderation Thomas Roths:
Die von Griechenland als Reaktion auf solche Gerüchte veröffentlichten Dokumente (Reden des griechischen Finanzministers vom 11. und 16. Februar 2015 samt jeweiliger schriftlicher Diskussionspapiere) widerlegen die Aussage Thomas Roths. Alle anderen Finanzminister wurden von Yanis Varoufakis in den Eurogruppensitzungen zweifelsfrei darüber informiert, was "die Griechen wirklich wollen". [136]
Der Moderator gibt hier die Perspektive des Bundesfinanzministers wieder: "Niemand der Kollegen hat bisher verstanden, was Griechenland am Ende wirklich will" [137] sowie die von diesem am selben Tag noch vor Verhandlungsbeginn im Interview mit dem Deutschlandfunk getroffene Aussage vom "großen Pokerspiel dieser neuen Regierung". [138]
So wird in der Anmoderation das Spielkarten-Symbolbild just in dem Moment eingeblendet, als Thomas Roth auf die "griechische Seite" zu sprechen kommt.
b) Zum Korrespondentenbeitrag: Christian Feld/Off:
Auf dem Weg raus fliegt ihm noch eine Frage entgegen: 'Sich auf halber Strecke treffen, was bedeutet das für Griechenland? Yanis Varoufakis/On: Benutzen Sie Ihre Phantasie, … Christian Feld/Off: … sagt er und bleibt für seine Zuhörer ein weiteres Mal rätselhaft."
Die Aufnahme der rätselhaften Antwort des griechischen Finanzministers auf die ihm nach der Pressekonferenz entgegen "fliegende" Frage hat Beweischarakter: Sie soll die Behauptung der Anmoderation stützen, Griechenland lasse sich nicht in die Karten gucken. Der Zuschauer meint, Zeuge davon zu werden, wie der griechische Finanzminister der Frage ausweicht ("Wahrheitsbeweis"/Authentizitätsnachweis, Augenzeugenillusion).
Was der Zuschauer nicht weiß: Yanis Varoufakis hatte diese Frage, die ihm beim Verlassen des Gebäudes medienwirksam "zuflog", gerade eben erst auf der im Beitrag gezeigten Pressekonferenz in aller Ausführlichkeit beantwortet und rät dem Fragesteller deshalb nur, seine Vorstellungskraft zu nutzen
("Use your imagination").
Die ARD aber hatte ihren Zuschauern einen anderen Ausschnitt der Pressekonferenz gezeigt.
Für die Zuschauer der ARD muss Yanis Varoufakis infolgedessen tatsächlich "ein weiteres Mal rätselhaft" bleiben, nicht aber für den ARD-Korrespondenten selbst, der den Inhalt der Pressekonferenz kannte. "Seinen Zuhörern" hatte der griechische Finanzminister nämlich konkret erläutert, was er unter "halber Strecke" versteht:
Yanis Varoufakis war bereit gewesen, eine vor der Sitzung zwischen ihm und EU-Kommissar Pierre Moscovici ausgehandelte Vereinbarung zu unterschreiben (s. Geschichte 13). Die Vereinbarung hat die Verlängerung der Kreditvereinbarung enthalten, nicht aber die Vollendung des laufenden - laut griechischer Regierung wirtschaftlich gescheiterten - Reformprogramms. Diese Verlängerung sollte eine Art Zwischenvereinbarung darstellen bis zu einem neuen, stärker auf Wirtschaftswachstum setzenden Vertrag zwischen der EU und Griechenland. In dieser Zwischenzeit hätte die EU-Kommission technische Assistenz zur verstärkten und beschleunigten Umsetzung von Reformen in Griechenland geleistet. Griechenland war zudem bereit, sich zu verpflichten, keine Maßnahmen zu ergreifen, die den bestehenden Haushaltsrahmen sprengen oder Auswirkungen auf die Finanzstabilität haben könnten. Griechenland war bereit, sich zu den Finanzverpflichtungen mit allen Gläubigern zu bekennen.
Im Gegenzug erwartete Griechenland, "dass wir nicht aufgefordert werden, Maßnahmen anzuordnen, die eindeutig rezessionsverursachend sind [...] wie etwa Kürzung von niedrigen Renten sowie Mehrwertsteuererhöhungen", insbesondere in den Touristengebieten Griechenlands, die ein wichtiger Motor der griechischen Wirtschaft seien. [139]
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[135] Tagesthemen 16.02.2016.
[136] Yanis Varoufakis. Reden und Diskussionspapiere zu den Eurogruppen-Sitzungen vom 11. und 16.02.2015.
[137] Wolfgang Schäuble zur Eurogruppensitzung vom 16.02.2015. Audio: Hörbeitrag.
[138] Wolfgang Schäuble im Interview mit dem DLF. "Bin sehr skeptisch", 16.02.2015.
[139] Yanis Varoufakis. Pressekonferenz vom 16.02.2015 (Ausschnitt, deutsche Übersetzung).
13 Die Geschichte vom arroganten Herrn Varoufakis (Teil II)
13 Die Geschichte vom arroganten Herrn Varoufakis - das Scheitern der Verhandlungen vom 16. Februar 2015 (Teil II)
Fortsetzung: Tagesthemen vom 16.02.2015 (Teil II)
Schlüsselbild: Gesichtsfoto von Yanis Varoufakis
Schlüsselwörter: Chuzpe, tönte, Ruppigkeit, ich-will-nicht-sagen-Arroganz, sich ernsthaft einbilden, über das Stöckchen springen lassen
Dekontextualisierung/ Auslassung:
a) Laut Yanis Varoufakis wurde das zwischen ihm und dem EU- Währungskommissar Pierre Moscovici vor der Sitzung ausgehandelte Papier kurz vor der geplanten Unterschrift des griechischen Finanzministers von Jeroen Dijsselbloem durch ein anderes ersetzt. [140]
Die ARD zeigt in dem der Anmoderation Roths folgenden Beitrag sogar einen Ausschnitt aus jener Pressekonferenz vom 16. Februar 2015, in der Varoufakis diesen Vorgang bekannt macht – sie präsentiert ihren Zuschauern aber einen anderen Ausschnitt.
Die griechische Regierung hat beide Dokumente nur wenige Tage später (Moscovici-Entwurf sowie Dijsselbloem-Entwurf) veröffentlicht. [141]
Die Tagesthemen informieren ihre Zuschauer über Yanis Varoufakis' Vorwürfe nicht. Die Aussage des Korrespondenten, Athen lehne "das neue Angebot der Eurostaaten als absurd ab" (Geschichte 12), muss damit für den Zuschauer unverständlich bleiben.
Mark Schieritz, wirtschaftspolitischer Korrespondent der "Zeit" am 17.02.2015:
"Entweder läuft hier ein abgekartetes Spiel oder irgendjemand agiert extrem stümperhaft und setzt damit die Zukunft der Währungsunion aufs Spiel. Warum wurde der Entwurf von Moscovici zurückgezogen? Und auf Druck von wem? Diese Fragen müssen beantwortet werden." [142]
Rekontextualisierung/Reframing:
a) Stattdessen gibt die ARD im O-Ton eine Aussage von Varoufakis wieder, die aus ihrem Sinnzusammenhang losgelöst, in einen fremden eingebettet wurde (contextomy) und so seine in der Anmoderation behauptete Chuzpe und Arroganz zu bestätigen scheint. [143] Der Korrespondent hatte den O-Ton nämlich so angetextet, dass seitens des Zuschauers die Erwartungshaltung entstehen musste, der griechische Finanzminister konkretisiere seine Behauptung, man könne sich auf halber Strecke einigen. Varoufakis' Äußerung enthält dann aber arroganterweise keinerlei Konzessionen von griechischer Seite.
Frage des Journalisten: "Ist das nicht ein Beweis dafür, dass Griechenland die Eurozone verlassen muss?"
Yanis Varoufakis: "Alles, was heute Abend bewiesen wurde, ist, dass Europa einen schwierigen Prozess durchmacht, nämlich sich darauf einzustellen, dass da jetzt eine neue griechische Regierung ist, die das bisherige Programm in Frage stellt. Das lief fünf Jahre und ist gescheitert. [...] Und unser Problem ist, unsere Partner davon zu überzeugen, dass Europa dem Programm, das nicht funktioniert, ein Ende bereiten muss, um weitere Verluste zu vermeiden. [...]."
Varoufakis entkräftet im Folgenden das Argument, dass Griechenland "über den Berg" sei und das Reformprogramm zu einem Wirtschaftswachstum geführt habe (s. Geschichte 11) und endet mit den Worten: "Griechenland ist ein Mitglied der Eurozone und wird es bleiben. Europa ist unteilbar."
Dafür, dass der Zuschauer Yanis Varoufakis' Aussage in dem von der ARD präsentierten falschen Kontext kritisch beurteilt, sorgt auch ein wichtiger Darstellungseffekt (optische Kommentierung):
Während der Korrespondent den O-Ton von Yanis Varoufakis mit dessen Aussage antextet, "man könne sich auf halber Strecke einigen innerhalb von 48 Stunden", zeigt die Kameraeinstellung 3 Sekunden lang eine demonstrativ negative "Publikumsreaktion", wie sie - sollte sie überhaupt authentisch sein - in einem Filmbeitrag über eine Pressekonferenz des Bundesfinanzministers wohl kaum gezeigt würde.
