Mediale Volksverhetzung

Ein großer brauner Umschlag, den seine völlig aufgelöste Sekretärin eines Tages zu ihm brachte, war randvoll mit menschlichen Exkrementen und offensichtlich in Bezug auf Dialogbereitschaft als DER Tiefpunkt innerhalb der ohnehin problematischen Korrespondenz mit deutschen Bürgern zu betrachten. Sowohl der chronisch überlastete Schreibtisch des griechischen Konsuls Aris Radiopoulos, als auch das elektronische Postfach des Diplomaten quellen seit einiger Zeit, parallel zu halbgaren und unvorsichtigen Verlautbarungen seitens Politik und Medien, über. (Quelle: LVZ vom 23.05.2015)
Ob Interviews, Schlagzeilen – egal ob wahr oder erlogen – oder auch Auftritte griechischer Politiker in den deutschen TV-Formaten und Nachrichtensendungen sind für viele Deutsche Initialzündung und Motivation zum Frust ablassen.
Wo kommt dieser Hass, dieser Mangel an Empathie, plötzlich her?
Konnte sich der Durchschnittsdeutsche nicht bereits seit Jahrzehnten anhand von Urlaubsreisen, Restaurantbesuchen und kulturellem Austausch ein Bild von der Einzigartigkeit Griechenlands und der Angehörigen dieser Nation machen? Auch Griechische Einwanderer haben seit den 50er Jahren den deutschen Wohlstand mit geschaffen. Woher also kommt plötzlich dieser unzivilisierte Ton gegenüber einem Volk, welches durch eine gewissenlose Finanzmafia an den Rand des Ruins getrieben wurde?
Dass Geld und Profit innerhalb der vielbeschworenen westlichen Wertegemeinschaft stets ein höherer Stellenwert als Menschenleben und Menschenwürde eingeräumt werden, ist an sich schon gewöhnungsbedürftig. Die Berichterstattungen zu Griechenland drehen sich folgerichtig, exakt genau und einzig um dieses Thema. Wann sah der deutsche TV-Konsument zuletzt eine „menschelnde“ Dokumentation über Land und Leute, jenseits von Staatsschulden, Börsenschwurbel, Bankrott oder Hetze gegenüber der neuen Regierung? Wann gab es zuletzt einen dieser großartigen griechischen Spielfilme im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, von denen jeder einzelne bestens dazu geeignet wäre, dem hirnlosen Degeto-Schrott, der jede Woche mehrfach über das deutsche TV-Hirm wabert, zu zeigen was Film alles so zu bieten vermag?
„Öffentlich-rechtliche Unternehmen von der Größenordnung unserer Fernsehanstalten kann man in ihrem organisatorischen, finanziellen, personalpolitischen Gebaren nicht durch Gremien von Dilettanten kontrollieren, die sich einmal im Monat beraten.“
Carlo Schmid
Politik wird logischerweise in einer Mediengesellschaft über Massenmedien vermittelt und dem Fernsehen kommt in Punkto Politikvermittlung immer noch (!) besondere Bedeutung und Verantwortung zu. Wie genau die einzelnen Sender ihrem Auftrag nachkommen ist angeblich deren freie Entscheidung (innere Redaktionsfreiheit). Es sind lediglich die im Staatsvertrag verankerten Kriterien Objektivität, Unparteilichkeit, Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit zu beachten. Die Rundfunk-Staatsverträge sehen vor, in den Angeboten der Sender die Würde des Menschen sowie die sittlichen, religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen anderer zu achten. Die Angebote sollen dazu beitragen, die Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit, vor Glauben und Meinung anderer zu stärken. Die Angebote dürfen sich explizit nicht gegen die Völkerverständigung oder gegen die Wahrung von Frieden und Freiheit richten. Sie sollen auf ein diskriminierungsfreies Miteinander in der Gesellschaft hinwirken.
Dass EU-Politiker oder Euro-Gruppenchefs und Finanzminister in aggressivem Spin-Doctorship Rufmordkampagnen initiieren, die insbesondere den griechischen Finanzminister treffen sollen, ist ein offenes Geheimnis. Nur, wer transportiert diese Schmutzkampagnen und mit welchem Ziel?
