Der Journalismus ist zu lange den Virologen gefolgt
Bernhard Pörksen: „Der Journalismus ist zu lange den Virologen gefolgt“
Medienwissenschafter Bernhard Pörksen kritisiert eine zu starke Orientierung an Experten. Bunt gedrucktes Papier sei nicht systemrelevant
In der ersten Schock- und Shutdownphase bestand kaum eine andere Möglichkeit, als einen situativ geforderten Verlautbarungsjournalismus zu praktizieren, die publizistische Begleitung und Erläuterung des medizinisch Gebotenen. Und es gab, auch das gehört zu einem gerechten Bild, von Anfang an glänzende Erklärstücke, fundierte Hintergrundberichte und erhellende Interviews, die Demontage von Verschwörungstheorien und Fake-News.
In einer zweiten Phase ist der politische Journalismus zu lange und unmittelbar der eng geführten Perspektive der Virologen gefolgt, die ihrerseits die Politik prägt. Eine Orientierung an Expertenmonopolen ist, prinzipiell gesprochen, nie gut. In Zeiten einer derart dramatischen Krise wird sie gefährlich. Hier hätte ich mir mehr Distanz und mehr Debatte gewünscht, eine von Journalisten erzwungene Weitung des Blicks. Ganz im Sinne des bevölkerungsbezogenen Ansatzes eines Martin Sprenger, der auch die Kollateralschäden der jetzigen Maßnahmen in den Blick nimmt. …
In Deutschland haben Bundes- und Landespolitiker versucht, eine Diskussion über den Sinn von Einzelmaßnahmen und die massiven Einschränkungen der Grundrechte abzubügeln. Und gefordert: „Bloß keine Exit-Diskussion!“ Ich halte eine solche Diskurstabuisierung für einen schweren Fehler. Zum einen, weil ohnehin niemand ernsthaft den Ad-hoc-Exit gefordert hat. Zum anderen, weil damit die gesellschaftlich existenzielle Frage der Zukunftsperspektive gleich mit abgeräumt wurde. Hier hätte der politische Journalismus sehr viel massiver gegen halten müssen.