Off: Man könne sich auf halber Strecke einigen innerhalb von 48 Stunden.
"Selbst kleinste Veränderungen in der Darstellung, z.B. das Zeigen oder Nichtzeigen von Nervosität, Zoomen auf einen Sprecher, das Einschneiden von positiven oder negativen Publikumsreaktionen kreieren beim Publikum verschiedene Eindrücke einer Person [...]. Die Möglichkeiten des Fernsehens, mit Hilfe von Darstellungstechniken Images von Politikern zu beeinflussen, sind praktisch unbegrenzt." [145] (Wolfgang Donsbach).
b) Das in der Anmoderation verwendete Foto von Varoufakis wurde als Standbild aus einer Filmsequenz mit dem entsprechenden Kontext herausgelöst(Dekontextualisierung):
Durch die neue Bedeutungsverknüpfung ("Chuzpe") gewinnt das Bild eine Bedeutung, die es im Bewegtbildablauf nicht gehabt hatte (Bildmanipulation durch Kontextfälschung).
Das zeigt die Original-Aufnahme (bei 00:16) [146].
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[140] Yanis Varoufakis. Pressekonferenz vom 16.02.2015 (Ausschnitt, deutsche Übersetzung).
[141] Vertragsentwürfe von Pierre Moscovici und Jeroen Dijsselbloem
[142] Mark Schieritz: Wer ist schuld am Griechen-Gau? Herdentrieb [Weblog], 17.02.2015.
[143] Hannes Vogel: Varoufakis war kein Großkotz, n-tv, 19.02.2015.
[144] Yanis Varoufakis. Pressekonferenz vom 16.02.2015 (vollständig, Englisch).
[145] Wolfgang Donsbach: a.a.O.
[146] Varoufakis vor Beginn der Pressekonferenz vom 16.02.2015.
Fortsetzung: Tagesthemen vom 16.02.2015 (Teil II)
Thomas Roth im anschließenden Schaltgespräch:Chuzpe in den größtmöglichen rhetorischen Fettnapf zu springen, der irgendwie erreichbar ist. Finanzielles Waterboarding sei das, wie die EU mit Griechenlands Schuldenrückzahlung umgehe, tönte er schon im Wahlkampf [...]. Auch deshalb verwundert es nicht, dass die Verhandlungen in Brüssel am Abend erst einmal geplatzt sind.""Den überaus selbstbewussten griechischen Finanzminister zeichnet außerdem das Talent aus, mit beeindruckender
Aus dem Korrespondentenbeitrag von Christian Feld:
Christian Feld/Off: Er [Yanis Varoufakis] sagt, Griechenland sei mit einer untragbaren Vereinbarung konfrontiert worden, aber man könne sich
auf halber Strecke einigen - innerhalb von 48 Stunden.
Yanis Varoufakis/On: Europa macht einen schwierigen Prozess durch, nämlich sich darauf einzustellen, dass da jetzt eine neue griechische Regierung ist, die das bisherige Programm in Frage stellt. Das lief fünf Jahre und ist gescheitert.
Fakten und Analyse:"Rolf Dieter, was ja auffällt, wenn man das so beobachtet, was der griechische Finanzminister allenthalben äußert, dann fällt ja die Ruppigkeit in der Sprache auf, ich will nicht sagen Arroganz, erregt das nicht enormen Unmut in Brüssel?"
Rolf-Dieter Krause: "Unmut auch, aber vor allem Unverständnis. Denn die griechische Regierung reagiert so, als würde sie sich ernsthaft einbilden, dass 18 andere Länder [...] über das Stöckchen springen, dass die griechische Regierung ihnen hinhält."
Schlüsselbild: Gesichtsfoto von Yanis Varoufakis
Schlüsselwörter: Chuzpe, tönte, Ruppigkeit, ich-will-nicht-sagen-Arroganz, sich ernsthaft einbilden, über das Stöckchen springen lassen
Dekontextualisierung/ Auslassung:
a) Laut Yanis Varoufakis wurde das zwischen ihm und dem EU- Währungskommissar Pierre Moscovici vor der Sitzung ausgehandelte Papier kurz vor der geplanten Unterschrift des griechischen Finanzministers von Jeroen Dijsselbloem durch ein anderes ersetzt. [140]
Die ARD zeigt in dem der Anmoderation Roths folgenden Beitrag sogar einen Ausschnitt aus jener Pressekonferenz vom 16. Februar 2015, in der Varoufakis diesen Vorgang bekannt macht – sie präsentiert ihren Zuschauern aber einen anderen Ausschnitt.
Die griechische Regierung hat beide Dokumente nur wenige Tage später (Moscovici-Entwurf sowie Dijsselbloem-Entwurf) veröffentlicht. [141]
Die Tagesthemen informieren ihre Zuschauer über Yanis Varoufakis' Vorwürfe nicht. Die Aussage des Korrespondenten, Athen lehne "das neue Angebot der Eurostaaten als absurd ab" (Geschichte 12), muss damit für den Zuschauer unverständlich bleiben.
Mark Schieritz, wirtschaftspolitischer Korrespondent der "Zeit" am 17.02.2015:
"Entweder läuft hier ein abgekartetes Spiel oder irgendjemand agiert extrem stümperhaft und setzt damit die Zukunft der Währungsunion aufs Spiel. Warum wurde der Entwurf von Moscovici zurückgezogen? Und auf Druck von wem? Diese Fragen müssen beantwortet werden." [142]
Rekontextualisierung/Reframing:
a) Stattdessen gibt die ARD im O-Ton eine Aussage von Varoufakis wieder, die aus ihrem Sinnzusammenhang losgelöst, in einen fremden eingebettet wurde (contextomy) und so seine in der Anmoderation behauptete Chuzpe und Arroganz zu bestätigen scheint. [143] Der Korrespondent hatte den O-Ton nämlich so angetextet, dass seitens des Zuschauers die Erwartungshaltung entstehen musste, der griechische Finanzminister konkretisiere seine Behauptung, man könne sich auf halber Strecke einigen. Varoufakis' Äußerung enthält dann aber arroganterweise keinerlei Konzessionen von griechischer Seite.
Was der Zuschauer nicht weiß: Yanis Varoufakis hatte an anderer Stelle der Pressekonferenz erläutert, was er unter "halber Strecke" versteht (s. Geschichte 12). An dieser Stelle der Pressekonferenz beantwortet er die Frage eines Journalisten, der die Stellungnahme der übrigen Eurogruppenländer zum Scheitern der Verhandlungen als Beweis dafür bewertete, dass der Grexit bevorstehe. [144]Christian Feld/Off: Er sagt, er sei mit einer untragbaren Vereinbarung konfrontiert worden, aber man könne sich auf halber Strecke einigen, binnen 48 Stunden.
Yanis Varoufakis/On: Europa macht einen schwierigen Prozess durch, nämlich sich darauf einzustellen, dass da jetzt eine neue griechische Regierung ist, die das bisherige Programm in Frage stellt. Das lief fünf Jahre und ist gescheitert.
Frage des Journalisten: "Ist das nicht ein Beweis dafür, dass Griechenland die Eurozone verlassen muss?"
Yanis Varoufakis: "Alles, was heute Abend bewiesen wurde, ist, dass Europa einen schwierigen Prozess durchmacht, nämlich sich darauf einzustellen, dass da jetzt eine neue griechische Regierung ist, die das bisherige Programm in Frage stellt. Das lief fünf Jahre und ist gescheitert. [...] Und unser Problem ist, unsere Partner davon zu überzeugen, dass Europa dem Programm, das nicht funktioniert, ein Ende bereiten muss, um weitere Verluste zu vermeiden. [...]."
Varoufakis entkräftet im Folgenden das Argument, dass Griechenland "über den Berg" sei und das Reformprogramm zu einem Wirtschaftswachstum geführt habe (s. Geschichte 11) und endet mit den Worten: "Griechenland ist ein Mitglied der Eurozone und wird es bleiben. Europa ist unteilbar."
Dafür, dass der Zuschauer Yanis Varoufakis' Aussage in dem von der ARD präsentierten falschen Kontext kritisch beurteilt, sorgt auch ein wichtiger Darstellungseffekt (optische Kommentierung):
Während der Korrespondent den O-Ton von Yanis Varoufakis mit dessen Aussage antextet, "man könne sich auf halber Strecke einigen innerhalb von 48 Stunden", zeigt die Kameraeinstellung 3 Sekunden lang eine demonstrativ negative "Publikumsreaktion", wie sie - sollte sie überhaupt authentisch sein - in einem Filmbeitrag über eine Pressekonferenz des Bundesfinanzministers wohl kaum gezeigt würde.
Off: Man könne sich auf halber Strecke einigen innerhalb von 48 Stunden.
