Analyse: Keine Belege für russische Drohnen in Westeuropa
Auch Ursprung der Drohnensichtungen an deutschen Flughäfen bisher unklar / Behörden und Experten haben polizeiliche Ermittlungen nicht abgewartet / Bundesregierung: Russische „hybride Bedrohung“ sollte „in keiner Weise“ kleingeredet werden
Amsterdam / Berlin. (multipolar)
Drohnensichtungen in Westeuropa, die in den letzten drei Monaten zu Sperrungen von Flughäfen sowie Warnungen von führenden europäischen Politikern vor einer russischen „hybriden Kriegsführung“ führten, haben sich bisher allesamt als Fehlalarm herausgestellt. Das haben Analysen der niederländischen Tageszeitung „Trouw“ in Kooperation mit dem Magazin „Dronewatch“ ergeben. In 41 der insgesamt 61 untersuchten Fälle sei der Ursprung „noch unklar“ oder es seien „überhaupt keine Beweise für Drohnen im Luftraum“ gefunden worden. 14 Sichtungen seien Verwechslungen mit anderen Objekten wie Flugzeugen, Hubschraubern oder Sternen gewesen. Drei gesichtete Drohnen gingen auf das Werk von Hobby-Drohnenfliegern oder Touristen zurück. Lediglich an drei Vorfällen an der Ostgrenze Polens, Moldawiens und Rumäniens waren nachweislich russische Drohnen beteiligt, erklären die beiden Medien.
Demnach sei auch der Ursprung der Drohnensichtungen an den deutschen Flughäfen in München, Erfurt, Hannover und Bremen, die zu Sperrungen und Flugausfällen geführt haben, bisher noch unklar. Laut „Trouw“ hätten „Behörden und Experten“ in Dänemark, Belgien und Deutschland regelmäßig über die Beteiligung „eines staatlichen Akteurs“ und „Russland“ gesprochen, „ohne die Ergebnisse der (polizeilichen) Ermittlungen abzuwarten“. Spionage und das Stiften von Unruhe mit unbemannten Flugzeugen passe in die häufige Interpretation einer „hybriden Kriegsführung“ Russlands. Die Analyse der Vorfälle liefere jedoch kaum stichhaltige Beweise für eine russische Beteiligung, erläutert die Tageszeitung.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte Anfang Oktober gesagt, dass „wahrscheinlich“ ein „wesentlicher Teil“ der vermeintlichen Drohnen, die unter anderem zur Sperrung des Flughafen Münchens geführt haben, „aus Russland gesteuert“ würden. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte auf einer Bundeswehrtagung Anfang November Drohnensichtungen in Belgien unmissverständlich mit Russland in Verbindung gebracht. Es handele sich dabei um eine „Maßnahme“, die der „Verunsicherung“ und der „Angstmache“ in Belgien diene, um die Nutzung eingefrorener russischer Staatsvermögen für die Finanzierung der Ukraine zu verhindern, sagte der Minister.
Auf Nachfrage von Multipolar beim Bundesverteidigungsministerium (BMVg), welche Belege für die Behauptungen von Pistorius vorliegen, antwortete eine Sprecherin, dass man sich grundsätzlich nicht zu „Berichterstattungen“ äußere. Angesprochen auf die Analysen von „Trouw“, antwortete der stellvertretende Regierungssprecher Steffen Meyer in einer Bundespressekonferenz Anfang Dezember, es sei eine „gewagte These“, die von Russland ausgehende „hybride Bedrohung“ mit Verweis auf eine Berichterstattung „mal eben so zur Seite zu wischen“. Die hybride Bedrohung, die von Russland ausgehe, sollte „in keiner Weise“ kleingeredet werden. Nach Belegen für den russischen Ursprung der Drohnensichtungen gefragt, erwiderte Oberst Mitko Müller, Pressesprecher des BMVg, die Auswertung einer niederländischen Zeitung sei für die Bundesregierung „nicht maßgeblich“. Für eine Gesamtbild würden auch „nachrichtendienstliche Erkenntnisse“ genutzt, die andere nicht hätten.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) bezeichnete die Sichtung von Drohnen am Flughafen in Kopenhagen im Rahmen einer Videobotschaft Ende November als „vorsätzliche Versuche, die europäischen Bürger einzuschüchtern“ und die „Entschlossenheit“ der EU zu untergraben, „der Ukraine beizustehen“. Auf Nachfrage von Multipolar bei der EU-Kommission, welche Belege für die Äußerungen der Kommissionspräsidentin vorliegen, antwortete die zuständige Pressestelle weder in der gesetzten Frist noch auf Nachhaken hin.
Vizeadmiral a.D. Kay-Achim Schönbach, bis 2022 oberster Befehlshaber der deutschen Marine, hatte bereits Mitte Oktober auf mangelnde Beweise für russische Drohnen in Deutschland hingewiesen. Auch wenn die Bundeswehr offiziell mitspielen müsse, hieße das nicht, dass sie innerlich überzeugt sei. Ein ehemaliger Luftwaffeninspekteur habe gegenüber Schönbach geäußert, das sei „politisch vorgeben“, man wisse aber, „dass da nichts ist“. Der Kreml hatte die Äußerungen von Bundeskanzler Merz, Russland könne für die Drohnensichtungen an deutschen Flughäfen verantwortlich sein, als „haltlos“ zurückgewiesen.
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