Rezension: Programmentscheidungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen

Rezension:  Programmentscheidungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen

Die Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden stellte mir vor einiger Zeit die Dissertation von Charlotte Echterhoff zur Rezension zur Verfügung.
Ich habe für die Lektüre der gut 300-seitigen Dissertation (auch) wegen der unglaublich vielen Verweise und Zitate im Text und der überaus interessanten Fußnoten, länger gebraucht als gewöhnlich. Ich hoffe, Verlag und Autorin sehen mir das nach. Manche Seite habe ich zwei bis dreimal gelesen, viele Notizen angefertigt, die Quellen verfolgt und mich ausgiebig über die Bestätigung diverser Ansichten unserer Publikumsinitiative gefreut. Ich bedanke mich im Namen der Rezipienteninitiative Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien e. V. für die freundliche Erwähnung des Vereins innerhalb der Dissertation, für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars und für die Erweiterung des medienpolitischen Horizontes.

Rezension: Programmentscheidungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen

Eine Suche nach Kriterien – denn die Quote kann nicht alles sein

Von Dr. Charlotte Echterhoff
2015, 336 S., Broschiert,
ISBN 978-3-8487-2553-3

Rezensentin: Maren Müller, Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien e. V.

Die Medienwissenschaftlerin Charlotte Echterhoff zeigt in der vorliegenden Doktorarbeit aus historischer und kommunikationstheoretischer Perspektive, dass die Quote als Kriterium für Programmentscheidungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht hinreicht, um der besonderen Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit gerecht zu werden.

Die Dissertation gliedert sich nach der Einleitung (1.), die unter anderem die Ambivalenz zwischen Qualität und Quote beleuchtet, in weitere vier große Themenblöcke:
2. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Spannungsfeld Öffentlichkeit vs. Publikum
3. Empirisch-analytischer Teil
4. Interpretation des Kriterienkataloges
5.) Ergebnisse
Eine Schlussbetrachtung, die ausführliche Bibliographie sowie ein sehr außerordentlich informativer Anhang, der Zitate diverser Programmverantwortlicher enthält, runden die Arbeit ab.

Die Erkenntnis, dass die Quote weder den mehrdimensionalen Ansprüchen des Publikums, noch den gesetzlichen Auftrag gerecht wird, erwächst in der wissenschaftlichen Arbeit natürlich nicht aus bloßer Intuition, sondern wird empirisch-analytisch aufbereitet und beschreibt in seiner Konsequenz den Zielkonflikt zwischen ökonomischen und publizistischen Normensystem.

Ist die Quote hoch, folge das meist aus einem entsprechend der Publikumswirksamkeit erstellten massenattraktiven Programm, das auch das kommerzielle Fernsehen leiste. Ist die Quote niedrig, werde der Nutzen für die Beitragszahlenden bezweifelt. Beide Varianten stellen die Legitimation des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Frage.

Die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Programmangebotes für die Beitragszahlenden und die Gesellschaft insgesamt unabhängig von der Quote zu bestimmen, sei die Hauptherausforderung an das öffentlich-rechtliche Fernsehen – die zentrale Funktion der Medien in einer Demokratie liege in der Ermöglichung von Kommunikation.

Brisant ist die Erkenntnis, dass durch die Quotenfixierung die negativen Folgen für öffentlich-rechtliche Angebote signifikant ansteigen. Sahen bereits Kritiker und Mahner in den vergangenen Jahren die zunehmende Boulevardisierung, Verflachung und Entertainisierung öffentlich-rechtlicher Angebote, so konstatiert die Autorin als Konsequenz aus der zunehmenden Programmangleichung einen Identitätsverlust der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Das Kulturgut Fernsehen drohe seine Bedeutung zu verlieren.

Neben der Kritik an der teilweisen Werbefinanzierung öffentlich-rechtlicher Inhalte, die klar zur Banalisierung von Programminhalten führt, wird auch das Messverfahren, welches zu Unrecht die vermeintliche Nachfrage mit Erfolg oder gar Qualität assoziiert, in Zweifel gezogen und – seit dem Vormarsch des Internets als Verbreitungsmedium (auch) öffentlich-rechtlicher Angebote – als antiquiert eingestuft.

Interessant ist der Exkurs der Autorin nach UK zum BBC, der mit dem „BBC Trust“ ein wegweisendes Gremium aus berufenen Ehrenamtlern beschäftigt, welches im Rahmen des „Public Value“ das Programm des Senders nach bestimmter qualitativer Vorgaben bewertet. Eine derartige Einrichtung, unter Einbezug gesellschaftlicher Gruppierungen, ist im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch nicht erkennbar, obwohl Initiativen und Medienexperten dies seit Jahren anmahnen.

Fatal für Autorin und Rezensentin ist die Tatsache, dass durch Werbung und Quotenfixierung die politische Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in den Hintergrund gerät. Ob sich Programmverantwortliche dieser verheerenden Konsequenz, der aus schlichter Marktlogik erwachsenden Fehlentscheidungen, bewusst sind?

Die Quote als omnipräsenter Erfolgsindikator, Zuschauerindikator, Legitimationsindikator und Akzeptanzindikator zeigt die Dominanz der Marktlogik in Programmentscheidungen, ohne dabei auf die Informationsbedürfnisse der Öffentlichkeit einzugehen. Als ein solch öffentlichkeitsrelevantes Kriterium stellt die Autorin das der „Informationsvielfalt“ vor. Dieser Begriff spezifiziert die besondere Leistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkes für die Demokratie.

Die Bestrebungen der Autorin, die Wichtigkeit und Besonderheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die demokratische Öffentlichkeit herauszustellen und zu beweisen, dass gesellschaftlich wünschenswerte Resultate im Sinne des gesetzlichen Auftrages der Stärkung normativ begründeter Argumente bedürfen, ist herausragend. Der Vorschlag, zur Institutionalisierung des öffentlichen Interesses an der demokratischen Bildungsfunktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine Stiftung Medientest zu etablieren, ist aus Publikumssicht ein konsequenter Schritt in Richtung demokratischer Partizipation am gemeinsam finanzierten Medienangebot.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk braucht Geld um Programm zu machen. Privatfernsehen braucht Programm um Geld zu machen.
Volker Herres

Charlotte Echterhoff studierte Medienwissenschaft, Psychologie, französische Philologie und Volkswirtschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Im Rahmen ihrer Magisterarbeit forschte sie in Chile und Deutschland zu Potentialen aktiver Medienarbeit für den Bildungsprozess Während ihrer Promotionszeit arbeitete sie u. a. als Dozentin für die Universität Bonn und als Journalistin. Seit 2013 lebt sie mit ihrem Mann und ihren Kindern in Hanoi/Vietnam, wo sie als Media Consultant für die Friedrich-Ebert-Stiftung Vietnam tätig ist.