"Selbst kleinste Veränderungen in der Darstellung, z.B. das Zeigen oder Nichtzeigen von Nervosität, Zoomen auf einen Sprecher, das Einschneiden von positiven oder negativen Publikumsreaktionen kreieren beim Publikum verschiedene Eindrücke einer Person [...]. Die Möglichkeiten des Fernsehens, mit Hilfe von Darstellungstechniken Images von Politikern zu beeinflussen, sind praktisch unbegrenzt." [145] (Wolfgang Donsbach).
b) Das in der Anmoderation verwendete Foto von Varoufakis wurde als Standbild aus einer Filmsequenz mit dem entsprechenden Kontext herausgelöst(Dekontextualisierung):
Durch die neue Bedeutungsverknüpfung ("Chuzpe") gewinnt das Bild eine Bedeutung, die es im Bewegtbildablauf nicht gehabt hatte (Bildmanipulation durch Kontextfälschung).
Das zeigt die Original-Aufnahme (bei 00:16) [146].
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[140] Yanis Varoufakis. Pressekonferenz vom 16.02.2015 (Ausschnitt, deutsche Übersetzung).
[141] Vertragsentwürfe von Pierre Moscovici und Jeroen Dijsselbloem
[142] Mark Schieritz: Wer ist schuld am Griechen-Gau? Herdentrieb [Weblog], 17.02.2015.
[143] Hannes Vogel: Varoufakis war kein Großkotz, n-tv, 19.02.2015.
[144] Yanis Varoufakis. Pressekonferenz vom 16.02.2015 (vollständig, Englisch).
[145] Wolfgang Donsbach: a.a.O.
[146] Varoufakis vor Beginn der Pressekonferenz vom 16.02.2015.
14 Die Geschichte von der kompromisslosen griechischen Regierung (Teil III)
14 Die Geschichte von der kompromisslosen griechischen Regierung - das Scheitern der Verhandlungen vom 16. Februar 2015 (Teil III)
Fortsetzung: Tagesthemen vom 16.02.2015 (Teil III)
Im Schaltgespräch über die Eurogruppensitzung bestätigt und konkretisiert Korrespondent Rolf-Dieter Krause schließlich die im vorangegangenen Beitrag von Christian Feld im O-Ton gezeigte Einschätzung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble:
"Griechenland hat sich offenbar gar nicht bewegt"
a) keine Reformen, die bisher stattgefunden haben, zurückzudrehen,
b) neue Maßnahmen nur dann zu ergreifen, wenn sie voll finanziert sind,
c) mit den Institutionen zusammenzuarbeiten, die ehemals Troika hießen,
d) die laufende Überprüfung abzuschließen,
e) die Verpflichtung, die Schulden an alle Gläubiger zurückzuzahlen.
Fakten und Analyse:
Falschinformation:
Der Korrespondent leitet seine Aussage mit einer sprachlichen Wendung ein, welche die Authentizität der nun folgenden Information unterstreichen soll ("Wenn man dem griechischen Finanzminister zugehört hat"). Seine Meldung aber, dass der griechische Finanzminister die aufgezählten Forderungen der Eurozone alle für "Zeug" hielt, das er "auf keinen Fall unterschreiben" wolle, ist nachweislich unwahr (Strohmann-Argument).
Das ergibt allein schon die Kenntnis der Brüsseler Pressekonferenz (s. Geschichte 12), deren Inhalt dem Brüssel-Korrespondenten bekannt war.
Auch in seinen der Eurogruppe unterbreiteten Vorschlägen vom 11. und 16. Februar 2015 hatte Yanis Varoufakis folgende Bedingungen für eine Verlängerung der Kreditvereinbarung zur Auszahlung der ausstehenden Kredit-Tranche angeboten [147] [148]:
a) Aufzählung aller vereinbarten Reformen, deren Umsetzung die griechische Regierung auch weiterhin vorantreiben wird, Nennung von strittigen Punkten (Höhe des Primärüberschusses). Ablehnung von rezessionsverursachenden Maßnahmen wie Rentenkürzung und Erhöhung der Umsatzsteuer.
Privatisierungen würden weiter verfolgt, müssten gleichzeitig aber auch unter den Gesichtspunkten Meriten, Arbeitsverhältnisse und Umweltfragen geprüft werden.
b) Selbstverpflichtung, keine Maßnahmen zu ergreifen, die den bestehenden Haushaltsrahmen sprengen oder Auswirkungen auf die Finanzstabilität haben könnten.
c)/d) Volle Kooperation mit der EU-Kommission, der EZB und dem IWF ("Institutionen"), aber Ablehnung der bisherigen Rolle der Troika in Griechenland (s. Geschichte 5).
e) Bekenntnis zu Finanzverpflichtungen mit allen Gläubigern.
Auch diese Falschinformation des Brüsseler Korrespondenten wurde im weiteren Verlauf der ARD-Berichterstattung nicht korrigiert.
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[147] Yanis Varoufakis. Reden und Diskussionspapiere, a.a.O.
[148] Norbert Häring: Das sind die verrückten Ideen der Griechen, a.a.O.
Fortsetzung: Tagesthemen vom 16.02.2015 (Teil III)
Im Schaltgespräch über die Eurogruppensitzung bestätigt und konkretisiert Korrespondent Rolf-Dieter Krause schließlich die im vorangegangenen Beitrag von Christian Feld im O-Ton gezeigte Einschätzung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble:
"Griechenland hat sich offenbar gar nicht bewegt"
Folgende Forderungen der Eurozone hatte der ARD-Korrespondent aufgezählt:Rolf-Dieter Krause: "Wenn man dem griechischen Finanzminister zugehört hat, ist das lauter Zeugs, das er auf keinen Fall unterschreiben will".
a) keine Reformen, die bisher stattgefunden haben, zurückzudrehen,
b) neue Maßnahmen nur dann zu ergreifen, wenn sie voll finanziert sind,
c) mit den Institutionen zusammenzuarbeiten, die ehemals Troika hießen,
d) die laufende Überprüfung abzuschließen,
e) die Verpflichtung, die Schulden an alle Gläubiger zurückzuzahlen.
Fakten und Analyse:
Falschinformation:
Der Korrespondent leitet seine Aussage mit einer sprachlichen Wendung ein, welche die Authentizität der nun folgenden Information unterstreichen soll ("Wenn man dem griechischen Finanzminister zugehört hat"). Seine Meldung aber, dass der griechische Finanzminister die aufgezählten Forderungen der Eurozone alle für "Zeug" hielt, das er "auf keinen Fall unterschreiben" wolle, ist nachweislich unwahr (Strohmann-Argument).
Das ergibt allein schon die Kenntnis der Brüsseler Pressekonferenz (s. Geschichte 12), deren Inhalt dem Brüssel-Korrespondenten bekannt war.
Auch in seinen der Eurogruppe unterbreiteten Vorschlägen vom 11. und 16. Februar 2015 hatte Yanis Varoufakis folgende Bedingungen für eine Verlängerung der Kreditvereinbarung zur Auszahlung der ausstehenden Kredit-Tranche angeboten [147] [148]:
a) Aufzählung aller vereinbarten Reformen, deren Umsetzung die griechische Regierung auch weiterhin vorantreiben wird, Nennung von strittigen Punkten (Höhe des Primärüberschusses). Ablehnung von rezessionsverursachenden Maßnahmen wie Rentenkürzung und Erhöhung der Umsatzsteuer.
Privatisierungen würden weiter verfolgt, müssten gleichzeitig aber auch unter den Gesichtspunkten Meriten, Arbeitsverhältnisse und Umweltfragen geprüft werden.
b) Selbstverpflichtung, keine Maßnahmen zu ergreifen, die den bestehenden Haushaltsrahmen sprengen oder Auswirkungen auf die Finanzstabilität haben könnten.
c)/d) Volle Kooperation mit der EU-Kommission, der EZB und dem IWF ("Institutionen"), aber Ablehnung der bisherigen Rolle der Troika in Griechenland (s. Geschichte 5).
e) Bekenntnis zu Finanzverpflichtungen mit allen Gläubigern.
Auch diese Falschinformation des Brüsseler Korrespondenten wurde im weiteren Verlauf der ARD-Berichterstattung nicht korrigiert.
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[147] Yanis Varoufakis. Reden und Diskussionspapiere, a.a.O.
[148] Norbert Häring: Das sind die verrückten Ideen der Griechen, a.a.O.
15 Die Geschichte von Schäubles Sieg über Varoufakis
15 Die Geschichte von Schäubles Sieg über Varoufakis - Eurogruppenvereinbarung vom 20.02.2015
Tagesthemen vom 20. Februar 2015 [Teil I] [149]
Die Aussagen des Korrespondenten sind falsch. Zum wiederholten Mal in nur 3 Wochen werden im Korrespondenten-Schaltgespräch, das gemäß dem journalistischen Authentizitätsanspruch eigentlich dazu dient, der beitragsfinanzierenden Öffentlichkeit unmittelbar Informationen vor Ort bereitzustellen, wesentliche Informationen ausgespart oder/und Falschinformationen verbreitet (s. auch Geschichten 3, 8, 9, 11, 13, 14).
a) In Bezug auf den strittigen Punkt des Primärüberschusszieles (Sparvorgaben) wurde Griechenland nicht nur für das laufende Jahr 2015 eine neue Flexibilität zugestanden, zudem wurde für die zukünftigen Überschüsse die vage Formulierung "angemessener Primärüberschuss" gewählt. Das bedeutet im Vergleich zu der vorherigen Vereinbarung Verhandlungsspielraum für die griechische Seite in den folgenden Monaten. [150]
b) Griechenland hat sich nicht verpflichtet, sämtliche Reformen, die im bisherigen Programm vorgesehen waren, durchzuführen. Als weiteres wichtiges Zugeständnis an Griechenland wurde die Erlaubnis erteilt, in Absprache Maßnahmen der alten Vereinbarung zu ersetzen und Änderungen vorzunehmen, solange das nicht die Finanzziele oder die Finanzstabilität gefährdet. Damit wird Griechenland ermöglicht, Maßnahmen des alten Programms durch ein neues Maßnahmenbündel zu ersetzen. Genau das war das Anliegen der griechischen Seite in Bezug auf die von ihr als rezessionsverursachend beurteilten Maßnahmen. [151] [152]
Bis zum 23. Februar 2015 soll die griechische Regierung eine erste Reformliste vorlegen, die im kontinuierlichen Verhandlungsprozess mit den Kreditgebern bis Ende April spezifiziert und dann Ende April von den Kreditgebern endgültig akzeptiert werden muss als Voraussetzung für die Auszahlung der letzten Tranche.
