Berichten ARD und ZDF konfliktsensibel über den Ukrainekrieg? Ein Blick auf die Berichterstattung in deutschen Nachrichtensendungen
„Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst“, soll der amerikanische Gouverneur Hiram Johnson 1914 gesagt haben. Gemeint war die Anfälligkeit von Berichterstattung für Nationalismus, Falschbehauptungen und Gewaltverherrlichung in Kriegszeiten. Abgesehen davon, dass in Kriegen immer zuerst Menschen sterben (Löffelholz, 2024), stellte Johnson früh etwas fest, was später Bestandteil eines ganzen journalistischen Forschungszweigs wurde.
Wie wird in deutschen Nachrichtensendungen über den Ukrainekrieg berichtet? Wer kommt zu Wort, wer gilt als Expert:in? Wird ausgewogen oder einer Kriegspartei gegenüber besonders wohlgesonnen berichtet? Werden Waffenlieferungen, Diplomatie oder doch Sanktionen gegen Russland vorrangig besprochen? Und wie viel Raum wird dem Frieden, wird der Zukunft und dem jahrzehntelangen Konfliktkontext eingeräumt? All diese Fragen sind Teilaspekte einer konfliktsensitiven Berichterstattung. […]
Die Untersuchung hat erste Erkenntnisse über die Konfliktsensibilität in heute journal-und tagesthemen-Schalten über den Ukrainekrieg hervorgebracht. Demnach werden die Schaltgespräche in den analysierten Nachrichtensendungen nur teilweise den Anforderungen einer konfliktsensiblen Berichterstattung gerecht.
Positiv hervorzuheben ist, dass in den Bereichen „Bewertung der Kriegsparteien“, „Konfliktkontext“ und „Zukunftsperspektiven“ ein zufriedenstellendes bis hohes Maß an Konfliktsensibilität erreicht wird. Die Kriegsparteien, insbesondere Russland und die Ukraine, werden nicht ausschließlich durch stark wertende oder voreingenommene Berichterstattung thematisiert, sondern auch neutral eingeordnet. Beide Sendungen nehmen sich zudem in vielen Fällen Zeit, über das unmittelbare Kriegsgeschehen hinaus den größeren geopolitischen Kontext sowie mögliche Zukunftsperspektiven zu erörtern. Allerdings zeigen die Ergebnisse auch klare Defizite in anderen Bereichen der Konfliktsensibilität. Besonders auffällig ist der Mangel an Perspektivenvielfalt: Zwar sind Russland und die Ukraine annähernd gleich stark vertreten, westliche Sichtweisen dominieren jedoch. Länder des Globalen Südens oder russische Verbündete, bleiben weitgehend unberücksichtigt. Das spiegelt eine einseitige Fokussierung wider und deckt sich mit früheren Studien zur Überrepräsentation westlicher Perspektiven […]
Auch Friedensinitiativen sind unterrepräsentiert. Zivile Bewegungen werden kaum erwähnt, militärische und politische Maßnahmen wie Waffenlieferungen oder Sanktionen stehen im Vordergrund. Dabei sind zivilgesellschaftliche Bemühungen ein zentraler Bestandteil konstruktiver Konfliktbearbeitung.
Außerdem lässt die Gästeauswahl aus friedensjournalistischer Sicht zu wünschen übrig. Während beide Sendungen in etwa gleich viele Stimmen aus der politischen Elite und der Zivilgesellschaft einladen, bleibt die Auswahl an Expert:innen insgesamt begrenzt. Besonders in Hinblick auf die thematische Gewichtung der Gäste, die Relevanz der Moderationsfragen und die Bewertung von Maßnahmen wie Waffenlieferungen und Diplomatie könnten zusätzliche Analysen wertvolle Einblicke bieten. Trotzdem konnten auch in dieser Untersuchung bereits in der Literatur beobachtete Phänomene festgestellt werden. Dazu gehört die Abnahme der Berichterstattungsintensität und ein Schwerpunkt auf sowohl ukrainischen als auch europäischen Perspektiven auf den Krieg. Überraschend ist eine relativ stabile Thematisierung der Konflikthintergründe.
Sendungsspezifisch kann festgehalten werden, dass die tagesthemen und das heute journal im Großen und Ganzen ähnlich, jedoch nicht gleich berichtet haben und dass selbst in dieser kleinen Stichprobe zu sehen ist, dass die tagesthemen gemäß ihres Formatcredos und in einer Linie mit der tagesschau vor allem neutral berichten. In den Ergebnissen zeigt sich ebenso eine wertendere Tendenz beim heute journal, die dem Format der Sendung entspricht