Ex-Botschafter: Assange wird zu Tode gefoltert
„Jedes Mal, wenn wir Zeuge einer Ungerechtigkeit werden und nicht handeln, üben wir unseren Charakter in Passivität gegenüber diesem Geschehen und verlieren dadurch schließlich alle Fähigkeit, uns und diejenigen, die wir lieben, zu verteidigen.“
Julian Assange
Von der Weltpresse und den „liberalen“ Politikern weitgehend im Stich gelassen, muss Julian Assange in seiner Londoner Haft nicht nur – vergeblich – um selbstverständliche rechtsstaatliche Rechte, sondern offenbar auch um sein Leben kämpfen. Der ehemalige britische Botschafter und jetzige Menschenrechtsaktivist Craig Murray (61 J.) hat Julian Assanges gerichtliche Anhörung am 21.10.2019 persönlich miterlebt und beschreibt in einem aufrüttelnden Bericht seine Empörung über den britischen Rechtsstaat und seine Sorgen um das Leben von Julian Assange. (hl)
Assange vor Gericht
Ein Augenzeugen-Bericht von Craig Murray
Schottland, 22. Oktober 2019
Craig Murray
Quelle: craigmurray.org.uk
Ich war zutiefst erschüttert, als ich gestern die Ereignisse im Westminster Magistrates Court miterlebte. Jeder Beschluss wurde gegen die kaum beachteten Argumente und Einwände von Assanges Verteidigungsteam durchgeboxt, von einer Richterin, die sich nicht einmal den Anschein gab zuzuhören.
Bevor ich zu dem eklatanten Mangel an fairem Verfahren komme, muss ich als erstes auf Julians Zustand hinweisen. Ich war äußerst schockiert wahrzunehmen, wie dünn mein Freund geworden ist, wieviel Haar er verloren hat und wie offenkundig vorzeitiges und stark beschleunigtes Altern bei ihm bemerkbar sind. Auffällig war auch ein Hinken, das ich bisher noch nie bei ihm beobachtet habe. Seit seiner Verhaftung hat er über 15 kg an Körpergewicht verloren.
REPORT THIS AD
Sein physischer Anblick war jedoch nicht so schockierend wie sein geistiger Verfall. Als er gebeten wurde, seinen Namen und sein Geburtsdatum zu nennen, kämpfte er sichtlich mehrere Sekunden lang darum sich beides ins Gedächtnis zu rufen. Auf den wichtigen Inhalt seiner Aussage am Ende des Verfahrens werde ich später zurückkommen, aber wieviel Schwierigkeiten es ihm bereitete, diese zu machen, war offensichtlich; es war ein richtiger Kampf für ihn, die Worte zu artikulieren und sich auf seinen Gedankengang zu konzentrieren.
Bis gestern war ich immer etwas skeptisch gewesen jenen gegenüber, die behaupteten, dass Julians Behandlung als Folter betrachtet werden müsse – sogar Nils Melzer2, dem UN-Sonderberichterstatter über Folter gegenüber; ebenso skeptisch war ich jenen gegenüber, die nahelegten, er sei möglicherweise beeinträchtigenden medikamentösen Behandlungen ausgesetzt. Da ich jedoch in Usbekistan den Prozessen von mehreren Opfern extremer Folter beigewohnt habe und auch mit Überlebenden aus Sierra Leone und andern Ländern gearbeitet habe, kann ich sagen, dass ich aufgrund des gestrigen Erlebnisses meine Ansicht gänzlich geändert habe und feststellen musste, dass Julian genau die Symptome eines Folteropfers zeigte, das mit blinzelnden Augen ans Licht geführt wird – besonders auch in Bezug auf seine Desorientierung, Verwirrung und den echten Kampf, seinen freien Willen durch den Nebel erfahrener Machtlosigkeit hindurch zu behaupten.