Aufgrund des erlangten Verhandlungsspielraums wird diese Vereinbarung zur Verlängerung der Kreditvereinbarung von der griechischen Regierung als Erfolg gefeiert (Yanis Varoufakis: "Wir sind Co-Autoren unseres Schicksals", Alexis Tsipras spricht von einer "gewonnenen Schlacht").
Der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring kommt nach einer vergleichenden Analyse sogar zum Schluss, "dass die Vereinbarung sehr nahe an dem ist, was Varoufakis 9 Tage vorher angeboten hat" [153]. Norbert Häring bezieht sich hierbei auf Yanis Varoufakis' Vorschläge vom 11. Februar 2015, über die die ARD ihre Zuschauer nicht informiert hatte (Rolf-Dieter Krause: "Vielleicht hat er mündlich was vorgetragen", Geschichte 9).
Die Falschinformationen über die Eurogruppenvereinbarung wurden im weiteren Verlauf der ARD-Berichterstattung nicht korrigiert, sondern stattdessen kontinuierlich wiederholt:
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[149] Tagesthemen 20.02.2015.
[150] Eurogroup Statement on Greece, 20.02.2015.
[151] Ebd.
[152] Norbert Häring: Was Athen jetzt zusagte, hatte es schon lange vorher angeboten. Norbert Häring. Geld und mehr [Weblog], 23.02.2015.
[153] Ebd.
[154] Ralph Sina: Schäubles Sieg über Varoufakis. tagesschau.de 21.02.2015.
[155] Ralph Sina: Mehr Zeit und harte Auflagen für Athen. tagesschau.de 21.02.2015.
Tagesthemen vom 20. Februar 2015 [Teil I] [149]
Falschinformationen:Thomas Roth (WDR): "Der griechischen Regierung drohte heute bei den Kreditverhandlungen in Brüssel heftiger Streit und außerdem stand da noch ein Trojanisches Pferd. Der Vergleich des Briefes aus Athen mit dem berühmten Trojanischen Pferd - ich muss es gestehen [...]- ist nicht mir eingefallen, sondern dem gewöhnlich stocknüchternen deutschen Finanzministerium. [...] Womit viele nicht gerechnet haben: Es kam offenbar doch zu einem guten Ende."
Rolf-Dieter Krause (WDR) im Schaltgespräch:
"Um 4 Monate wird das Programm verlängert, und zwar auf der bisherigen Basis: Griechenland verpflichtet sich, die Reformen, die im bisherigen Programm vorgesehen sind, durchzuführen. [...] Das Papier atmet völlig den Geist der 18 anderen Mitglieder der Eurogruppe". Einziges Zugeständnis an Griechenland seien laut Krause die Umbenennung der Troika in 'Institutionen' sowie ein wahrscheinlich nicht ganz so hoher Primärüberschuss für das laufende Jahr 2015.
Die Aussagen des Korrespondenten sind falsch. Zum wiederholten Mal in nur 3 Wochen werden im Korrespondenten-Schaltgespräch, das gemäß dem journalistischen Authentizitätsanspruch eigentlich dazu dient, der beitragsfinanzierenden Öffentlichkeit unmittelbar Informationen vor Ort bereitzustellen, wesentliche Informationen ausgespart oder/und Falschinformationen verbreitet (s. auch Geschichten 3, 8, 9, 11, 13, 14).
a) In Bezug auf den strittigen Punkt des Primärüberschusszieles (Sparvorgaben) wurde Griechenland nicht nur für das laufende Jahr 2015 eine neue Flexibilität zugestanden, zudem wurde für die zukünftigen Überschüsse die vage Formulierung "angemessener Primärüberschuss" gewählt. Das bedeutet im Vergleich zu der vorherigen Vereinbarung Verhandlungsspielraum für die griechische Seite in den folgenden Monaten. [150]
b) Griechenland hat sich nicht verpflichtet, sämtliche Reformen, die im bisherigen Programm vorgesehen waren, durchzuführen. Als weiteres wichtiges Zugeständnis an Griechenland wurde die Erlaubnis erteilt, in Absprache Maßnahmen der alten Vereinbarung zu ersetzen und Änderungen vorzunehmen, solange das nicht die Finanzziele oder die Finanzstabilität gefährdet. Damit wird Griechenland ermöglicht, Maßnahmen des alten Programms durch ein neues Maßnahmenbündel zu ersetzen. Genau das war das Anliegen der griechischen Seite in Bezug auf die von ihr als rezessionsverursachend beurteilten Maßnahmen. [151] [152]
Bis zum 23. Februar 2015 soll die griechische Regierung eine erste Reformliste vorlegen, die im kontinuierlichen Verhandlungsprozess mit den Kreditgebern bis Ende April spezifiziert und dann Ende April von den Kreditgebern endgültig akzeptiert werden muss als Voraussetzung für die Auszahlung der letzten Tranche.
Aufgrund des erlangten Verhandlungsspielraums wird diese Vereinbarung zur Verlängerung der Kreditvereinbarung von der griechischen Regierung als Erfolg gefeiert (Yanis Varoufakis: "Wir sind Co-Autoren unseres Schicksals", Alexis Tsipras spricht von einer "gewonnenen Schlacht").
Der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring kommt nach einer vergleichenden Analyse sogar zum Schluss, "dass die Vereinbarung sehr nahe an dem ist, was Varoufakis 9 Tage vorher angeboten hat" [153]. Norbert Häring bezieht sich hierbei auf Yanis Varoufakis' Vorschläge vom 11. Februar 2015, über die die ARD ihre Zuschauer nicht informiert hatte (Rolf-Dieter Krause: "Vielleicht hat er mündlich was vorgetragen", Geschichte 9).
Die Falschinformationen über die Eurogruppenvereinbarung wurden im weiteren Verlauf der ARD-Berichterstattung nicht korrigiert, sondern stattdessen kontinuierlich wiederholt:
"Mehr Zeit und harte Auflagen für Athen" von Ralph Sina, tagesschau.de vom 21.02.2015 [155]"Schäubles Sieg über Varoufakis" von Ralph Sina, tagesschau.de vom 21.02.2015 [154]
"Dabei kann der Bundesfinanzminister mit dem vor allem von ihm Erstrittenen durchaus zufrieden sein. Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis müssen ausnahmslos alle von der Vorgängerregierung unterzeichneten Spar- und Reformverpflichtungen einhalten.
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[149] Tagesthemen 20.02.2015.
[150] Eurogroup Statement on Greece, 20.02.2015.
[151] Ebd.
[152] Norbert Häring: Was Athen jetzt zusagte, hatte es schon lange vorher angeboten. Norbert Häring. Geld und mehr [Weblog], 23.02.2015.
[153] Ebd.
[154] Ralph Sina: Schäubles Sieg über Varoufakis. tagesschau.de 21.02.2015.
[155] Ralph Sina: Mehr Zeit und harte Auflagen für Athen. tagesschau.de 21.02.2015.
16 Die Geschichte vom klaren Verhandlungssieger Schäuble geht weiter
16 Die Geschichte vom klaren Verhandlungssieger Schäuble geht weiter - das Täuschungsverhalten des Schuljungen
"Tsipras biegt sich die Wahrheit zurecht" von Thomas Bormann - tagesschau.de vom 21.2.2015 [156]
Schlüsselwörter: In Wahrheit, in Wirklichkeit, gescheitert, voll und ganz einlenken, ohne Abstriche, Schuljunge, streng überprüfen, Vertrauen verspielt, Verdacht, Spiel längst durchschaut
An der sprachlichen Form auch dieses ARD-Kommentars wird deutlich, was der Journalist Michalis Pantelouris als den "konsequenten Ton der Demütigung" innerhalb der Berichterstattung über Griechenland bezeichnet. [157]
Erneut wird der Erwachsenen-Teenager-Frame aktiviert, hier durch den Schuljungen-Vergleich und die Forderung nach "strenger" Überprüfung. Mit der Unterstellung, die griechische Regierung habe Vertrauen verspielt, nähre den Verdacht, sich nicht an die Vereinbarungen halten zu wollen und spiele ein "Spiel", wird der Trickster-Mythos weitergeführt.
