#Unteilbar – Kritik eines Aufrufs

(…) Wie gesagt, die Regierung ist erkennbar nicht Adressat der Forderungen; es ist eher eine Konsensdemonstration, und jene, die das zu einer Art Wertewestenprozession erklären, liegen nicht völlig daneben. Die Zustimmung zur bestehenden Regierung entsteht mindestens so sehr durch das Nichtgesagte wie durch das Gesagte – weil von Kriegseinsätzen, wirtschaftlicher Machtausübung, der Verantwortung für Verarmung etc. gar nicht erst die Rede ist, wird der nötige Widerspruch von vorneherein unterlassen. Und selbst mit einer überwältigenden Teilnehmerzahl wird diese Demonstration keinen Druck aufbauen können, denn – wohin, wofür, wogegen? Jede Kraft braucht eine Richtung, das lernt man im Physikunterricht.

Der einzige Adressat, der erahnt werden kann, ist aber die AfD und ihre Anhänger. Denen wird in ein und demselben Atemzug mitgeteilt, dass sie nicht dazugehören, aber gefälligst für ein „Europa der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit“ zu sorgen hätten. Da das als Botschaft völlig absurd ist, ist das, was übrig bleibt, ein leeres Ritual zur Selbsterhöhung, das auf der einen Seite der ohnehin scharfen Spaltung innerhalb der beherrschten Klassen zusätzlichen Schwung verleiht, auf der anderen Seite die herrschende Klasse von jeder Verantwortung, gar Schuld freispricht. Im günstigsten Fall ein reaktionäres Spektakel; im ungünstigsten Fall, wenn man die Aussagen zum Verhältnis zwischen Wort und Tat betrachtet, ein weiterer Baustein auf dem Weg zu Faschismus Variante B. Das wahrhaft Erschütternde daran ist, wenn man anhand der Liste der Unterzeichner feststellen muss, wie klein die Zahl derjenigen ist, die das erkennen. (…)