MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Gremienbüro
Kantstr. 71 - 73
D-04275 Leipzig
Sehr geehrte Damen und Herren Rundfunkräte,
mit Schreiben vom 05.04.2021 forderten wir aufgrund neuer rechtlicher Bewertungen durch die Staatsanwaltschaft Potsdam die Richtigstellung der Tatsachenbehauptung des MDR, der mosambikanische Vertragsarbeiter Manuel Diogo sei am 30. Juni 1986 in einem Zug zwischen Berlin und Dessau von Neonazis ermordet worden.
Innerhalb der acht Monate währenden intensiven Prüfungen der Ermittlungsakten und der beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit vorhandenen Dokumente habe es laut Staatsanwaltschaft Potsdam keine Anhaltspunkte für ein Tötungsdelikt oder für eine Manipulation der Todesursache seitens der DDR-Behörden gegeben.
Der Juristische Direktor des MDR, Herr Dr. Schröder, merkt in seinem Antwortschreiben an, dass die gegenteilige Beurteilung eines Sachverhaltes durch eine Staatsanwaltschaft nicht automatisch bedeute, dass die Darstellung des MDR falsch, erfunden oder unwahr sei. Das ist eine originelle Auffassung von der Arbeit einer Behörde mit Verpflichtung zur Objektivität, zu der gehört, dass nicht nur die belastenden, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände objektiv zu ermitteln sind. Diese Regel gilt im Übrigen auch für journalistische Arbeit, sofern sie nicht ausschließlich den Boulevard bedient.
Der Wahrheitspflicht nachzukommen heißt, vollständige Informationen zu geben. Vollständigkeit heißt wiederum nichts wegzulassen, was wichtig ist. Entlastendes wie Belastendes sind gleichermaßen darzustellen (BHG, NJW 1997, 1148). Fehlende Sendezeit oder zeitlicher Informationsdruck sind dem gegenüber unbeachtlich. (hier: Hahn/Vesting, Beck‘scher Kommentar zum Rundfunkrecht, Seite 450, Randnotiz 57)
In seiner ablehnenden Antwort auf unser Schreiben moniert der Juristische Direktor, dass wir die von den MDR-Autoren recherchierte Faktenlage sowie die Bewertung des
Historikers Harry Waibel unberücksichtigt ließen. Sowohl die Bewertungen als auch die politische Agenda des vom MDR favorisierten Historikers sind den Beschwerdeführern bekannt.
Auch die Einschätzung renommierter Historiker zu seinem Wirken und Schaffen gaben uns Einblicke in die öffentliche Reputation des westdeutschen Waibels, die sich ausschließlich darin erschöpft mit allen Mitteln die These vom DDR-Unrechtsstaat zu untermauern. Dass seine monothematischen Bemühungen in gewissen politischen Kreisen durchaus auf fruchtbaren Boden fallen, hat weniger mit Waibels politisch-historischer Kompetenz zu tun, als vielmehr mit einem kolportierten Geschichtsbild, welches keine Nuancen zwischen Schwarz und Weiß zulässt und den Menschen, die im System DDR gelebt und gearbeitet haben, auf ewig ein falsches Leben attestiert.
Wir möchten Sie, sehr geehrte Gremienmitglieder, auf die dünne Faktenlage und auf die Ungereimtheiten aufmerksam machen, die sich sowohl durch die beanstandete MDR-Dokumentation als auch durch Herrn Dr. Schröders Ausführungen ziehen.
- Herr Dr. Schröder führt aus, dass der ehemalige mosambikanische Diplomat Pedro Taimo angab, von hochrangigen „DDR-Offiziellen“ über das Tötungsverbrechen an Manuel Diogo informiert worden zu sein. Laut vom
MDR selbst verlinkten Zitat Taimos sagte dieser jedoch:
„Die Staatssicherheit der DDR und andere Behörden, mit denen wir in Kontakt standen, haben uns nie direkt bestätigt, dass es sich um ein Tötungsdelikt durch Skinheads handelte. Hätten sie das getan, wäre dies ein ernsthaftes politisches Problem.“
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- Der ebenfalls als Quelle genannte ehemalige mosambikanische Botschafter in der DDR, Julio Braga, bezog sich im Interview offensichtlich auf ein anderes Tötungsverbrechen, wie die Redaktion des MDR unschwer hätte herausfinden können. So nutzt Braga im Gespräch nicht ein einziges Mal den Namen „Manuel Diogo“ und spricht über gefasste und verurteilte Täter, die es im Fall Diogo schlicht nicht gab.