„Politik ist inzwischen zu einem großen Teil nur noch das, was die Medien darüber berichten.“
Wolfgang Donsbach
Massenmedien sind in allen Phasen des politischen Lebens aktiv am politischen Prozess beteiligt: Sie liefern Informationen über die gesellschaftliche Realität, wirken an Meinungs- und Willensbildungsprozessen mit und machen im Ergebnis politische Prozesse bekannt. Sie wirken als Meinungsverstärker und KÖNNTEN eine Seismograffunktion innerhalb politischer Veränderungsprozesse ausüben, wenn sie nicht lediglich und permanent auf einen quotenträchtigen und kurzfristigen öffentlichen Erregungszustand des Publikums abzielten.
„Im Beziehungsdickicht zwischen Politik und Medien wird mit Tricks und Manipulationen gearbeitet, finden Inszenierungen und Rituale statt, verwischen sich die Grenzen bis zur Unkenntlichkeit. (…) Die Banalität des Alltags macht Politik und Medien zu Komplizen.“
Manfred Zach
Hätte Otto-Normalbürger zum Beispiel auch nur die geringste Ahnung von den angeblichen Beschimpfungen, denen der griechische Finanzminister Varoufakis bei einem Treffen der EU-Finanzminister angeblich ausgesetzt war, wenn willfährige Journalisten diese Ente nicht bereitwillig inflationär verbreitet hätten?
Die skrupellosesten Vertreter der vierten Gewalt, wie auch der unterirdische Stinkefinger-Betrüger Jauch, sind oftmals Programmbestandteil öffentlich-rechtlicher Sender und unterscheiden sich mitunter nur noch rudimentär von populistisch-debilen Schreiberlingen einschlägiger Presseerzeugnisse. Um einen Hauch von Humanismus und anständiger Fernsehaufklärung zu erhalten, muss neuerdings auf Satiresendungen zurückgegriffen werden, auch wenn der publizistische Nachwuchs ehemals kritischer Formate das unverständlich findet.
Den vorläufigen Scheitelpunkt im Postfach des oben erwähnten griechischen Diplomaten erreichte die Hassmail-Welle just nach dem legendären Interview des „Euro-Schreck und Bruce Willis Griechenlands“ Varoufakis beim angeblich erfolgreichsten deutschen TV-Talk (dank TATORT-Audience Flow). Und weil deutsche Qualitätsmedien das populistische Ressentiment auch weiterhin stoisch kolportieren, dass doch alles gut würde, wenn nur die Griechen von ihrer Verschwendungssucht abkämen, schreiben deutsche Bürger brav ihren medial vermittelten Hass nieder und belästigen damit völlig unbescholtene Menschen.
Zu kurz gedacht?
„Das Programm ist so, wie es ist, nicht weil die Politiker in den Gremien so stark, sondern weil die Journalisten in den Funkhäusern so schwach sind. Der nach wie vor vorhandene Spielraum für unabhängige Journalisten werde nur nicht genutzt. Dieser Hang zum Konformen, zum Nichtauffallen sei es, der „ aus unserem Programm politisches Werbefernsehen macht.“
„Verschwörungstheoretiker“ Klaus Bresser
ZDF Politbarometer vom 12.06.2015
Eine deutliche Mehrheit der Deutschen lehnt weitere Zugeständnisse der EU an Griechenland ab. Das zeigt das aktuelle ZDF-Politbarometer. Mittlerweile wollen nur noch 41 Prozent der Befragten, dass Griechenland den Euro behält. Waren zu Jahresbeginn noch 55 Prozent der Deutschen für einen Verbleib Griechenlands im Euro und nur 33 Prozent dagegen (Rest zu 100 Prozent hier und im Folgenden jeweils „weiß nicht“), so wollen jetzt nur noch 41 Prozent, dass Griechenland den Euro behält, 51 Prozent sind dagegen. ekathimerini.com / AFP
Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien. (…) Andererseits wissen wir soviel über die Massenmedien, dass wir diesen Quellen nicht trauen können.“
Niklas Luhmann
Ein Beitrag von unserem Community-Mitglied Meyer-Durand:
Die Verhandlungen der Kreditgeber mit der griechischen Regierung gehen nun in den 5. Monat. Wie nicht anders zu erwarten war, leidet mittlerweile auch die griechische Tourismusbranche (Griechenlands wichtigster Wirtschaftszweig) an der anhaltenden Unsicherheit, obwohl die Zahlen zum Jahresanfang noch sehr vielversprechend waren. Die derzeitige Form der Berichterstattung in den deutschen Medien dürfte die griechische Wirtschaft in einem gewissen Umfang zusätzlich schädigen. Dies lassen die letzten Zahlen der SETE (Association of Hellenic Tourism Enterprises) vermuten.
