Publikumskonferenz im Visier – Part II

Publikumskonferenz im Visier – Part II

Ich bin mir nicht sicher, was ich an einigen Vertretern der schreibenden Zunft merkwürdiger finde; die sprichwörtliche Unfähigkeit aufmerksam zuzuhören oder die Unfähigkeit Gehörtes, Gesehenes, Gelesenes und Erlebtes auf angemessene und wahrheitsgemäße Weise wiederzugeben. Zugegeben, wenn das Urteil die Story bereits vor der Recherche und der lästigen Zeugenbefragung feststeht, wird es eng mit der Übereinstimmung von Realität, gewünschtem Resultat und/oder Auftrag.

Der Kollege um den es geht, kann nicht behaupten, dass ich ihn nicht gewarnt hätte.
Aber die Testreihe „Beziehung zwischen Journalisten und Publikum“ läuft natürlich weiter.

Cicero
Christoph Schwennicke
Chefredakteur
Friedrichstrasse 140
10117 Berlin

Gegendarstellung

Sehr geehrter Herr Schwennicke,

ich wende mich an Sie wegen des Artikels „Frau Müller jagt ARD und ZDF“ von Timo Steppat, der in der Mai-Ausgabe des Cicero erscheint.

Nach einer Vorlaufzeit von einem knappen halben Jahr (Erstkontaktanfrage von Timo Steppat war am 17.10.2014), etlicher Mails und Telefonate, einem dreistündigen Gespräch am 21.02.2015 in Leipzig, ausführlicher Gesprächsnachbereitung und weiterer Nachfragen seitens Herrn Steppat sehe ich eine erhebliche Divergenz zwischen Gesprächsinhalten und Resultat.

CICERO steht als anspruchsvolles und meinungsbildendes Autorenmagazin für den erstklassigen Journalismus einer schreibenden Elite. Prägende Persönlichkeiten der Zeitgeschichte und renommierte Journalisten beziehen hier monatlich Stellung zu relevanten Themen aus Politik, Wirtschaft und Kultur.“

Legt man diese Beschreibung zur Bewertung des journalistischen Angebotes des Cicero zu Grunde, hätte der handwerklich und inhaltlich desaströse Beitrag nicht erscheinen dürfen.

Auf meine Bitte, den Beitrag vor Veröffentlichung gegenlesen zu dürfen, antwortete Herr Steppat, dass dies den Redaktionsrichtlinien von Cicero widerspräche. Ich entgegnete, dass ich nach einigen schlechten Erfahrungen nichts Ungesagtes lesen wolle, mich nicht missdeuten lassen und auf keinen Fall mein Vertrauen missbraucht sehen möchte. Wir einigten uns darauf, dass ich zumindest die Zitate autorisiere.

Das ursprüngliche Anliegen des Herrn Steppat war, sich mit mir über die Arbeit des Vereins zu unterhalten, welche Motive wir haben, wie die Rundfunkanstalten auf unsere Arbeit reagieren und wie wir bei unserer Kritik vorgehen. Des Weiteren wollte er „Fernsehen mit mir schauen“. Auch deshalb habe ich zum verabredeten Zeitpunkt meinen Laptop mitgebracht.

In aller Ausführlichkeit habe ich Herrn Steppat darüber unterrichtet, was inzwischen bereits durch zahlreiche Berichterstattungen bekannt ist. Auch Frau Petra Sorge berichtete schon über uns im Cicero.

Herr Steppat kennt die Satzung unseres Vereins und unser Selbstverständnis. Er weiß, dass der Verein sich nicht ausschließlich mit Beschwerden befasst und er weiß um den Eingang der Beschwerden, die zum Großteil von „von außen“ an den Verein herangetragen werden, wie die Beschwerden eingereicht werden und wie sie bearbeitet werden. Ich habe ihm die Prozedere unter Zuhilfenahme der mitgeführten Technik ausführlich erläutert.

Dass sowohl sein entsprechender Handymitschnitt, die Notizen, meine visualisierte Erläuterung, sowie die mit zahlreichen Links versehenen Zuarbeiten für Herrn Steppat nicht ausreichend Input für ein sachgemäßes Porträt lieferten, verstört mich zutiefst.

Die Beanstandungen im Einzelnen:

1.) Die Überschrift „FRAU MÜLLER JAGT ARD UND ZDF“ hat BILD-Niveau und ist gleichwohl absurd und unwahr.