Noch skeptischer war ich jenen gegenüber gewesen, die – wie ein führendes Mitglied seines Rechtsteams es mir gegenüber am Sonntagabend tat –, behaupteten, in Sorge zu sein, ob Julian das Ende des Auslieferungsverfahrens überleben werde. Jetzt glaube ich es nicht nur, sondern der Gedanke verfolgt mich. Jeder in diesem Gerichtssaal gestern sah, dass einer der größten Journalisten und wichtigsten Dissidenten unserer Zeit vor unseren Augen vom Staat zu Tode gefoltert wird. Es war unerträglich, meinen Freund, den redegewandtesten Menschen und schnellsten Denker, den ich je gekannt habe, in ein schlurfendes, inkohärentes Wrack verwandelt zu sehen. Die Vertreter des Staates, besonders die gefühllose Richterin, Vanessa Baraitser, waren jedoch nicht nur bereit, sondern begierig, an dieser Hetzjagd teilzunehmen. In der Tat sagte sie ihm, falls er unfähig sei, dem Verfahren zu folgen, dann wäre es Sache seiner Anwälte, ihm später zu erklären, was geschehen ist.
Die Frage, wie es dazu gekommen ist, dass ein Mann, bei dem geradezu aus der Anklage gegen ihn hervorgeht, dass er hochintelligent und fachkundig ist, vom Staat zu einer Person reduziert worden ist, die unfähig ist, dem Gerichtsverfahren zu folgen, scherte sie keinen Deut.
Die Anklage gegen Julian ist sehr spezifisch: sich mit Chelsea Manning verschworen zu haben, die Kriegsprotokolle des Irak-Kriegs und Afghanistan-Kriegs, sowie die Telegramme des amerikanischen Außenministeriums an die Öffentlichkeit gebracht zu haben. Die Anklagen haben nichts mit Schweden, nichts mit Sex und nichts mit den USA-Wahlen 2016 zu tun; eine einfache Klarstellung, welche die Mainstream-Medien scheinbar nicht in der Lage sind zu begreifen.
Der Zweck der gestrigen Anhörung war Case Management, ihr einziges Ziel, den Zeitplan für das Auslieferungsverfahren festzulegen. Die zur Debatte stehenden Kernpunkte waren die Bitte von Julians Verteidigern um mehr Zeit zur Vorbereitung ihres Beweismaterials, sowie deren Argumentation, dass in dem Auslieferungsabkommen politische Delikte ausdrücklich ausgeklammert sind. Wie sie vorbrachten, sollte deshalb eine Voruntersuchung stattfinden, um festzustellen, ob das Auslieferungsabkommen hier überhaupt Geltung hat.
Die von Assanges Verteidigungsteam vorgebrachten Gründe, warum mehr Zeit zur Vorbereitung nötig sei, waren sowohl triftig als auch überraschend. Sie hatten nur sehr begrenzten Zugang zu ihrem Klienten im Gefängnis, und man hatte ihnen erst vor einer Woche erlaubt, ihm die seinen Fall betreffenden Dokumente auszuhändigen. Zudem war ihm auch erst jetzt begrenzter Zugang zu einem Computer gewährt worden, und all seine einschlägigen Dokumente und Materialien waren von der US-Regierung aus der Botschaft Ecuadors beschlagnahmt worden; er hatte keinen Zugang zu seinen eigenen Unterlagen, um sich auf seine Verteidigung vorzubereiten.
Außerdem brachte die Verteidigung vor, dass sie in Zusammenhang mit einem sehr wichtigen und relevanten Gerichtsfall in Madrid 3, der wesentliche Beweise liefern würde, mit den spanischen Gerichten in Verbindung ständen. Dieser Fall zeige, dass die CIA – durch eine spanische Firma, UC Global, die von der ecuadorianischen Botschaft selbst ursprünglich zu seinem Schutze angestellt worden war – direkte Anordnungen gegeben hat, Julian in der Botschaft auszuspionieren. Entscheidend dabei sei, dass auch privilegierte Gespräche zwischen Assange und seinen Anwälten bezüglich seiner Verteidigung gegen dieses (von den USA seit 2010 bestehende) Auslieferungsbegehren, abgehört wurden. In jedem normalen Prozess würde allein schon diese Tatsache genügen, um das Auslieferungsverfahren abzuweisen. Zufällig erfuhr ich am Sonntag, dass das dem Gericht vorgelegte spanische Material, das von der CIA in Auftrag gegeben worden war, insbesondere auch die hochauflösende Videoerfassung eines Gesprächs zwischen Julian und mir über verschiedene Angelegenheiten beinhaltet.
