Publikumskonferenz im Visier – Part III

Medienkritik? Jetzt erst recht.
Eine Frage wurde in der Vergangenheit immer wieder von Journalisten gestellt und von mir stets auf die gleiche Art und Weise beantwortet:
„Ein Großteil der Beschwerden, die von der Publikumskonferenz bei den Sendern eingereicht werden, thematisieren die aktuelle Berichterstattung zur Ukrainekrise. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?“ – Meine Antwort lautet darauf zumeist: „Das ist schlicht und ergreifend Auftragslage. Kein Thema bewegt die ZuschauerInnen derzeit mehr als die stark tendenziöse Berichterstattung im Ukrainekonflikt.“
Man kann diese Tendenz – wenn man nicht gänzlich realitätsfern unterwegs ist – jederzeit anhand von Umfragen, der Auswertung des Beschwerdeaufkommens innerhalb der Sender, der Kommentare in einschlägigen Foren der Onlinemedien und auch anhand des durchgesickerten Urteils des ARD-Programmbeirates (Resümee zur Ukraine-Berichterstattung aus Protokoll 582 vom Juni 2014) nachweisen.
Insofern kann die Deutung meiner diesbezüglichen Aussage anlässlich der Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche, die einem anwesenden ARD-Journalisten wohl als einzige als besonders nachhaltig im Gedächtnis geblieben ist, zwar als inhaltlich richtig, aber nicht als richtig gemeint, eingeordnet werden. Sowohl der offizielle Twitter-Account der Tagesschau, als auch die Leiterin der ZDF-Redaktion des heute-journal, Anne Reidt, sahen sich genötigt diese Gedächtnisleistung zu retweeten – die Tagesschau an immerhin 722.000 Follower.
Die Gründe für dieses Engagement liegen auf der Hand. Die Diskussion über die Glaubwürdigkeit der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung (Ukraine/Griechenland) wird von den Anstalten zunehmend in eine Diskussion über die Glaubwürdigkeit der Kritiker umgemünzt.
Das wäre unter Umständen legitim, wenn sich der beitragsfinanzierte ÖRR nicht ironischerweise genau der Mittel bedienen würde, wie sie die ARD-Korrespondenten in Russland so sehr als Vorgehensweise eines totalitären Systems bewerten: Kritiker als ausländische Agenten zu verdächtigen.
Den Machern der Sendung Panorama beispielsweise war es besonders wichtig, auf mein Interview mit RTdeutsch hinzuweisen und auch die thematische Frage „unseres“ Panels bei der Jahreskonferenz, ob es sich bei den Beschwerden nicht um Kampagnen handele, ist mit Sicherheit nicht zufällig gewählt. Kritik oder Kampagne? Wie Sender mit Beschwerden umgehen
Ältere und aktuelle Beispiele diesbezüglicher Befindlichkeiten:
1) Der ARD-Chefredakteur Kai Gniffke unterstellt, ein Teil der Beschwerden sei kampagnengesteuert.
2) Der WDR-Intendant Tom Buhrow hebt in Bezug auf die Beschwerden zur Ukraine-Krise hervor, die „Herkunft“ der Beschwerden könne er nicht beurteilen. Und: „Auffällig ist, dass es eine Zunahme von professionell formulierten und juristisch versierten Programmbeschwerden“ gebe.
3) Die Korrespondentin Golineh Atai argwöhnt im Vorfeld der Verleihung des „Hanns Joachim Friedrichs Preis 2014: „Mein Gott, da ist aber jemand informiert. Das hat mich wiederum stutzig gemacht. (…) Das ist etwas seltsam. Der Sache möchte ich gern nachgehen.“ „Wer ist dahinter, sind es tatsächlich ’nur‘ unsere Zuschauer oder geht es da vielleicht um mehr?“ )
4) Die eigentlich zu Neutralität verpflichtete und als gesetzliche Vertreterin des Publikums fungierende Vorsitzende des WDR-Rundfunkrats Ruth Hieronymi bezeichnet die formalen Programmbeschwerden der Publikumskonferenz zu Ukraine-Berichten (etwa zum wiederholten Einsatz von Panzerbildern aus Georgien von 2008 zum Nachweis einer russischen Invasion in der Ukraine) als „prorussische“ Beschwerden.
5) Der Tweet von ARD-Redakteur Michael Hyngar – retweetet vom offiziellen Tagesschau-Account – sollte wohl den ultimativen Beweis für „Auftragsarbeiten“ der Publikumskonferenz im Dienste Petersburger Trollfabriken liefern.
6.) (update) Der WDR-Fernsehdirektor Jörg Schöneborn behauptete am 07.09.2015 in der Sendung „hart aber fair“ bi Minute 8:30: “Ich habe Druck erlebt im vergangen Jahr bei der Ukraine-Berichterstattung. Da habe ich erlebt, wie wirklich organisierte und interessengeleitete Gruppen Druck auf unsere Berichterstattung machen.”
Fazit:
Medienkritik aus dem Publikum ist irrational, gefühlsbetont, ohne Sachverstand. Medienkritische Zuschauer die professionell formulieren können, die juristisch versiert und gut informiert sind, kann es nicht geben, schon gar nicht könnten unter ihnen Juristen, Naturwissenschaftler, Politikwissenschaftler, Historiker, Dolmetscher – oder gar Journalisten sein.
Wer der berechtigten Forderung danach, seine Kritik sachlich konkret nachzuweisen, nachkommt, macht sich inwischen verdächtig, ein Vaterlandsverräter (Putins Trollarmee) zu sein. Ob emotional oder sachlich, ob pauschal oder konkret:
Publikumskritik an einseitiger, tendenziöser Berichterstattung kommt von Extremisten, Verschwörungstheoretikern oder Putins Trollagenten.
Update: Ich habe einen Artikel des Bloggers Sascha Pommrenke gefunden, der hier sehr gut passt. Er ist von 05/14 aber in der Konsequenz so aktuell, als wäre er von gestern. Ist es nun tröstlich, dass es noch nie anders war?
Und wenn es nicht ein shitstorm ist, dann müssen es wahlweise Verschwörungstheoretiker sein oder, und das ist – zumindest im medialen Diskurs – ganz neu: bezahlte Agenten. Jens Rosbach vom Deutschlandfunk wartete mit „Putins geheime Online-Armee“ auf. Unter einer „Armee“ macht es der Deutschlandfunk natürlich nicht. Nik Afanasjew legt für Zeit Online nach: Copy & Paste fürs russische Vaterland.