Wie weit geht Putin noch? will BILD wissen und kassiert eine Missbilligung

Wie weit geht Putin noch? will BILD wissen und kassiert eine Missbilligung
sdr

Bildquelle: Karikatur aus dem Netz, eigenes Foto

BILD hat gemäß Urteil des Deutschen Presserats in einem Bericht über die Causa Skripal gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen. BILD wehrte sich u.a. über Twitter und hat dem Presserat vorgeworfen, „im Einklang mit Russlands Propaganda“ zu agieren. Ob es sich hier um Scheingefechte handelt? Bislang hat BILD die Rügen des Presserates ertragen wie Auszeichnungen für besondere Leistungen.

Die Beschwerde, die ein verärgerter Bürger gegen einen Beitrag, in typischer BILD-Manier aufgemachten, reißerischen Titels, beim Presserat eingereicht hatte, wurde wie folgt formuliert:

„Der von mir benannte Artikel in der Bildzeitung mit der Überschrift „Wie weit geht Putin noch“ verstößt gegen Ziffer 2 des Pressekodexes. Dort heißt es in Absatz 1:

„Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.“

Der in dem Artikel beschriebene Sachverhalt vermittelt dem Leser den Eindruck, dass der Giftgasanschlag in Großbritannien direkt mit Russland und hier im speziellen mit dem Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin zu tun habe. Beweise werden nicht erbracht. Vielmehr wird auch noch im Verlaufe des Textes ein Deutscher Schützenpanzerwagen gezeigt, der „zum Glück noch nicht zu Einsatz kommt“ (Bildunterschrift). (Diese Abbildung schein nicht mehr online zu sein). Die Bildzeitung hat im vorliegenden Fall, ohne konkrete Beweise zu liefern, bei den Rezipienten den Eindruck vermittelt und aus meiner Sicht dafür geworben, dass militärische Schritte in die nähere Wahl einbezogen werden könnten oder sollten. Hierbei verwendet die BILD-Zeitung eindeutig, die in dem Buch von Anne Morelli, Principes élémentaires de propagande de guerre (ISBN 978-3-934920-43-9), aufgeführten 10 Gebote der „Kriegs“Propaganda an. Das dritte Gebot besagt: Der Führer des feindlichen Lagers wird dämonisiert. Im vorliegen Fall kann aus meiner Sicht unbestritten subsumiert werden, dass die BILD-Zeitung sich ohne konkrete Beweise zu liefern, zumindest an Kriegspropaganda erinnernde Berichterstattung betreibt. Ich bitte Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten zu prüfen, welche Sanktionierungsmaßnahmen beim vorliegenden Sachverhalt der BILD-Zeitung auferlegt werden.“

Der Beitrag wurde vom Presserat mit einer Missbilligung bedacht. Missbilligungen werden, anders an Rügen, nicht auf der Webseite des Presserates veröffentlicht, was sehr schade ist. Es wäre sicherlich für viele Rezipienten von Interesse, auf welche Weise der Presserat urteilt und welche Argumente er für seine Entscheidungen ins Feld führt.

Der Beschwerdeführer hat uns freundlicherweise den Schriftverkehr zur Verfügung gestellt, den wir hier im Wortlaut dokumentieren:

„A. Zusammenfassung des Sachverhalts

I. BILD berichtet am 14.03.2018 unter der Dachzeile „++ Syrien-Massaker ++ Nerven-Gift-Anschlag in Europa ++ Mays Ultimatum ignoriert ++“ und der Überschrift „Wie weit geht Putin noch?“ über Reaktionen auf einen Gift-Anschlag in Großbritannien.

II. Der Beschwerdeführer trägt vor, er sehe in der Überschrift einen ethischen Verstoß gegen Richtlinie 13.1 des Pressekodex, weil weder ein Massaker in Syrien noch ein Giftgasanschlag in Großbritannien nachgewiesen seien.

III. Der Vorsitzende der Chefredaktionen bei BILD trägt vor, seine Stellungnahme zu diesen Beschwerden könne kurz ausfallen:

Es sei offizielle Position der Bundesregierung (und etwa 30 anderer Staaten), dass Russland hinter dem Nervengiftanschlag auf Sergej Skripal und seine Tochter stehe. Aus genau diesem Grunde sei auch die Ausweisung russischer Diplomaten aus Berlin erfolgt. Bei den „Massakern in Syrien“ sei es um russische Bombenangriffe auf Ost-Ghouta gegangen, denen in den ersten zwei Monaten des Jahres 2018 hunderte Zivilisten – nach Schätzungen etwa 1700 – zum Opfer gefallen seien. Amnesty International habe die Luftangriffe Russlands im Februar als Kriegsverbrechen bezeichnet. Auch Human Rights Watch habe die russischen Angriffe im März als „gesetzeswidrig“ verurteilt; sie seien ausgeführt worden, um Ost-Ghouta „auszulöschen“.
Damit sei klar, dass die Vorwürfe der Beschwerdeführer gänzlich unbegründet sind und die Beschwerden als unbegründet zurückzuweisen sein werden.

