Tatort: „Am Ende geht man nackt“

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Sonntag, 9. April, 20.15 Uhr, ARD: „Tatort: Am Ende geht man nackt“
Das Erziehungs-Fernsehen missbraucht in schöner Regelmäßigkeit und mit erhobenem Zeigefinger auch den quotenträchtigen TATORT als Volkserziehungskrimi, indem es klischeebehaftete Sozialschmonzetten als Nachhilfeunterricht für potentiell oder vermeintlich politisch inkorrekte Biodeutsche produziert. Es werden alle Register gezogen, alle Klischees bedient und die schwarz-weiß-Malerei übertüncht, wie so oft, die Realität. Aufgeklärte und zu Empathie fähige Rezipienten reagieren auf diese Produktionen zunehmend mit Verstörung, insbesondere dann, wenn die fiktionale Beeinflussung der öffentlichen Meinung dem Faktencheck nicht standhält.
Unser Beiratsmitglied Torsten Küllig verfasste zum Thema eine Programmbeschwerde, deren Hauptaugenmerk sich auf folgende Aussage (Minute 72/73) des fiktiven Leiters der TATORT-Flüchtlingsunterkunft richtet:
„Du musst garantieren, dass du für alles aufkommst. Das heißt, für den Lebensunterhalt und die Wohnung und du musst alle privat krankenversichern. Die gesetzlichen Krankenkassen schließen deine Angehörigen aus. Du musst dafür 10.000 Euro verdienen. Im Monat. Netto.“
Grundsätzlich gilt: Dramaturgische Freiheit darf auch für einen Tatort-Krimi gelten. Wenn aber der Tatort im Zuge der Einwanderungskrise als Instrument der Aufklärung herangezogen wird- über dessen Sinnhaftigkeit hier nicht näher eingegangen werden soll- dann müssen die darin vorkommenden Fakten absolut stichhaltig und verifizierbar sein. Sonst wird beim Zuschauer das Gegenteil von dem bewirkt, was eigentlich gewollt war.
Im besagten Tatort wird ziemlich am Schluss in einer Filmsequenz, als es um den Nachzug von Familienangehörigen eines anerkannten Asylbewerbers ging, von dem verantwortlichen Leiter der Gemeinschaftsunterkunft darauf verwiesen, dass der betreffende Flüchtling nunmehr seine Familie nach Deutschland nachholen kann. Allerdings müsse er vollständig den Lebensunterhalt und die Krankenversicherung für diese Personen aufbringen. In diesem Falle ging es um die Summe von 10 000 Euro im Monat. Selbstverständlich konnte der betreffende anerkannte Asylbewerber diese Summe nicht aufbringen und ging daraufhin wieder in sein Heimatland zurück. Es entstand beim Zuschauer der Eindruck eines völlig unmenschlichen deutschen Asylverfahrensrechtes. Der Deutungsrahmen war gesetzt.
Recherchen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge haben ergeben, dass diese im Tatort vorgebrachte Behauptung schlicht und ergreifend falsch war.
BAMF: Wenn ein Ehepartner /eine Familie (Ehepartner mit Kind) zu dem Partner nach Deutschland ziehen möchte/n, benötigt er/benötigen sie grundsätzlich ein nationales Visum zum Ehegattennachzug / Familiennachzug. Beim Nachzug zu Flüchtlingen gibt es Erleichterungen. Das Spracherfordernis beim Ehegattennachzug entfällt.
Wenn der Antrag innerhalb von drei Monaten nach der Anerkennung gestellt wird, entfallen außerdem noch folgende Voraussetzungen:
– Es muss kein Lebensunterhalt gesichert sein und
– der Wohnraum wird nicht geprüft.
Die Frist beginnt mit der Unanfechtbarkeit der Anerkennung als Asylberechtigter oder unanfechtbarer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Daher ist es wichtig, dass die Frist nicht verpasst wird. Die Frist von drei Monaten wird auch gewahrt, wenn der in Deutschland lebende Ehepartner einen Antrag bei der örtlichen Ausländerbehörde stellt. Das Spracherfordernis beim Ehegattennachzug muss auch nach Ablauf der Frist nicht nachgewiesen werden.
Die Sprecherin des bayerischen Gesundheitsministeriums Angela Zellner beantwortete eine entsprechende Anfrage der FAZ wie folgt:
Über den Eintritt der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) kann in einem konkreten Fall nur die jeweils zuständige Krankenkasse entscheiden. Generell kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass anerkannte Flüchtlinge beziehungsweise deren Familienangehörige sich regelhaft privat versichern müssten. Vielmehr ist bekannt, dass nach Abschluss der Asylverfahren Flüchtlinge mehrheitlich Arbeitslosengeld II beziehen. Sie sind dann kraft Gesetzes nach § 5 Abs. 1 Ziffer 2a des Sozialgesetzbuches (SGB) V Mitglieder der GKV; die Krankenversicherungsbeiträge werden in diesem Fall durch den SGB II-Leistungsträger übernommen.
Die Antwort der Zuschauerredaktion fiel erwartungsgemäß unbefriedigend aus. Gewohnt wortreich wurde mit Textbausteinen jenseits des beanstandeten Themas hantiert und argumentiert wurde auf dreiste Weise mit der vom Beschwerdeführer eigens gelieferten Quelle.
Die Antwort des Drehbuchautors war – wenn auch inhaltsbezogen – zumindest unlogisch.
Nicht nur „normalen“ Flüchtlingen wäre es in Deutschland, selbst wenn sie einer Arbeit nachgingen, unmöglich, für den kompletten Lebensunterhalt ihrer engsten Angehörigen aufzukommen. Eine derartige finanzielle Hürde würde theoretisch auch den Großteil der deutschen Mittelschicht ruinieren. Den Lebensunterhalt für „den Schwager, das behinderte Nachbarskind und den schwer kranken Freund“ regelt darüber hinaus nicht das Asylgesetz. Insofern ist diese Überlegung – selbst aus Autorensicht – gegenstandslos.
Jeder möglichen Erkenntnis gehen – und das wissen Filmschaffende in der Regel – Emotionen voraus. Welche Emotionen die Zuschauer am Ende eines Filmes haben sollen, wird bereits innerhalb des Drehbuches festgelegt. Gerade wenn sich ein vermeintlich „im Rahmen der dramaturgischen Freiheit der Autoren vertretbare Darstellung des Sachverhaltes“ als grobe Fehleinschätzung erweist, sollte offen darüber gesprochen werden, auch um die Herausbildung emotionaler Narrative zu verhindern.
Dass auch Filmproduktionen großen Einfluss auf Sichtweisen, das kollektive Gedächtnis und die öffentliche Wahrnehmung einer Gesellschaft haben, ist unstrittig. Die Darstellung politisch brisanter Themen wird von den politischen Bedingungen und Intentionen bestimmt – auch oder gerade in Unterhaltungsmedien.
Das Publikum muss deshalb befähigt werden, der unreflektierten Emotionalisierung zu widerstehen, Darstellungen kritisch zu hinterfragen und sich umfassend aus den reichlich vorhandenen öffentlichen Quellen zu informieren.