Der Fall Schlesinger und das Versagen der Kontrollgremien

07.08.2022
Ein Kommentar von Maren Müller
In der 20-Uhr Ausgabe der Tagesschau vom 4. August 2022 gab Moderator Jens Riewa bekannt, dass der RBB seinen Vorsitz innerhalb der ARD abgibt. Patricia Schlesinger tritt infolge der nicht abreißenden Vorwürfe in Bezug auf Vetternwirtschaft und persönlicher Vorteilsnahme als ARD-Chefin ab. Ob Sie sich als Intendantin des RRB halten kann, ist noch ungewiss.
„Wir sind keine „Granden“.“ sagte Patricia Schlesinger im Januar 22 im Interview mit HORIZONT Online. „Wir haben einen Auftrag, der Pflichterfüllung heißt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein Teil des Rückgrats der Demokratie. Deshalb ist es unsere Pflicht, mit dem öffentlichen Geld, das wir bekommen, angemessen zu arbeiten. Ob wir damit erfolgreich sind, bemisst sich an Relevanz, Renommee und Reichweite, wobei die Relevanz definitiv an erster Stelle steht.“
Große Worte, angesichts der immer mehr um sich greifenden Mitnahmementalität durch Personen, die per Gesetz dem Allgemeinwohl zu dienen haben. Noch vor reichlich 10 Jahren erhielt die damalige rbb-Chefin Dagmar Reim eine Vergütung von 220.00 Euro, die sich geradezu bescheiden ausmachte, gegenüber der vom Verwaltungsrat gebilligten Gehaltserhöhung für Schlesinger auf 303.000 Euro. Neben dem üppigen Salär, welches durch Aufwandsentschädigung für den Vorsitz des Aufsichtsrats der ARD-Produktionsfirma Degeto Film noch aufgestockt wird, scheint das nicht Compliance-regelkonforme Verhalten Schlesingers systemisch. Filz, Unregelmäßigkeiten und Interessenkollisionen, bis hinein in private Gefilde (Ehemann, Privatwohnung, PKW), verleihen dem erneuten Ruf der Öffentlich-Rechtlichen Anstalten nach einer Erhöhung der Rundfunkbeiträge ein besonderes Geschmäckle. In einer Zeit, in der die Verbraucherpreise geradezu explodieren und die Beitragszahler über die Maßen belasten, ist das eine Instinktlosigkeit ohnegleichen.
Eine besondere Verantwortung in der Causa Schlesinger lastet auf den Kontrollgremien der Anstalt. Die Frage muss erlaubt sein, was ein Immobilienmillionär und Multifunktionär, der in der Vergangenheit bereits mit Korruptionsvorwürfen belastet war, an der Spitze des Verwaltungsrates einer öffentlich-rechtlichen Anstalt verloren hat. Einer Verquickung geschäftlicher und „ehrenamtlicher“ Belange wird doch dadurch geradezu Tür und Tor geöffnet.
Zu den Aufgaben des Rundfunkrates gehören neben der kritischen Begleitung der Programmangebote die Wahl der Intendanten, der Direktoren und der Verwaltungsratsmitglieder. Der Verwaltungsrat hingegen überwacht die Geschäftsführung der Intendanten mit Ausnahme der inhaltlichen Gestaltung der Angebote. Vor allem im Hinblick auf finanzielle Entscheidungen wirkt der Verwaltungsrat beratend und unterstützend. Voraussetzung für eine gesetzeskonforme Aufgabenerfüllung innerhalb beider Gremien ist Sachverstand und ein ausreichendes Zeitfenster, um die vielfältigen und anspruchsvollen Kontroll- und Beratungstätigkeiten überhaupt leisten zu können. Multifunktionäre, wie auch der ehemalige Vorsitzende des rbb-Verwaltungsrates, Hartman Kleiner, dürften bei ihrem Pensum kaum noch zum Nachtschlaf kommen. Das gleiche gilt für Rundfunkräte, die neben einer 60-Stunden-Woche im Polikbetrieb noch Zeit für die kontinuierliche Programmbeobachtung der Sender aufbringen wollen.
Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Zukunft haben soll, müssen sich die Gremien dringend modernisieren und sich auf ihre Kontrollpflichten besinnen. Wie das konkret aussehen könnte, hat der langjährige Rundfunkrat beim MDR, Heiko Hilker, bereits vor 10 Jahren ausführlich geschildert.
Geändert hat sich bis heute nicht viel. Das politische Establishment und die dahinterstehenden Eliten sehen wohl keinen Änderungsbedarf. Es läuft offensichtlich alles in ihrem Sinne. Systemkritischer Journalismus findet nur vereinzelt statt. Auch nach Jahren dominieren noch immer dieselben vorgeblich relevanten Gruppen inklusive Parteipolitiker die Gremien der Rundfunkanstalten. Es fehlen Wille und Fähigkeit unserer Volksvertreter, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunkwesen anspruchsvoll-demokratische Strukturen zu verpassen. Kein Rundfunkrat hat in den letzten Jahren Probleme der Sender als Erster thematisiert oder Skandale als Erste entdeckt. Sie verstanden und verstehen sich vor allem als Verteidiger ihrer Anstalten und als verlängerter Arm der Intendanzen und weniger als deren Kontrolleure. Sowohl Sender als auch Gremien brauchen starken Druck von außen, um sich ihrer Verpflichtungen zu erinnern.
Die Ständige Publikumskonferenz schlug bereits vor Jahren die Etablierung unabhängiger Publikumsräte als Bindeglied zwischen Publikum und regionalen Sendeanstalten vor. Die Mitglieder des Publikumsrats sollten in einem eigens dafür etablierten Verfahren von der Bevölkerung frei gewählt werden und möglichst das gesamte Spektrum der gesellschaftlichen Interessen und politischen Strömungen widerspiegeln.
Edit 21:00 Uhr: rbb-Intendantin Schlesinger tritt zurück
https://www.tagesschau.de/eilmeldung/schlesinger-ruecktritt-101.html