Im öffentlichen Auftrag

Beitragsbild: OBS-Studie – Im öffentlichen Auftrag
Dem streitbaren Ökonomen und Wirtschaftjournalisten Norbert Häring ging die Berichterstattung über die Griechenland-Krise gehörig gegen den Strich. Auf seinem Blog konnte man in den vergangenen Monaten neben seinen Unmutsbekundungen über ARD, Krause und Co. zum Thema Griechenland sehr viel interessante und hilfreiche Hintergrundinformationen lesen. Häring ist, im Gegensatz zu den meisten Rezipienten, die sich durch den Dschungel deutscher Medien quälen müssen, um halbwegs vernünftig über die Griechenlandkrise informiert zu werden, als promovierter Volkswirt ein Fachmann in Finanzfragen und Regionalpolitik. Mit fundierten Sprachkenntnissen und dem entsprechenden Hintergrundwissen weiß Häring um die Möglichkeiten sich aus erster Hand und vor allem verschont von deutschem Größenwahn zu informieren.
Seine formale Programmbeschwerde, die er im März diesen Jahres anlässlich der unangemessenen Griechenland-Berichterstattung der ARD verfasste, kann man genau aus diesem Grunde auch als fundiert, begründet und durchdacht bezeichnen.
Am Dienstag, den 18.08.2015 befasste sich nun der Rundfunkrat des WDR mit der Beschwerde, da sich Herr Häring nicht mit der unbefriedigenden Antwort der Programmverantwortlichen zufrieden gab und das Gremium (Publikumsvertretung) um Befassung anrief. Berichten der anwesenden Zeugen zu Folge wurde die Beschwerde, bei einer Enthaltung, in allen drei bemängelten Punkte (Unabhängigkeit, Sorgfalt und Trennung Nachricht/Kommentar), abgewiesen.
Angesichts der massiven Beanstandungen der Berichterstattung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten (explizit der ARD) und der subjektiv eingefärbten und teils unterirdisch fehlerhaften Kommentare Krauses, besaß die Sprecherin der Programmkommission Petra Kammerevert (SPD) die Chuzpe, vor der Abstimmung (!) ausdrücklich die Arbeit von Rolf-Dieter Krause zu loben, der angeblich einen hervorragenden Job geleistet habe.
Nachdrücklicher kann man Publikumsverachtung nicht demonstrieren.
Vor einiger Zeit hatte ich mir anlässlich einer grenzwertigen Presseverlautbarung der Sprecherin der Programmkommission zu den Programmbeschwerden der Publikumskonferenz näher angeschaut, mit wem wir es hier zu tun haben und ob die Entsandte des Landtages NRW tatsächlich die Interessen des Publikums in ihrer Eigenschaft als Rundfunkrätin vertritt. Die Recherche war in Vergessenheit geraten, jedoch anlässlich der Vorgänge um die Befassung mit der Beschwerde Norbert Härings wieder ins Bewusstsein gelangt.
Schauen wir uns das Ganze etwas näher an.
Wird der Rundfunkrat des WDR im Programmbeschwerdeverfahren nach § 10 Absatz 2 WDR-Gesetz angerufen, obliegt dem Programmausschuss die Vorberatung der Eingabe. Die Entscheidung trifft abschließend der Rundfunkrat, wobei das Votum des Programmausschusses in der Regel entscheidend ist.
Weitere Aufgaben des Programmausschusses sind:
• Prüfung der Übereinstimmung des Angebotes in Hörfunk, Fernsehen und Internet mit dem Programmauftrag, den Programmgrundsätzen und sonstigen gesetzlichen Vorschriften;
• Kritik, Lob und Anregungen zu Sendungen in Hörfunk, Fernsehen und Internet;
• Information der Programmverantwortlichen über Vorhaben im Programm, Tendenzen und Akzeptanzentwicklungen;
• Werkstattgespräche zu Einzelaspekten des Programms (z. B. Zielgruppe jüngeres Publikum);
• Anhörung externer Experten sowie Vertreter von Zielgruppen;
• Informationsveranstaltungen zu Programmfragen, Diskussionen mit Aufsichtsgremien anderer ör Sender;
• Begegnungen mit Repräsentanten der Medienpolitik und Medienwissenschaft;
• Transparente Zuleitung der Ergebnisse über Rundfunkrat, Intendanz, ARD-Programmverantwortliche sowie politisch Verantwortlichen und der Öffentlichkeit.