2.) „Germanwings-Absturz, Markus Lanz, Ukrainekrieg: Maren Müller sucht journalistische Fehler – und beschwert sich.“

• Ich habe Herrn Steppat auf seine nachträgliche telefonische Anfrage zum Germanwings-Absturz gesagt, dass wir hier keine eingehenden Beschwerden bearbeiten werden, da der Sachverhalt zu komplex ist und die Aufregung auch ohne unser Zutun bereits ausufert.
Insofern ist der Vorwurf der Fehlersuche eine tatsachenwidrige Behauptung.
• Auch bei Markus Lanz wurde kein Fehler gesucht, sondern „der Fehler“ wurde während der Sendung im Netz tausendfach reklamiert. Die Petition hat den Protest lediglich gebündelt. Auch das weiß Herr Steppat, weil ich es ihm ausführlich erläutert habe.
• Dass ein Großteil der Beschwerden sich mit der Ukraineberichterstattung auseinandersetzt ist schlicht und ergreifend „Auftragslage“. Kein Thema hat die Zuschauer in den letzten Jahren so aufgebracht wie dieses. Selbst der ARD-Programmbeirat und prominente Medienwissenschaftler fanden deutliche Worte für dieses Mediendesaster, welches im Übrigen noch immer anhält.
Auch hier sucht Frau Müller nicht nach Fehlern.

Die Behauptung „Maren Müller sucht journalistische Fehler – und beschwert sich“ ist unwahr.
Herr Steppat weiß das aufgrund meiner Veranschaulichung am Laptop, per Mail und durch das persönliche Gespräch.

3.) „Sie steht für das neue Selbstbewusstsein des Publikums.“

Das ist eine polemische Behauptung ohne Beleg und entspricht nicht meinem Selbstverständnis.
Ich maße mir nicht an für DAS Publikum zu stehen, sondern führe einen Verein, der ein entsprechendes Angebot an das Publikum macht. Nicht mehr und nicht weniger.

4.) Seit acht Monaten führt Frau Müller einen Kampf gegen ARD und ZDF. Jeden Tag setzt sie sich an ihren Schreibtisch und bereitet die nächste Attacke vor.

Das ist eine unwahre Behauptung und hart an der Grenze zur Diffamierung.

Weder führe ich einen Kampf, noch bereite ich „täglich eine Attacke“ vor. Hilfreich für eine entsprechende Recherche ist unser Internetportal, auf dem die „Attacken“ transparent und mit Datum versehen veröffentlicht werden.

Da Herr Steppat das Portal und die entsprechende Dokumentation kennt, äußert er sich in seinem Artikel bewusst wahrheitswidrig.

5.) „Sie schreibt Beschwerden. In diesen Briefen listet Maren Müller auf, wo Journalisten Fehler gemacht haben.“

Ich schreibe in der Regel keine Beschwerden, sondern prüfe, bearbeite und formuliere eingehende Beanstandungen von Zuschauern in einer Weise, welche formalen Kriterien entspricht und leite sie an die jeweiligen Rundfunkanstalten weiter. Auch liste ich nicht auf, wo Journalisten Fehler gemacht haben, diese Hinweise liefern die jeweiligen Beschwerdeführer bereits innerhalb ihrer Programmbeschwerden.

Auch das weiß Herr Steppat, weil ich es ihm ausführlich und anschaulich erläutert habe.
Er schreibt auch hier wieder bewusst die Unwahrheit.

6.) „Ein Versagen der Öffentlich-Rechtlichen“

Dieses Zitat ist stark aus dem Zusammenhang gerissen.
(Pflicht zur Vollständigkeit, insb. richtige Wiedergabe von Zitaten, keine Verfälschung durch Weglassungen, (BVerfGE 54, 208 [217 ff.] – Böll)

Meine Einlassung bei der Nachbereitung des Interviews:

„Der Publikumskonferenz werden kontinuierlich fehlerhafte, tendenziöse und manipulative Berichterstattungen in den Programmen von ARD, ZDF und DRadio von den Zuschauern/Zuhörern gemeldet. Wir suchen nicht aktiv nach Fehlern im Programm. Das habe ich Ihnen aber auch gesagt.
Das Zitat ist okay, allerdings stark verkürzt.“

7.) „Seit ihrer Kindheit in der DDR schaut Müller die Tagesschau.“

Ich weiß nicht wo Herr Steppat das her hat, dass ich „seit meiner Kindheit“ Tagesschau schaue.
Von mir jedenfalls nicht.