Falschinformation:
Die dem Täuschungsverdacht zu Grunde liegende Tatsachenbehauptung, dass die Fortsetzung der Sparpolitik ohne Abstriche vereinbart worden sei, ist falsch (s. Geschichte 15) und wurde ebenso wie die vorhergenannten Falschmeldungen bis heute nicht korrigiert.
Auch Kommentare unterliegen der im RStV festgeschriebenen journalistischen Wahrheits-und Sorgfaltspflicht von Nachrichten (§ 10, 1 RStV):
"Unter Nachrichten in dem hier erwähnten Sinn sind nicht nur Informationen der Nachrichtensendungen zu verstehen, sondern sämtliche Äußerungen des Rundfunks auch in Unterhaltungssendungen u.a... Denn § 10 Abs. 1 ist Grundnorm für die journalistische Berichterstattung und gilt damit schrankenlos für alle Sendeinhalte." [158]
Auch in den Tagesthemen desselben Tages wird der griechischen Regierung eine Täuschungsabsicht unterstellt: [159]
[156] Thomas Bormann: Tsipras biegt sich die Wahrheit zurecht, tagesschau.de 21.02.2015.
[157] Michalis Pantelouris: Die andere Seite. Der Journalist. Das Medienmagazin, 01.04.2015.
[158] Werner Hahn, Thomas Vesting: Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht, München 2012, Seite 442.
[159] Tagesthemen 21.02.2015.
"Tsipras biegt sich die Wahrheit zurecht" von Thomas Bormann - tagesschau.de vom 21.2.2015 [156]
Fakten und Analyse:"Der griechische Regierungschef Tsipras nennt die Einigung mit der Eurogruppe eine gewonnene Schlacht. In Wahrheit ist er nach vier Wochen im Amt bereits gescheitert. [...]
Denn in Wirklichkeit musste die griechische Regierung gestern am Verhandlungstisch in Brüssel voll und ganz einlenken: Die Sparpolitik wird ohne Abstriche fortgesetzt.
[...] Die griechische Regierung muss bis Montagabend genau das tun, was ihr eigentlich völlig gegen den Strich geht: Sie muss haarklein auflisten, wie sie die Sparauflagen umsetzen wird, und muss dann wie ein Schuljunge diese Liste den Kontrolleuren von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds vorlegen.
Die Kontrolleure tun gut daran, diese Liste streng zu überprüfen. Denn Alexis Tsipras hat mit seiner gewagten Rede von einer 'gewonnenen Schlacht' am Verhandlungstisch Vertrauen verspielt. Er nährt damit den Verdacht, dass er sich gar nicht an die Vereinbarung halten will. Doch dieser Schuss geht nach hinten los: Die anderen Euro-Länder haben dieses Spiel längst durchschaut [...]."
Schlüsselwörter: In Wahrheit, in Wirklichkeit, gescheitert, voll und ganz einlenken, ohne Abstriche, Schuljunge, streng überprüfen, Vertrauen verspielt, Verdacht, Spiel längst durchschaut
An der sprachlichen Form auch dieses ARD-Kommentars wird deutlich, was der Journalist Michalis Pantelouris als den "konsequenten Ton der Demütigung" innerhalb der Berichterstattung über Griechenland bezeichnet. [157]
Erneut wird der Erwachsenen-Teenager-Frame aktiviert, hier durch den Schuljungen-Vergleich und die Forderung nach "strenger" Überprüfung. Mit der Unterstellung, die griechische Regierung habe Vertrauen verspielt, nähre den Verdacht, sich nicht an die Vereinbarungen halten zu wollen und spiele ein "Spiel", wird der Trickster-Mythos weitergeführt.
Falschinformation:
Die dem Täuschungsverdacht zu Grunde liegende Tatsachenbehauptung, dass die Fortsetzung der Sparpolitik ohne Abstriche vereinbart worden sei, ist falsch (s. Geschichte 15) und wurde ebenso wie die vorhergenannten Falschmeldungen bis heute nicht korrigiert.
Auch Kommentare unterliegen der im RStV festgeschriebenen journalistischen Wahrheits-und Sorgfaltspflicht von Nachrichten (§ 10, 1 RStV):
"Unter Nachrichten in dem hier erwähnten Sinn sind nicht nur Informationen der Nachrichtensendungen zu verstehen, sondern sämtliche Äußerungen des Rundfunks auch in Unterhaltungssendungen u.a... Denn § 10 Abs. 1 ist Grundnorm für die journalistische Berichterstattung und gilt damit schrankenlos für alle Sendeinhalte." [158]
Auch in den Tagesthemen desselben Tages wird der griechischen Regierung eine Täuschungsabsicht unterstellt: [159]
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Thomas Roth: "[...] Der griechische Regierungschef hat - ganz nüchtern betrachtet - keinen großartigen Verhandlungssieg in Brüssel errungen - Tsipras sieht es aber trotzdem anders":
Natalie Amiri /Off: Ein erleichterter Gesichtsausdruck war bei Alexis Tsipras zu sehen, als er zur heutigen Kabinettssitzung erschien.
Den Durchbruch in der Eurogruppe gestern in Brüssel verkaufte er im Land als einen klaren Sieg [...]. Die Regierung will nun Programme für die Ärmsten zur Verfügung stellen, den Mindestlohn anheben, die Renten erhöhen und Arbeitsplätze schaffen - weg von den Sparplänen, die sie gestern erst zusagte. [...]
[156] Thomas Bormann: Tsipras biegt sich die Wahrheit zurecht, tagesschau.de 21.02.2015.
[157] Michalis Pantelouris: Die andere Seite. Der Journalist. Das Medienmagazin, 01.04.2015.
[158] Werner Hahn, Thomas Vesting: Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht, München 2012, Seite 442.
[159] Tagesthemen 21.02.2015.
17 Die Geschichte von den unpünktlichen Griechen
17 Die Geschichte von den unpünktlichen Griechen - die Reformliste
tagesschau.de vom 24.02.2015 [160]
"Athen nimmt sich Zeit bis zum Morgen" "Griechenland hält Frist nicht ein".
Tagesthemen vom 23.02.2015, 22:15 Uhr [161]
Caren Miosga (WDR) zur griechischen Reformliste:
"Heute nun - ausgerechnet zum Beginn der orthodoxen Fastenzeit - war Abgabetermin. Doch seit dem Abend hören wir: Die Regierung schafft es erst morgen früh, diese außergewöhnlich schwere Hausaufgabe fertigzustellen [...]."
Korrespondentenbeitrag von Peter Dalheimer (BR)/Off:
Unweit der Akropolis in Athen
wurde heute der Beginn der Fastenzeit gefeiert. Aschermontag heute in Griechenland - und da lässt man traditionell Drachen steigen.
Gute Stimmung trotz des Schuldenstreits [...].
Fakten und Analyse:
Schlüsselbild: feiernde Griechen
Schlüsselwörter: ausgerechnet zum Beginn der orthodoxen Fastenzeit, schafft es erst, außergewöhnlich schwere Hausaufgabe, gute Stimmung
Falschinformation:
Die Reformliste ist fristgerecht am 23. Februar 2015 vor Mitternacht in Brüssel eingegangen, wie Jeroen Dijsselbloem am 24.02.2015 bestätigt. [162] Die griechischen Reformschläge sind bereits am Nachmittag bei der EU eingegangen, um Änderungswünsche der EU-Kommission berücksichtigen zu können. Darauf weist Christian Feld im Schaltgespräch korrekt hin.
Ob es zutrifft, dass die EU dann Griechenland bat, die offizielle/finale Liste erst am nächsten Morgen zuzusenden, wie Yanis Varoufakis am 23. Februar 2015 im CNN Interview erklärte, ist nicht überprüfbar. [163] In jedem Fall ging die griechische Reformliste rechtzeitig vor Mitternacht ein.
Die Nachrichtenlage zum Zeitpunkt der Tagesthemen deckte nicht die Behauptung der Moderatorin, dass Griechenland es "ausgerechnet zum Beginn der orthodoxen Fastenzeit" nicht "schafft", seinen "Hausaufgaben" pünktlich nachzukommen.
Rekontextualisierung/Reframing:
Durch Andeutung (Innuendo) stellt die Moderatorin eine Scheinkausalität her zwischen dem angeblichen Versäumnis der griechischen Verhandlungsseite, ihren Pflichten pünktlich nachzukommen, und dem Abgabetermin der Reformliste "ausgerechnet zum Beginn der orthodoxen Fastenzeit" (Anspielung durch irreführende Akzentuierung), also zur Rosenmontagsfeier in Griechenland. Mit dem Begriff "Hausaufgaben" ruft Miosga erneut den Erwachsenen-Teenager-Frame auf.
Im darauffolgenden Filmbeitrag bildet das traditionelle Drachensteigenlassen am Rosenmontag in Griechenland dann die Rahmenerzählung ("Gute Stimmung trotz Schuldenstreit"), vor deren Hintergrund das Thema Reformliste erörtert wird (Klammergeschichte).
