Aus aktuellem Anlass: Syrien kommt nicht zur Ruhe

Aus aktuellem Anlass: Syrien kommt nicht zur Ruhe

Quelle Beitragsbild: Satellitenaufnahmen der größtenteils zerstörte Altstadt von Aleppo im Herbst 2014. (Uno/Unitar)

Diverse Medien-Märchen, welche die alleinige Schuld für den mörderischen Angriffskrieg von NATO-Staaten auf das säkuläre Syrien dem westlich sozialisierten Bashar al-Assad in die Schuhe schoben, halten sich bis heute hartnäckig. Insofern ist die Freude bei Lohnschreibern der Nato-Presse, angesichts der aktuellen Offensive diverser Islamisten-Gruppen auf das geschundene Land, groß. Die weltweit angespannte Sicherheitslage macht die Verteidigung Syriens mit Hilfe seiner Verbündeten schwer.

Erste Eindrücke von der Lage in den umkämpften Gebieten gibt dieser X-User:

Wir erinnern uns aus aktuellem Anlass an die Zeit, bevor der syrische Präsident Baschar al Assad in den Augen westlicher Staaten und ihrer Handlanger in Konzern-Presse und Rundfunkanstalten vom modernen Reformer zum »Schlächter von Damaskus« mutierte.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus unserem Buch „Zwischen Feindbild und Wetterbericht“.
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Es war diese Zeit, als die Vorzeige-Syrien-Expertin Kristin Helberg noch wohlwollend über die „vorbildlichen« Reformanstrengungen der syrischen Staatsführung und die Vorzeigeprojekte berichtete, die in Syrien gemeinsam mit europäischen Unternehmen auf den Weg gebracht wurden. Als die EU im Rahmen ihrer strategischen und expansiven europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) (A) Assoziationsabkommen mit Ländern des südlichen und östlichen Mittelmeerraumes verabredete, glichen sich die jeweiligen Ziele wie ein Ei dem anderen: Integration des jeweiligen Nachbarlandes in die europäische Wirtschaftszone, also in den europäischen Binnenmarkt, komplette neoliberale Öffnung, Freihandel, bei gleichzeitiger Nichtmitgliedschaft und damit Nichtmitsprache in der Europäischen Union.

Auch das säkulare Syrien unter Assad war ein heißer Kandidat für ein solches Assoziationsabkommen mit der EU, das 2004 schlussendlich unterschriftsreif war, jedoch nie unterzeichnet wurde. Syrien befand sich bereits in der Verhandlungsphase unter enormem Druck seitens der sich seit 9/11 verstärkt auf dem Kriegspfad befindlichen USA, die Syrien faktisch in die „Achse des Bösen“ integriert und damit als mögliches weiteres Angriffsziel im „Krieg gegen den Terror“ markiert hatten. Deshalb sah Assad in dem Assoziationsabkommen trotz radikal-neoliberaler Knebelparagrafen eine Möglichkeit, seine Beziehungen zum Westen zu verbessern. Die ursprüngliche „Achse des Bösen“ wurde in einer Rede des damaligen US-Präsidenten George W. Bush im Januar 2002 definiert und umfasste den Irak, Nordkorea und den Iran. Anfang Mai 2002 erweiterte der damalige Staatssekretär im Außenministerium, John Bolton, besagte Achse um Libyen, Syrien und Kuba und drohte diesen Ländern ebenfalls mit militärischen Angriffen. (B) Die Europäische Union verweigerte schließlich die Ratifizierung des Abkommens, nachdem Syrien beschuldigt wurde, an der Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri am 14. Februar 2005 beteiligt gewesen zu sein. (C)

Nichtsdestotrotz setzte Assad seinen wirtschaftsliberalen Kurs fort und produzierte neben den aus europäischer Sicht mit Wohlwollen registrierten verbesserten Investitionsbedingungen – durch Mittel wie Subventionsabbau, Abschaffung der Preisbindung auf Bedarfsgüter etc. – eben auch Verlierer in veritabler Anzahl innerhalb seines eigenen Volkes. Viele Initiatoren des Aufstandes waren Verlierer der westlich orientierten Reformpolitik Assads. (D)