O-Ton Braga: „Ich glaube, einige wurden für zwei bis 5 Jahre verurteilt.“
Wie passt diese Aussage zu einem Fall, der über 30 Jahre lang zurecht als Unfall galt? Braga könnte sich auf den Mord an dem mosambikanischen Lehrling Carlos Conceicao bezogen haben, der im September 1987 in Staßfurt getötet wurde und dem Täter eine Verurteilung von fünf Jahren Freiheitsentzug einbrachte. Aufschluss darüber könnte das dem MDR vorliegende Rohmaterial des Interviews mit dem Ex-Botschafter geben.
- Die Aussage des ehemaligen Vertragsarbeiters und Autors Ibraimo Alberto, der angeblich mit Manuel Diogo befreundet war und mit ihm zusammen am 16. Juni 1981 aus Mosambik in Berlin-Schönefeld eingetroffen sei, entpuppte sich beim Vergleich der Ankunftsdaten als falsch, denn Diogo kam erst Ende Oktober nach Deutschland. Auch der angebliche Besuch Diogos in Berlin erweist sich als unhaltbar und scheitert ebenso an gesicherten Fakten, wie die plastische Schilderung des angeblichen Mordes in Ibraimo Albertos Roman, auf der „Historiker“ Harry Waibel schlussendlich seine Mord-Theorie aufbaute und die der MDR in seiner Doku unter Zuhilfenahme von Statisten (!) übernahm.
Ibraimo Alberto räumte später gegenüber den Journalistinnen der Berliner Zeitung Erinnerungslücken ein und berief sich lediglich auf besagtes Gespräch in der mosambikanischen Vertretung, bei dem ihm erzählt wurde, dass ein Mosambikaner im Zug bei Dessau von Skinheads ermordet worden sei. Die ehemaligen mosambikanischen Kollegen Diogos sagen, sie hätten nie von Ibraimo Alberto gehört. Manuel wäre auch niemals allein mit dem Zug nach Berlin gefahren, sie seien immer in der Gruppe unterwegs gewesen.
Herr Dr. Schröder führte schlussendlich aus, dass die Einstufung der Stasi-Akten zum Fall Manuel Diogo mit dem Vermerk "Streng vertraulich! Um Rückgabe wird gebeten!" ein Indiz für besondere Brisanz des Inhalts sei und eine entsprechende Widmung bei einem Unfall ungewöhnlich wäre. Laut unserer Information wurden sämtliche schriftliche Informationen, die das MfS an andere Institutionen herausgab (z.B. auch auf Parteiinformationen an SED-Führungen) unabhängig von der Brisanz des Inhaltes, mit diesem Vermerk versehen. Beispiel:
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Die Vorgehensweise der Filmemacher Christian Bergmann und Tom Fugmann entspricht im Falle Manuel Diogo eben
nicht dem Gebot der Einhaltung journalistischer Sorgfaltspflichten. Es mutet eher so an, als sei die Story vom gewünschten Ergebnis her konzipiert worden. Die Autoren haben sich auf das belastende Material Waibels bezogen und lediglich Quellen und Informationen genutzt, welche dessen Mordthese stützten.
O-Ton: Roland Hohberg vom Rückkehrerverein Adecoma in Mosambik hatte dem MDR Interviews vermittelt. Daher wisse er, dass die Journalisten ihre Gesprächspartner im Glauben gelassen hätten, der Neonazi-Mord sei bewiesen.
„Die haben Suggestivfragen gestellt, die wollten nur eine Story, die gut ins politische Panorama passt.“
Dass Waibel - laut eigener Aussage - sogar vom MDR für seine „Recherchen“ bezahlt wurde, wirft ein ebenso düsteres Licht auf diese Story, wie die zutiefst unsensible Konfrontation der Mutter Diogos mit dem vermeintlichen Nazi-Mord an ihrem Sohn. Dr. Schröder schreibt in seinem Schlusssatz, dass der MDR in den Beiträgen „einen möglichen Tathergang“ darstellt. Rechtfertigt „ein möglicher Tathergang“ diese Reise der MDR-Crew nach Mosambik? Was wünscht ein anständiger Mensch der greisen Mutter eines so jung verstorbenen Mannes? Eine unbestellte monströse Enthüllung, welche die eh schon grausamen Todesumstände ihres Jungen noch in den Schatten stellt? Wer tut so etwas und warum?!
