Blick nach drüben

35 Jahre nach dem Fall der Mauer wird noch immer vom „Osten“ und vom „Westen“ gesprochen, über „ostdeutsche Identität“ diskutiert und den „westlichen Blick“. Auch bei Fernsehproduktionen stellt sich die Frage, wer erzählt über die Geschichte und Geschehnisse in der DDR? Tilmann Gangloff hat mit Produzentinnen, Autoren und Redakteurinnen gesprochen, wie sie mit solchen Stoffen umgehen.

Deutschland ist wieder eins, hieß es 1990, nach der Wiedervereinigung von BRD und DDR. Doch 35 Jahre nach dem Fall der Mauer wird immer noch über „Wessis“ und „Ossis“ gesprochen, über „ostdeutsche Identität“ und den „westlichen Blick“. Kein Wunder, dass sich auch in der Fernsehproduktion immer wieder die Frage stellt, ob westdeutsche Autoren über Ereignisse in der DDR schreiben dürfen. Die Bereitschaft, über dieses Thema zu sprechen, ist zwar groß, aber nicht jeder, der sich dazu äußert, möchte auch zitiert werden. Das sei „vermintes Gelände“, erst recht seit der Europawahl, sagte ein Gesprächspartner dem epd. Niemand will den Graben zwischen Ost und West noch mehr vertiefen.

Häufig beschweren sich ostdeutsche Zuschauerinnen und Zuschauer, Filme und Serien über Ostdeutschland gäben selten ihre tatsächliche Lebenswirklichkeit wieder – womöglich, weil die Geschichten von Menschen erzählt würden, die im Westen sozialisiert worden sind. Schnell steht der Vorwurf im Raum, die jeweiligen Autorinnen und Autoren hätten ihre Bücher nicht aus der Region heraus entwickelt, sondern sich ein Thema „ergoogelt“ und einer Gegend übergestülpt, ohne jemals dort gewesen zu sein. Charaktere und Schauplätze  seien durch Klischees und Vorurteile geprägt. […]

Der Vorwurf beziehe sich jedoch eher darauf, „dass die erzählten Geschichten häufig als nicht relevant und die Zeichnung der Lebenswelten als nicht stimmig empfunden“ würden. „Die Kritik gilt also eher der Haltung und der erzählerischen Sorgfalt der Filmschaffenden, weniger ihrer Herkunft. Um glaubwürdige Figuren, stimmige Milieus und realistische Konflikte zu schaffen, an Schauplätzen, die mehr sind als nur Kulisse, braucht es geografische, soziokulturelle und historische Ortskenntnis, und die erlangt man nur, wenn man sich auf den Weg macht, mit Leuten spricht und dem Ganzen unvoreingenommen gegenübersteht. Der Rückgriff auf gängige Klischees ist da in vielerlei Hinsicht bequemer.“ […]

Ihre Kollegin Henriette Lippold (1981 in Wittenberg geboren) ergänzt: „Bei jeder Geschichte muss sich ein Erzähler oder eine Erzählerin in erster Linie für die Story interessieren. Er muss recherchieren, zuhören, beobachten, dramaturgisch verdichten und mit einem guten Händchen fürs authentische Nachempfinden die einzelnen Puzzleteile zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenfügen.“ […]

Das Problem, sagt Wellmer, sei oft nicht das Wer, sondern das Wie. Manchmal werde „über den Osten berichtet, als handele es sich nach wie vor um ein fremdes Land.“

https://medien.epd.de/article/1651/