Zwar äußert der Korrespondent an einer Stelle des Beitrags seine Vermutung, dass trotz des Feiertags in Griechenland in manchen Regierungsbehörden "Hochbetrieb herrschen dürfte". "Die Liste mit den Reformvorschlägen muss fertig werden". Aber der Zuschauer wurde bereits von der Moderatorin auf den aktuellen Kenntnisstand gebracht, dass die griechische Regierung den Abgabetermin "ausgerechnet zum Beginn der orthodoxen Fastenzeit" nun angeblich doch nicht einhalten werden könne.
In den Tagesthemen des darauffolgenden Tages wird an einer Stelle beiläufig erwähnt, dass die Liste pünktlich eingegangen ist. Eine ausdrückliche, d.h. transparente Korrektur fand nicht statt.
Auf der offiziellen Internetseite der Tagesschau steht bis heute: "Athen nimmt sich Zeit bis zum Morgen" und "Griechenland hält Frist nicht ein".
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[160] tagesschau.de. Athen nimmt sich Zeit bis zum Morgen, 24.02.2015.
[161] Tagesthemen 23.02.2015.
[162] Jeroen Dijsselbloem. Stellungnahme zum rechtzeitigen Erhalt der Reformliste.
[163] Yanis Varoufakis. Interview mit CNN am 23.02.2015.
tagesschau.de vom 24.02.2015 [160]
"Athen nimmt sich Zeit bis zum Morgen" "Griechenland hält Frist nicht ein".
Tagesthemen vom 23.02.2015, 22:15 Uhr [161]
Caren Miosga (WDR) zur griechischen Reformliste:
"Heute nun - ausgerechnet zum Beginn der orthodoxen Fastenzeit - war Abgabetermin. Doch seit dem Abend hören wir: Die Regierung schafft es erst morgen früh, diese außergewöhnlich schwere Hausaufgabe fertigzustellen [...]."
Korrespondentenbeitrag von Peter Dalheimer (BR)/Off:
Unweit der Akropolis in Athen
wurde heute der Beginn der Fastenzeit gefeiert. Aschermontag heute in Griechenland - und da lässt man traditionell Drachen steigen.
Gute Stimmung trotz des Schuldenstreits [...].
Fakten und Analyse:
Schlüsselbild: feiernde Griechen
Schlüsselwörter: ausgerechnet zum Beginn der orthodoxen Fastenzeit, schafft es erst, außergewöhnlich schwere Hausaufgabe, gute Stimmung
Falschinformation:
Die Reformliste ist fristgerecht am 23. Februar 2015 vor Mitternacht in Brüssel eingegangen, wie Jeroen Dijsselbloem am 24.02.2015 bestätigt. [162] Die griechischen Reformschläge sind bereits am Nachmittag bei der EU eingegangen, um Änderungswünsche der EU-Kommission berücksichtigen zu können. Darauf weist Christian Feld im Schaltgespräch korrekt hin.
Ob es zutrifft, dass die EU dann Griechenland bat, die offizielle/finale Liste erst am nächsten Morgen zuzusenden, wie Yanis Varoufakis am 23. Februar 2015 im CNN Interview erklärte, ist nicht überprüfbar. [163] In jedem Fall ging die griechische Reformliste rechtzeitig vor Mitternacht ein.
Die Nachrichtenlage zum Zeitpunkt der Tagesthemen deckte nicht die Behauptung der Moderatorin, dass Griechenland es "ausgerechnet zum Beginn der orthodoxen Fastenzeit" nicht "schafft", seinen "Hausaufgaben" pünktlich nachzukommen.
Rekontextualisierung/Reframing:
Durch Andeutung (Innuendo) stellt die Moderatorin eine Scheinkausalität her zwischen dem angeblichen Versäumnis der griechischen Verhandlungsseite, ihren Pflichten pünktlich nachzukommen, und dem Abgabetermin der Reformliste "ausgerechnet zum Beginn der orthodoxen Fastenzeit" (Anspielung durch irreführende Akzentuierung), also zur Rosenmontagsfeier in Griechenland. Mit dem Begriff "Hausaufgaben" ruft Miosga erneut den Erwachsenen-Teenager-Frame auf.
Im darauffolgenden Filmbeitrag bildet das traditionelle Drachensteigenlassen am Rosenmontag in Griechenland dann die Rahmenerzählung ("Gute Stimmung trotz Schuldenstreit"), vor deren Hintergrund das Thema Reformliste erörtert wird (Klammergeschichte).
Zwar äußert der Korrespondent an einer Stelle des Beitrags seine Vermutung, dass trotz des Feiertags in Griechenland in manchen Regierungsbehörden "Hochbetrieb herrschen dürfte". "Die Liste mit den Reformvorschlägen muss fertig werden". Aber der Zuschauer wurde bereits von der Moderatorin auf den aktuellen Kenntnisstand gebracht, dass die griechische Regierung den Abgabetermin "ausgerechnet zum Beginn der orthodoxen Fastenzeit" nun angeblich doch nicht einhalten werden könne.
In den Tagesthemen des darauffolgenden Tages wird an einer Stelle beiläufig erwähnt, dass die Liste pünktlich eingegangen ist. Eine ausdrückliche, d.h. transparente Korrektur fand nicht statt.
Auf der offiziellen Internetseite der Tagesschau steht bis heute: "Athen nimmt sich Zeit bis zum Morgen" und "Griechenland hält Frist nicht ein".
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[160] tagesschau.de. Athen nimmt sich Zeit bis zum Morgen, 24.02.2015.
[161] Tagesthemen 23.02.2015.
[162] Jeroen Dijsselbloem. Stellungnahme zum rechtzeitigen Erhalt der Reformliste.
[163] Yanis Varoufakis. Interview mit CNN am 23.02.2015.
18 Die Geschichte von den unpünktlichen Griechen geht weiter
18 Die Geschichte von den unpünktlichen Griechen geht weiter - Griechenland lässt Frist verstreichen - bestätigt nun auch die Sprecherin der EU-Kommission?
"Die Liste aus Athen ist da" von Andreas Meyer-Feist (HR), tagesschau.de am Morgen des 24.02.2015, 08:42 Uhr [164]
"[…] Aber auch bis Mitternacht lag in Brüssel noch nichts vor. Erst am frühen Morgen kam sie an, die Liste, die Athen vor der Pleite retten soll. […]"
Falschinformation:
Hier wird der boulevardeske Erzählstil des Storytelling besonders gut deutlich. Inhaltlich aber ist auch diese Meldung frei erfunden: Auch Mina Andreeva bestätigt auf Twitter den rechtzeitigen Erhalt der Reformliste. [165]
Auch dieser Fehler wurde - wie sämtliche vorhergenannten Falschinformationen - von der ARD bis heute nicht berichtigt.
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[164] Andreas Meyer-Feist: "Die Liste aus Athen ist da", tagesschau.de, 24.02. 2015.
[165] Mina Andreeva. Tweet vom 24.02.2015.
"Die Liste aus Athen ist da" von Andreas Meyer-Feist (HR), tagesschau.de am Morgen des 24.02.2015, 08:42 Uhr [164]
"[…] Aber auch bis Mitternacht lag in Brüssel noch nichts vor. Erst am frühen Morgen kam sie an, die Liste, die Athen vor der Pleite retten soll. […]"
Falschinformation:
Hier wird der boulevardeske Erzählstil des Storytelling besonders gut deutlich. Inhaltlich aber ist auch diese Meldung frei erfunden: Auch Mina Andreeva bestätigt auf Twitter den rechtzeitigen Erhalt der Reformliste. [165]
Auch dieser Fehler wurde - wie sämtliche vorhergenannten Falschinformationen - von der ARD bis heute nicht berichtigt.
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[164] Andreas Meyer-Feist: "Die Liste aus Athen ist da", tagesschau.de, 24.02. 2015.
[165] Mina Andreeva. Tweet vom 24.02.2015.
19 Die Geschichte vom sich selbst entlarvenden Trickster
19 Die Geschichte vom sich selbst entlarvenden Trickster - die Bundestagsentscheidung über die Verlängerung der Kreditvereinbarung
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"Bei einer Behauptung des Gegners müssen wir suchen, ob sie nicht etwa irgendwie, nötigenfalls auch nur scheinbar im Widerspruch steht mit irgendetwas anderem, was er früher gesagt oder zugegeben hat [...] oder mit seinem eigenen Tun und Lassen. [...]. Es wird sich doch irgendwie eine Schikane herausklauben lassen". [167]
Arthur Schopenhauer: Eristische Dialektik oder die Kunst, Recht zu behalten
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Tagesschau vom 27.02.2015 [166]
Korrespondentenbeitrag von Peter Dalheimer (BR):
Schlüsselwörter: gespaltene Zunge (O-Ton), Reformunwilligkeit, befeuert, geärgert, Provokationen, wachsende Wut, Gebrauchtwagen (O-Ton)
Falschinformation und Dekontextualisierung:
a) Der von Yanis Varoufakis verwendete Begriff "constructive ambiguity" (auch "creative ambiguity") bezeichnet eine Verhandlungstechnik im Bereich des Konfliktmanagements, die auf Henry Kissinger zurückgehen soll und auf der Überzeugung basiert, dass für den Fall, dass zwei Verhandlungspartner in einem Punkt (noch) nicht übereinstimmen, durch einen ambigue, also unbestimmt bzw. mehrdeutig formulierten Text beide Interessen berücksichtigt werden können. Manchmal ist dieser ambigue formulierte Text Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen, in deren Verlauf das strittige Thema gelöst werden soll. Konstruktive Ambiguität war beispielsweise ein Markenzeichen des Oslo-Abkommens zwischen Israel und den Palästinensern.
b) Varoufakis spricht im Interview mit ANT1 von der Formulierung der gemeinsamen Eurogruppenvereinbarung vom 20. Februar 2015 und eben nicht von der griechischen Reformliste vom 23. Februar 2015. In Bezug auf den strittigen Punkt der Höhe des Primärüberschusses sei auf Wunsch der europäischen Partner keine genaue Zahl angegeben worden, sondern der Begriff "angemessener Primärüberschuss" (s. dazu auch Geschichte 15).