Das Beweismaterial vor dem spanischen Gericht umfasste auch ein Komplott der CIA, Assange zu entführen, was ein Licht wirft auf die Einstellung der US-Behörden zum Recht in seinem Fall, sowie auch die Behandlung, die er in den Vereinigten Staaten zu erwarten hätte. Julians Team erklärte, dass das spanische Gerichtsverfahren gegenwärtig stattfinde und dass das daraus resultierende Beweismaterial außerordentlich wichtig sei; möglicherweise wäre aber dieses Verfahren noch nicht beendet, und daher das Beweismaterial noch nicht endgültig validiert und stände dadurch bei dem jetzt vorgeschlagenen Zeitplan für die Auslieferungsanhörung von Assange möglicherweise nicht rechtzeitig zur Verfügung.
Für die Staatsanwaltschaft erklärte James Lewis QC, dass die Regierung jegliche Gewährung eines Aufschubs zwecks Vorbereitung der Verteidigung streng ablehne, ebenso auch eine gesonderte Erwägung der Frage, ob die Anklage ein vom Auslieferungsabkommen ausgenommenes politisches Delikt sei. Baraitser nahm diese Gedanken von Lewis auf und stellte kategorisch fest, dass der Termin für die Auslieferungsverhandlung, nämlich der 25. Februar, nicht geändert werden könne. Sie sei jedoch offen für Änderungen der Termine für die Einreichung von Beweismitteln und Rückmeldungen vor dem oben genannten Datum; dann forderte sie eine zehnminütige Unterbrechung, damit Staatsanwaltschaft und Verteidigung sich diesbezüglich einigen könnten.
Was sich dann ereignete, war sehr aufschlussreich. Es waren fünf Vertreter der US-Regierung anwesend (anfangs drei, später kamen zwei weitere während der Anhörung dazu), die an Pulten hinter den Anwälten im Gerichtssaal saßen. Die Staatsanwälte steckten sofort die Köpfe mit den US-Vertretern zusammen und verließen dann mit diesen den Gerichtssaal, um ihre Antwort bezüglich der Termine abzuklären.
Nach der Unterbrechung erklärte das Verteidigungsteam, seiner fachlichen Beurteilung nach sei eine angemessene Vorbereitung nicht möglich, wenn für die Anhörung auf dem Februartermin bestanden werde; aber im Rahmen von Baraitsers Anweisung umriss das Verteidigungsteam dennoch einen vorgeschlagenen Zeitplan für die Einreichung der Beweismittel. Um hierauf zu antworten, eilte der „Junior Counsel“ von Lewis in den hinteren Teil des Gerichtssaals, um nochmals mit den Amerikanern zu beraten, während Lewis der Richterin tatsächlich sagte, „er erhalte seine Instruktionen von denen da hinten“. Es ist wichtig zur Kenntnis zu nehmen, dass es sich hierbei nicht um die Generalstaatsanwaltschaft des Vereinigten Königreichs handelt, die konsultiert wurde, sondern um die Botschaft der USA. Lewis erhielt seine amerikanischen Instruktionen und war einverstanden, dass die Verteidigung zwei Monate zur Vorbereitung ihres Beweismaterials haben könne (letztere hatte gesagt, dass sie ein absolutes Minimum von drei Monaten benötige), aber der Februartermin der Anhörung dürfe nicht verschoben werden. Baraitser fällte eine Entscheidung, die mit allem, was Lewis gesagt hatte, konform ging.