Die Vorsitzende des Programmausschusses beim WDR ist seit dem 25.10.2010 die SPD-Europa-Abgeordnete Petra Kammerevert aus Düsseldorf.
Das Arbeitspensum:
Der regionale Betreuungsbereich innerhalb der Ausübung des EU-Mandates von Frau Kammervert umfasst Düsseldorf, Krefeld, Kreis Mettmann, Mönchengladbach, Kreis Neuss, Remscheid, Solingen, Wuppertal.
Petra Kammerevert ist Mitglied des Ausschusses für Kultur und Bildung, Informations-, Medien, Jugend- und Sportpolitik zuständig und hier Sprecherin der S&D-Abgeordneten.
Sie ist weiterhin Mitglied der Delegation für den Parlamentarischen Stabilitäts- und Assoziationsausschuss EU-Montenegro und stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres.
Seit 2009 ist Petra Kammerevert Mitglied im Präsidium der Medienkommission beim SPD-Parteivorstand und seit 2012 Mitglied des Landesvorstandes der NRW-SPD.
Von 2002 bis 2009 war Petra Kammerevert Referentin in der ARD-Programmdirektion und Leiterin der Geschäftsstelle des ARD-Programmbeirates.
Freigestellt ist Frau Kammerevert seit dem 14.07.2009, weil sie ab diesem Zeitpunkt als Abgeordnete ins EU-Parlament wechselte. Unmittelbar danach wechselte Frau Kammervert 2009 auch in den WDR-Rundfunkrat. Entsendeorganisation ist der Landtag NRW.
Vom 18.12.2009 bis 19.11.2010 war Frau Kammerevert stellvertretende Vorsitzende des WDR-Rundfunkrates.
Aus Publikumssicht stellen sich angesichts dieser Fakten diverse Fragen, um deren Beantwortung wir die Entsendeorganisation Landtag NRW nunmehr förmlich ersuchen.
1.) Frau Kammereverts Aufgabenbereiche sind vielfältig und das Arbeitspensum nachweislich enorm. Das parlamentarische Tagesgeschäft von EU-Abgeordneten inklusive Wahlkreisarbeit, Veranstaltungen, Ausschuss-, Fraktions-, Wahlkreis- und Plenarwochen, Sitzungen und Arbeitsgruppentreffen mündet laut Aussagen von (uns bekannten) EU-Abgeordneten oftmals in 60-Stunden-Wochen.
Frage:
Wie stellen Sie als Entsendeorganisation und die Rundfunkrätin und Vorsitzende des zeit- und arbeitsaufwändigen Programmausschusses Petra Kammerevert angesichts dieses Arbeitspensums sicher, dass die eingangs genannten vielfältigen Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt (zeitlich, sachlich, inhaltlich) im Interesse des gesellschaftlichen Auftrages erfüllt werden?
2.) Frau Kammervert war bis 2009 Referentin bei der ARD-Programmkommission und Leiterin der Geschäftsstelle des ARD-Programmbeirates. Obwohl sich die Rundfunkrätin aktuell nicht im Angestelltenverhältnis in dergestalt befindet, als dass ihr Weisungen erteilt werden könnten, wirft die Entsendung einer Person, die vorher als Referentin der zu kontrollierenden Stelle wirkte, Fragen auf.
(Angestellte müssen laut Gesetz von ihrem Arbeitgeber für eine Mandatsübernahme freigestellt werden. Sie sind dann von der „Verpflichtung zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung befreit“ und haben einen Anspruch auf Wiedereinstellung, wenn ihre Mandatszeit ausläuft.)
Frage:
Kann angesichts der Tatsache, dass Frau Kammervert von einer entsprechenden Abteilung (Programmdirektion) des Unternehmens direkt in das Aufsichtsgremium wechselt, welches die Aufgabe hat, die Einhaltung des gesetzlich festgeschriebenen Programmauftrags sowie der Programmgrundsätze zu kontrollieren, eine Interessenkollision nach WDR-Gesetz §13 (5) zweifelsfrei ausgeschlossen werden?
