Mainzer Märchen aus 1001 Nacht

Mainzer Märchen aus 1001 Nacht

Hilflos gegen Hassprediger

Wie liebte ich als kleines Mädchen die Märchen aus Tausendundeiner Nacht, von märchenhaften Schätzen, traumhaften Kleidern, wunderschönen Prinzen, Geistern aus der Flasche, Sultanen, Palästen, fliegenden Teppichen … hach … Wer erinnert sich nicht gern an Aladin, Ali Baba, Scheherazade, Sindbad den Seefahrer oder Dschinn? Bagdad war der Traumort meiner Kindheit und türkischen Honig aus Basrar konnte ich schmecken während ich darüber las. Samarkand war Märchenland.

So freute ich mich jedesmal anlässlich meiner alljährlichen Ferienreise nach Dresden auf das wohl prächtigste Gebäude, das sich ein kleines Mädchen aus der notorisch bröckelnden Provinz vorstellen konnte: die Tabakmoschee der Yenidze-Fabrik, die des Nachts mit bunt schimmernder Glaskuppel lockte und auch heute noch das Bild der Stadt prägt. Dass in diesem prächtigen Palast lediglich stinkiger Tabak verarbeitet wurde, glaubte ich nie – zumindest solange nicht, wie die Faszination für orientalische Märchen anhielt.

Anfang des 20. Jahrhunderts bestand in Dresden die Vorschrift, im Weichbild des Zentrums kein Fabrikgebäude zu errichten, das als solches erkennbar war. Deswegen wollte der Inhaber der Orientalischen Tabak- und Cigarettenfabrik Yenidze (gegr. 1886), Hugo Zietz auf einem Grundstück unweit der Dresdner Innenstadt ein orientalisierendes Gebäude errichten, das dieser Forderung entsprach und gleichzeitig auch ein einprägsames Werbemonument für seine Zigarettenfabrik „Yenidze“ schaffen.

Dresden galt eine lange Zeit als „Tal der Ahnungslosen“ da es zu den Gegenden gehörte, in denen Westfernsehen auch mit erheblichem Aufwand nicht terrestrisch empfangen werden konnte. Im Nachhinein kann man diese Einschränkung als hilfreich für die Entwicklung einer gewissen kritischen Distanz zu veröffentlichten Meinungen ansehen, was ein emeritierter Berliner Professor (HU) durch die Blume bestätigte. Dass das Kürzel „ARD“ wahlweise für „Außer Raum Dresden“ oder „Außer Rügen und Dresden“ stand, sprach durchaus für den Humor der Bewohner in den, von der veröffentlichten Westmeinung abgekoppelten, Regionen.

Aber auch auf der anderen Seite Deutschlands gibt es Regionen, in denen nicht nur Ahnungslosigkeit über die Brüder und Schwestern im Osten der Republik herrscht, sondern auch darüber, welche Sehenswürdigkeiten sich in den Landeshauptstädten befinden. Kein Wunder, man war ja nie dort und wenn, dann interessierte man sich nur für die Aufläufe der PEGIDA-Bewegung und tauchte bei der Gelegenheit komplette Regionen und deren Einwohner ohne jegliche Differenzierung in schmutzigbraunen, diffamierenden Informationseinheitsbrei.

Einige dieser West-Ahnungslosen sind in Mainz ansässig. In Mainz, dieser kleinen Großstadt in Rheinland-Pfalz mit Karneval, Wein und ZDF, wird auch das ARD-Magazin Report Mainz produziert.

Die Macher des Magazins um Fritz Frey decken laut Eigenbeschreibung Missstände und Fehlentwicklungen auf – in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie zeigen die Wahrheit dahinter und nennen die Verantwortlichen beim Namen. Sie stoßen Debatten an und sie wollen Veränderungen bewirken. Sie sind ein Team, das kritisch, mutig und engagiert recherchiert, seine Informanten schützt und jeden Tag neugierig ist, dem es wichtig ist, sorgfältig zu berichten und einen langen Atem zu haben. Das Report-Mainz-Team ist unvoreingenommen, unabhängig und unberechenbar und sie wollen schwierige Sachverhalte für jeden verständlich darstellen.

