Heikle Seitenwechsel: Wenn Journalisten Regierungssprecher werden, befeuern sie einen pauschalen Verdacht
Heikle Seitenwechsel: Wenn Journalisten Regierungssprecher werden, befeuern sie einen pauschalen Verdacht
Über Generationen haben sich Journalist:innen den Ruf erschrieben, ja: erkämpft, nach Exekutive, Legislative und Jurisdiktion die vierte Gewalt im Staat zu sein. Vor allem, weil sie sich als Kontrollinstanz verstehen und über die, die Macht haben, nicht nur berichten, sondern sie kritisieren und Machtmissbrauch aufdecken. Ja, Journalist:innen müssen die Nähe zur Politik und Wirtschaft suchen, um Personen und Vorgänge zu verstehen, um Informationen zu erhalten. Aber sie müssen ebenso Distanz wahren, um Beißhemmungen zu vermeiden. …
Die Welten des Journalismus und der Politik müssen – gerade beim Wechselspiel von Nähe und Distanz – stets durch eine rote Linie getrennt sein. Übertreten verboten!
Aber der Übertritt hat eine lange Tradition. Die Regierung Brandt lockte den stellvertretenden Chefredakteur des „Spiegel“, Conrad Ahlers, auf die andere Seite, Helmut Schmidt den Intendanten von Radio Bremen, Klaus Bölling. Helmut Kohl machte den früheren „Bild am Sonntag“- und „Welt“-Chefredakteur Peter Boenisch zu seinem Sprecher, Gerhard Schröder Uwe-Karsten Heye, der zuvor für ARD und ZDF gearbeitet hatte. …
Heute müssen wir Journalist:innen mehr als frühere Generationen auf unsere Außenwirkung achten. Weil wir nun selbst kontrolliert werden. Und deshalb sollten sich alle, die über einen Seitenwechsel nachdenken, darüber klar sein, wie ihr Schritt über die rote Linie von außen wahrgenommen wird. Und auch, ob ein Schritt zurück eines Tages möglich sein wird – oder nicht. …
Eine Lehre lässt sich aus all diesen Fällen ziehen: Um bei künftigen Seitenwechseln den Verdacht auf unlautere Motive und parteiische Berichterstattung zu verringern, sollte in Arbeitsverträgen von Journalist:innen kein Rückkehrrecht nach einem Wechsel in die Politik mehr aufgenommen werden. Wer als Journalist:in einmal in der Politik war, sollte anschließend nicht in alter Position über seine ehemaligen Kolleg:innen und Chef:innen oder deren Konkurrenten berichten.