WDR-Gesetz
§ 13 Abs. 5 und 5a
(5) Kein Mitglied des Rundfunkrats oder des Verwaltungsrats darf wirtschaftliche oder sonstige Interessen verfolgen, die geeignet sind, die Erfüllung seiner Aufgabe als Mitglied des jeweiligen Organs dauerhaft zu gefährden. Tatsachen, die eine solche Interessenkollision begründen können, sind durch das Mitglied unverzüglich der oder dem Vorsitzenden des jeweiligen Organs anzuzeigen. Liegen diese Tatsachen in der Person der oder des Vorsitzenden des Organs vor, hat sie oder er unverzüglich die Mitglieder dieses Organs sowie die für die Rechtsaufsicht zuständige Behörde zu informieren. Über das Vorliegen einer Interessenkollision entscheidet das jeweilige Organ, wobei die oder der Betroffene nicht mitwirkt. Wird eine Interessenkollision festgestellt, erlischt die Mitgliedschaft in dem jeweiligen Organ.
3.) Petra Kammerevert sieht laut einer Presseverlautbarung das Problem, dass Programmbeschwerden, welchen der Rundfunkrat formalrechtlich stattgibt, erhebliche Folgen für die betroffenen Mitarbeiter haben könnten. Diese Ansicht vernachlässigt in grober Weise die Gründe für Publikumsanliegen und spiegelt klar die Loyalität der Rundfunkrätin gegenüber dem Haus wieder, in welchem sie über ein ruhendes Beschäftigungsverhältnis verfügt. Da auch ein Großteil unserer Programmbeschwerden in den vergangenen Monaten in einer teils qualitativ und argumentativ ungenügenden Art und Weise zurückgewiesen wurde, sehen wir unsere Annahme bestätigt, dass sich Rundfunkräte mit deutlich wahrnehmbaren Interessenkonflikten (parteipolitische und beschäftigungstechnische Abhängigkeiten zur Senderfamilie) nicht als Interessenvertretung des anspruchsberechtigten Publikums eignen und ihren Kontrollaufgaben nicht hinreichend nachkommen.
Frage 1:
Wie kann sichergestellt werden, dass seitens der WDR-Rundfunkrätin und SPD-Abgeordneten Petra Kammerevert bei der Beurteilung von Publikumsanliegen interessengesteuerte (Unternehmen ARD) Entscheidungen ausgeschlossen werden können?
Frage 2:
Inwieweit wird der Landtag NRW als Entsendeorganisation künftig darauf achten, dass die Interessen des Gemeinwesens durch die in den WDR-Rundfunkrat entsendeten Personen, sowohl zeitlich, qualitativ als auch unbefangen erfüllt werden können?
Der Sitz in einem Rundfunkgremium ist eine gesamtgesellschaftlich relevante Aufgabe, die sich nicht darin erschöpft, als Co-Manager einer Rundfunkanstalt zu fungieren. Sie hat stattdessen die selbstbewusste Kontrolle der Wahrung des gesellschaftlichen Auftrages und der journalistischen Qualitätskontrolle zu sichern und ist damit existenziell für die Legitimation und Glaubwürdigkeit des öffentlich rechtlichen Rundfunks. Um dem gesellschaftlich formulierten Anspruch der Kontrolle qualitatv gerecht werden zu können, muss die Arbeit von Rundfunkräten mit einem beachtlichen Zeitbudget einhergehen. An die entsendenden Organisationen ist der dringende Appell zu richten, dass die Entsendeten in den Rundfunkgremien Gremien zwar ihre Sachkenntnis einzubringen, nicht aber Lobbyarbeit zu betreiben haben. Rundfunkräte sind Repräsentanten und Sachwalter des in Art. 5 Abs. 1 GG niedergelegten kommunikativen Interesses der Allgemeinheit und nicht etwa Interessenvertreter oder Sprachrohr ihrer Sender und deren Beschäftigten.
Thesen zur Gremienarbeit
Zwölf Thesen: Warum Rundfunkräte endlich wieder unabhängig arbeiten müssen