Dies habe den europäischen Partnern erlaubt, die Vereinbarung durch das Parlament zu bringen. Auch Yanis Varoufakis begrüßt konstruktive Ambiguität als Verhandlungstechnik: "Ich werde keine Zahlen versprechen, solange ich nicht sicher bin, diese erzielen zu können." [169] Tatsächlich wurde in den folgenden Verhandlungsmonaten über den genauen Wert des Primärüberschusses intensiv verhandelt.
Mit Reformunwilligkeit oder Trickserei hat das nichts zu tun und hätte es nicht einmal gehabt, wenn der griechische Finanzminister tatsächlich von der Reformliste gesprochen hätte: Denn der Erfolg/die Anwendung dieser Verhandlungstechnik ist ihrer Natur nach immer auf gegenseitige Akzeptanz angewiesen, ihr Ziel ist immer die Konfliktentschärfung durch Berücksichtigung beider Interessen.
Und selbstverständlich lag dem Bundestag der von allen Vertragspartnern gemeinsam beschlossene Eurogruppenvertrag samt der in ihm enthaltenen Vagheit der Formulierung ("angemessener Primärüberschuss") VOR der Abstimmung vor.
c) Unwahr ist auch, dass Yanis Varoufakis den Begriff "constructive ambiguity" erst zeitgleich mit der Bundestagsabstimmung im griechischen TV geäußert habe. Der griechische Finanzminister hatte diese Verhandlungstechnik bereits kurz nach der Eurogruppenvereinbarung transparent für alle auf Twitter in Englisch hervorgehoben. [170]
Rekontextualisierung und Bedeutungsreframing:
Die Aussage des griechischen Finanzministers wird als Beleg der ihm in der Anmoderation bereits unterstellten Reformunwilligkeit verwendet. Durch gezielte Zusammenstellung von Zitaten (Wolfgang Schäuble, Klaus-Peter Willsch), Falschinformation/-übersetzung, Bedeutungsreframing des Ausdrucks "constructive ambiguity" sowie Begriffe wie "befeuert" (Tagesschau) oder "Provokationen" (Tagesthemen) wird Yanis Varoufakis' Aussage über die gemeinsame Anwendung einer Verhandlungstechnik aus dem Bereich des Konfliktmanagements als selbstentlarvendes Eingeständnis einer Gaunerei dargestellt (Strohmann-Argument). Damit bestätigt die ARD ihren nur einen Tag nach der Eurogruppenvereinbarung verbreiteten Verdacht, die griechische Regierung spiele ein "Spiel" (s. Geschichte 16).
Sowohl in den Tagesthemen als auch in der Tagesschau zeigt sich die absichtsvolle Nutzung von Implikaturen innerhalb einer Dramaturgie, die es der ARD erlaubt, den griechischen Finanzminister der unlauteren Trickserei zu bezichtigen, ohne dies selbst explizit aussprechen zu müssen (ad hominem/Innuendo).
In der Tagesschau fungiert dabei der Politikwissenschaftler George Tzogopoulos als "opportuner Zeuge" (Lutz M. Hagen) [171]. Der Experte, der Yanis Varoufakis' Aussage fälschlicherweise als Beleg für die "gespaltene () Zunge" der griechischen Regierung bewertet, ist Element des klassischen Autoritätsarguments (argumentum ad verecundiam), das durch die gezielte Auswahl von "Expertenmeinungen" die Legitimität eines politischen oder wirtschaftlichen Standpunkts untermauern soll. [172]
Dramaturgische Strategie:
Die Tagesthemen vom 27. Februar 2015 zeigen eindrucksvoll, wie durch bestimmte Frames konventionalisierte Emotionen erzeugt werden können. Dass dem Helden Verletzungen seitens des Schurken zugefügt werden, führt, wie George Lakoff in seiner Theorie der konzeptuellen Metapher ausführt, immer zu Empörung und Ärger beim Rezipienten und dem Wunsch nach Bestrafung.
Dieser Ärger wird umso intensiver erlebt, je wehrloser und je moralischer das Opfer der Verletzung dargestellt wird: In einer empathisch-identifikatorischen Erzählhaltung stellen sowohl Moderatorin als auch Korrespondentin den Bundesfinanzminister als jemanden dar, der trotz seines Ärgers über die angebliche Reformunwilligkeit und "die Provokationen" der Syriza-Regierung um die Verlängerung der Kreditvereinbarung werben "musste" (gleiches Wort in Anmoderation und Beitrag) und bei den Bundestagsabgeordneten um Zustimmung "bittet", obwohl es ihm so "wahnsinnig schwer fällt".
Die edlen Motive des "bekennenden Europäers" (s. Geschichte 8): der europäische Integrationsgedanke: "Wir Deutsche sollten alles daran tun, dass wir Europa zusammenhalten."
Durch die aufsichtige Kameraperspektive des in der Anmoderation verwendeten Hintergrundbildes wirkt Wolfgang Schäuble verletzlich, fast isoliert und unterlegen. Dies alles bildet die dramaturgische Kontrastfolie zum schnöden Verrat des griechischen Finanzministers, der angeblich "fast zeitgleich" vor der griechischen Öffentlichkeit mit seinem schändlichen Betrug prahlt.
Aufgrund der Falschübersetzung (Reformliste statt Eurogruppenvereinbarung) und der daraus von der ARD abgeleiteten Beschuldigung wurde Programmbeschwerde eingelegt. Eine diesbezügliche Programmbeschwerde des Wirtschaftsjournalisten Norbert Häring lehnte die ARD ab. [173]
Die diesbezüglich an das ZDF gerichtete Programmbeschwerde der Publikumskonferenz lehnte ZDF-Intendant Bellut ab. [174]
Beide Sender lehnten eine Korrektur ab.
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[166] Tagesschau 27.02.2015.
[167] Arthur Schopenhauer: a.a.O., S. 44.
[168] Tagesthemen 27.02.2015.
[169] Yanis Varoufakis. Interview mit dem griechischen Sender ANT1, 27.02. 2015.
[170] Yanis Varoufakis. Tweet vom 21.02.2015.
[171] Lutz M. Hagen: a.a.O.
[172] Vgl. z.B. Arthur Schopenhauer: a.a.O., Kunstgriff 30, Autoritäten statt Gründe angeben, S. 57.
[173] Norbert Häring: Programmbeschwerde zur Tagesschau vom 27.02.2015.
[174] Publikumskonferenz: Programmbeschwerde zur ZDF-heute-Sendung vom 27.02.2015.
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"Bei einer Behauptung des Gegners müssen wir suchen, ob sie nicht etwa irgendwie, nötigenfalls auch nur scheinbar im Widerspruch steht mit irgendetwas anderem, was er früher gesagt oder zugegeben hat [...] oder mit seinem eigenen Tun und Lassen. [...]. Es wird sich doch irgendwie eine Schikane herausklauben lassen". [167]
Arthur Schopenhauer: Eristische Dialektik oder die Kunst, Recht zu behalten
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Tagesschau vom 27.02.2015 [166]
Korrespondentenbeitrag von Peter Dalheimer (BR):
Tagesthemen vom 27.02.2015 [168]Peter Dalheimer (BR)/Off:
Finanzminister Varoufakis hatte heute die Debatte über die Reformunwilligkeit seiner Regierung befeuert: Er habe die Reformvorschläge bewusst unbestimmt formuliert, um die notwendige Zustimmung nicht zu gefährden.
George Tzogopoulos [Politikwissenschaftler]/On: Die griechische Regierung spricht offenbar mit gespaltener Zunge - Sie erzählt nach innen anderes als nach außen.
Wie die Anmoderation beginnt auch der folgende Korrespondentenbeitrag von Julia Krittian (MDR) mit einer empathisch-identifikatorischen Erzählhaltung:Caren Miosga (WDR): "Griechenland wird weiter Geld aus Europa bekommen. Dafür hat der deutsche Bundestag heute mit überwältigender Mehrheit gestimmt. Aber - zwei Herzen wohnen, ach, in meiner Brust:
Wolfgang Schäuble MUSSTE heute im Bundestag für ein verlängertes Hilfsprogramm werben, obwohl er sich über den mangelnden Reformwillen seines griechischen Kollegen mehrfach geärgert hat [...]."
