Zur Stellungnahme vom 27.10.25 über den getöteten Mitarbeiter der Produktionsfirma PMP in Gaza
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit großer Bestürzung haben wir die jüngste Stellungnahme des ZDF zur Tötung eines Mitarbeiters der Produktionsfirma Palestine Media Production (PMP) in Gaza zur Kenntnis genommen. Die Formulierung und Haltung Ihres Hauses werfen schwerwiegende ethische und journalistische Fragen auf, die einer dringenden Klärung bedürfen.
1. Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Quelle
Das ZDF beruft sich auf Angaben der israelischen Armee, wonach der getötete Ingenieur Mitglied der Hamas gewesen sei. Diese Behauptung soll durch ein „entsprechendes Dokument“ belegt werden, dessen Herkunft, Echtheit und Kontext jedoch unklar bleiben. In der Vergangenheit haben israelische Militärstellen wiederholt nachweislich Falschinformationen verbreitet – etwa im Fall des Al-Schifa-Krankenhauses Ende 2023 („there is a list“), als vermeintliche Beweise für Hamas-Aktivitäten sich später als haltlos erwiesen. Ähnlich verhielt es sich mit den unbegründeten Anschuldigungen gegen das UN-Flüchtlingshilfswerk UNRWA, auf die auch das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs Bezug nimmt, sowie mit den falschen Berichten über angeblich von der Hamas enthauptete Babys am 7. Oktober 2023. Vor diesem Hintergrund ist es journalistisch unverantwortlich, solche Angaben ungeprüft zu übernehmen und zu verbreiten.
2. Kein Recht zur gezielten Tötung von Zivilisten
Selbst wenn der getötete Ingenieur Mitglied der Hamas gewesen wäre, rechtfertigt dies keinesfalls seine gezielte Tötung. Nach internationalem Recht bleibt ein Zivilist ein Zivilist, solange er nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnimmt. Die Verbreitung solcher Narrative durch ein öffentlich-rechtliches Medium trägt zur weiteren Normalisierung extralegaler Tötungen bei und untergräbt damit das Völkerrecht.
3. Das getötete Kind
Bei dem Angriff wurde zudem der Sohn eines anderen Mitarbeiters getötet. Ein achtjähriges Kind. Diese Tatsache allein sollte Anlass genug sein, Trauer, Mitgefühl und Empörung zu äußern, nicht, die offizielle Version der Angreifer kritiklos zu übernehmen.
4. Diffamierung von Opfern und journalistische Verantwortung
Es ist zutiefst beunruhigend, dass das ZDF posthum die journalistische Tätigkeit eines getöteten Kollegen infrage stellt – auf Grundlage unbelegter Behauptungen eines Staates, der sich derzeit schwerster Menschenrechtsverbrechen (illegale Besatzung, Apartheid und Genozid) schuldig macht. Eine solche Haltung stellt nicht nur die journalistische Unabhängigkeit Ihres Hauses infrage, sondern steht auch im Widerspruch zu den Werten, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu vertreten vorgibt: Menschlichkeit, Glaubwürdigkeit und Verantwortung.
Wir fordern das ZDF auf:
• Die Quelle, Echtheit und Kontext des genannten israelischen „Dokuments“ offenzulegen oder andernfalls auf seine Verwendung zu verzichten.
• Eine redaktionelle Selbstüberprüfung einzuleiten, ob die Darstellung des Vorfalls im Einklang mit journalistischer Sorgfalt und dem Schutz der Menschenwürde steht, wie sie durch den Pressekodex (Ziffer 1–2) und internationale Medienethik gefordert wird.
• Die Darstellung des Falls zu korrigieren, falls keine unabhängige Bestätigung der Behauptungen vorliegt.
• Eine interne Richtlinie zu veröffentlichen, wie das ZDF künftig mit unbestätigten Angaben umgeht.
• Die Perspektive der Opfer und ihrer Familien stärker in die Berichterstattung einzubeziehen und sich der humanitären Dimension des Geschehens verpflichtet zu zeigen.
• Künftig auf Grundlage des humanitären Völkerrechts zu berichten, insbesondere durch:
− die Einbindung von (internationalen) Expert:innen des internationalen Rechts;
− den Verzicht auf ungeprüfte militärische Quellen als Primärnachweis;
− die konsequente Fokussierung auf die Rechte und den Schutzstatus der Zivilbevölkerung;
− die Anerkennung und Anwendung der Gutachten und Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs (insbes. die Entscheidungen im Fall Südafrika gegen Israel sowie die IGH-Gutachten vom 19.07.2024 und vom 23.10.2025) sowie des Internationalen Strafgerichtshofs.
Des Weiteren fordern wir, öffentlich anzuerkennen, dass journalistische Berichterstattung, die unbelegte Behauptungen über getötete Zivilpersonen verbreitet, zur Normalisierung völkerrechtswidriger Gewalt beitragen kann und dass Medien ihrer daraus erwachsenden Verantwortung künftig gerecht werden müssen.
Mit freundlichen Grüßen,
Prof. Michael Barenboim, Prof. Christine Binzel und Prof. Hanna Kienzler
			
			
									
									
						Offener Brief an das ZDF zum getöteten Mitarbeiter der Produktionsfirma PMP in Gaza
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