Rezension: Wer schweigt stimmt zu

Ulrike Guérot – Wer schweigt, stimmt zu
Über den Zustand unserer Zeit. Und darüber, wie wir leben wollen.
Rezension von Maren Müller
Die Autorin Ulrike Guérot ist mir zum ersten Mal positiv im Jahr 2015 anlässlich einer Diskussion zur Griechenlandkrise aufgefallen, als sie angesichts der feindseligen und boulevardesken Berichterstattung von einer „Dysfunktion“ und einem Versagen der deutschen Leitmedien sprach. Eine Stimme der Vernunft, des Ausgleichs und der Rationalität. Es ist gut, dass sie sich wieder in gewohnt wortgewaltiger Weise zu Wort meldet.
Es wurden in den zwei Jahren, in denen die Causa Corona wie ein bleierner Albtraum in das Leben von Millionen Menschen eingriff, zahlreiche Bücher geschrieben. Bücher über das Virus selbst, über die Agenda, die Motive und Auswirkungen der Lockdowns, über Hintergründe und über Hintermänner und -Frauen in den Phasen der Pandemie von der Vorbereitung bis zum Vollzug und über das Versagen von Wissenschaft und Leitmedien, angesichts des für Alle sichtbaren Unrechts, welches sich bislang ungestraft über Menschen jeden Alters ergoss.
Das aktuelle Buch der Autorin Ulrike Guérot ist nach Auffassung der Rezensentin das Wichtigste in dieser Aufzählung bemerkenswerter Analysen einer bislang nie dagewesenen Zäsur, denn es richtet sich dezidiert an UNS als Gesellschaft. Wie wollen wir künftig (zusammen-) leben und wieviel Demokratie- und Rechteverlust wollen wir in unserem Lebensalltag ertragen? Sind wir bereit, unsere Freiheit für eine vermeintliche Sicherheit aufzugeben, die uns ausgerechnet von Big-Pharma offeriert wird?
Sind wir als Gesellschaft bereit, im Namen der Gesundheit zivilisatorische Gepflogenheiten über Bord zu werfen wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Sterben in Würde, den Diskurs widerstreitender Meinungen oder einfach nur den gemeinsamen Spaziergang und das barriere- und angstfreie Atmen unverbrauchter Luft?
Haben wir dem Konformitätsdruck, der sich aus dem Mitläufertum der Masse ergibt, nichts entgegenzusetzen außer Schweigen und Duckmäusertum, auch wenn die Betrachtung historischer Parallelen genau das Gegenteil erfordert?
Werden wir nicht stutzig, wenn ein Maßnahmenkatalog dystopische Züge trägt und straff nach einschlägigen Propagandamechanismen orchestriert und umgesetzt wird und man Konsistenz vergeblich sucht? Das Kafkaeske, welches die Autorin eindringlich beschreibt, zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Pandemie.
Haben wir unseren ethischen Kompass verloren, wenn wir zulassen, dass sterbenden und pflegebedürftigen Angehörigen letzter Beistand, die tröstende Hand und der Besuch der Liebsten verweigert wird?
Finden wir es bis zum heutigen Tag nicht seltsam, dass sich gesunde, symptomfreie Menschen regelmäßig testen lassen müssen, um zu beweisen, dass sie gesund sind und somit am (Arbeits-)Leben teilnehmen können?
Sind wir angesichts neu etablierter und zutiefst infantiler Riten, Gesten und Sprachgebräuche dazu fähig, wieder zur Vernunft und zur Mitmenschlichkeit zu finden?
Wie kann ein vernunftbegabter Mensch auf das umfraimen positiv besetzter Begrifflichkeiten wie „querdenken“ hereinfallen und bislang dezidiert negative Verhaltensweisen wie Denunziation gutheißen und zum Volkssport erklären?
Wozu hat die Linke jahrzehntelang strikt auf politische Bildung gesetzt, wenn sie sich in einer erkennbar kapitalistisch orchestrierten Krise gehorsam und diensteifrig auf die Seite des paternalistischen Repressionsstaates stellt? Wie kann man sich als Linker von einem unsolidarischen System im Endstadium mit einer pervertierten Auslegung des Solidaritätsbegriffes kapern und täuschen lassen? Aus „Empört euch“ wurde „Wir impfen euch Alle!“ Die politische Linke ist damit obsolet.