Seit dem Erscheinen der Statistiken für die Monate März/April wird deutlich, dass nunmehr auch die griechische Tourismusbranche wieder die allgemein vorherrschende öffentliche Meinung in Deutschland zu spüren bekommt. Erhellend ist da die Tatsache, dass derzeit im Wesentlichen nur die Zahl der Reservierungen aus Deutschland stagniert, deutlich weniger (oder gar nicht) aber die Zahlen der Reservierungen aus vielen anderen Ländern, wie z.B. Frankreich. Könnte dies vielleicht damit zusammenhängen, dass bei unserem französischen Nachbarn die allgemeine Berichterstattung über die Krise so gänzlich anders ist (siehe z.B. France2, France24, Le Monde, Libération, Le Figaro)?
Seit Ende Januar 2015 studiere ich täglich die Presse in deutscher, englischer und französischer Sprache zum vorliegenden Thema und muss feststellen, dass die Berichterstattung in Frankreich im allgemeinen tatsächlich wesentlich neutraler und zurückhaltender ist als jene in Deutschland (überrascht?). Die Presselandschaft in Frankreich unterscheidet sich zum Glück von jener in Deutschland.
Eine kleine aber feine Zeitung ist auch die „Griechenlandzeitung“, in deren Artikeln i.d.R. das gesamte politische Spektrum berücksichtigt wird. In einem Bericht vom 16.03.2015 mit dem Titel „Griechenland-Urlaub: Tendenz ist steigend und im grünen Bereich“ wird von „verunsicherten“ potenziellen deutschen „Hellas-Urlaubern“ berichtet. Im selben Beitrag wird aber auch an die „anti-deutsche Stimmung“ im Jahre 2011/12“ erinnert, für welche die griechische Presse zum damaligen Zeitpunkt ihrerseits verantwortlich war (man denke auch zurück an die damaligen Artikel in der griechischen Presse als Reaktion auf das „Stinkefinger-Titelbild“ des „Focus“ vom 22.02.2010).
Die griechische Tageszeitung, welche über ein englischsprachiges online-Angebot verfügt (welches ich für seine sachliche und zuverlässige Berichterstattung schätze), informiert in zahlreichen Artikeln über den Rückgang der Reservierungen aus Deutschland:
04.05.2015 – Worrying signs for tourism
11.05.2015 – German-Greek Business Association concerned about VAT rates (…) especially after recent statistics pointing to a 25 percent decline in tourism bookings from Germany.
18.05.2015 – Greek tourism chief warns of possible slowdown in visitor numbers The slowdown in bookings has been most pronounced in Germany, (…)
26.05.2015 – Political, economic instability turns German tourists away
Nachdem die deutsche Presse schon kräftig Ressentiments geschürt hat, trifft es jetzt also auch die Tourismusbranche direkt.
Freiheit der Presse ist Angelegenheit und Interesse des ganzen Menschengeschlechtes. Dieser Freiheit hauptsächlich haben wir den gegenwärtigen Grad von Erleuchtung, Kultur und Verfeinerung (…) zu verdanken. Man raube uns diese Freiheit, so wird das Licht, dessen wir uns jetzt erfreuen, bald wieder verschwinden; Unwissenheit wird bald wieder in Dummheit ausarten, und Dummheit wird uns wieder dem Aberglauben und dem tyrannischen Despotismus preisgeben. Die Völker werden wieder in die Barbarei zurücksinken; und wer sich dann erkühnen wird, Wahrheiten zu sagen, an deren Verheimlichung den Unterdrückern der Menschheit gelegen ist, wird ein Ketzer und Aufrührer heißen und als Verbrecher bestraft werden.“
Christoph Martin Wieland