TV-Rezension: Die Musiklegende Howard Carpendale bei Maischberger
Die Musiklegende Howard Carpendale bei Maischberger.
Eine TV-Rezension von Benjamin Kradolfer
Da schaut man nach Jahren ARD-Abstinenz mal wieder kurz rein in Maischberger – und schon hat man wieder solchen Ärger, dass man sich hinterher hinsetzt und einen 10-seitigen Protest schreibt. Wie bei einem trockenen Alkoholiker: es gibt ja solche, die werden schon rückfällig, wenn sie Fusel bloss riechen! Etwa so hat mich am Abend des 5. März 2024 die blosse Ansage „Seit über 50 Jahren auf der Bühne!“ in Versuchung geführt, und schon wollte ich mir unbedingt reinziehen, was mein Showgeschäft-Kollege, der „Sänger und Entertainer“ Howard Carpendale im Hinblick „auf seine zweite Heimat, die USA“ zu bieten hat. Das hat man davon, wenn man 30 Jahre lang auf bundesdeutschen Stadt- und Staatstheaterbühnen als Schauspieler gearbeitet hat. Das wirkt noch mehr als zehn Jahre darüber hinaus nach, wenn man längst wieder in der Schweiz lebt.
1. Vorgeplänkel
Bevor es aber dazu kommt, dass mein berühmter Branchenkollege sich zur spannenden, mich wirklich interessierenden Frage auslassen darf, „was in den Vereinigten Satten los ist“, „erklären, kommentieren und diskutieren“ zunächst mal drei gestandene und offenbar genau deshalb von der Redaktion auserwählte Mainstream-Medien-Worker dies und das, was den Zuschauer in der nächsten Stunde erwartet – offenbar ein inzwischen obligatorischer Nach- bzw. Vorhilfe-Unterricht in Interpretation von medial zu konsumierender Innenpolitik. Ich nehme an: das hat den Zweck, solche wie mich zu befähigen, dass sie die Welt als anständiges zoon politicon im wünschenswerten Rahmen einordnen. Weil ich es aber vorziehe, solches in eigener Regie zu bewerkstelligen und die Welt zu sehen, wie es mir beliebt (nicht „sie“: „es“!), und zwar in Rückgriff auf die sechseinhalb Jahrzehnte Zeit, die mir bislang hier auf Erden gegeben waren, höre ich nur mit halbem Ohr hin. Allerdings hört die hörende Hälfte immer noch genug, um zu checken, dass mir da der gleich zu erwartende erste Gast als möglicher Kanzlerkandidat der Konservativen angepriesen wird – nu ja! sag ich mir: In Übersee toben ja auch bereits die wildesten Wahlkampfschlachten ums White House, da kann sich Deutschland natürlich nicht lumpen lassen und fängt auch schon mindestens anderthalb Jahre, bevor’s dann wirklich ans Eingemachte geht, mit der kanzler-kürenden Kaffeesatz-Leserei an.
Und auch diesem Kanzleramt-Würdigen, dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst, mag ich nicht volle Aufmerksamkeit schenken, zumal er der Moderatorin gleich als allererstes „als der politische Mensch“, der er ist, verraten soll, von wem er lieber ein süsses Herzchen auf seine Regierungsbank geritzt bekommt – von den Grünen oder der CSU? (So viel schon mal zur Koalitionsfrage, die im übernächsten Herbst ansteht…) Und auch als es danach etwasweniger süss weitergeht und er 20 Minuten lang zu allen Themen, die in Deutschland gerade innenpolitische Wellen schlagen, lauter Erwartbares äussern darf, geht mir die Frage, wer nächstes Jahr den Scholz als Bundes-Kanzler ablösen soll – der Söder oder der Merz oder ein anderer? –, ebenso am Arsch vorbei wie ihre Beantwortung. Wobei dieser mein Arsch immer noch aufnahmefähig genug ist, um zu merken, dass man mir verklickern will, dass der Wüst von denobigen drei andern doch eigentlich der beste wäre. (Ist bei mir schon deswegen verlorene
Liebesmüh, weil ich als Schweizer gar nicht mitwählen darf. Und wenn ich dürfte, würde ich nicht wollen. Und es auch nicht tun.)
