Westdeutscher Rundfunk Köln
Anstalt des öffentlichen Rechts
Herrn Tom Burow persönlich
Appellhofplatz 1
50667 Köln
Formale Programmbeschwerde
Sehr geehrter Herr Buhrow,
hiermit erheben wir Programmbeschwerde gegen Inhalte des Beitrages „Russland will Getreideabkommen mit der Ukraine vorerst nicht verlängern“ innerhalb der Sendung Tagesschau vom 17.07.2023 und möchten um Richtigstellung ersuchen. Verantwortlich für den Beitrag ist Mathea Schülke vom WDR.
https://www.youtube.com/watch?v=zmLvd_nibhU
https://www.tagesschau.de/multimedia/vi ... 22536.html
Zitat: "Seitdem sind mehr als 38 Mio. Tonnen Getreide exportiert worden - vor allem in ärmere Länder."
Die oben zitierte Aussage zu den Empfängerländern der Getreideexporte ist unwahr.
Die genauen Zahlen zu den Zielländern für die Getreideexporte sind öffentlich auf dieser Website der UN überprüfbar.
Demnach sind insgesamt 81% aller Exporte in Länder mit hohen und mittleren Einkommen geliefert worden. Von den bisher (Stand: 18.07.2023) gelieferten 32.9 Mio. Tonnen an Getreide sind 8 Mio. Tonnen (24%) allein an China geliefert worden. Auf Platz 2 folgt Spanien mit 6 Mio. Tonnen. Nur 2.5 % der Getreidelieferungen sind an die ärmsten Länder gegangen, zu denen der Jemen, Äthiopien, Afghanistan und der Sudan gehören.
Des Weiteren blieb im Beitrag unerwähnt, dass der Teil der Vereinbarung, welcher Russland einen ungehinderten Export seines Getreides und seiner Düngemittel ermöglichen soll, durch die westlichen Länder nie umgesetzt wurde. Komplett unterschlagen wurde zudem, dass eine solche Vereinbarung überhaupt existiert. Sie hätten es allerdings leicht nachlesen können, zum Beispiel in der folgenden Verlautbarung auf der offiziellen Webseite des UN-Generalsekretärs: Note to the correspondents on today`s agreements 22.July 2022.
Auszug: "An agreement was also reached with the Russian Federation on the scope of engagement of the United Nations to facilitate the unimpeded exports to world markets of Russian food and fertilizer – including the raw materials required to produce fertilizers. This agreement is based on the principle that measures imposed on the Russian Federation do not apply to these products."
Übersetzung: Außerdem wurde mit der Russischen Föderation eine Vereinbarung über den Umfang des Engagements der Vereinten Nationen zur Erleichterung der ungehinderten Ausfuhr russischer Lebensmittel und Düngemittel - einschließlich der zur Herstellung von Düngemitteln erforderlichen Rohstoffe - auf die Weltmärkte getroffen. Diese Vereinbarung beruht auf dem Grundsatz, dass die gegen die Russische Föderation verhängten Maßnahmen nicht für diese Produkte gelten."
Die UNO hat sich redlich um die Umsetzung dieses Teils der Vereinbarung bemüht, wurde aber torpediert durch die Sanktionen der westlichen Staaten wie dem Ausschluss Russlands aus den westlichen Zahlungssystemen und bezüglich der Verweigerung der Versicherung für entsprechende Schiffe.
Dass es Probleme mit diesem Teil der Vereinbarung gibt, kann man zum Beispiel in der relativ aktuellen Verlautbarung der UN vom 12.07.2023 sinngemäß nachlesen.
Auszug: "The objective is to remove hurdles affecting financial transactions through the Russian Agricultural Bank, a major concern expressed by the Russian Federation, and simultaneously allow for the continued flow of Ukrainian grain through the Black Sea. For his part, the Secretary-General will continue to stress the crucial importance of food and fertilizer exports from both the Russian Federation and Ukraine to global food security. His overriding concern remains for vulnerable people around the world, who stand to lose the most from any unravelling of the Istanbul arrangements and a likely subsequent rise in global food and fertilizer prices. The Secretary-General remains engaged with all relevant parties on this issue and expresses his willingness to further engage on his proposal with the Russian Federation."