8.) „Frau Müller sieht es anders. Sie packt den Laptop aus. Im Ordner „Ausschnitte“ ist eine Liste mit Videodateien.“

Zur Erinnerung: Der Laptop ist bereits seit einer Weile ausgepackt und der Ordner heißt schlicht und praktisch „Videos“.

9.) Noch einige Highlights hoher journalistischer Kunst:

(…) eine arbeitslose Mittfünfzigerin aus Leipzig (…)
(…) Müllers Geschichte beginnt in einer Nacht im Januar 2014.(…)
(…) Eigentlich guckt Müller so was nicht (…)
(…) Müller wird zur Anführerin eines Shitstorms (…)
(…) MAREN MÜLLER LIEBT das Fernsehen (…)
(…) Westfernsehen war damals verboten(…)
(…) Müller fummelt an der Videoleiste. (…)

Ich weiß nicht was Herrn Steppat, angesichts der komfortablen Quellenlage, der vorhandenen Zuarbeiten und unserer ausgiebigen Kontakte geritten hat, einen solch handwerklich verheerenden, verzerrenden und unwahren Bericht abzuliefern.

Der Artikel will sicher etwas sagen – nur leider nicht die Wahrheit.

Kurz zusammengefasst:

Die Arbeit eines medienkritischen Vereins, dessen Vorsitzende ich bin, soll in den Augen der Öffentlichkeit, auf das Werk einer querulierenden Einzelperson mit viel Tagesfreizeit reduziert werden.
Dieser Meinung kann Ottonormalverbraucher durchaus sein, wenn er uninformiert ist und das nach dem Willen des Autors offenbar auch bleiben soll.

Der Artikel hat den Charakter des Gefälligkeitsjournalismus gegenüber der eigenen Berufsgruppe und er bedient sich für diese falsch verstandene Solidarität unlauterer Mittel. Dagegen verwahre ich mich.

Pressekodex Ziffer 1 Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde
Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.

Erst gestern war ich zu Gast in Berlin bei einer Veranstaltung des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) zum Thema:
„Schelte contra Freiheit – Irgendetwas läuft falsch in der Beziehung zwischen Journalisten und ihrem Publikum. Wie viel Medienschelte verträgt die Pressefreiheit?“

Es ging hauptsächlich um grassierendes Misstrauen etwa in die Ukraine-Berichterstattung, Shitstorms in den Diskussionsforen von Qualitätsmedien, Manipulationsvorwürfen bis hin zur vergifteten Parole von der „Lügenpresse“. Es wurde gefragt, was die Ursachen für diese Phänomene sind und wie man ihnen begegnen könne.

Ich weiß nicht so genau, wie die Zunft die Pressefreiheit definiert. Für mich als Rezipient bedeutet die Pressefreiheit sowohl Privileg innerhalb einer aufgeklärten demokratischen Gesellschaft, aber auch Verantwortung gegenüber den Mitmenschen und den eigenen Lesern.
Wer sich als Journalist am Kampfbegriff „Lügenpresse“ stört, sollte nicht noch aktiv an dessen sprichwörtlicher Bestätigung arbeiten.

Für ein seriöses Blatt wie das Ihre wäre das mehr als bedauerlich.

Ich erwarte eine Gegendarstellung der von mir als unwahre Behauptung gekennzeichneten Passagen in Ihrer nächsten Ausgabe. Punkt 6 – 9 sind lediglich eine Auswahl kleinerer Ärgerlichkeiten innerhalb des Beitrages, die aber sehr anschaulich aufzeigen, dass konstruiert und nicht porträtiert wurde.

Für telefonische Rücksprachen zur Abklärung der strittigen Punkte stehe ich Ihnen bei Bedarf ab Montag unter der Telefonnummer XXXXXXXXX zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Maren Müller
Vorsitzende Publikumskonferenz

Wer jetzt die Mai-Ausgabe des Cicero kauft, macht sich verdient um die aktive Förderung des erstklassigen Journalismus einer schreibenden Elite.
Und das meine ich ernst.