Was macht es mit Menschen, denen 24/7 von Politikern und Medienvertretern eingetrichtert wird, dass der „Ungeimpfte“ etwas Ekliges ist, der aus der Gesellschaft ausgestoßen gehört? Die Geschichte der Frau, die in einer deutschen Stadt im 21 Jahrhundert (!) angezeigt wurde, weil sie in höchster Not ohne die erforderlichen „G“-Nachweise eine öffentliche Toilette aufsuchte, schaffte es sogar in die „seriöse“ Presse.
Sind wir blind geworden gegenüber dem Versagen der drei wichtigsten staatliche Teil- bzw. Subsysteme, der Gerichtsbarkeit, der Medien und der Universitäten?
Haben wir aus der Geschichte so wenig gelernt, dass wir in Anlehnung an eugenisches Unrecht politisch motivierte Gedenkveranstaltungen für auserlesene betrauernswerte Tote dulden, von denen man mangels Obduktionen nicht einmal wusste, worin die eigentliche Todesursache bestand? Der Tod – so die Autorin – ist der letzte Gleichmacher der Menschheit, unabhängig von Krankheit, Alter, Geschlecht oder Herkunft. Wenn schon Trauer, dann für alle Toten – auch für jene, die staatlichen Repressionen zum Opfer fielen – sei es durch Flucht, Suizide, unterlassene Behandlung, zu schnelle Beatmung oder Kummer und Einsamkeit.
Wer schweigt stimmt zu.
Ulrike Guérot bezog sich in ihrem Essay mehrfach auf Hannah Arendt, deren Aussage „Niemand hat das Recht zu gehorchen“ eingebettet wird in Schilderungen von Gehorsam und Unterwerfung seitens Beamter, Wissenschaftler, Richter und Behörden, die den eigenen Gehorsam in Form von Repressalien nach unten durchreichen. Da dieser geflügelte Satz auch Schilder, Spruchbänder und T-Shirts von Maßnahmenkritikern ziert, fühlten sich bereits Faktenchecker bemüßigt, den zulässigen Kontext zur Verwendung des Zitates systemkonform einzuhegen. Zensur und Meinungsdiktat schlafen insbesondere „in der Pandemie“ nicht.
Auch den Weg von der Verschwörungstheorie zur bitteren Realität kann die Autorin den Lesern nicht ersparen. Was haben sich Politik und Medien empört, als 2020 einige Abweichler eine Impfpflicht ins Spiel brachten? Von einer Rehabilitation der Verfemten sind die Verantwortlichen jedoch immer noch so weit entfernt wie die konformistische Masse von logischen Denkprozessen. Die Negation von Macht, Interessen, Absichten und Absprachen und deren Verweis ins Reich der Mythen hat schon fast etwas Religiöses. Der vernunftbegabte Mensch hat ausgedient, denn er würde Machtstrukturen durchleuchten, anstatt dem Skeptiker inflationär Verschwörungstheorien zu unterstellen.
#wiewollenwirleben ???
Unter dem Deckmantel der Solidarität lässt sich mensch seit Corona trefflich konditionieren. Am Anfang mussten die Kinder solidarisch sein – mit ihren Eltern und vor allem mit den Großeltern. Ein aus dem Innenministerium geleaktes Papier beschrieb, wie man diese Solidarität am besten durchsetzen könnte – mit der Erzeugung von Angst und Schuldgefühlen. Die Schulkinder sollen (bis zum heutigen Tag) untereinander solidarisch sein und rund um die Uhr – auch im Freien – Maske tragen, um „die anderen“ zu schützen. Die Maske wurde im Laufe der Zeit von einer gefühlten Mehrheit als Zeichen von Solidarität und Rücksichtnahme deklariert, dicht gefolgt vom solidarischen Abstandhalten. Als Gipfel der Solidarität gilt jedoch die freiwillige Teilnahme an den turnusgemäßen Impfungen. Inzwischen übt man Solidarität mit der Ukraine, wenn man in seiner Wohnung friert. Der Gipfel der Solidarität dürfte noch längst nicht erklommen sein.
