Seit Wochen schon verschwindet die Schlächterei im Gazastreifen mehr und mehr aus unseren Mainstream-Medien. Gestern noch, am 3. September 2024, konnte man auf Zeit-Online direkt unter dem Kopf die Rubrik „Krieg in Israel und Gaza“ anclicken. Ab heute scheint der auch hier höchstens noch am Rande stattzufinden. Jedenfalls wird, wer sich dazu bei dem für seine liberale Ausrichtung berühmten Blatt kundig machen will, nur noch in der Rubrik „Was gerade wichtig ist“ fündig, und auch dort erst nach diversen Beiträgen zu den „Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen“, zu „Volkswagen“, zum „Dieselskandal“, zum „Schulstart“, zum „Kinderwunsch bei Männern“ und zur „US-Wahl“ – Stücker acht insgesamt. Dann erst der Live-Blog „Krieg in Nahost“ mit zwei Beiträgen zum inner-israelischen Protest gegen Netanjahus Kriegs-Kabinett – was halt dortselbst für den Moment „gerade wichtig“ ist in dem vollends entmutigenden Sinne, wie ihn der Schreiber dieser Zeilen gerade gestern noch im folgenden Leserbrief beklagt hat (mit etwas Glück finden sich die 1500 Zeichen demnächst sogar in dem oder jenem Mainstream-Medium abgedruckt, bei den Lesermeinungen – den einzigen Spalten, in denen Gegenstimmen noch gelegentlich zu vernehmen sind):
Empathie und Zukunft in Nahost
Dass die anhaltenden „militärischen Lösungen“ für den Nahost-Konflikt im Hinblick auf ein künftiges zivilisiertes Zusammenleben von Israelis und Palästinensern denkbar ungünstige Voraussetzungen schaffen, ist zwar selten Gegenstand der Betrachtungen, die dazu angestellt werden, aber doch wohl eine blosse Binsenwahrheit, die jedem, der halbwegs bei Verstand ist, von vornherein einleuchtet. Aber ist es in Wahrheit nicht noch viel schlimmer? Da erscheinen nun die Massenproteste der israelischen Zivilgesellschaft gegen ihre Regierung wie ein Funke Hoffnung inmitten der Katastrophe – aber Hoffnung für wen denn, wenn es dabei ausschliesslich um die israelischen Geiseln geht? Dass man in Israel noch nie in auch nur halbwegs vergleichbarem Ausmass gegen das Gemetzel im Gazastreifen auf die Strasse gegangen ist, und auch schon vor dem 7. Oktober '23 nie gegen die völkerrechtswidrige Besatzungspolitik oder die zahllosen andern Völkerrechts-Missachtungen der letzten 75 Jahre – was verspricht das für die gemeinsame Zukunft der beiden Völker?
Die militärischen Verheerungen sind einfach nur scheusslich und unentschuldbar, auf beiden Seiten. Die jahrzehntelange Abwesenheit von Empathie mit dem systematisch gedemütigten Nachbarn aber, die sich in den zivilen Massenprotesten und den Berichten darüber zeigt, ist perspektivisch vollends entmutigend – ebenfalls für beide Seiten. (Ausnahmen gibt es freilich. Aber vermögen sie die Regel ausser Kraft zu setzen?)
Wer nun an diesem 4. September noch weiter nach aufschlussreichen Online-Infos zu alledem sucht und zufälligerweise auf NZZ-Online weit genug nach unten scrollt, findet zum „Krieg in Nahost“ einen Kommentar und einen „Live“-Link, die, inhaltlich zusammengezogen, besondere Beachtung verdienen: Erstens den Titel „Will Israel die Geiseln retten, führt kein Weg an einem Abkommen mit der Hamas vorbei“, mit dem Teaser: „Die Bekämpfung der Islamisten wird Jahre dauern. Doch den entführten Israeli in Gaza läuft die Zeit davon. Die Hamas zwingt Netanyahu in ein Dilemma“, und zweitens die beiden „Live“-Schlaglichter: „Die USA erheben Anklage gegen Sinwar und weitere führende Hamas-Mitglieder +++ Schon 161'000 Kinder im Gazastreifen gegen Polio geimpft“. Diese drei Hinweise zusammen gedacht, lässt sich leicht die implizite Botschaft schlussfolgern, dass es einerseits unklar bleibt, ob Washington, wenn es in dieser Völkermord-Sache selbst Anklage erhebt – allerdings selbstredend nicht gegen Nentanjahu und seine rechtsradikalen Mit-Massenmörder –, diejenigen Südafrikas, Nicaraguas e.a. beim internationalen Strafgerichtshof in Den Haag einfach für irrelevant hält, während andererseits völlig klar ist, dass in nächster Zukunft nicht der Krieg an sich bzw. das Gemetzel an den Palästinensern verhandelbar sind, sondern höchstens eine Waffenruhe, die wiederum einzig der Freilassung der noch lebenden israelischen Geiseln zu dienen hat und also den palästinensischen Zivilisten höchstens eine kleine Ruhepause gönnt, so dass anschliessend das Gemetzel noch „Jahre dauern“ kann, weil ja „die Bekämpfung der Islamisten“ noch nicht abgeschlossen ist, und die Pharma-Konzerne unterdessen noch ebenso lange für humanitäre (und insofern in mehrfacher Hinsicht PR-trächtige) Impfstoff-Lieferungen ihre Kassen mit Steuergeldern füllen können, ganz so wie die Waffenschmieden für den unabdingbar notwendigen Nachschub an Mordgerät ja auch. Pax americana eben.
Ob Massen- oder Völkermord – so oder so bloss Nebensache
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