Fakten und Analyse:Julia Krittian/Off: Es ist eine Rede, die ihm wahnsinnig schwerfällt, sagt Wolfgang Schäuble, der doch selten um ein Wort verlegen ist, sei es mahnend, werbend oder tosend. Heute MUSS er von allem etwas liefern. Athen habe viel Vertrauen zerstört, so der Bundesfinanzminister, dennoch bittet er die Abgeordneten um eine Verlängerung der Griechenland-Hilfen. Keine neuen Milliarden, nur mehr Zeit: 4 Monate, um Reformen umzusetzen.
Wolfgang Schäuble/On: Wir Deutsche sollten alles daran [sic] tun, dass wir Europa zusammenhalten [...]. Natürlich heißt Solidarität nicht, dass man sich gegenseitig erpressen kann, sondern dass jeder seinen TEIL dazu beitragen muss.
Julia Krittian/Off: Der griechische TEIL besteht oft genug aus Provokationen: Fast zeitgleich erklärt Finanzminister Varoufakis im griechischen Fernsehen, seine Reformpläne seien bewusst schwammig formuliert, um die Zustimmung der Euro-Parlamente nicht zu gefährden. Das sei, Zitat: 'produktive Undeutlichkeit.'
In Berlin produziert das wachsende Wut, vor allem in Schäubles Fraktion. 29 von 32 Nein-Stimmen kommen von CDU/CSU [...].
Klaus-Peter Willsch/On: Schauen Sie sich Tsipras an, schauen Sie sich Varoufakis an, würden Sie von denen einen Gebrauchtwagen kaufen?
Schlüsselwörter: gespaltene Zunge (O-Ton), Reformunwilligkeit, befeuert, geärgert, Provokationen, wachsende Wut, Gebrauchtwagen (O-Ton)
Falschinformation und Dekontextualisierung:
a) Der von Yanis Varoufakis verwendete Begriff "constructive ambiguity" (auch "creative ambiguity") bezeichnet eine Verhandlungstechnik im Bereich des Konfliktmanagements, die auf Henry Kissinger zurückgehen soll und auf der Überzeugung basiert, dass für den Fall, dass zwei Verhandlungspartner in einem Punkt (noch) nicht übereinstimmen, durch einen ambigue, also unbestimmt bzw. mehrdeutig formulierten Text beide Interessen berücksichtigt werden können. Manchmal ist dieser ambigue formulierte Text Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen, in deren Verlauf das strittige Thema gelöst werden soll. Konstruktive Ambiguität war beispielsweise ein Markenzeichen des Oslo-Abkommens zwischen Israel und den Palästinensern.
b) Varoufakis spricht im Interview mit ANT1 von der Formulierung der gemeinsamen Eurogruppenvereinbarung vom 20. Februar 2015 und eben nicht von der griechischen Reformliste vom 23. Februar 2015. In Bezug auf den strittigen Punkt der Höhe des Primärüberschusses sei auf Wunsch der europäischen Partner keine genaue Zahl angegeben worden, sondern der Begriff "angemessener Primärüberschuss" (s. dazu auch Geschichte 15).
Dies habe den europäischen Partnern erlaubt, die Vereinbarung durch das Parlament zu bringen. Auch Yanis Varoufakis begrüßt konstruktive Ambiguität als Verhandlungstechnik: "Ich werde keine Zahlen versprechen, solange ich nicht sicher bin, diese erzielen zu können." [169] Tatsächlich wurde in den folgenden Verhandlungsmonaten über den genauen Wert des Primärüberschusses intensiv verhandelt.
Mit Reformunwilligkeit oder Trickserei hat das nichts zu tun und hätte es nicht einmal gehabt, wenn der griechische Finanzminister tatsächlich von der Reformliste gesprochen hätte: Denn der Erfolg/die Anwendung dieser Verhandlungstechnik ist ihrer Natur nach immer auf gegenseitige Akzeptanz angewiesen, ihr Ziel ist immer die Konfliktentschärfung durch Berücksichtigung beider Interessen.
Und selbstverständlich lag dem Bundestag der von allen Vertragspartnern gemeinsam beschlossene Eurogruppenvertrag samt der in ihm enthaltenen Vagheit der Formulierung ("angemessener Primärüberschuss") VOR der Abstimmung vor.
c) Unwahr ist auch, dass Yanis Varoufakis den Begriff "constructive ambiguity" erst zeitgleich mit der Bundestagsabstimmung im griechischen TV geäußert habe. Der griechische Finanzminister hatte diese Verhandlungstechnik bereits kurz nach der Eurogruppenvereinbarung transparent für alle auf Twitter in Englisch hervorgehoben. [170]
Rekontextualisierung und Bedeutungsreframing:
Die Aussage des griechischen Finanzministers wird als Beleg der ihm in der Anmoderation bereits unterstellten Reformunwilligkeit verwendet. Durch gezielte Zusammenstellung von Zitaten (Wolfgang Schäuble, Klaus-Peter Willsch), Falschinformation/-übersetzung, Bedeutungsreframing des Ausdrucks "constructive ambiguity" sowie Begriffe wie "befeuert" (Tagesschau) oder "Provokationen" (Tagesthemen) wird Yanis Varoufakis' Aussage über die gemeinsame Anwendung einer Verhandlungstechnik aus dem Bereich des Konfliktmanagements als selbstentlarvendes Eingeständnis einer Gaunerei dargestellt (Strohmann-Argument). Damit bestätigt die ARD ihren nur einen Tag nach der Eurogruppenvereinbarung verbreiteten Verdacht, die griechische Regierung spiele ein "Spiel" (s. Geschichte 16).
Sowohl in den Tagesthemen als auch in der Tagesschau zeigt sich die absichtsvolle Nutzung von Implikaturen innerhalb einer Dramaturgie, die es der ARD erlaubt, den griechischen Finanzminister der unlauteren Trickserei zu bezichtigen, ohne dies selbst explizit aussprechen zu müssen (ad hominem/Innuendo).
In der Tagesschau fungiert dabei der Politikwissenschaftler George Tzogopoulos als "opportuner Zeuge" (Lutz M. Hagen) [171]. Der Experte, der Yanis Varoufakis' Aussage fälschlicherweise als Beleg für die "gespaltene () Zunge" der griechischen Regierung bewertet, ist Element des klassischen Autoritätsarguments (argumentum ad verecundiam), das durch die gezielte Auswahl von "Expertenmeinungen" die Legitimität eines politischen oder wirtschaftlichen Standpunkts untermauern soll. [172]
Dramaturgische Strategie:
Die Tagesthemen vom 27. Februar 2015 zeigen eindrucksvoll, wie durch bestimmte Frames konventionalisierte Emotionen erzeugt werden können. Dass dem Helden Verletzungen seitens des Schurken zugefügt werden, führt, wie George Lakoff in seiner Theorie der konzeptuellen Metapher ausführt, immer zu Empörung und Ärger beim Rezipienten und dem Wunsch nach Bestrafung.
Dieser Ärger wird umso intensiver erlebt, je wehrloser und je moralischer das Opfer der Verletzung dargestellt wird: In einer empathisch-identifikatorischen Erzählhaltung stellen sowohl Moderatorin als auch Korrespondentin den Bundesfinanzminister als jemanden dar, der trotz seines Ärgers über die angebliche Reformunwilligkeit und "die Provokationen" der Syriza-Regierung um die Verlängerung der Kreditvereinbarung werben "musste" (gleiches Wort in Anmoderation und Beitrag) und bei den Bundestagsabgeordneten um Zustimmung "bittet", obwohl es ihm so "wahnsinnig schwer fällt".
Die edlen Motive des "bekennenden Europäers" (s. Geschichte 8): der europäische Integrationsgedanke: "Wir Deutsche sollten alles daran tun, dass wir Europa zusammenhalten."
Durch die aufsichtige Kameraperspektive des in der Anmoderation verwendeten Hintergrundbildes wirkt Wolfgang Schäuble verletzlich, fast isoliert und unterlegen. Dies alles bildet die dramaturgische Kontrastfolie zum schnöden Verrat des griechischen Finanzministers, der angeblich "fast zeitgleich" vor der griechischen Öffentlichkeit mit seinem schändlichen Betrug prahlt.
Aufgrund der Falschübersetzung (Reformliste statt Eurogruppenvereinbarung) und der daraus von der ARD abgeleiteten Beschuldigung wurde Programmbeschwerde eingelegt. Eine diesbezügliche Programmbeschwerde des Wirtschaftsjournalisten Norbert Häring lehnte die ARD ab. [173]
Die diesbezüglich an das ZDF gerichtete Programmbeschwerde der Publikumskonferenz lehnte ZDF-Intendant Bellut ab. [174]
Beide Sender lehnten eine Korrektur ab.
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[166] Tagesschau 27.02.2015.
[167] Arthur Schopenhauer: a.a.O., S. 44.
[168] Tagesthemen 27.02.2015.
[169] Yanis Varoufakis. Interview mit dem griechischen Sender ANT1, 27.02. 2015.
[170] Yanis Varoufakis. Tweet vom 21.02.2015.
[171] Lutz M. Hagen: a.a.O.
[172] Vgl. z.B. Arthur Schopenhauer: a.a.O., Kunstgriff 30, Autoritäten statt Gründe angeben, S. 57.
[173] Norbert Häring: Programmbeschwerde zur Tagesschau vom 27.02.2015.
[174] Publikumskonferenz: Programmbeschwerde zur ZDF-heute-Sendung vom 27.02.2015.
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