Übersetzung: "Ziel ist es, die Hürden für Finanztransaktionen über die russische Landwirtschaftsbank zu beseitigen - ein wichtiges Anliegen der Russischen Föderation - und gleichzeitig den weiteren Fluss ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer zu ermöglichen. Der Generalsekretär wird seinerseits weiterhin auf die entscheidende Bedeutung der Nahrungsmittel- und Düngemittelausfuhren aus der Russischen Föderation und der Ukraine für die weltweite Ernährungssicherheit hinweisen. Seine größte Sorge gilt nach wie vor den bedürftigen Menschen in der ganzen Welt, die am meisten unter einer Aufweichung der Istanbuler Vereinbarungen und einem wahrscheinlichen anschließenden Anstieg der weltweiten Lebensmittel- und Düngemittelpreise zu leiden hätten. Der Generalsekretär steht in dieser Angelegenheit weiterhin in Kontakt mit allen relevanten Parteien und ist gewillt, seinen Vorschlag mit der Russischen Föderation weiter zu erörtern."
Fazit: Die zitierten Meldungen in der Tagesschau sind unwahr, bedienen politische Narrative und erfüllen nicht die journalistischen Mindeststandards. Unbeabsichtigte Fehler darf man bei dieser Thematik ausschließen. Wenn bereits bei einfach überprüfbaren Fakten unkorrekt berichtet wird, stellt sich die Frage, wie hoch der Anteil unwahrer Meldungen bei den nicht-überprüfbaren Nachrichten ist.
Zudem werden durch manipulative Berichte und Bildzusammenschnitte hungernder Kinder die Ärmsten der Welt in einer Weise instrumentalisiert, die angesichts westlicher Sanktionspolitik und der Unterstützung bzw. Billigung militärischer Interventionen in vielen armen Ländern der Welt an Heuchelei nicht zu überbieten ist.
Ergänzende Anmerkung: Die aktuelle Umwidmung der Ukraine seitens Politik und Medien von der „Kornkammer Europas“ zur „Kornkammer der Welt“ lässt jedweden Realitätssinn vermissen. Die Ukraine brachte es 2020 (aktuellere Berechnungen stehen aus) auf eine Getreideproduktion (Weizen, Gerste, Hafer, Hirse, Reis, Mais und Roggen) von gut 64 Millionen Tonnen. Allein die vier weltweit führenden Getreideproduzenten (China, USA, Indien und Russland) kamen auf 1516 Millionen Tonnen. Der Anteil der Ukraine an der Welt-Getreideproduktion befindet sich damit bei ungefähr vier Prozent, bricht man es auf alle Getreide anbauenden Länder herunter, eher bei nahe zwei Prozent.
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der ... roduzenten
Was den Preis des Weizens anbelangt, so liegt der aktuell knapp 20 Prozent unterhalb seiner Notierung vor Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine. (Quelle: https://www.querschuesse.de/Grafik)
Der beanstandete Beitrag verstößt gegen § 4 des WDR-Gesetzes, wonach die Angebote dem Prozess freier, individueller und öffentlicher Meinungsbildung dienlich sein sollen, sowie gegen § 5, der die gebotene Wahrheitspflicht und die journalistische Fairness zum Gegenstand hat.
§ 5 WDR-Gesetz
Programmgrundsätze
(4) Der WDR soll die internationale Verständigung, die europäische Integration, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, ein diskriminierungsfreies Miteinander in Bund und Ländern und die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern fördern, zum Frieden und zur sozialen Gerechtigkeit mahnen, die demokratischen Freiheiten verteidigen und der Wahrheit verpflichtet sein.
Der WDR soll in seiner Berichterstattung angemessene Zeit für die Behandlung kontroverser Themen von allgemeiner Bedeutung vorsehen. Wertende und analysierende Einzelbeiträge haben dem Gebot journalistischer Fairness zu entsprechen. Ziel der Berichterstattung ist es, umfassend zu informieren.
Aus Gründen der Transparenz werden wir diese Beschwerde sowie die Antwort der Programmverantwortlichen auf der Webseite des Vereins https://forum.publikumskonferenz.de/ veröffentlichen.
Mit freundlichen Grüßen
Maren Müller
WDR- Tagesschau zum Getreideabkommen mit der Ukraine
Re: WDR- Tagesschau zum Getreideabkommen mit der Ukraine
Antwort des Intendanten des WDR auf die Programmbeschwerde:
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