Die Autoren des MDR haben es versäumt wichtige Zeitzeugen zu befragen, die die Mordthese hätten entkräften können. Die Journalistinnen der Berliner Zeitung sind bspw. nach Jeber-Bergfrieden gefahren, wo Diogo damals arbeitete. Sie sprachen unter anderem mit dem Heimleiter, dem Werkleiter und dem Lokführer, der Manuels Leiche gefunden hatte. Auch ehemalige Freunde und Kollegen von Diogo in den USA und Mosambik wurden von den beiden Reporterinnen kontaktiert und ausführlich befragt.
Besonders brisant: Keiner der von den Journalistinnen der Berliner Zeitung interviewten deutschen Zeitzeugen hatte jemals von der Mordthese an Diogo gehört, bevor der Beitrag des MDR lief.
Der bekannte ostdeutsche Kriminalistik-Experte Hans Thiers, früherer Leiter der Mordkommission im DDR-Bezirk Gera – schon mehrfach beim MDR zu Gast – sagte zum Fall: Es sei absurd und schlichtweg falsch, dass in der DDR aus politischen Gründen u.a. von der Stasi Ermittlungen gestoppt oder Verbrechen vertuscht wurden. Eher sei das Gegenteil der Fall gewesen. Das MfS habe bei Mordfällen auf rasche Aufklärung gedrungen, sich über alle Ermittlungsschritte informieren lassen. Die Öffentlichkeit sei nach Morden direkt in die Fahndung einbezogen worden – sogar per Lautsprecherwagen in den Städten und Dörfern, per Fahndungsanzeigen in den DDR-Medien. Kriminalisten und Polizisten hätten sogar in den Schulen konkret über Verbrechen und laufende Fahndungen informiert, um Mithilfe gebeten.
O-Ton Thiers:
“Mein damals zuständiger Kollege, der Leiter der Morduntersuchungskommission Halle, sagte mir 2020, dass er sich an einen solchen spektakulären Mordfall auf jeden Fall erinnern würde, wenn es ihn denn gegeben hätte.“
Die Wahrheitspflicht dergestalt, dass Aussage und Wirklichkeit übereinstimmen, entspringt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das auch dagegen schützt, dass jemandem Äußerungen in den Mund gelegt werden, die er nicht getan hat und die seinen von ihm selbst definierten sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigen. Aussage und Wirklichkeit müssen übereinstimmen. (siehe Beck‘scher Kommentar zum Rundfunkrecht, Hahn/Vesting, Seite 449, Randnotiz 55/56)
Die Redaktionen sind in der Pflicht, Bilder und Aussagen aus Quellen Dritter auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Es ist nicht ihre Aufgabe, Falschmeldungen zu verbreiten. Zudem gehört es zum journalistischen Standard, fehlerhafte Berichterstattung richtigzustellen.
Sehr geehrte Damen und Herren Rundfunkräte,
wir nehmen ausdrücklich Abstand von den von uns verwendeten Begrifflichkeiten „Medien-Ente“, „ausgedacht“ und „frei erfunden“. Diese Zuschreibungen werden dem Vorgang nicht gerecht. Es handelt sich um einen Skandal allererster Güte. Bevor Sie sich, wie leider viel zu oft üblich, der Auffassung der Intendanz bzw. des Juristischen Direktors anschließen, möchten wir jedes Mitglied Ihres Gremiums dringend darum bitten, aufmerksam die Podcasts der Berliner Zeitung anzuhören. Das sollte nicht nur zu Prüfungszwecken erfolgen, sondern auch aus aufrichtigem Interesse an spannenden, ehrlichen und beharrlichen Journalismus.
https://derfalldiogo.podigee.io/
Die Recherchen der "Berliner Zeitung" zum Fall Diogo nehmen im Übrigen am
Wettbewerb um den Nannen Preis 2021 teil.
Sehr geehrte Damen und Herren Rundfunkräte, wir möchten Sie abschließend bitten, sich unserer Forderung nach öffentlicher Richtigstellung der falschen Tatsachenbehauptung des MDR anzuschließen, der mosambikanische Vertragsarbeiter Manuel Diogo sei am 30. Juni 1986 in Ostdeutschland während einer Zugfahrt von Nazis ermordet worden.
Aus Gründen der Transparenz wird dieses Schreiben und weiterer Schriftverkehr auf der Webseite des Vereins
https://www.publikumskonferenz.de/forum/ veröffentlicht.
Mit freundlichen Grüßen
Maren Müller
Vorsitzende Publikumskonferenz