B. Erwägungen des Beschwerdeausschusses

Der Beschwerdeausschuss erkennt in der Berichterstattung unter der Überschrift „Wie weit geht Putin noch?“ einen Verstoß gegen die in Ziffer 2 des Pressekodex festgeschriebene journalistische Sorgfaltspflicht.

Zwar ist die als Frage formulierte Überschrift formal nicht als Nachricht zu werten. Sie transportiert aber – insbesondere im Zusammenhang mit den in der Dachzeile gegebenen Informationen – eine als Tatsachenbehauptung wahrzunehmende Aussage bezüglich der Urheberschaft in Bezug auf den Gift-Anschlag in Großbritannien und die Bombenangriffe auf Ost-Ghouta.

Der Ausschuss diskutierte intensiv, inwieweit die Überschrift als – presseethisch legitime – Meinungsäußerung gelesen werden kann. Die Ausschussmitglieder kamen jedoch mehrheitlich zu dem Ergebnis, dass ein durchschnittlich verständiger Leser – auf einen solchen ist hier bei der Prüfung anhand des Pressekodex abzustellen – die Überschrift insbesondere bezüglich der Frage der Täterschaft in Bezug auf die geschilderten Vorkommnisse nicht als redaktionelle Meinungsäußerung wahrnimmt.

Während die Nachrichtenlage zum Zeitpunkt der Berichterstattung in Bezug auf Ost-Ghouta eine Tatsachenbehauptung unter dem Aspekt der journalistischen Sorgfaltspflicht nach Ansicht des Gremiums hergab, gilt dies nicht für den Gift-Anschlag in England. Mindestens in diesem Punkt hätte die Redaktion ihren Lesern auch in der Überschrift deutlich machen müssen, dass die Schuldfrage noch nicht letztgültig geklärt ist. Dass eine offizielle Position der Bundesregierung oder weiterer Staaten anderes nahelegt, ist noch keine ausreichende Grundlage, eine Urheberschaft Russlands zur Tatsache zu erheben.

C. Ergebnis

Der Beschwerdeausschuss hält den Verstoß gegen die Ziffer 2 des Pressekodex für so schwerwiegend, dass er gemäß § 12 Beschwerdeordnung die Maßnahme der Missbilligung wählt.
Nach § 15 Beschwerdeordnung besteht zwar keine Pflicht, Missbilligungen in den betroffenen Publikationsorganen abzudrucken. Als Ausdruck fairer Berichterstattung empfiehlt der Beschwerdeausschuss jedoch eine solche redaktionelle Entscheidung.

Die Entscheidung über die Begründetheit der Beschwerde ergeht mit 6 Ja-Stimmen bei einer Nein-Stimme, die Entscheidung über die Wahl der Maßnahme ergeht mit 4 Ja-Stimmen und 3 Nein-Stimmen.“

Was bei der Bild-Zeitung gerügt wird, bleibt dem Spiegel erlaubt

Seltsam in dem Zusammenhang ist, dass der Autor Paul Schreyer wegen einer ähnlich gelagerten Beschwerde zum gleichen Thema gegen einen Spiegel-Artikel Beschwerde eingelegt hatte, die vom Gremium abgewiesen wurde. Es ging um die Schlagzeile auf dem Cover der Spiegel-Ausgabe vom 17. März, die da lautete: „Todesgrüße aus Moskau – Der Giftanschlag und der neue Kalte Krieg“. Auch Paul Schreyer hatte die unbewiesene Unterstellung einer Schuld russischer Täter moniert. Der Presserat meint dazu abschließend in einer dreiseitigen Entscheidungsschrift, dass die Kritik unbegründet sei.

Auszug aus dem Urteil:
„Ein Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht gemäß Ziffer 2 des Pressekodex liegt nicht vor. Das Gremium weist darauf hin, dass die Lesart des Beschwerdeführers (…) zwar möglich, aber nicht zwingend ist. (…) Es ist vorliegend davon auszugehen, dass einem durchschnittlich verständigen Leser (…) die interpretationsoffene Gestaltung der Titelseite ausreichend bewusst ist, so dass ein solcher allein aufgrund der Schlagzeile nicht bereits zwingend eine eindeutige Klärung der Schuldfrage entnehmen wird.“

Zu Paul Schreyers kompletten Bericht geht es hier entlang…