„Saudi-Arabien – besser als sein Ruf“

Beitragsbild: „Peitsche“ von „davidd“ lizensiert unter „CC-BY“
Der Kampagnenjournalismus der ARD nimmt, parallel zum Dauerfeuer der öffentlichen Kritik, immer schamloser und rasanter an Fahrt auf. Der Begriff „Staatsfunk“ verkommt zum Euphemismus angesichts der bigotten Tendenz des Messens mit zweierlei Maß – stets im vorauseilendem Gehorsam im Sinne der Bundesregierenden. Unerträglich das Ausblenden menschenverachtender Grausamkeiten wie Folter, Steinigung, Todesstrafe, Unterdrückung von Frauen, Verfolgung von Homosexuellen, kritischen Journalisten etc. solange die Geschäfte mit der westlichen „Wertegemeinschaft“ blühen. So meinte Carsten Kühntopp vom ARD-Studio Kairo: Saudi-Arabien ließe sich eben nicht auf das Zerrbild vom erzkonservativen, menschenverachtenden und frömmelnden Ölscheich reduzieren.
Doch die Logik der Staatsjournalisten ist schlicht. Jedes medial vermittelte „Zerrbild“ über Syrien, Russland, Venezuela, Nordkorea oder die Türkei wird bis zum Erbrechen strapaziert – aber die nützlichen Ganoven, Henker und Terrorunterstützer werden flugs zu Friedensengeln verklärt. Da hilft tatsächlich nur abschalten, denn DAS ist kein Journalismus im Sinne von Aufklärung, sondern mediale Verblödung und üble Demagogie.
Beschwerde von V. Bräutigam und F. Klinkhammer zu Kühntopp-Kommentaren auf Tagesschau.de
Im Herbst vorigen Jahres kommentierte Kampagnen-Journalist Kühntopp bei ARD-aktuell:
„Ein wichtiger, aber hohler Sieg
… es ist ein schaler Triumph – und einer, der für jeden Demokraten nur schwer zu ertragen ist. … Für jeden Menschen, der an Demokratie, Freiheit und Menschenrechte glaubt, ist diese Entwicklung schwer zu ertragen. Denn einmal mehr zeigt sich: Jeder Diktator gewinnt, wenn er brutal genug ist und die richtigen Freunde auf der Welt hat. Dabei ist nichts stärker, als das Nein einer Vetomacht im UN-Sicherheitsrat. … Seine Strategie gehört dabei ins Lehrbuch für jeden Despoten: Man belagere ganze Städte, schneide die Menschen dort von der Versorgung mit Lebensmitteln und Energie ab, zerstöre zielsicher die Wasserleitungen und die Krankenhäuser – um dann zu pausenlosen Luftangriffen überzugehen. … Dass sich auch heute, im 21. Jahrhundert, auf diese Weise noch Schlachten schlagen lassen, sogar Schlachten eines Staatsoberhauptes gegen sein eigenes Volk, daran hat auch der Westen Schuld. Amerikaner und Europäer ließen ihre Partner – gemäßigt eingestellte, weltlich orientierte Oppositionelle – am ausgestreckten Arm verhungern.“
https://web.archive.org/web/20161213192 … o-555.html
Jetzt, ein paar Monate später, ein Kommentar über Saudi-Arabien:
„… viel besser als sein Ruf
… manche, die das Land kritisieren, kennen es gar nicht. … hat einen schlechten Ruf. Viele Menschen sehen es als ein Land religiöser Fanatiker … blutige Konflikte überall in der Region befeuern … während sie zuhause Frauen als rechtlose Mündel halten. … Und das ist nichts, was man als Imageproblem kleinreden und dann mithilfe von PR-Agenturen beheben könnte. Wie soll man also mit „solchen Leuten“ umgehen? Wäre es nicht richtig, dieses Land zu ächten, anstatt seine Herrscher zu hofieren? … Diejenigen, die am lautesten … wettern, sind häufig die, die das Land am wenigsten kennen. Anstatt fundierter Urteile bieten sie überholte Vorurteile. … ein Land im Umbruch. … überall hört man: Ja, es hat sich in letzter Zeit viel zum Guten geändert. Und viele Menschen fügen dann hinzu: Nein, es geht uns noch nicht schnell genug und nicht weit genug, aber die Richtung stimmt. Diesen Reformprozess kann und sollte Deutschland helfend begleiten … plötzlich überall neue Freiräume. Etwa zwei Drittel der Menschen hier sind noch keine 30 Jahre alt. … lässt sich eben nicht auf das Zerrbild vom erzkonservativen, menschenverachtenden und frömmelnden … reduzieren.“
http://web.archive.org/web/201705011843 … r-103.html
Richtig ist: Beide Kühntopp-Beiträge sind Kommentare.
Es gilt der Grundsatz der Meinungsäußerungsfreiheit auch für die verlogensten und zynischsten Verleugnungen der Realität. Kommentare auf den Formaten der ARD dürfen und sollen selbstverständlich persönliche Meinungen enthalten. Was aber den ARD-Regeln gemäß nicht sein darf, ist, dass in den Kommentaren wahrheitswidrige Behauptungen aufgestellt werden.
Im ersten Absatz ist zum Beispiel diese Behauptung vollkommen abwegig und falsch: „Amerikaner und Europäer ließen ihre Partner – gemäßigt eingestellte, weltlich orientierte Oppositionelle – am ausgestreckten Arm verhungern.“
In Aleppo gab es keine „weltlich orientierten Oppositionellen“. Es waren dschihadistische Milizen, die den Kampf gegen die syrische Armee und ihre Partner führten. Verzerrend und falsch sind auch die anderen Behauptungen. So kann Assad den Kampf nicht „gegen sein Volk geführt haben“, da große Teile der syrischen Bevölkerung seine Herrschaft billigen und sie Schutz bei seiner Armee suchen (s. dazu die entsprechenden unabhängigen Untersuchungen der britischen Wahlprüfungskommission).
Seine Ausführungen zu Saudi-Arabien lassen vermuten, dass Kühntopp sich offensichtlich Chancen bei einer eventuellen Neubesetzung des Postens des Regierungssprechers ausrechnet: Im Gleichschritt mit der Kanzlerin, das hat doch was. Seine Behauptung: „Ja, es hat sich in letzter Zeit viel zum Guten geändert“ ist ebenso unglaubliche Realitätsleugnung wie blanker Zynismus. Abgrundtief verlogen. Einem Land, das nach jedem Freitagsgebet im Schnitt drei Menschen öffentlich enthaupten lässt, Todesstrafe und öffentliche Auspeitschungen schon bei geringen Fehlverhalten und speziell gegen Oppositionelle praktizieren lässt, einem Land, das schärfste Kritik wegen seiner rechtsstaatlichen Defizite verdient und für gravierende Menschenrechtsverletzungen steht, einem Regime, das im Jemen einen völkerrechtswidrigen, gnadenlosen Krieg mit Aushungern großer Bevölkerungsteile führt, einem solchen Regime zu bescheinigen, dass es „viel besser“ als sein Ruf sei, ist eine demagogische Ungeheuerlichkeit.