2. Der Hauptact
Dann aber endlich: „die Musiklegende“ Howard Carpendale, der wahl-US-amerikanische Deutsche südafrikanischer Herkunft – allein diese Melange verspricht doch schon viel mehr als blossen, deutsch-biederen Polit-Talk. Und tatsächlich übertrifft sein 20-minütiger Auftritt die vorhergehenden Darbietungen an dramaturgischen Überraschungs-Effekten und an gedanklicher Artistik um Längen. Ich nehme es hier gleich vorweg: Der Künstler Carpendale, auch er ein hoch politischer Mensch, wie alle seine Vorredner, vollbringt an diesem Abend, assistiert von seiner Gastgeberin, Frau Maischberger, das Kunststück, die Frage, was eigentlich los ist in den Vereinigten Staaten, zunächst mit niederschmetternden Einsichten zur höchst bedenklichen Lage der US-amerikanischen Nation (State of the Nation, wie man es in Übersee nennt) zu beantworten, diesaber gleichzeitig in einer Kernaussage gipfeln zu lassen, die eindeutig auf Putins Russland zielt und im Grunde Europa dazu aufruft, dringend militärisch aufzurüsten. Na, wenn das kein höchst überraschend und kunstvoll hergestellter Zusammenhang ist! Weil der US-Präsidentschaftswahlkampf nämlich so spannend ist und man ja noch nicht weiss, ob der Biden bleibt oder der Trump wiederkommt, bekennt Carpendale:
„Ich weiss nicht, ob es eine Sucht ist, aber ich will wissen, wie diese Story weitergeht. Es macht mir auch viel Sorgen, ich hab auch sehr viel Angst für meine Kinder, meine Enkel, für meine ganze Familie: Dieser Mann (Trump) hat vor kurzem erklärt, er würde Putin sagen: Mach, was du willst mit den Ländern, die nicht genug…“ („…die nicht zahlen“, springt die Interviewerin in die Bresche – sprich: mit den europäischen Nato-Ländern) „…bezahlen – das ist schon ein Satz, da könnte man andere Worte dafür nehmen, dann klingt es ziemlich grausam.“
Was uns der Alt-Meister da also ans Herz legt, ist, dass die einzige Gefahr für Demokratie und Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in der Welt keinesfalls von Seiten der maroden Supermacht in atlantischer Übersee droht, die noch dazu ein massives Problem mit ihren anstehenden demokratischen Wahlen hat, sondern aus den Weiten des russischen Imperiums des bösen Mannes Putin. Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich, oder etwa nicht?
Um sich aber das Ausmass an Raffinesse, um nicht zu sagen: anheimelnder Schönheit, mit der uns die beiden Plauderer diese überwältigende Einsicht präsentieren, angemessen zu würdigen, lohnt es, sich den ganzen Verlauf des Gesprächs ein wenig zu vergegenwärtigen.
3. State of the Nation Adress
Die Musiklegende, immer wieder mit den richtigen Stichworten seiner Souffleuse Maischberger bedient, belehrt uns also zunächst über den Zustand der amerikanischen Gesellschaft im Wahljahr 2024:
„Viele Leute, die noch nie in America waren, haben eine falsche Vorstellung, wie America wirklich ist. Vielleicht denkt man, es ist alles Glitter und Glanz und Las Vegas. America ist ein sehr marodes Land. Wenn man von der Küste wegfährt – mein Sohn wohnt mitten in America, und da bin ich öfter mal hingefahren – es ist unvorstellbar. Lass einen kleinen Sturm aufkommen, da sind eine Million gleich unter Strom. Es ist ein Land, das wirklich in der Mitte, oder sagen wir: diese sogenannte „fly-over-zone“… („…von der Westküste zur Ostküste oder umgekehrt…“, ergänzt Maischberger) …das ist verwüstet, das ist vergessen und verlassen. Die Menschen hier fühlen sich auch so, die fühlen sich verlassen, und ich meine: davon hat jeder sechste keine Versicherung. Ich hab im Krankenhaus gesessen mal, und was man da erlebt – es ist traurig! Es ist wirklich ein Land, das einen Mann braucht, oder eine Frau vorne!, dem man vertrauen kann. (…) 70% aller Amerikaner wollen beide Herren nicht, weder Trump noch Biden. Ich meine, das ist schon keine gute Zukunft, wenn man einen von den beiden kriegt, und 70% wollen’s gar nicht. Es ist eine schwierige Situation. (…) Es ist sehr, sehr schwer vorauszusagen, wie das ausgeht. (…) Was mich am meisten stört: es gibt keine gute Lösung…“
Uff! So happige Zweifel an den USA ? Das gibt’s doch kaum noch in Europas Qualitätsmedien! Und „marode“ nennt er sie! Als redete er von der DDR in ihrem Endstadium! Ist das nicht nahezu Gotteslästerung?! – Weiterlesen ›