Trotz der Tatsache, dass sich Syrien auf einem – nach westlichen Maßstäben – „guten Weg“ befand, schwenkte der Westen bald um auf einen tatkräftigen Anti-Assad-Kurs, in dessen Verlauf eine Militarisierung der Proteste einherging, während gleichzeitig eine Opposition unterstützt wurde, von der man sich „nach Assad“ eine stringente Fortsetzung des neoliberalen, prowestlichen Kurses versprach. Die sogenannten „Freunde Syriens“, zusammengesetzt aus etwa 70 Staaten, die sich für einen Regimewechsel in Syrien einsetzen, hatten sich als Ansprechpartner den vorwiegend aus Exilanten zusammengesetzten »Syrischen Nationalrat« (SNC) auserkoren. Die Leitfiguren des von den Muslimbrüdern dominierten SNC verfügten über hervorragende Kontakte zu US-Institutionen und entsprechenden Geldgebern.

Bereits seit Januar 2012 bot die regierungsnahe deutsche »Stiftung Wissenschaft und Politik« (SWP) unter dem Namen »The day after: Supporting a democratic transition in Syria“ zahlreichen Oppositionellen Raum und Mittel, um den Umsturz in Syrien sowohl logistisch und finanziell als auch mit Rat und Tat zu begleiten. Mit an Bord war das »US Institute for Peace«, ein Ableger des US-Außenministeriums.

Alle Arbeiten gründeten auf der festen Überzeugung, dass Assad stürzen werde. Die Tagesschau bemüht des Öfteren Vertreter der SWP (Markus Kaim, Volker Perthes, Guido Steinberg u. a.) vor die Kamera, um dem Publikum die »aktuelle Lage in Syrien« aus „Expertensicht“ einzuordnen. Aus Sicht des „Experten“ Markus Kaim dürfe sich ein Desaster, wie die deutsche Nicht-Beteiligung am Libyen-Krieg unter keinen Umständen in Syrien wiederholen. (E)

Die problematische Nähe von Journalisten zur Macht gebiert Leerstellen und Tabus in der Berichterstattung und Konformität der journalistischen Inhalte mit der Eliten-Diskussion. Der Journalismusforscher Siegfried Weischenberg nannte diesen Zustand einst „strukturelle Korruption“:

Korruption liegt im Journalismus dann vor, wenn Medienschaffende nicht das drucken oder senden, was sie wissen. Oder wenn sie loben, weil sie – im weitesten Sinne – bestochen worden sind.“ (F)

Es gehe darum, welchen Anteil die Journalisten und ihre Kontakte zu den Eliten bei der Geburt oder der Verhinderung von Medienthemen haben, denn im „Anfangsstadium können Themen noch zensiert, gesperrt oder auf  Seitengeleise unpolitischer Angelegenheiten abgeschoben werden; die Mächtigen haben noch die Möglichkeit, zum Thema selbst ja oder nein zu sagen.“ (G)

Die öffentlich kolportierte Befürwortung eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs (unzutreffend als Bürgerkrieg verbrämt) durch Regierungspersonal, erreicht so dank Tagesschau  &  Co. ein  Millionenpublikum, wogegen die wesentlich brisantere, gegenläufige Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags kurzerhand unterschlagen und dem Publikum vorenthalten wird. So funktioniert Meinungsbildung aus dem Flaggschiff der deutschen Nachrichtengebung und dem durch Agenturen gleichgeschalteten Mainstream.

Quellen:

Vorher-Nacher-Bilder: Aleppo 2016
https://www.watson.ch/international/syrien/770426210-von-der-traumstadt-zum-albtraum-vorher-nachher-bilder-von-aleppo

(A) https://www.bmeia.gv.at/europa-aussenpolitik/europapolitik/eu-aussenpolitik/europaeische-nachbarschaftspolitik-enp/
(B) https://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2012-12_web.pdf
(C) Vgl. Verwirrung um Assoziierungsabkommen mit Syrien, euractiv, 14.10.2009.
(D) https://syriensgeschichteundgegenwart.com/2015/08/03/baschar-al-assadvom-freundlichen-augenarzt-zum-schlaechter-von-damaskus-in-nurzwei-monaten/
(E) Kaim, Markus: Interventionsoptionen. Käme es zu einer Militärintervention, stünde Deutschland in der Pflicht, in: Internationale Politik, Mai/Juni
2012, S. 72-76.

 

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