Zu diesem Zeitpunkt war es unklar, warum wir diese Farce durchmachten. Die US-Regierung diktierte Lewis ihre Instruktionen und dieser leitete dieselben an Baraitser weiter, die sie ihrerseits als ihren Rechtsspruch äußerte. Genauso gut hätte die Scharade abgebrochen werden können und die US-Regierung hätte einfach auf dem Richterstuhl sitzen und den ganzen Prozess kontrollieren können. Keiner konnte hier anwesend sein und glauben, er wohne in irgendeiner Weise einem echten Rechtsverfahren bei oder dass Baraitser auch nur einen Augenblick lang die Argumente der Verteidigung berücksichtige. Bei den wenigen Gelegenheiten, dass sie in die Richtung der Verteidigung blickte, zeigte ihr Gesichtsausdruck entweder Verachtung, Langeweile oder Sarkasmus. Wenn sie Lewis ansah, war sie aufmerksam, offen und warm.
Es ist offensichtlich, dass die Auslieferung gemäß eines von Washington diktierten Zeitplans durchgepeitscht wird. Was ist an dem Februardatum für die USA so wichtig, wenn nicht der Wunsch, dem spanischen Gericht zuvorzukommen, ehe es die Beweismittel über die CIA-Aktivitäten liefern kann, und damit die Verteidigung zu sabotieren? Jede Idee ist mir willkommen.
Die Bitte der Verteidigung um eine gesonderte vorherige Anhörung zur Abklärung, ob das Auslieferungsabkommen überhaupt in diesem Fall Geltung hat, lehnte Baraitser ab, ohne irgendwelche Gründe anzuführen (vermutlich hatte sie nicht mehr in Erinnerung, worauf genau sie – Lewis’s Instruktionen zufolge – eingehen dürfe). Hier ist nun der volle Paragraph 4 des Auslieferungsabkommens 2007 zwischen Großbritannien und den USA 4:
PARAGRAPH 4
Politische und Militärische Straftaten
Die Auslieferung wird nicht gewährt, wenn es sich bei der Straftat, für die die Auslieferung beantragt wird, um eine politische Straftat handelt.
Im Sinne dieses Vertrags gelten die folgenden Straftaten nicht als politische Straftaten:
a) eine Straftat, für die beide Parteien aufgrund eines multilateralen internationalen Übereinkommens verpflichtet sind, die gesuchte Person auszuliefern oder den Fall ihren zuständigen Behörden zur Entscheidung über die Strafverfolgung vorzulegen;
b) Mord oder sonstige Gewalttat gegen die Person eines Staatsoberhauptes einer der Vertragsparteien oder eines Familienangehörigen des Staatsoberhauptes;
c) Mord, Totschlag, böswillige Verwundung oder schwere Körperverletzung;
d) Eine Straftat, die Entführung, Verschleppung oder jede Form der rechtswidrigen Inhaftierung, einschließlich der Geiselnahme, beinhaltet;
e) Das Aufstellen oder Verwenden oder die Androhung des Aufstellens oder der Verwendung von Spreng-, Brand- oder Zerstörungsmitteln oder Feuerwaffen, die lebensgefährlich sind, schwere Körperverletzungen verursachen oder erhebliche Sachschäden verursachen können;
f) Besitz eines Sprengstoffs, Brand- oder Zerstörungsmittels, das das Leben gefährden, schwere Körperverletzungen oder erheblichen Sachschaden verursachen kann;
g) Ein Versuch oder eine Verschwörung, eine der oben genannten Straftaten zu begehen, sich an der Begehung, Beihilfe oder Begünstigung zu beteiligen, die Begehung zu b raten oder zu beschaffen oder vor oder nach der Tat ein Mittäter zu sein.
Abweichend von Paragraph 2 wird eine Auslieferung nicht gewährt, wenn die zuständige Behörde des ersuchten Staates feststellt, dass das Ersuchen politisch motiviert war. In den Vereinigten Staaten ist die Exekutive die zuständige Behörde im Sinne dieses Paragraphen.
Die zuständige Behörde des ersuchten Staates kann die Auslieferung von Straftaten nach dem Militärrecht verweigern, die keine Straftaten nach dem ordentlichen Strafrecht sind. In den Vereinigten Staaten ist die Exekutive die zuständige Behörde im Sinne dieses Paragraphen.