Damit ein schwieriger Sachverhalt – wie zum Beispiel die Bedrohlichkeit einer Moschee – verständlich dargestellt werden kann, braucht es zumeist Bilder. Und so kam es, dass die ehemalige Tabak- und Zigarettenfabrik „Yenidze“ aus Dresden mit ihrem orientalischen Stil, den unberechenbaren Machern der Sendung Report-Mainz, als symbolische Illustration für einen Bericht über einen Frankfurter Hassprediger diente.
Kann man unschuldige Gebäude schlimmer missbrauchen?

Die Darstellung schwieriger Sachverhalte, in deren Verlauf Moscheen in Deutschland thematisiert und/oder als vermeintliche Brutstätte für Hass und Terrorismus in Betracht kommen, scheitert für gewöhnlich an baulichen Unzulänglichkeiten. Die Abendländer mit ihren tausenden prunkvollen, verkitschten und überdimensionierten Kirchenbauten, kommen meist in Argumentationsnöte wenn ein direkter Vergleich mit der bescheidenen Moschee um die Ecke ansteht.

So wurde kürzlich in Duisburg Deutschlands bislang größte Moschee eingeweiht. Der neue prachtvolle Bau mit einem 34 Meter hohen Minarett bietet 1200 Gläubigen Platz und wurde kürzlich nach dreieinhalb Jahren Bauzeit der islamischen Gemeinde übergeben. Diese lächerliche Höhe von 34 Meter ist natürlich beim besten Willen nicht zum Anstoßen von Debatten und zum Bewirken von Veränderungen zu gebrauchen.

Größte Moschee

Dagegen im tiefsten Dunkeldeutschland: Allein die Kuppel von „Yenidze“ ist 20 Meter hoch und soll an Kalifengrabmäler in Kairo erinnern. Mit einer Gesamthöhe von 62 Metern überragt Yenidze alle Moscheen in Deutschland. Vor dem Krieg grüßte eine Leuchtschrift mit „Salem Aleikum“ – Friede sei mit dir – die vorbeifahrenden Zugreisenden.

Und das Minarett ist ein Schornstein.

Yenidze_bei_Nacht

Schnitt

Im Leipziger Stadtteil Gohlis standen sich eine Zeitlang vier Parteien gegenüber: Anwohner, Linke, Rechtsextreme und Polizei. Sie stritten unter Ausschluss der Leipziger Muslime um einen geplanten Bau einer Moschee auf einer Baubrache an der wenig anheimelnden Georg-Schumann-Straße. Das zweistöckige Gebäude soll etwa zehn Meter hoch und mit zwei zwölf Meter hohen Zier-Minaretten versehen werden. Die umstehenden Gebäude sind fast ausschließlich sechsgeschossig, und damit erheblich höher. Online-Petitionen, Facebook-Gruppen, rechte Hetze und islamophobe Vorurteile – kein Dialog. Trauriger Höhepunkt im Streit um die geplante Moschee war die Schändung des Baugeländes mit fünf blutigen Schweineköpfen, die auf Holzpflöcke gespießt waren.

Wenn man fragt, wo die Vorurteile der Menschen gegen Muslime bzw. den Islam ursächlich herrühren, landet man automatisch bei den Medien. Die demoskopische Lage zeigt den Trend auf, wonach ein Großteil der deutschen Bürger Angst vor dem Islam hat. Bereits vor 10 Jahren konnte beobachtet werden, dass Themen des Bereichs Sicherheit und Gewalt mit Titeln wie „Gefährliche Islamisten“, „Hassprediger in Deutschland“, „Terroristen als Nachbarn“, „Nachwuchs für die Parallelgesellschaft“ vor allem in den Magazinsendungen (Frontal21, Kontraste, Monitor, Panorama, Report etc.) bedient wurden. Die Berichterstattung der Medien wird als Quelle indirekter Erfahrung genutzt und trägt zur Konstruktion einer vermeintlichen Realität, so genannten kognitiven Stereotypen, bei. Diese können sich zu affektiv aufgeladenen Vorurteilen verfestigen (Bonfadelli 2007: 95; Schiffer 2005b: 224).