Die fundamentalste Umkehrung demokratischer Prozesse sieht die Autorin in der dystopischen Varianz, dass nur noch frei sei, wer sich in körperliche und geistige Unfreiheit begibt. Auch dieser, natürlich rein freiwillige, Lebensverzicht wird mit dem Label Solidarität versehen, denn er dient vermeintlich dem Schutz Aller. Gesellschaftlicher Protest wird staatlicherseits präventiv unterbunden und mit dem Vorwand des Schutzes der öffentlichen Ordnung und Sicherheit teils mit Gewalt niedergerungen und kriminalisiert. Auch hier versagt die politische Linke als soziales Korrektiv.
Die Diskussion einer bürgerlichen Mehrheit über Dritte manifestierte sich insbesondere in der Debatte Impfpflicht nur für Pflegepersonal. Die Autorin sieht in dieser Idee eine Entdemokratisierung und Refeudalisierung, in deren Verlauf Pflegekräfte als niedere dienende Wesen ohne Anspruch auf körperliche Selbstbestimmung degradiert werden. Das Ausbleiben von Systemkritik und Protest seitens einst progressiver Kräfte spielt neben deren Diskursverweigerung der politischen Rechten in die Hände, und zwar (fast) europaweit. Das Versagen der Linken in der Pandemie ermöglicht die kampf- und diskussionslose Etablierung digitaler Überwachungssysteme für den autoritären Kapitalismus und steht damit diametral der eigenen Programmatik gegenüber.
Die Analyse der Causa Corona und ihrer Auswirkungen auf die Gesellschaft teilt die Rezensentin grundsätzlich, vermisste allerdings die kritische Würdigung der zutiefst verwerflichen Netzwerke, welche die dystopischen und lebensfeindlichen Zustände, in denen wir uns nach zwei Jahren noch immer befinden, unter aller Augen, aber trotzdem weitestgehend unbemerkt, von langer Hand vorbereitet haben. Es steht zu erwarten, dass diese einflussreichen Akteure das Erreichte nicht einfach kampflos aus der Hand geben werden.
Die Utopie: wie wir leben und wo wir hinwollen
„Wir werden diesen Krieg gegen das Leben jetzt beenden und das Leben neu beginnen.“
Ulrike Guérot legt in ihrem Schlusskapitel eine fulminante Vision vor, die einen „globalen Reset von Mitmenschlichkeit, Würde und Demokratie“ zum Ziel hat. Dabei führt der Weg durch kleinste Zellen der zermürbten Gesellschaft, deren Mitglieder „wieder in die Hände spucken, anstatt Desinfektionsmittel darin zu verreiben“ bis hin zu den großen Themen, die mit einer gesellschaftlichen Reparaturarbeit einhergehen, die schier unendlich und lebensfüllend scheint.
Auch die Abrechnung mit den Verantwortlichen wird thematisiert, wobei sich die Dimension des Unrechts und die Verantwortung der Beteiligten noch nicht abschätzen lässt. Wie viele Mitbürger haben „ohne mit der Wimper zu zucken über den kompletten rechtlichen Ausschluss und de facto die Existenzvernichtung von rund 25 Prozent der deutschen Bevölkerung diskutiert“? Wen können wir verzeihen und wen sollten wir „mit Liebe an die Wand atmen und vom Impetus des Handelns entbinden“?
Mein Rezensionsexemplar ist von vorn bis hinten mit kleinen Klebenotizen verziert und obwohl es nur 140 Seiten zählt, könnte man Tage und Wochen damit verbringen darüber zu sinnieren, zu diskutieren, gedanklich zu ergänzen und schlussendlich an der Wucht der Erkenntnis zu verzweifeln. Tränen des Zorns konnte ich schwer zurückhalten bei der Erinnerung an eigenes Erleben und an die erschreckende Verwandlung einst treuer Weggefährten in hörige und angstgesteuerte Untertanen. Man muss das Buch zwei oder dreimal lesen, auch um Quellen zu folgen und Verständnisprobleme zu beheben.
Das Buch von Ulrike Guérot ist eine Gebrauchsanweisung zur (Wieder-) Erlangung von Mündigkeit, eine Hommage an die Freiheit und ein Manifest der Menschlichkeit und Vernunft.
Unbedingte Kaufempfehlung!