Von außen betrachtet ist die Anklage gegen Assange per se die genaue Definition eines politischen Vergehens – ist sie es nicht, was ist dann ein politisches Vergehen? Keine der aufgeführten Ausnahmeregelungen treffen in diesem Fall zu. Es gibt also allen Grund dafür zu prüfen, ob ein Auslieferungsverfahren für diese Anklage überhaupt in Frage kommt, und zwar vor dem langen und sehr kostspieligen Prozess der Prüfung sämtlicher Beweise, die im Falle eines Auslieferungsverfahrens stattfinden müsste. Aber Baraitser wies das Argument ohne weiteres zurück.
Um niemanden im Zweifel zu lassen, was hier vor sich ging: Lewis stand dann auf und empfahl, dass der Verteidigung nicht erlaubt werden solle, mit einer Menge Argumente die Zeit des Gerichtshofes zu verschwenden. Alle Argumente für die inhaltliche Anhörung sollen im Voraus schriftlich unterbreitet und eine „Guillotine-Klausel angewendet werden“ (seine genauen Worte) für Argumente und Zeugen vor Gericht, von vielleicht fünf Stunden für die Verteidigung. Letztere hatte darauf hingewiesen, dass sie mehr als die geplanten fünf Tage benötigen würde, um ihren Fall darzulegen. Lewis entgegnete, die ganze Anhörung sollte in zwei Tagen abgewickelt sein. Baraitser sagte, dass dies verfahrensrechtlich nicht der richtige Zeitpunkt sei dies festzulegen, dass sie es aber berücksichtigen werde, sobald sie die Beweispakete erhalten habe.
(Spoiler: Baraitser wird tun, wie von Lewis angewiesen, und die inhaltliche Anhörung kürzen.)
Baraitser setzte dann allem noch die Krone auf, indem sie verkündete, dass die Anhörung im Februar nicht in dem vergleichsweise offenen und zugänglichen Westminster Magistrates Court (wo wir uns befanden), abgehalten werde, sondern im Belmarsh Magistrates Court, der düsteren Hochsicherheitseinrichtung, die für die vorbereitende juristische Sachbearbeitung bei Terroristen benutzt wird und die dem Hochsicherheitsgefängnis, in dem Assange verwahrt wird, angeschlossen ist. Sogar im größten Gerichtssaal in Belmarsh gibt es nur sechs Plätze für die Öffentlichkeit; die offensichtliche Absicht ist, öffentlicher Prüfung zu entgehen und sicherzustellen, dass Baraitser nicht durch einen wahrhaftigen Bericht über ihr Verfahren, (wie etwa den vorliegenden) öffentlich exponiert wird. Wahrscheinlich werde ich somit der inhaltlichen Anhörung in Belmarsh nicht beiwohnen können.
Eindeutig waren die Behörden angesichts Hunderter aufrichtiger Menschen irritiert, die gekommen waren, um Julian zu unterstützen. Sie hoffen, dass weit weniger zu dem viel schlechter zugänglichen Belmarsh gelangen werden. Ich bin mir ziemlich sicher (und rufe in Erinnerung, dass ich eine lange diplomatische Karriere hinter mir habe), dass die beiden zusätzlichen amerikanischen Regierungsbeamten, die etwa in der Hälfte der Verhandlungen auftauchten, bewaffnetes Sicherheitspersonal waren, das angesichts der beunruhigenden Anzahl Protestierender rund um eine Anhörung herbeigerufen wurde, der ranghohe US-Beamte beiwohnten. Die Verschiebung nach Belmarsh könnte auf amerikanischer Veranlassung beruhen.
Assanges Verteidigungsteam erhob heftigen Widerspruch gegen die Verschiebung nach Belmarsh, besonders aufgrund der Tatsache, dass es dort keine Besprechungsräume gibt, wo es sich mit seinem Klienten beraten könne; und dass es ohnehin schon nur sehr unzulänglichen Zugang zu ihm im Gefängnis habe. Baraitser lehnte ihren Einwand mit einem betont spöttischen Lächeln kategorisch ab.
