The Proof

The Proof

Bildquelle: Tagesschau.de

Wen sollen wir glauben? Den Bildern oder den Worten?

Die Verurteilung des Serbenführers Radovan Karadzics verleitete wohl die Redaktion der Tagesschau dazu, sich zur Untermauerung des Urteils jenes legendären Bildes zu bedienen, das 1992 um die Welt ging und eine wichtige Rolle bei der Rechtfertigung für die völkerrechtswidrige NATO-Intervention in Jugoslawien spielte. Mit zitternden Händen hielt Fikret Alic jenes weltberühmt gewordene Bild in die ARD-Kamera, das einst als Beweis für die Existenz von Konzentrationslagern in Bosnien dienen sollte. Es zeigt ihn, als damals stark abgemagerten jungen Muslim, hinter Stacheldraht im serbischen Flüchtlingslager Trnopolje.

„The Proof“ – der Beweis – schrieb die „Daily Mail“ damals in dicken Lettern über die Ablichtung des Bildes:

„Das sind Szenen wie die in Schwarz und Weiß flimmernden Bilder aus fünfzig Jahre alten Filmen über Konzentrationslager der Nazis.“

Ironie der Geschichte: Radovan Karadzic hatte die britischen Journalisten im Jahr 1992 persönlich dazu eingeladen, sich in den Lagern der Region umzuschauen um Behauptungen zu widerlegen, dass Serben im Bosnienkrieg Konzentrationslager errichtet hätten. Die ITN-Journalisten Williams und Marshall besuchten daraufhin zwei Lager in Nordbosnien ohne zunächst spektakulär fündig zu werden. In ihrer Sendung zum Lager Trnopolje konzentrierten sich dann auf das Bild von Fikret Alic, der mit abgezehrtem Körper hinter Stacheldraht stand und landeten damit einen Volltreffer, der die Weltöffentlichkeit emotionalisierte und zum Auslöser für die spätere Intervention der Nato wurde.

„Mit seinem Rippenkäfig hinter dem Stacheldrahtzaun von Trnopolje wurde Alic zur symbolischen Figur des Krieges, auf jedem Magazinumschlag und Fernsehbildschirm der Welt“

(Seasons in Hell. Simon & Schuster, London 1994, S. 202).

Recherchen des deutschen Journalisten Thomas Deichmann ergaben später, dass nicht der auf das weltberühmte Titelbild gebannte ausgezehrte Fikret Alic und die Männer an seiner Seite von einem Stacheldrahtzaun umgeben waren, sondern die britischen Journalisten, die aus einem mit Stacheldraht umzäunten Grundstück heraus filmten. Die Botschaft: Serbien baut wieder KZs in Europa. Bilder lügen nicht

Es ist unstrittig, dass es im Konflikt seitens der serbische Truppen unter Karadzics Oberbefehl massive Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Terror und Vertreibung gegen bosnische Muslime und Kroaten gab. Dafür wurde Karadzics vom UNO-Kriegsverbrechertribunal verurteilt.

Jedoch werden bis heute innerhalb der Berichterstattung über den Konflikt Einzelheiten ebenso ausgespart wie Zusammenhänge um den Beginn der Konflikte sowie die Verbrechen der „anderen Seite“, angefangen von ethnischen Säuberungen seitens der Kroaten bis hin zu Verbrechen unter dem Deckmantel der Blauhelme. Insbesondere die Reaktion der USA auf die dokumentierten Gräueltaten der kroatischen Regierung unter Franjo Tudjman verstörte und Ausmaß der US-amerikanischen Beteiligung an der kroatischen Offensive im August 1995, die innerhalb von vier Tagen rund 200.000 Serben vertrieb und viele Opfer unter der serbischen Zivilbevölkerung forderte, wurde in den Medien kaum annähernd so hinreichend thematisiert.

Vermeintliche Beweise und Rechtfertigungen für „humanitäre Interventionen“ des westlichen Militärbündnisses, deren Berechtigung von deutschen Leitmedien auch im Nachhinein immer wieder versichert und unterstrichen werden müssen, obwohl selbst der ehemalige Bundeskanzler Schröder inzwischen öffentlich von einem Bruch des Völkerrechtes sprach, sind ein beredtes Zeugnis für den Willen zur unbedingten Fortschreibung ehemals konstruierter Narrative. (ab Minute 47.50 bei Phoenix Mediathek 9/3/2014)

Trotz der teils widersprüchlichen Opferzahlen und unhaltbarer Zeugenaussagen wird nach altem Gut-Böse-Schema geurteilt und auf den Anklagebänken fehlt bis heute ein Großteil der wahren Drahtzieher und Aggressoren und den zig-tausenden Opfern und Hinterbliebenen der Tornado-Einsätze unter der Regie der NATO und der EU im Kosovo und Serbien 1999 bleibt eine angemessene Entschädigung wohl dauerhaft verwehrt.

Bilder werden der Öffentlichkeit in der Absicht präsentiert, einen Eindruck von Beweisführung zu liefern. Sie graben sich ins Unterbewusstsein ein und emotionalisieren, ohne dass es entscheidender Worte bedarf. Mit entsprechenden Bildern werden Zustimmung oder Ablehnung generiert, ganze Nationen auf Kriege eingeschworen, Aggressionen und Hass geschürt sowie niedere Instinkte geweckt. So wie sich Urheber über die Wirkung und den Einfluss ihrer Bilder im Klaren sein müssen, so sollten in einer zivilisierten Gesellschaft auch seriöse Medien um das Manipulationspotential von Bildern wissen und gewissen Versuchungen widerstehen. Verantwortungsvoller Journalismus darf Bild- und Videomaterial, dessen Authentizität nicht erwiesen ist, nicht zur Basis seiner Berichterstattung machen und dabei als Beleg für den Wahrheitsgehalt ausgeben.

‚Die Bundesregierung‘ brauche ‚Fakten über Gräuel, besser noch Bilder von Grausamkeiten, die Milosevics Schergen begangen haben…‘ Verteidigungsminister Scharping beschwerte sich öffentlich, die NATO rücke nicht genügend Bilddokumente heraus. ‚Ich hoffe, sie ändert das bald‘, so Scharping Mitte vergangener Woche, denn ‚es ist auch eine Schlacht um Information und Propaganda.'“ (‚Spiegel‘, 12. 4. 99, S. 29)