Blinde Flecken und Leerstellen in der wirtschaftsjournalistischen Ausbildung
Blinde Flecken und Leerstellen in der wirtschaftsjournalistischen Ausbildung
Ob Finanzmarktkrise, Euro- oder Griechenland-Krise: In den vergangenen Jahren hat die Qualität der wirtschaftsjournalistischen Berichterstattung immer wieder zu Auseinandersetzungen und Kontroversen geführt. Auch angesichts aktueller politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen, die mit komplexen wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Fragen einhergehen, steht der Wirtschaftsjournalismus vor der Herausforderung, mit vielfältigen Perspektiven zu einer demokratischen Meinungsbildung beizutragen.
Doch die Kritik, dass im Wirtschaftsjournalismus einseitige Sichtweisen dominieren und er die Vielfalt wirtschaftswissenschaftlicher Strömungen, Forschungen und Expertise nicht genügend abbildet, ist im Kern geblieben. Während in seiner Bezugsdisziplin, der Wirtschaftswissenschaft, seit Jahren eine breite Pluralismus-Debatte geführt wird, blieb offen, ob sich dieser Wandel auch im Wirtschaftsjournalismus zeigen lässt …. Die ökonomische Pluralität wurde nach zwei Maßstäben untersucht: Im ersten überwiegt durchschnittlich der Mainstream mit etwa 54 Prozent, während sich beim zweiten, kritischeren Maßstab mit durchschnittlich fast 80 Prozent eine überdeutlich orthodoxe Dominanz zeigt. Das bedeutet, dass als ökonomische Fachkenntnisse überwiegend „neoklassische“ Inhalte mit abstrakt-mathematischen Modellierungen vermittelt werden. Solche Inhalte beruhen dabei auf umstrittenen Annahmen. Sie gehen beispielsweise davon aus, der Mensch sei ein „rationaler Nutzenmaximierer“ oder Staatsausgaben seien eher als Schulden statt als Investitionen zu betrachten. Bei beiden Maßstäben gibt es den Trend, dass Wahlmodule im Vergleich zu Pflicht- und Basismodulen etwas pluraler sind. ….
„Vermutlich ist den wenigsten angehenden Wirtschaftsjournalist: innen bewusst, dass sie in ihrer Ausbildung in Deutschland statt einem fundierten, breitgefächerten ökonomischen Fachwissen überwiegend eine neoklassische Monokultur vermittelt bekommen. Eine Berichterstattung, die sich allein auf solche Expertise stützt, ist im besten Fall fachlich inadäquat, im schlechtesten Fall ist sie unabsichtlich politisch gefärbt.“
Stiftung und Autor bleiben aber nicht bei einer Beschreibung der Defizite stehen, sondern schlagen einen Mindeststandard für die Qualifizierung vor, der drei Bausteine umfasst: Die Vermittlung eines Überblicks- und Kontextwissens zur pluralen Ökonomik, die Förderung der Fähigkeit zur Meta-Reflexion über Ökonomik sowie die Thematisierung aktueller Vielfaltsund Pluralitätsdebatten in der Ökonomik und im Wirtschaftsjournalismus.