Zum Schluss wandte sich Baraitser an Julian, befahl ihm aufzustehen und fragte ihn, ob er die Verhandlungen verstanden habe. Er verneinte dies, sagte, dass er nicht klar denken könne und mutete in jeder Hinsicht desorientiert an. Dann schien er eine innere Stärke zu gewinnen, richtete sich ein wenig auf und sagte:
„Ich verstehe nicht, wie dieser Prozess gerecht sein soll. Diese Supermacht hatte 10 Jahre, um diesen Fall vorzubereiten und ich habe nicht einmal Zugang zu meinen eigenen Notizen. Es ist sehr schwierig überhaupt irgendetwas zu tun, dort wo ich bin. Diese Leute haben unbegrenzte Ressourcen.“
Dann schien die Anstrengung zu groß zu werden, seine Stimme sank und er wurde zunehmend verwirrt und sprach zusammenhanglos. Er sprach davon, dass Whistleblower und Publizisten zu Volksfeinden deklariert werden; dann sprach er davon, dass die DNA seiner Kinder gestohlen wird und er während der Zusammenkünfte mit seinem Psychologen ausspioniert werde. Ich sage in keiner Weise, dass sich Julian in diesen Punkten irre, aber er konnte sie weder ordentlich formulieren noch artikulieren. Er war offensichtlich nicht er selbst, sondern sehr krank, und das mitanzusehen war einfach entsetzlich schmerzlich. Baraitser zeigte weder Mitgefühl noch die geringste Sorge. Sie bemerkte schroff, dass, falls er es selbst nicht verstehen könne, seine Anwälte ihm erklären sollten, was vorgefallen sei, und rauschte aus dem Gerichtssaal.
Das ganze Erlebnis war ungeheuer erschütternd. Es war nur allzu klar, dass hier kein ernsthafter Ablauf rechtlicher Erwägungen stattfand. Was uns geboten wurde, war eine nackte Demonstration der Macht des Staates und eine unverhüllte Bevormundung des Verfahrens durch die Amerikaner. Julian befand sich in einem separaten Abteil hinter kugelsicherem Glas, und ich und die ungefähr dreißig anderen Mitglieder der Öffentlichkeit, die sich hereingezwängt hatten, waren in einem anderen Abteil ebenfalls hinter kugelsicherem Glas. Ich weiß nicht, ob Julian mich oder seine anderen Freunde im Gerichtssaal sehen konnte, oder ob er fähig war, jemanden zu erkennen. Er gab kein diesbezügliches Zeichen.
In Belmarsh wird er 23 Stunden am Tag in völliger Isolation gehalten. Es werden ihm 45 Minuten Bewegung gestattet. Wenn er an einen andern Ort geleitet werden muss, werden die Korridore geräumt, bevor er diese entlang geht, und alle Zelltüren geschlossen, um sicherzustellen, dass er keinen Kontakt mit irgendeinem anderen Gefangenen hat, abgesehen von der kurzen und streng überwachten Zeit körperlicher Aktivität. Es gibt keine mögliche Begründung, dieses unmenschliche, bei bedeutenden Terroristen angewandte System über einen Verleger zu verhängen, der sich in Untersuchungshaft befindet.
REPORT THIS AD
Seit Jahren katalogisiere und protestiere ich gegen die zunehmend autoritäre Macht des britischen Staates; dass aber der gröbste Machtmissbrauch so offen und unverhüllt sein könnte, ist noch immer ein Schock. Die Dämonisierungskampagne und Entmenschlichung, der Julian ausgesetzt ist, und die auf einer Regierungs- und Medienlüge nach der anderen basiert, haben zu einer Situation geführt, wo er in aller Öffentlichkeit langsam umgebracht und dafür angeklagt werden kann, die Wahrheit über Regierungsverbrechen enthüllt zu haben; und von der „liberalen“ Gesellschaft erhält er keinen Beistand.
Sollte Julian nicht bald freigelassen werden, dann wird er vernichtet sein. Kann der Staat dies tun – wer ist dann der Nächste?
__________________________
1 Übersetzung: Sigrun Oparah, übernommen von
https://kernpunkte.com/
2 Vgl. UN-Völkerrechtler prangert …
3
https://elpais.com/elpais/2019/10/09/in ... 07946.html
4
https://assets.publishing.service.gov.u ... 6/7146.pdf
LINK:
https://fassadenkratzer.wordpress.com/2 ... #more-5778